BAG Urteil v. - 6 AZR 148/09 (A)

Vergütung nach dem Lebensalter im BAT - Diskriminierung

Leitsatz

1. Ob eine tarifliche Entgeltregelung, die wie § 27 Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) in Verbindung mit dem Vergütungstarifvertrag Nr. 35 zum BAT die Grundvergütungen in den einzelnen Vergütungsgruppen nach Lebensaltersstufen bemisst, deshalb keine ungerechtfertigte Benachteiligung wegen des Alters im Sinne des aus dem Primärrecht der Europäischen Union abgeleiteten Verbots der Altersdiskriminierung in seiner Konkretisierung durch die RL 2000/78/EG beinhaltet, weil sie bei generalisierender Betrachtung Berufserfahrung honoriert, hängt von der Auslegung des Rechts der Europäischen Union ab. Diese Auslegung ist dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) vorbehalten.

2. Soweit es bei der Beantwortung dieser Frage auf das ebenfalls im europäischen Primärrecht gewährleistete Recht auf Kollektivverhandlungen und die dabei den Tarifvertragsparteien zustehende Tarifautonomie ankommt, kann die Auflösung einer Kollision mit dem allgemeinen Gleichheitssatz bzw. dem Verbot der Diskriminierung wegen des Alters ebenfalls nur durch den Gerichtshof der Europäischen Union erfolgen.

Gesetze: Art 267 AEUV, Art 20 EUGrdRCh, Art 21 Abs 1 EUGrdRCh, Art 28 EUGrdRCh, Art 1 EGRL 78/2000, Art 2 EGRL 78/2000, Art 6 EGRL 78/2000, § 27 Abschn A BAT

Instanzenzug: Az: 86 Ca 1696/07 Urteilvorgehend LArbG Berlin-Brandenburg Az: 20 Sa 2244/07 Urteilnachgehend Az: C-297/10 und C-298/10nachgehend Az: 6 AZR 148/09 Urteil

Gründe

Das Ausgangsverfahren betrifft die Frage, ob eine Vergütungsregelung im Tarifrecht des öffentlichen Dienstes für die Angestellten gegen das primärrechtliche Verbot der Diskriminierung wegen des Alters (jetzt Art. 21 Abs. 1 der Charta der Grundrechte [GRC] vom [ABl. EU Nr. C 303 vom S. 1]) in seiner Konkretisierung durch die Richtlinie des Rates zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (RL 2000/78/EG) vom (ABl. EG Nr. L 303 vom S. 16) verstoßen hat.

In der Bundesrepublik Deutschland regeln nicht nur Gesetze die Rechte und Pflichten der im öffentlichen Dienst Beschäftigten. Anders als bei den Beamten werden die Arbeitsbedingungen einschließlich der Höhe der Vergütung der Angestellten von den Tarifvertragsparteien (Gewerkschaften, Verbände bzw. Tarifgemeinschaften öffentlicher Arbeitgeber oder einzelne öffentliche Arbeitgeber) in Tarifverträgen festgelegt. Gewerkschaften und tarifschließende Arbeitgebervereinigungen werden auch als Koalitionen bezeichnet. Die Normen eines Tarifvertrags gelten für die Mitglieder der Koalitionen unmittelbar und zwingend.

3Art. 9 Abs. 3 des Grundgesetzes(GG)(BGBl. 1949 S. 1) gewährleistet das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden. Wegen dieser Verfassungsgarantie hat der Staat nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (zuletzt - 1 BvR 1373/08 - Rn. 29) die Regelung der Arbeitsbedingungen grundsätzlich den Koalitionen in eigener Verantwortung und im Wesentlichen ohne staatliche Einflussnahme zu überlassen (vgl.  - und - 1 BvR 897/95 - BVerfGE 100, 271).

Die Arbeitsverhältnisse der Angestellten im öffentlichen Dienst beruhen auf einem privatrechtlichen Arbeitsvertrag. Für die Angestellten der im Tarifbereich als „Bund“ bezeichneten Bundesrepublik Deutschland wurde der Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) abgeschlossen. Der BAT galt auch für die Angestellten der Bundesländer und der Gemeinden. Im öffentlichen Dienst wird in den Arbeitsverträgen grundsätzlich vereinbart, dass die für den Arbeitgeber geltenden Tarifverträge Anwendung finden. So wird die Gleichbehandlung der Beschäftigten erreicht, auch wenn diese keiner Koalition angehören.

5Der BAT regelte, dass sich die Vergütung der Angestellten aus der Grundvergütung und dem Ortszuschlag zusammensetzt(§ 26 BAT). Die Grundvergütung bemaß sich nach Vergütungsgruppen, von denen die Gruppe X die niedrigste und die Gruppe I die höchste war. Die Eingruppierung eines Angestellten in eine der Vergütungsgruppen I bis II a setzte grundsätzlich eine abgeschlossene wissenschaftliche Hochschulbildung und eine entsprechende Tätigkeit voraus. In den insgesamt 18 Vergütungsgruppen wurden die Angestellten sog. Lebensaltersstufen zugeordnet. Die Höhe der Grundvergütung stieg alle zwei Jahre mit Erreichen einer höheren Lebensaltersstufe an, bis die Endgrundvergütung erreicht war. Das war in den Vergütungsgruppen I bis I b mit der Lebensaltersstufe 47, in den Vergütungsgruppen II a bis V b mit der Stufe 45, in der Vergütungsgruppe V c mit der Stufe 41, in der Vergütungsgruppe VI a mit der Stufe 49, in den Vergütungsgruppen VI b und VII mit der Stufe 43, in der Vergütungsgruppe VIII mit der Stufe 39 und in den Vergütungsgruppen IX a bis X mit der Stufe 37 der Fall. Im Regelfall wurden die Lebensaltersstufen mit der Vollendung des Lebensjahres erreicht, das der Benennung der Stufe entsprach, also zB die Lebensaltersstufe 35 mit dem 35. Geburtstag.

Die Zuordnung zu den Lebensaltersstufen regelte für den Zuständigkeitsbereich des Bundes und der Länder § 27 Abschn. A BAT wie folgt:

Die Anlage 1c zum Vergütungstarifvertrag Nr. 35 zum BAT wies ab dem für die Angestellten der Vergütungsgruppen I bis X für den Bereich des Bundes und der Länder auszugsweise in Euro folgende Anfangs- und Endgrundvergütungen aus, wobei die Vergütungsgruppe I a für den Kläger des Ausgangsverfahrens maßgeblich war:

8Für die Angestellten der Gemeinden galt nach dem BAT ein etwas anderes, im Grundsatz aber ebenfalls vom Lebensalter abhängiges Vergütungssystem.

9Zusätzlich zur Grundvergütung wurde nach dem BAT den Angestellten ein sog. „Ortszuschlag“ gezahlt. Dieser glich entgegen seinem Wortlaut nicht die unterschiedlich hohen Lebenshaltungskosten an verschiedenen Einsatzorten aus. Er sollte vielmehr die mit einem bestimmten Familienstand verbundenen finanziellen Belastungen des Angestellten mindern. Der Ortszuschlag der Stufe 1 als Sockelbetrag von zuletzt ca. 500,00 Euro brutto monatlich wurde überwiegend an ledige und geschiedene Angestellte gezahlt. Vor allem verheiratete und verwitwete Angestellte erhielten den Ortszuschlag der Stufe 2, der zuletzt um etwa 100,00 Euro brutto höher war als der Ortszuschlag der Stufe 1. Den Ortszuschlag der Stufe 3 erhielten schließlich die Angestellten, die Kinder zu unterhalten hatten. Dieser Teil des Ortszuschlags betrug je Kind zuletzt noch rund 90,00 Euro brutto monatlich. Die Einzelheiten ergaben sich aus § 29 BAT.

10Das beklagte Land schloss am mit mehreren Gewerkschaften den Tarifvertrag zur Anwendung von Tarifverträgen des öffentlichen Dienstes(Anwendungs-TV). Dieser Tarifvertrag regelte ua., dass sich die Arbeitsverhältnisse der beim beklagten Land beschäftigten Angestellten mit bestimmten Maßgaben nach den Vorschriften des BAT in der Fassung vom und den Anlagen zum Vergütungstarifvertrag Nr. 35 zum BAT für den Bereich des Bundes und für den Bereich der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) richten. § 4 Abschn. A Abs. 1 Anwendungs-TV bestimmte ua., dass die Höhe der Grundvergütung für Angestellte in den Vergütungsgruppen II b und höher 88 vH der in den Anlagen zum Vergütungstarifvertrag Nr. 35 zum BAT ausgewiesen Vergütungen beträgt.

Der BAT und der Vergütungstarifvertrag Nr. 35 zum BAT sind für den Bereich des Bundes und der Gemeinden mit Wirkung ab , für den Bereich der Länder mit Ausnahme des Landes Hessen und des beklagten Landes mit Wirkung ab durch andere tarifliche Regelungen ersetzt worden. Am hat das beklagte Land mit verschiedenen Gewerkschaften eine Eckpunktevereinbarung getroffen. In Nr. 1 Abs. 1 Satz 1 dieser Vereinbarung ist geregelt, dass das Vergütungssystem des BAT ersetzt wird und grundsätzlich das Tarifrecht der anderen Länder in dynamischer Form mit Wirkung ab übernommen wird. Das neue Entgeltsystem des beklagten Landes sieht damit keine Lebensaltersstufen mehr vor, sondern stellt für die Höhe des Entgelts auf Tätigkeit, Berufserfahrung und Leistung ab.

Am ist zur Umsetzung der RL 2000/78/EG das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) vom (BGBl. I S. 1897) in Kraft getreten. Dieses verbietet in § 3 in Verbindung mit § 1 und § 2 Diskriminierungen wegen des Alters beim Arbeitsentgelt. In § 10 heißt es ua.:

Der 1967 geborene Kläger war vom bis zum beim beklagten Land als Angestellter beschäftigt. Im Arbeitsvertrag war vereinbart, dass auf das Arbeitsverhältnis die für das beklagte Land geltenden Tarifverträge Anwendung finden. Das beklagte Land zahlte dem als Geschäftsführer eines Pflegeheimbetriebes in der Vergütungsgruppe I a der Anlage 1a zum BAT eingruppierten Kläger nach Vollendung seines 39. Lebensjahres Grundvergütung in Höhe von monatlich 3.336,09 Euro brutto. Die Grundvergütung der Lebensaltersstufe 47 betrug in der Vergütungsgruppe I a bei Berücksichtigung der im Anwendungs-TV geregelten Absenkung 3.787,14 Euro brutto und war damit um 451,05 Euro höher.

14Der Kläger ist der Ansicht, ihm stehe die Vergütung der höchsten Lebensaltersstufe der Vergütungsgruppe I a BAT zu. Die Staffelung der Grundvergütung nach Lebensaltersstufen stelle eine nicht zulässige Benachteiligung jüngerer Angestellter wegen des Alters dar.

Der Kläger hat, soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung, beantragt festzustellen,

16Das beklagte Land hat gemeint, die Bemessung der Grundvergütungen in den Vergütungsgruppen des BAT nach Lebensaltersstufen stelle keine unmittelbare Benachteiligung des Klägers wegen des Alters dar. Die Grundvergütung knüpfe nicht in erster Linie an das Lebensalter, sondern an die Berufserfahrung an.

I. Der Anspruch des Klägers auf Grundvergütung nach der Lebensaltersstufe 47 für die Monate September 2006 bis März 2009 setzt voraus, dass das beklagte Land dem Kläger nicht die Grundvergütung der nach der tarifvertraglichen Regelung jeweils zutreffenden Lebensaltersstufe der Vergütungsgruppe I a der Anlage 1a zum BAT zu zahlen hatte. Diese Voraussetzung ist nur dann erfüllt, wenn die in § 27 Abschn. A BAT angeordnete Bemessung der Grundvergütungen im Vergütungstarifvertrag Nr. 35 zum BAT nach Lebensaltersstufen unwirksam war. Dies ist dann der Fall, wenn das nach dem Alter gestaffelte Entgeltsystem des BAT, auf das der Anwendungs-TV grundsätzlich verweist, gegen das Verbot der Diskriminierung wegen des Alters verstieß. Dieses Verbot ist als ein allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts anzusehen, jetzt in Art. 21 Abs. 1 GRC ausdrücklich genannt und wird durch die RL 2000/78/EG konkretisiert. Der vom Bundesarbeitsgericht zu entscheidende Sachverhalt fällt in den sachlichen und zeitlichen Anwendungsbereich dieser Richtlinie. Der Kläger macht geltend, die Bemessung seiner Grundvergütung nach Lebensaltersstufen in den Monaten September 2006 bis März 2009 habe gegen das Verbot der Altersdiskriminierung verstoßen. Im überwiegenden Teil des Klagezeitraums war die für die Bundesrepublik Deutschland ua. hinsichtlich des Diskriminierungsmerkmals „Alter“ bis zum verlängerte Umsetzungsfrist abgelaufen (vgl.  - [Kücükdeveci] Rn. 21 f., 24 f., NZA 2010, 85). Das Verbot der Altersdiskriminierung erfasst als Konkretisierung des primärrechtlichen allgemeinen Gleichheitssatzes (jetzt Art. 20 GRC) auch Tarifverträge (vgl. für das Gebot der Entgeltgleichheit  43/75 - [Defrenne] Rn. 39, Slg. 1976, 455). Die Vorlagefrage betrifft die vom Kläger geltend gemachte Verletzung des Verbots der Altersdiskriminierung durch das tarifliche Entgeltsystem des BAT und damit die Auslegung von Unionsrecht, die dem Gerichtshof vorbehalten ist.

18II. Die rechtliche Zulässigkeit der Bemessung der Grundvergütung nach Lebensaltersstufen im Entgeltsystem des BAT wird kontrovers diskutiert.

191. Der ganz überwiegende Teil des Schrifttums und ein Teil der Instanzgerichte nehmen eine unmittelbare Diskriminierung wegen des Alters an. Eine lebensaltersabhängige Entgeltstaffelung benachteiligt nach dieser Ansicht jüngere Angestellte dadurch, dass sie im Vergleich zu den älteren Angestellten eine geringere Vergütung erhalten. Maßgebend für die Annahme einer nicht gerechtfertigten Benachteiligung ist dabei, dass sich die Grundvergütung in den einzelnen Vergütungsgruppen nicht nach dem Dienstalter oder der Berufserfahrung, sondern ausdrücklich nach dem Lebensalter des Angestellten bemisst. Dies bewirke, so die Vertreter dieser Ansicht, dass ein Angestellter, der bei seiner Einstellung das 31. bzw. 35. Lebensjahr vollendet habe, im Vergleich zu einem jüngeren Angestellten auch dann eine höhere Grundvergütung erhalte, wenn er über keine einschlägige Berufserfahrung verfüge, die ihn befähige, seine Arbeit besser zu verrichten. Dies sei selbst dann der Fall, wenn der jüngere Angestellte größere Berufserfahrung habe. Auch daraus, dass bei einer Einstellung des Angestellten nach Vollendung des 31. bzw. 35. Lebensjahres sein Alter für die Zuordnung zu einer Lebensaltersstufe gemäß § 27 Abschn. A Abs. 2 BAT zwar nicht mehr vollständig berücksichtigt werde, die Jahre nach der Vollendung des 31. bzw. 35. Lebensjahres aber noch zur Hälfte zählten, werde deutlich, dass ältere Angestellte unabhängig von einer einschlägigen Berufserfahrung im Vergleich zu jüngeren Angestellten eine höhere Grundvergütung erhielten. Potentielle spätere Vorteile könnten schon deshalb nicht berücksichtigt werden, weil eine solche Kompensation oft nicht eintrete, zB bei einem Ausscheiden des Angestellten aus dem öffentlichen Dienst oder bei Ablösung des bisherigen Entgeltsystems durch Entgeltregelungen, die nicht mehr auf das Lebensalter des Angestellten abstellten.

202. Ein kleinerer Teil des Schrifttums und der Instanzgerichte halten die Bemessung der Grundvergütungen in den einzelnen Vergütungsgruppen des BAT nach Lebensaltersstufen bei generalisierender Betrachtung durch legitime Ziele im Sinne von § 10 Satz 3 Nr. 2 AGG für gerechtfertigt. Die höhere Grundvergütung älterer Angestellter gleiche deren höheren finanziellen Bedarf aus dem sozialen Umfeld aus. Sie sei auch unter dem Gesichtspunkt der Honorierung größerer Lebens- und Berufserfahrung gerechtfertigt. Bei der gebotenen generalisierenden Betrachtung bestehe ein Zusammenhang zwischen Lebensalter einerseits und Beschäftigungsdauer und Berufserfahrung andererseits. Ein jüngerer Angestellter verfüge typischerweise im Gegensatz zu einem älteren Angestellten nicht über eine lange Beschäftigungsdauer und weise keine langjährige Berufserfahrung auf. Auch ein Entgeltsystem, das auf die Betriebstreue des Angestellten oder seine Berufserfahrung bei der Bemessung des Entgelts abstelle, differenziere zwar nicht unmittelbar nach dem Alter, jedoch mittelbar nach Merkmalen, die bei generalisierender Betrachtung bei älteren Angestellten eher erfüllt seien als bei jüngeren Angestellten.

21III. Die Gesetzesbegründung zu § 10 Satz 3 Nr. 2 AGG geht davon aus, dass hinsichtlich des Entgelts eine Anknüpfung an die Berufserfahrung eher zu rechtfertigen sein kann als eine Anknüpfung an das bloße Lebensalter(BT-Drucks. 16/1780 S. 36).

22IV. Das Bundesarbeitsgericht hat zur Rechtslage vor dem Inkrafttreten des AGG und vor Bekanntwerden der Rechtsprechung des Gerichtshofs zum primärrechtlichen Verbot der Altersdiskriminierung die Bemessung der Grundvergütung in den einzelnen Vergütungsgruppen nach Lebensaltersstufen grundsätzlich für rechtlich zulässig gehalten. Es hat angenommen, die Tarifvertragsparteien hätten mit der Staffelung der tariflichen Vergütung nach dem Alter die Grenzen ihrer autonomen Regelungsbefugnis nicht überschritten. In seiner Entscheidung vom (- 6 AZR 244/99 - zu II 2 a der Gründe, ZTR 2001, 362) hat das Bundesarbeitsgericht ausgeführt, die Tarifvertragsparteien hätten damit zum Ausdruck gebracht, dass sie einer größeren Lebenserfahrung bei der Einstellung und einer danach hinzukommenden Berufserfahrung eine höhere Grundvergütung zubilligen. Sie hätten den Zuwachs an Lebenserfahrung mit zunehmendem Alter bis zum vollendeten 31. bzw. 35. Lebensjahr im gleichen Maße wie eine Berufserfahrung gewertet. Da die Lebenserfahrung mit zunehmendem Alter steige, sei es nicht sachfremd, die Vergütung jeweils am Geburtstag des Beschäftigten zu erhöhen.

23V. Art. 2 Abs. 2 RL 2000/78/EG unterscheidet zwischen Diskriminierungen, die unmittelbar auf den in Art. 1 RL 2000/78/EG angeführten Merkmalen beruhen, und mittelbaren Diskriminierungen.

241. Während diejenigen Vorschriften, Kriterien oder Verfahren, die mittelbare Diskriminierungen bewirken können, nach Art. 2 Abs. 2 Buchst. b RL 2000/78/EG schon der Qualifikation als Diskriminierung entgehen, sofern sie durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind, sieht Art. 2 Abs. 1 RL 2000/78/EG für Ungleichbehandlungen, die unmittelbare Diskriminierungen darstellen, keine Ausnahme vor(vgl.  - [Age Concern England] Rn. 59, EzA EG-Vertrag 1999 Richtlinie 2000/78 Nr. 9). Eine lebensaltersabhängige Entgeltstaffelung knüpft unmittelbar an das Merkmal des Alters an.

252. Allerdings wurde mit Art. 6 RL 2000/78/EG wegen der Besonderheiten des Alterskriteriums eine Ausnahmeregelung speziell für Ungleichbehandlungen aus Gründen des Alters eingeführt. Nach dem 25. Erwägungsgrund der Richtlinie ist nämlich „unbedingt zu unterscheiden zwischen einer Ungleichbehandlung, die insbesondere durch rechtmäßige Ziele im Bereich der Beschäftigungspolitik, des Arbeitsmarktes und der beruflichen Bildung gerechtfertigt ist, und einer Diskriminierung, die zu verbieten ist“( - [Age Concern England] Rn. 60, EzA EG-Vertrag 1999 Richtlinie 2000/78 Nr. 9). Ungleichbehandlungen wegen des Alters stellen nach Art. 6 Abs. 1 RL 2000/78/EG dann keine Diskriminierung dar, wenn sie objektiv und angemessen sind und im Rahmen des nationalen Rechts durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind. Art. 6 Abs. 1 Satz 2 Buchst. b RL 2000/78/EG erlaubt ausdrücklich die Festlegung von Mindestanforderungen an das Alter, die Berufserfahrung oder das Dienstalter für bestimmte mit der Beschäftigung verbundene Vorteile. Die Bemessung der Grundvergütung in den Vergütungsgruppen des BAT nach Lebensaltersstufen könnte nach Art. 6 Abs. 1 Satz 2 Buchst. b RL 2000/78/EG deshalb gerechtfertigt sein, weil die Tarifvertragsparteien des Anwendungs-TV mit dem Verweis auf die lebensaltersabhängige Entgeltstaffelung des BAT eine größere Lebenserfahrung bei der Einstellung und eine danach hinzukommende Berufserfahrung honorieren wollten und mit der Bemessung der Grundvergütungen in den einzelnen Vergütungsgruppen nach Lebensaltersstufen die Grenzen ihrer aus Art. 28 GRC abzuleitenden autonomen Regelungsbefugnis nicht überschritten.

26VI. In der Rechtsprechung des Gerichtshofs ist grundsätzlich anerkannt, dass Berufserfahrung honoriert werden darf, wenn sie den Arbeitnehmer befähigt, seine Arbeit besser zu verrichten. Ist dies der Fall, bedarf die Ungleichheit des Entgelts aufgrund der Anwendung des Dienstalterkriteriums(Anciennität) grundsätzlich keiner besonderen Rechtfertigung (vgl.  - [Cadman] Rn. 34 bis 36, Slg. 2006, I-9583; - C-184/89 - [Nimz] Slg. 1991, I-297; - Rs. 109/88 - [Danfoss] Rn. 24 bis 25, Slg. 1989, 3199). Die Lebensaltersstufen des BAT könnten bei generalisierender Betrachtung Berufserfahrung honorieren, die den Angestellten befähigt, seine Arbeit besser zu verrichten. Die Ungleichheit des Entgelts bedürfte dann trotz der erheblichen Differenzen zwischen der Anfangs- und Endgrundvergütung in den einzelnen Vergütungsgruppen aufgrund der Anwendung des Dienstalterkriteriums möglicherweise keiner darüber hinausgehenden besonderen Rechtfertigung (vgl.  - [Hütter] Rn. 47, EzA EG-Vertrag 1999 Richtlinie 2000/78 Nr. 11; - C-17/05 - [Cadman] aaO; - Rs. 109/88 - [Danfoss] aaO). In diesem Fall hätten die Tarifvertragsparteien des Anwendungs-TV den ihnen nach Art. 28 GRC zukommenden Regelungsspielraum nicht überschritten und die Vorlagefrage wäre zu verneinen.

27VII. Der objektive Charakter des Kriteriums des Dienstalters hängt allerdings von den Umständen des Einzelfalls ab und insbesondere davon, welche Beziehung zwischen der ausgeübten Tätigkeit und der Berufserfahrung besteht. Ob Mindestanforderungen an das Dienstalter oder die Berufserfahrung dem legitimen Ziel der Honorierung der Steigerung der Qualifikation dienen, könnte deshalb stets eine Frage des Einzelfalls sein. Es gibt Berufe, in denen die Berufserfahrung fortwährend die Qualifikation erhöht, während in anderen Tätigkeiten nach einer anfänglichen Qualifikationssteigerung eine Stagnation folgt. Dies könnte einer generalisierenden Betrachtung und pauschalen Bemessung der Grundvergütungen in den einzelnen Vergütungsgruppen des BAT nach Lebensaltersstufen entgegenstehen und einen Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot wegen des Alters begründen.

28Allerdings läge kein Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot wegen des Alters vor, wenn jedenfalls Tarifvertragsparteien, hier die Tarifvertragsparteien des Anwendungs-TV bzw. des BAT, aufgrund ihrer Sachnähe und im Interesse der Praktikabilität des tariflichen Entgeltsystems im Rahmen einer pauschalisierenden Betrachtung zu der Annahme befugt wären, dass mit einem höheren Lebensalter typischerweise auch eine größere Berufserfahrung verbunden ist. Auch dann wäre die Vorlagefrage zu verneinen.

291. Das Recht auf Durchführung kollektiver Maßnahmen ist in der Rechtsprechung des Gerichtshofs als Grundrecht anerkannt( - [Laval un Partneri] Rn. 90 f., Slg. 2007, I-11767). Vorstufe kollektiver Maßnahmen sind Kollektivverhandlungen. Zum Recht auf Kollektivverhandlungen gehört untrennbar die Tarifautonomie. Sie stellt sicher, dass die Koalitionen in gebührender Unabhängigkeit unter Beachtung bestimmter Grenzen die Beschäftigungsbedingungen aushandeln können (Schlussanträge der Generalanwältin Trstenjak vom in der Rechtssache - C-271/08 - Rn. 77 - 80, 205). Auch der Gleichheitssatz, aus dem sich ua. das Verbot der Altersdiskriminierung (Art. 21 Abs. 1 GRC) ableitet, ist seit langem als Gemeinschaftsgrundrecht anerkannt ( 117/76 - und - Rs. 16/77 - [Ruckdeschel] Rn. 7, Slg. 1977, 1753) und inzwischen in Art. 20 der GRC verankert.

302. Der Gerichtshof hat bisher lediglich zur Kollision von Grundfreiheiten und Grundrechten Stellung genommen( - [Schmidberger] Rn. 81, Slg. 2003, I-5659; - C-438/05 - [International Transport Workers’ Federation und Finnish Seamen’s Union („Viking Line“)] Rn. 77 ff., Slg. 2007, I-10779;  - C-341/05 - [Laval un Partneri] Rn. 101, Slg. 2007, I-11767). Außer Zweifel steht allerdings, dass die Koalitionen trotz Tarifautonomie nicht zwingende unionsrechtliche Vorgaben umgehen und Diskriminierungsverbote aushebeln dürfen (vgl.Schlussanträge der Generalanwältin Trstenjak vom in der Rechtssache - C-271/08 - Rn. 225; Schlussanträge des Generalanwalts Darmon vom in der Rechtssache - C-184/89 - [Nimz], Rn. 20, Slg. 1991, I-297; vgl. auch KOM [1999] 565 endg., S. 15). Nicht geklärt ist jedoch, welche Bedeutung und welches Gewicht der Tarifautonomie bei der Prüfung der Vereinbarkeit von tariflichen Entgeltregelungen mit dem Verbot der Altersdiskriminierung als Ausprägung des Gleichheitssatzes zukommt.

31a) Nach nationalem Rechtsverständnis wird die Kollision zwischen dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG und der ebenfalls grundrechtlich gewährleisteten Tarifautonomie als besonderer Ausprägung der Koalitionsfreiheit des Art. 9 Abs. 3 GG nach dem Grundsatz der praktischen Konkordanz zum Ausgleich gebracht. Auch die Koalitionen sind an den allgemeinen Gleichheitssatz gebunden. Ihnen wird also keine Regelungskompetenz zugebilligt, sach- oder gleichheitswidrige Gruppenbildungen vorzunehmen. Das Grundgesetz geht jedoch davon aus, dass die Koalitionen die jeweiligen Interessen von Beschäftigten und Arbeitgebern bezogen auf die materiellen Arbeitsbedingungen angemessener zum Ausgleich bringen als der Staat( - und - 1 BvR 897/95 - BVerfGE 100, 271). Den Koalitionen wird deshalb wegen ihrer Sachnähe ein Beurteilungs- und Gestaltungsspielraum in Bezug auf die ihren Regelungen zugrunde liegenden Tatsachen und Interessen sowie die Folgen ihrer Normsetzung zugestanden.

32Diese Einschätzungsprärogative führt in der Praxis nicht zu einem Vorrang der Tarifautonomie gegenüber dem Gleichheitssatz. Das Bundesarbeitsgericht hat wiederholt entschieden, dass die Grenzen der autonomen Regelungsbefugnis überschritten sind, und es hat den ungerechtfertigt Benachteiligten Anspruch auf die versagte Leistung gewährt. So hat es den Ausschluss von einer tariflichen Besitzstandszulage wegen der Inanspruchnahme von Elternzeit( - Rn. 19 ff., NZA 2009, 391) oder von tariflichem Sonderurlaub zur Kinderbetreuung ( - Rn. 20 ff., ZTR 2009, 322) ebenso beanstandet wie die Benachteiligung alleinerziehender Eltern bei der Berechnung des Vergleichsentgelts wegen der Ableistung von Wehr- oder Zivildienst ihrer Söhne ( -). Den Ausschluss gleichgeschlechtlicher eingetragener Lebenspartner von tariflichen familienstandsbezogenen Leistungen hat es als Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG angesehen ( - und - 6 AZR 156/09 -).

b) Die Auflösung einer Kollision zwischen dem primärrechtlich gewährleisteten Verbot der Diskriminierung wegen des Alters und dem ebenfalls primärrechtlich gewährleisteten Recht auf Kollektivverhandlungen kann nicht durch das Bundesarbeitsgericht erfolgen. Die Frage, ob die Konzeption des Ausgleichs kollidierender Grundrechtspositionen im nationalen Verfassungsrecht auf den Ausgleich kollidierender Grundrechte im Unionsrecht übertragen werden kann oder wie auf andere Weise ein Ausgleich zwischen Tarifautonomie und Gleichheitssatz zu finden ist, hat allein der Gerichtshof zu entscheiden (vgl. zur grundsätzlichen Übertragbarkeit von für nationale Grundrechtskataloge entwickelten Rechtsfiguren auf die Ebene der Europäischen Union MünchKommEuWettbR/Skouris/Kraus Einleitung Rn. 355; für einen Ausgleich am Maßstab des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes Schlussanträge der Generalanwältin Trstenjak vom in der Rechtssache - C-271/08 - Rn. 189 ff.).

Fundstelle(n):
DB 2010 S. 7 Nr. 24
UAAAD-44956