Einberufung zum Zivildienst; Auslandsstudium; Vertrauen auf behördliche Auskunft
Gesetze: § 3 Abs 2 S 1 WehrPflG, § 3 Abs 2 S 4 WehrPflG, § 23 Abs 4 S 3 ErsDiG, § 23 Abs 4 S 4 ErsDiG, § 11 Abs 4 S 1 ErsDiG, § 11 Abs 4 S 2 Nr 3 Buchst b ErsDiG
Instanzenzug: Az: 11 K 1756/09 Urteil
Gründe
1Die auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 75 Satz 2 ZDG i.V.m. § 135 Satz 3 VwGO, § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) gestützte Beschwerde bleibt ohne Erfolg.
21. Grundsätzliche Bedeutung im Sinne dieser Vorschriften kommt einer Rechtssache zu, wenn sie eine für die Revisionsentscheidung erhebliche Frage des revisiblen Rechts aufwirft, die im Interesse der Einheit oder der Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf. Der Beschwerdeführer muss nach § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO erläutern, dass und inwiefern die Revisionsentscheidung zur Klärung einer bisher revisionsgerichtlich nicht beantworteten fallübergreifenden Rechtsfrage führen kann.
3a) Der dienstpflichtige Kläger verfolgt mit seiner Klage das Begehren, die Beklagte zu verpflichten, ihn bis zum Ablauf seines rechtswissenschaftlichen Studiums an der Universität Bern (Schweiz) vom Zivildienst zurückzustellen und ihm - nachträglich - zu genehmigen, die Bundesrepublik Deutschland für die Zeit seines Auslandsstudiums zu verlassen. Das Verwaltungsgericht hat die Klage - soweit hier erheblich - mit der Begründung abgewiesen, der Kläger könne sich nicht auf einen Zurückstellungsanspruch nach § 11 Abs. 4 Satz 1, Abs. 4 Satz 2 Nr. 3 Buchst. b ZDG berufen, weil die von ihm insoweit geltend gemachten Gründe darauf zurückzuführen seien, dass er Deutschland vor seiner Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer ohne wehrbehördliche Genehmigung nach § 3 Abs. 2 Satz 1 WPflG verlassen habe und er auch keine nachträgliche Genehmigung - nach seiner Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer nach dem Maßstab des § 23 Abs. 4 ZDG - beanspruchen könne. Eine solche Genehmigung könne nicht nach § 23 Abs. 4 Satz 3 ZDG erteilt werden, weil der Kläger für eine Einberufung zum Zivildienst heranstehe. Auch § 23 Abs. 4 Satz 4 ZDG scheide als Grundlage eines Genehmigungsanspruchs aus, weil eine besondere Härte im Sinne dieser Vorschrift nicht in Umständen gefunden werden könne, die - wie hier - entstanden seien, nachdem und weil der Dienstpflichtige Deutschland ohne die nach § 3 Abs. 2 Satz 1 WPflG bzw. § 23 Abs. 4 Satz 1 ZDG erforderliche Genehmigung verlassen habe. Die Wehrgerechtigkeit als Ausprägung des allgemeinen Gleichheitssatzes des Art. 3 Abs. 1 GG verbiete es, diejenigen Dienstpflichtigen hinsichtlich der Zurückstellung vom Wehr- oder Zivildienst zu benachteiligen, die der gesetzlichen Pflicht zur Einholung der Genehmigung rechtzeitig genügt hätten, die Genehmigung aber wegen Fehlens der Voraussetzungen für ihre Erteilung nicht hätten erhalten können. Das Verwaltungsgericht hat sich für diesen Ansatz auf die Rechtsprechung des BVerwG 8 C 6.76 - BVerwGE 54, 240 <246 ff.> = Buchholz 448.0 § 13a WPflG Nr. 9 S. 6 ff., vom - BVerwG 8 C 22.78 - BVerwGE 59, 23 <27 f.> = Buchholz 448.0 § 3 WPflG Nr. 10 S. 8 f. und vom - BVerwG 8 C 4.95 - Buchholz 448.0 § 3 WPflG Nr. 18 S. 4, BVerwG 6 B 90.98 - Buchholz 448.11 § 23 ZDG Nr. 1 S. 1 f., BVerwG 6 C 1.04 - Buchholz 448.0 § 3 WPflG Nr. 22 S. 19) zu den Maßstäben für die Annahme einer besonderen Härte im Regelungszusammenhang von § 3 Abs. 2 Satz 4 und § 12 Abs. 4 WPflG berufen.
4Hieran anknüpfend und unter zusätzlicher Bezugnahme auf die Rechtsprechung des BVerwG 8 C 207.67 - BVerwGE 34, 273 <276> = Buchholz 448.0 § 12 WPflG Nr. 42 S. 52 und vom - BVerwG 6 C 5.07 - Buchholz 448.0 § 12 WPflG Nr. 213 S. 35) über den Ausschluss einer Zurückstellung aus Gründen, die ein Dienstpflichtiger unter missbräuchlicher Ausnutzung einer aus anderem Anlass gewährten Zurückstellung geschaffen hat, hält der Kläger für grundsätzlich bedeutsam die Frage, "ob eine Berufung auf derart entstandene Härtefallgründe ausnahmsweise dann möglich ist, wenn das nicht genehmigte Verlassen Deutschlands und/oder das Entstehen von Härtefallgründen während einer Zurückstellung aufgrund eines anderen Sachverhaltes auf einen ausdrücklichen Rat der Behörde zurückgeht, die den Bürger im Hinblick auf die vorab dargestellte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts mit diesen Gründen nicht mehr hören möchte". Dahinter stehe die allgemeine Frage, "ob es behördliche Anstiftungen des Bürgers zu einem pflichtwidrigen Verhalten der Behörde dennoch erlauben, sich gegenüber dem Bürger auf eben dieses ihm angeratene pflichtwidrige Verhalten berufen zu können". Diese Fragestellung rechtfertigt nicht die Zulassung der Grundsatzrevision.
5b) Soweit die Beschwerde auf das "Entstehen von Härtefallgründen während einer Zurückstellung aufgrund eines anderen Sachverhaltes" und die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts dazu abstellt, erfasst sie die tragenden Gründe des angefochtenen Urteils nicht zutreffend. Denn das Verwaltungsgericht hat einen Zurückstellungsanspruch des Klägers allein wegen des ungenehmigten und auch nachträglich nicht genehmigungsfähigen Auslandsaufenthaltes als ausgeschlossen angesehen. Es hat dementsprechend offengelassen, ob dem Kläger auch vorgeworfen werden könne, die ihm aus anderem Grund (rechtsverbindlich zugesagte Berufsausbildung) gewährte Zurückstellungsfrist rechtsmissbräuchlich für die Herbeiführung der Voraussetzungen eines neuen Zurückstellungsgrundes (Fortschritt des Studiums und erheblicher Zeitverlust bei Wiederaufnahme des Studiums nach dessen zivildienstbedingter Unterbrechung) ausgenutzt zu haben (UA S. 12). Eine Rechtsfrage, die sich für die Vorinstanz nicht gestellt hat oder auf die diese nicht entscheidend abgehoben hat, kann indes regelmäßig und so auch hier nicht zur Zulassung der Revision führen (Beschlüsse vom - BVerwG 6 B 14.06 - Buchholz 422.2 Rundfunkrecht Nr. 47 S. 17 und vom - BVerwG 6 B 17.09 - juris Rn. 7).
6c) Sofern die aufgeworfene Frage den Ausschluss einer nachträglichen Genehmigung nach § 3 Abs. 2 Satz 4 WPflG bzw. § 23 Abs. 4 Satz 4 ZDG betrifft, kann sie die Revision ebenfalls nicht eröffnen. Das folgt bereits daraus, dass das Verwaltungsgericht seine Einschätzung der Unbeachtlichkeit des von dem Kläger erstmals mit der Klagebegründung erhobenen Einwands, eine Mitarbeiterin des Kreiswehrersatzamtes M. habe ihm von der Meldung des Abbruchs seiner Lehre zum Versicherungskaufmann und der Aufnahme des Studiums in der Schweiz abgeraten, nicht allein auf die Erwägung gestützt hat, dieser Ratschlag habe den Kläger bösgläubig gemacht. Vielmehr hat das Verwaltungsgericht in erster Linie und die Entscheidung ersichtlich selbstständig tragend darauf abgestellt, § 3 Abs. 2 Satz 1 WPflG verlange von dem betroffenen Wehrpflichtigen die Einholung einer (ausdrücklichen) Genehmigung, die bloße mündliche Anzeige der Absicht eines Auslandsaufenthaltes erfülle das Genehmigungserfordernis nicht (UA S. 11). Zu dieser Begründung verhält sich die Beschwerde nicht. Ist jedoch eine angegriffene Entscheidung auf mehrere selbstständig tragende Begründungen gestützt, kann die Revision nur zugelassen werden, wenn hinsichtlich jeder dieser Begründungen ein Revisionszulassungsgrund geltend gemacht wird und vorliegt. Wenn nur für eine Begründung ein Zulassungsgrund eingreift, kann diese Begründung hinweggedacht werden, ohne dass sich der Ausgang des Verfahrens ändert. Weder beruht dann das vorinstanzliche Urteil auf der hinwegdenkbaren Begründung, noch ist die Klärung mit ihr etwa zusammenhängender Grundsatzfragen in einem Revisionsverfahren zu erwarten (vgl. allgemein: Beschlüsse vom - BVerwG 11 PKH 28.94 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 4 S. 4, vom - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 26 S. 15 und vom - BVerwG 6 B 106.08 - juris Rn. 4).
7Abgesehen hiervon bedürfte die Frage, ob Wehrpflichtige oder anerkannte Kriegsdienstverweigerer im Falle ihrer Bösgläubigkeit geltend machen können, das ungenehmigte Verlassen Deutschlands gehe auf einen ausdrücklichen Rat der befassten Behörde zurück, auch deshalb keiner revisionsgerichtlichen Klärung, weil sie sich nach der gefestigten Rechtsprechung zu dem verfassungsrechtlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes ohne Weiteres verneinen lässt. Ein Eingreifen dieses Grundsatzes erfordert unter anderem die Schutzwürdigkeit der Vertrauensbetätigung ( BVerwG 8 C 170.81 - BVerwGE 67, 129 <131,134> = Buchholz 401.9 Beiträge Nr. 21 S. 8, 10 und vom - BVerwG 8 C 39.87 - Buchholz 401.9 Beiträge Nr. 32 S. 10 f.). Es liegt auf der Hand, dass das Vertrauen auf eine behördliche Auskunft regelmäßig dann nicht schützenswert sein kann, wenn dem Adressaten bekannt ist, dass die Auskunft der Rechtslage widerspricht (vgl. - NVwZ 1990, 1110 <1111>). Im Übrigen erfordert eine Prüfung am Maßstab des Vertrauensschutzgrundsatzes die einem Revisionsverfahren nicht zugängliche Würdigung und Abwägung der Umstände des konkreten Einzelfalles.
Fundstelle(n):
HAAAD-44622