Leitsatz
Leitsatz:
Nach der bis zum geltenden Rechtslage hatte das Bundessozialgericht in ständiger Rechtssprechung eine entsprechende Anwendung des § 96 SGG im Interesse einer sinnvollen Prozessökonomie bzw eines schnellen und zweckmäßigen Verfahrens dann zugelassen, wenn der ursprüngliche Bescheid zwar nicht abgeändert oder ersetzt wurde, der spätere Bescheid aber im Rahmen eines Dauerrechtsverhältnisses erging und ein streitiges Rechtsverhältnis regelte, das im Kern dieselbe Rechtsfrage betraf und sich an den vom ursprünglichen Bescheid erfassten Zeitraum anschloss. Die mit Wirkung vom eingeführte Fassung mit den Worten "nur dann" macht deutlich, dass eine entsprechende Anwendung des § 96 SGG für nicht ändernde oder ersetzende Folgebescheide nunmehr ausgeschlossen ist. [Nicht amtlich veröffentlichte Entscheidung]
Instanzenzug: LSG Nordrhein-Westfalen, L 19 AL 13/09 vom SG Düsseldorf, S 13 AL 271/06 vom
Gründe
I
Im Streit sind höhere Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Drittes Buch - Arbeitsförderung - (SGB III) ab .
Die Beklagte bewilligte der Klägerin Arbeitslosengeld (Alg) ab in Höhe von 40,96 Euro täglich nach einem Bemessungsentgelt in Höhe von 120,49 Euro (Bescheid vom ; Widerspruchsbescheid vom ). Ab bezog die Klägerin Krankengeld bzw Übergangsgeld.
Das Sozialgericht (SG) Düsseldorf hat die Klage mit dem Antrag, "die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom zu verurteilen", der Klägerin "Alg in Höhe von 44,11 Euro täglich zu bewilligen", abgewiesen (Urteil vom ). Das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen hat die Berufung der Klägerin "als unzulässig verworfen" (Beschluss vom ). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, die Berufung sei nicht statthaft, weil der Wert der Berufung nicht den Betrag von 750 Euro übersteige. Gegenstand des Berufungsverfahrens sei das Begehren der Klägerin auf Zahlung von (höherem) Alg in Höhe von 44,11 Euro täglich für die Zeit vom bis zum , dh für 170 Leistungstage. Die Differenz zwischen dem bewilligten Leistungssatz und dem von der Klägerin begehrten Leistungssatz betrage 3,15 Euro täglich. Daraus errechne sich für den streitbefangenen Leistungszeitraum ein Berufungsstreitwert von 535,30 Euro.
Gegen die Nichtzulassung der Revision wendet sich die Klägerin mit ihrer Beschwerde. Sie macht geltend, es liege ein Verfahrensmangel vor. Das LSG habe den Beschwerdewert fehlerhaft berechnet. Angesichts des Folgebescheides vom , mit dem ihr ab Alg nach einem Bemessungsentgelt von 120,49 Euro bewilligt worden sei, sei nicht nur das Alg für 170 Tage im Streit, sondern für insgesamt 530 Tage, also ein Betrag von mehr als 1.600 Euro. Die Berufung hätte nicht wegen Nichterreichens des Berufungsstreitwerts verworfen werden dürfen.
II
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist zulässig. Das LSG hat die Berufung aber zu Recht als unzulässig verworfen und insoweit nur ein Prozessurteil erlassen. Gegenstand des Verfahrens war nach dem Klageantrag (nur) der Bescheid vom in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom , dessen Änderung die Klägerin mit dem Ziel begehrte, die Beklagte zur Zahlung eines um 3,15 Euro höheren täglichen Alg zu verurteilen. Im Hinblick auf den Krankengeldbezug war dieser Bescheid mit Wirkung vom aufgehoben worden, sodass nur der Zeitraum vom bis zum betroffen ist. Klage und Berufung waren danach auf die Zahlung von 535,50 Euro (3,15 x 170 Kalendertage) gerichtet, sodass der für eine zulässige Berufung erforderliche Beschwerdegegenstand von 750 Euro nicht erreicht wurde (§ 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGG). Die Berufung betraf auch nicht wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr täglich (§ 144 Abs 1 Satz 2 SGG). Das SG hat die Berufung nicht zugelassen. Die insoweit falsche Rechtsmittelbelehrung allein genügt nicht (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 144 RdNr 40 mwN).
Der Bescheid vom ist nicht nach § 96 SGG Gegenstand des Verfahrens geworden mit der Folge, dass der Beschwerdewert des § 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGG erreicht wäre. Nach § 96 Abs 1 SGG (in der hier maßgebenden Fassung des Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes und des Arbeitsgerichtsgesetzes vom - BGBl I 444) wird ein nach Klageerhebung ergehender neuer Verwaltungsakt nur dann Gegenstand des Verfahrens, wenn er nach Erlass des Widerspruchsbescheides ergangen ist und den angefochtenen Verwaltungsakt abändert oder ersetzt. Der Bescheid vom ändert den angegriffenen Bescheid nicht ab oder ersetzt ihn. Dies behauptet die Klägerin auch nicht.
Eine analoge Anwendung des § 96 SGG scheidet aus. Nach der bis zum geltenden Rechtslage hatte das Bundessozialgericht in ständiger Rechtssprechung eine entsprechende Anwendung des § 96 SGG im Interesse einer sinnvollen Prozessökonomie bzw eines schnellen und zweckmäßigen Verfahrens dann zugelassen, wenn der ursprüngliche Bescheid zwar nicht abgeändert oder ersetzt wurde, der spätere Bescheid aber im Rahmen eines Dauerrechtsverhältnisses erging und ein streitiges Rechtsverhältnis regelte, das im Kern dieselbe Rechtsfrage betraf und sich an den vom ursprünglichen Bescheid erfassten Zeitraum anschloss (vgl zuletzt etwa BSG SozR 4-1500 § 96 Nr 4 RdNr 16 f mwN). Angesichts der vom bis dauernden Unterbrechung des Alg-Bezuges ist es schon fraglich, ob eine analoge Anwendung des § 96 SGG nach dem bis zum geltenden Recht ohnehin ausscheidet. Jedenfalls macht die mit Wirkung vom eingeführte Fassung mit den Worten "nur dann" deutlich, dass eine entsprechende Anwendung des § 96 SGG für nicht ändernde oder ersetzende Folgebescheide nunmehr ausgeschlossen ist. Nach der Gesetzesbegründung soll die Einbeziehung des neuen Verwaltungsaktes entsprechend der ursprünglichen Zielsetzung der Norm nur noch möglich sein, wenn nach Klageerhebung der Verwaltungsakt durch einen neuen Verwaltungsakt ersetzt oder abgeändert wird (BT-Drucks 16/7716 S 19).
§ 96 SGG nF ist mangels Übergangsregelung auf alle ab ergehenden Bescheide, mithin auch auf den Bescheid vom anzuwenden. Wird ein Gesetz mit prozessverfahrensrechtlichem Inhalt während des gerichtlichen Verfahrens geändert, so richtet sich der zeitliche Anwendungsbereich des Gesetzes nach allgemeinen Grundsätzen des intertemporalen Prozessrechts, wonach eine Änderung des Verfahrensrechts grundsätzlich auch anhängige Rechtsstreitigkeiten erfasst (BVerfGE 11, 139, 146; 24, 33, 55; 39, 156, 167; 45, 272, 297; 65, 76, 98; BSGE 54, 223, 224 ff = SozR 1300 § 44 Nr 3 S 3 ff; BSGE 73, 25, 26 f = SozR 3-2500 § 116 Nr 4 S 26; BSG SozR 3-4100 § 152 Nr 7 S 17). Hiervon ist nur dann eine Ausnahme zu machen, wenn rechtsstaatliche Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes dies gebieten, etwa wenn der Gesetzgeber auf eine bislang gegebene verfahrensrechtliche Lage, in der ein Prozessbeteiligter sich befindet, einwirkt (BVerfGE 63, 343, 358 f) und das Vertrauen in den Fortbestand verfahrensrechtlicher Regelungen schutzwürdig ist, weil sie Rechtspositionen gewähren, die in ihrer Schutzwürdigkeit materiellrechtlichen Gewährleistungen vergleichbar sind (BVerfGE 63, 343, 359; BSG SozR 3-4100 § 152 Nr 7 S 17). Zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides vom bzw vor dem hatte die Klägerin aber keine solche Rechtsposition erworben, die ein schutzwürdiges Vertrauen in den Fortbestand des § 96 SGG in der bis zum geltenden Fassung begründen konnte.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 SGG.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
GAAAD-44093