Beweisaufnahme: Erforderlichkeit einer erneuten Zeugenvernehmung durch das Berufungsgericht
Gesetze: Art 103 Abs 1 GG, § 398 Abs 1 ZPO, § 529 Abs 1 Nr 1 ZPO
Instanzenzug: OLG Oldenburg (Oldenburg) Az: 3 U 38/08 Urteilvorgehend LG Aurich Az: 2 O 1318/06
Gründe
1I. Die Klägerin hat die Beklagte erstinstanzlich auf die Rückzahlung angeblich gewährter Darlehen aus den Jahren 1987, 1988 und 1990 über zweimal je 100.000 DM und einmal 160.000 DM in Anspruch genommen. Im Berufungs- und Revisionsverfahren sind nur noch die beiden Darlehen aus 1988 und 1990 über 100.000 DM und 160.000 DM im Streit.
2Die Beklagte und der Geschäftsführer der Klägerin waren von 1973 bis 1998 miteinander verheiratet. Die Klägerin ist im Zentralheizungs- und Lüftungsbau tätig, die Beklagte betreibt auf J. zwei Pensionshäuser. Aus einem schriftlichen Darlehensvertrag vom ergibt sich, dass die Klägerin der Beklagten ein Darlehen von 100.000 DM zu 7% Zinsen mit einer Rückzahlung zum gewährt hat. Für die beiden streitigen Darlehen aus 1988 und 1990 existieren keine schriftlichen Darlehensverträge. Am wurden von einem Konto der Klägerin 160.000 DM unter Wertstellung zum abgebucht und am selben Tag einem Konto der Beklagten gutgeschrieben. Ebenfalls am wurden vom Konto der Beklagten - wiederum unter Wertstellung zum - 155.915,85 DM abgebucht und am selben Tag wiederum dem Konto der Klägerin gutgeschrieben. In den von der Beklagten unterzeichneten Jahresabschlüssen zum und zum sind die drei Darlehen gegenüber der Klägerin über insgesamt 360.000 DM jeweils als "sonstige Verbindlichkeiten" aufgeführt. Mit Schreiben vom kündigte die Klägerin die Darlehen und verlangte Rückzahlung zum .
3Das Landgericht hat zur Frage der Darlehensgewährung Beweis erhoben durch Vernehmung von Zeugen. Mit Urteil vom hat es die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 132.935,88 € nebst anteiliger Zinsen zu zahlen und die Klage im Übrigen abgewiesen. Hierbei hat es als bewiesen angesehen, dass die Klägerin der Beklagten die drei Darlehen gewährt hat. Hinsichtlich des Darlehens aus 1987 hat es die Klage lediglich wegen Verjährung abgewiesen. Auf die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht die Klage insgesamt abgewiesen. Die erstinstanzliche Beweisaufnahme hat es nicht wiederholt. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Klägerin habe nicht bewiesen, dass sie der Beklagten die Darlehen aus 1988 und 1990 gewährt habe. Sie habe keinen konkreten Sachverhalt vorgetragen, aus dem sich der Abschluss entsprechender Verträge unmittelbar ergebe. Vor dem Hintergrund, dass nur für 1987 ein schriftlicher Vertrag existiere, reichten auch die übrigen Indizien nicht aus. Die Unterzeichnung der Jahresabschlüsse durch die Beklagte genüge hierfür nicht. Unerheblich sei auch, dass die Darlehensverträge bei einem Klärungsgespräch anlässlich der vermögensrechtlichen Auseinandersetzung der Beklagten und des Geschäftsführers der Klägerin nicht im Streit gewesen seien. Das lasse sich auch dann erklären, wenn die Verträge nur fingiert worden seien, um günstige Steuertatbestände zu schaffen. Auch sei es möglich, dass es wegen der Verluste des Pensionsbetriebes der Beklagten zu Zahlungen der Klägerin als Zuschüsse gekommen sei, die als Darlehen bezeichnet worden seien. Der Zeuge T. habe hinsichtlich des Abschlusses der Darlehensverträge und der Zahlungsflüsse auch keine unmittelbare Wahrnehmung gehabt. Bezüglich der durch Kontobelege erwiesenen Zahlung von 160.000 DM im Jahr 1990 sei die Indizwirkung für eine Darlehensgewährung schon deshalb erschüttert, weil noch am selben Tag ein Betrag von annähernd 156.000 DM wieder auf das Konto der Klägerin zurückgeflossen sei.
4II. Die Abweisung der Klage durch das Berufungsgericht ohne Wiederholung der Beweisaufnahme verletzt den Anspruch der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) in entscheidungserheblicher Weise.
51. a) Grundsätzlich steht es zwar im Ermessen des Berufungsgerichts, ob es einen in erster Instanz vernommenen Zeugen erneut vernehmen will. Dieses Ermessen unterliegt indessen Einschränkungen. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist es erforderlich, Zeugen erneut zu vernehmen, wenn das Berufungsgericht protokollierte Aussagen anders als die Vorinstanz verstehen oder werten will (BGHZ 158, 269, 272 f.; Senatsbeschluss vom - IV ZR 253/05 - VersR 2006, 949 unter 1; - BGH-Report 2003, 453 unter II 1 a; vom - VIII ZR 337/00 - NJW-RR 2002, 1500 unter II 1; vom - IX ZR 10/97 - NJW 1998, 385 unter II 1 c; vom - VIII ZR 196/91 - NJW 1993, 64 unter II 2 a). Hat das erstinstanzliche Gericht über streitige Äußerungen und die Umstände, unter denen sie gemacht worden sind, Zeugen vernommen und ist es aufgrund einer Würdigung der Aussage zu einem bestimmten Ergebnis gekommen, so kann das Berufungsgericht diese Auslegung nicht ohne weiteres verwerfen und zum gegenteiligen Ergebnis kommen, ohne zuvor die Zeugen gemäß § 398 Abs. 1 ZPO selbst vernommen zu haben (Senatsurteil vom aaO). Zwar ist es dem Berufungsgericht nicht grundsätzlich verwehrt, die Aussage des erstinstanzlich vernommenen Zeugen ohne dessen wiederholte Vernehmung entgegen der Würdigung des Erstrichters für nicht zur Beweisführung ausreichend zu erachten. Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass sich nicht auch insoweit die Pflicht zur erneuten Vernehmung aus Zweifeln über die Vollständigkeit und Richtigkeit der protokollierten Aussage gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO ergibt.
6b) Gegen diese Grundsätze hat das Berufungsgericht verstoßen, indem es insbesondere die als Zeugen vernommenen Steuerberater T. und L. nicht erneut vernommen hat. Diese haben übereinstimmend angegeben, es habe anlässlich der Krise der Ehe zwischen der Beklagten und dem Geschäftsführer der Klägerin ein Klärungsgespräch bezüglich der vermögensrechtlichen Auseinandersetzung gegeben. Dabei seien die Darlehen unstrittig gewesen bzw. für die weitere Berechnung ungeprüft zugrunde gelegt worden. Soweit das Berufungsgericht ausführt, der Zeuge T. habe nach seinen Angaben der Besprechung nicht bis zu ihrem Ende beigewohnt, ist dies nicht geeignet, Zweifel an seiner Aussage zu wecken, da weder festgestellt ist, noch es sich aus dem sonstigen Streitstoff ergibt, dass nach dem Weggang des Zeugen T. die Parteien uneinig über den Bestand der Darlehen geworden wären. Soweit das Berufungsgericht weiter meint, die unbeanstandete Einführung der Darlehensverträge in die Verhandlungen lasse sich auch dann erklären, wenn sie nur fingiert worden seien, um günstige Steuertatbestände zu schaffen, beruht dies nicht auf entsprechenden Feststellungen. Ohne konkrete Anhaltspunkte durfte das Berufungsgericht nicht erwägen, bei den Darlehen habe es sich nur um Scheingeschäfte gehandelt. Ebenso wenig steht die vom Berufungsgericht weiter aufgeführte Möglichkeit fest, zu den Geldflüssen sei es gekommen, weil der Pensionsbetrieb der Beklagten Verluste erwirtschaftet habe und durch als Darlehen bezeichnete Zuschüsse der Klägerin hätten ausgeglichen werden sollen. Aus dem Prozessstoff ergibt sich an keiner Stelle, dass Zahlungen der Klägerin als verlorene Zuschüsse und nicht lediglich als Darlehen behandelt werden sollten.
7Hinzu kommen weitere Umstände, die es nicht ohne erneute Vernehmung der Zeugen rechtfertigen, vom Nichtbestehen der Darlehen auszugehen. So hat der Zeuge T. angegeben, bei Beginn seiner Tätigkeit 1992/1993 seien in bereits vorhandenen Bilanzen der Vorjahre für den Pensionsbetrieb der Beklagten die Darlehen ausgewiesen worden. Diese sind dann auch in die Bilanzen 1992 bis 1994 eingestellt worden. Gleiches gilt für die Jahresabschlüsse 1995 und 1998, die von der Beklagten persönlich unterzeichnet wurden. Zwar bedeutet die Unterzeichnung des Jahresabschlusses durch den Kaufmann nach § 245 HGB kein Schuldanerkenntnis zugunsten der in der Bilanz erfassten Gläubiger ( - WM 2009, 986 Tz. 15; Koller/Roth/Morck, HGB 6. Aufl. § 245 Rdn. 4; Ebenroth/Boujong/Joost, HGB [2001] § 245 Rdn. 1). Gleichwohl begründen derartige formal bewiesene Erklärungen eine erhebliche Wahrscheinlichkeit dafür, dass die in der urkundlichen Erklärung bezeugten Tatsachen oder Vorgänge der Wirklichkeit entsprechen ( - juris unter II 1). Es ist auch nicht festgestellt, dass die Aufnahme dieser Darlehensverbindlichkeit in die Bilanzen gegen oder ohne den Willen der Beklagten geschehen wäre. Nach dem unbestrittenen Vortrag der Klägerin hat die Beklagte ferner Zinsverbindlichkeiten aus den Darlehen steuerrechtlich als Betriebsausgaben geltend gemacht. Der Zeuge L. hat hierzu bekundet, er habe für Zinsflüsse zwar keine Unterlagen gefunden. Er habe den Sachverhalt so verstanden, dass fällige Zinsen mit Leistungen der Einzelfirma der Beklagten an die Klägerin, nämlich Beköstigung von deren Mitarbeitern, verrechnet worden seien. Hierauf ist das Berufungsgericht nicht eingegangen.
8Soweit das Berufungsgericht weiter ausgeführt hat, der Zeuge T. habe im Hinblick auf den Abschluss der Darlehensverträge keine unmittelbare Wahrnehmung gehabt, so ist zwar richtig, dass er seine Tätigkeit erst nach dem Abschluss der behaupteten Darlehensverträge aufnahm. Der Zeuge hat indessen bekundet, er habe in den Unterlagen bei der Klägerin zwei Verträge gefunden, die auch in den Bilanzen des Pensionsbetriebs der Beklagten aufgeführt worden seien. Ferner habe er den Überweisungsträger über die Zahlung eines Darlehensbetrages gesehen. Wenn der Zeuge dann angegeben hat, die Darlehen seien real geflossen und keine steuerlichen Konstrukte gewesen, weil dies bei einer Betriebsprüfung sofort aufgefallen wäre, konnte das Berufungsgericht diese Aussage des Zeugen nicht ohne weiteres beiseite lassen, ohne ihn erneut zu vernehmen. Der vom Berufungsgericht weiter herangezogene Umstand, der schriftliche Darlehensvertrag aus 1987 sei kein Indiz für den Abschluss weiterer Verträge 1988 und 1990, weil zwischen Fälligkeit und Kündigung des Darlehens zehn Jahre vergangen seien, berücksichtigt schließlich nicht hinreichend, dass es sich der Sache nach um ein Darlehen im familiären Bereich handelt, bei dem es keineswegs außergewöhnlich ist, dass auch nach dessen Fälligkeit nicht sofort auf Rückzahlung bestanden wird.
92. Die unterlassene Wiederholung der Beweisaufnahme verletzt auch deshalb den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör, weil es mit seiner Begründung, diese habe keinen konkreten Sachverhalt vorgetragen, aus dem sich der Abschluss entsprechender Darlehensverträge unmittelbar ergebe, zum einen die Anforderungen an die Substantiierungslast der Klägerin überspannt und zum anderen nicht alle maßgeblichen Indizien in seine Beurteilung mit einbezogen hat. Nach ständiger Rechtsprechung genügt eine Partei ihrer Darlegungslast, wenn sie Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet sind, das geltend gemachte Recht in ihrer Person als entstanden erscheinen zu lassen. Genügt das Parteivorbringen diesen Anforderungen, kann der Vortrag weiterer Einzelheiten nicht verlangt werden (Senatsbeschluss vom - IV ZR 152/08 - juris unter II 2; - NJW-RR 2007, 1409 Tz. 8; - BGHR ZPO § 138 Abs. 1 Darlegungslast 19 (Gründe) unter 2 f). Hier hat die Klägerin den Abschluss von drei Darlehensverträgen in den Jahren 1987, 1988 und 1990 über zweimal 100.000 DM und einmal 160.000 DM mit der Beklagten behauptet und unter Beweis gestellt, was bereits für die Substantiierung ihres Vortrages hinreichend war. Hinzu kommt, dass die Klägerin darüber hinaus den Darlehensvertrag aus 1987 und den Überweisungsträger aus 1990 vorgelegt hat. Weitere Indizien haben sich ferner aus der Aussage des Zeugen T. ergeben, die die Klägerin sich zu Eigen gemacht hat. So hat der Zeuge ausgesagt, der Betrieb der Beklagten habe sich wenig gerechnet und es seien Bankschulden in einer Größenordnung von fast 1 Mio. DM passiviert worden. Die von der Klägerin gewährten Darlehen seien deshalb notwendig gewesen, um die Einzelfirma der Beklagten wirtschaftlich am Leben zu erhalten. Wegen dieser Darlehen habe er später auch an konkreten Verhandlungen mit der Bank der Beklagten zur Durchführung von Umschuldungen teilgenommen. Diese Umschuldung sei 2000 bis 2002 tatsächlich durchgeführt worden. Ursprünglich sei sogar noch daran gedacht worden, einen Teil der Beträge der Klägerin zufließen zu lassen, was dann aber nicht erfolgt sei. Eine Bewertung dieses Teils der Aussage des Zeugen T. fehlt im Berufungsurteil.
103. Dem Erfordernis einer Wiederholung der Beweisaufnahme stehen auch nicht die Ausführungen des Berufungsgerichts zu den im Jahr 1990 erfolgten Überweisungen vom Konto der Klägerin auf dasjenige der Beklagten und umgekehrt entgegen. Zunächst ergibt sich aus den vorgelegten Kontounterlagen, dass am ein Betrag von 160.000 DM vom Konto der Klägerin auf ein Konto der Beklagten überwiesen wurde. Der Umstand, dass rückwirkend eine Wertstellung zum erfolgte, ist nach der Aussage des Zeugen B. zwar nicht an der Tagesordnung, komme aber vor, um entsprechende Zinsgutschriften bzw. -belastungen zu erreichen. Soweit dann am selben Tag vom Konto der Beklagten auf das Konto der Klägerin ein Betrag von 155.915,85 DM zurück überwiesen wurde, kann hieraus nicht ohne weiteres auf eine fehlende Darlehensgewährung geschlossen werden. Die Klägerin hat den Nachweis für die Zahlung der 160.000 DM durch den Überweisungsträger geführt und aus der Aussage des Zeugen T. sowie der Aufnahme dieses Betrages in die Bilanz des Betriebes der Beklagten ergeben sich Indizien dafür, dass es sich bei dieser Zahlung um ein Darlehen handeln könnte. Demgegenüber wäre es Sache der Beklagten darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen, dass es sich lediglich um ein Scheingeschäft gemäß § 117 Abs. 1 BGB handelte. Da grundsätzlich von der Ernstlichkeit rechtsgeschäftlicher Willenserklärungen auszugehen ist, trägt für das Vorliegen eines Scheingeschäfts derjenige die Beweislast, der sich darauf beruft ( - NJW 1999, 3481 unter II 2; vom - VIII ZR 135/87 - NJW 1988, 2597 unter II 2). Derartige Feststellungen für das Vorliegen eines Scheingeschäfts hat das Berufungsgericht nicht getroffen, sondern nur Vermutungen angestellt, die Darlehensverträge könnten fingiert worden sein, um günstige Steuertatbestände zu schaffen. Da die Zahlung der 155.915,85 DM vom Konto der Beklagten veranlasst wurde, ist es überdies ihre Sache zunächst darzulegen, welchen Hintergrund diese Überweisung hat. Sie kann sich nicht lediglich mit Nichtwissen erklären (§ 138 Abs. 4 ZPO). Zwar hatte auch der Geschäftsführer der Klägerin Vollmacht über das Konto der Beklagten. Es steht indessen nicht fest, dass diese Überweisung durch ihn und nicht durch die Beklagte veranlasst wurde. Nicht von vornherein ausgeschlossen werden kann die Möglichkeit, dass es sich um Verbindlichkeiten des Betriebes der Beklagten gegenüber der Klägerin handelt, die diese für sie erbracht hat. Immerhin sind in den Bilanzen des Betriebes der Beklagten seit 1992 neben den Darlehensverbindlichkeiten gegenüber der Klägerin weitere Verbindlichkeiten dieser gegenüber in erheblicher Größenordnung aufgeführt.
Terno Wendt Felsch
Harsdorf-Gebhardt Dr. Karczewski
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PAAAD-44025