Annahme eines Tötungsdelikts bei Verursachung eines Verkehrsunfalls in Selbsttötungsabsicht
Gesetze: § 211 Abs 2 StGB, § 315b StGB
Instanzenzug: LG Mainz Az: 3613 Js 20070/08 jug - 3 KLs - 3 Ss 191/09 Urteil
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Freiheitsberaubung sowie wegen vorsätzlichen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und zwei Monaten verurteilt und eine Maßregelanordnung nach §§ 69, 69 a StGB getroffen; im Übrigen hat es ihn freigesprochen. Die Staatsanwaltschaft wendet sich mit ihrem zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten Rechtsmittel mit der Sachrüge dagegen, dass der Angeklagte im Fall 2 der Urteilsgründe nicht auch wegen tateinheitlich begangenen versuchten Mordes verurteilt worden ist; der Angeklagte beanstandet mit seiner Revision das Verfahren und rügt die Verletzung materiellen Rechts.
I.
2Revision der Staatsanwaltschaft
3Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft hat Erfolg.
4Sie beanstandet zu Recht, dass der Angeklagte im Fall 2 der Urteilsgründe lediglich wegen vorsätzlichen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung verurteilt worden ist.
51. Nach den vom Landgericht insoweit getroffenen Feststellungen befand sich der Angeklagte in den Mittagsstunden des nach einem missglückten Wiederannäherungsversuch an seine ehemalige Lebensgefährtin, der mit einem körperlichen Übergriff auf diese geendet hatte (Fall 1 der Urteilsgründe), im Zustand einer akuten Belastungsreaktion, die mit Angst vor strafrechtlicher Verfolgung und "verletztem Narzissmus" gepaart war. Während er mit seinem Pontiac Grand AM die Bundesstraße 9 von Worms in Richtung Ludwigshafen befuhr, kündigte er seinem Vater telefonisch an, sich das Leben nehmen zu wollen. Seine Geschwindigkeit von mehr als 140 km/h verringerte er auch dann nicht, als er sich einer Baustelle näherte, obwohl - kurz bevor die von ihm benutzte linke Fahrspur gesperrt und eine trichterförmige Verengung auf die rechte Fahrspur angeordnet war - eine schrittweise Geschwindigkeitsbegrenzung von 120 km/h auf 50 km/h bestand. Unmittelbar vor der Querabsperrung der linken Fahrspur lenkte er zur Verwirklichung seines Selbsttötungsentschlusses sein Fahrzeug mit unverminderter Geschwindigkeit auf die rechte Fahrspur und rammte den dort mit 50 km/h fahrenden Kleinwagen der Zeugin S., in dem sich noch zwei weitere Insassen befanden. Durch den Zusammenprall wurde dieses Fahrzeug mehrfach um die Hochachse gedreht und rutschte schließlich 187 m weit diagonal über die Fahrbahnen der Bundesstraße 9. Es kam letztlich auf der rechten Fahrspur der Gegenfahrbahn zu liegen. Der diese Spur befahrende Zeuge H. konnte eine Kollision nur dadurch vermeiden, dass er sein Fahrzeug nach rechts auf die Verzögerungsspur lenkte. Die drei Insassinnen des Kleinwagens erlitten verschiedene, nicht lebensgefährliche Verletzungen und konnten das Krankenhaus nach wenigen Tagen verlassen.
6Das Fahrzeug des Angeklagten überschlug sich mehrfach und prallte in etwa 107 m Entfernung vom Unfallort gegen eine Baumgruppe.
72. Ausgehend von diesem Sachverhalt hat das Landgericht den Angeklagten nur des vorsätzlichen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung (in drei tateinheitlichen Fällen, vgl. ; vgl. auch Fischer StGB 57. Aufl. § 223 Rdn. 22) für schuldig befunden, nicht dagegen auch eines versuchten Tötungsdelikts. Das Landgericht hat zwar einer Gesamtschau der objektiven und subjektiven Tatumstände entnommen, dass der Angeklagte bei der Tat als möglich vorausgesehen hat, dass die Insassen des von ihm gerammten Fahrzeugs tödliche Verletzungen erleiden könnten; es ist aber zu der Überzeugung gelangt, dass er ernsthaft und nicht nur vage darauf vertraut hat, der Tötungserfolg werde nicht eintreten.
83. Die dafür vom Landgericht herangezogenen Erwägungen halten rechtlicher Prüfung nicht stand.
9a) Die Auffassung des Landgerichts, dem Angeklagten sei lediglich ein Körperverletzungsvorsatz bezüglich der drei Insassen des von ihm gerammten Fahrzeugs nachzuweisen, lässt besorgen, dass es zu hohe Anforderungen an das Vorliegen des voluntativen Vorsatzelements gestellt hat. Zwar ist selbst bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen angesichts der hohen Hemmschwelle gegenüber einer Tötung immer auch die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass der Täter jedenfalls darauf vertraut hat, ein solcher Erfolg werde nicht eintreten (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschlüsse vom - 4 StR 308/92 = BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 30 m.w.N. und vom - 4 StR 271/99 = NZV 2000, 88).
10Hier hätte der Tatrichter aber insbesondere den Umstand in seine Erwägungen einbeziehen müssen, dass der Angeklagte den Unfall zu dem Zweck verursacht hat, seine Selbsttötungsabsicht zu verwirklichen. Von dieser Absicht hat sich das Landgericht rechtsfehlerfrei dadurch überzeugt, dass der Angeklagte kurz vor dem Unfall seinen Vater telefonisch davon unterrichtet und unmittelbar nach dem Unfall dem Zeugen Z. erklärt hat, es habe sich um einen Selbsttötungsversuch gehandelt. Es ging dem Angeklagten demnach darum, einen so heftigen Zusammenstoß beider Fahrzeuge herbeizuführen, dass er diesen nicht überleben würde, obwohl er - wenn auch nicht angeschnallt - in einem kompakten und technisch einwandfreien Fahrzeug der Mittelklasse saß. Deswegen erschließt es sich nicht, warum der Angeklagte ernsthaft und nicht nur vage darauf vertraut haben sollte, die Insassen des betroffenen Kleinwagens würden im Gegensatz zu ihm den heftigen Zusammenstoß überleben.
11b) Auch die weiteren Argumente des Landgerichts tragen sein Ergebnis nicht.
12aa) Aus der Tatsache, dass der Angeklagte im Rahmen früherer, gegenüber der Zeugin Se geäußerter Selbsttötungsfantasien, bei denen es ebenfalls um die Herbeiführung eines Unfalls mit einem anderen Fahrzeug ging, mehrfach betont hat, keinen anderen mit in den Tod nehmen zu wollen, kann kein tragfähiger Schluss auf die innere Tatseite zum Zeitpunkt der vorliegenden Tat gezogen werden. Wie der psychiatrische Sachverständige - nach Ansicht des Landgerichts überzeugend - ausgeführt hat, hat der Angeklagte damals keine ernsthaften Suizidabsichten gehegt, sondern die Äußerungen lediglich in noch jugendtypischer Manier eingesetzt, um seinen Willen durchzusetzen.
13bb) Soweit das Landgericht darauf abstellt, dass die in dem gerammten Fahrzeug befindlichen Personen aus der Sicht des Angeklagten durch Karosserie, Kopfstützen und Sicherheitsgurte wenigstens rudimentär vor dem Erleiden tödlicher Verletzungen geschützt gewesen seien, entbehrt dies schon angesichts der eingehaltenen Geschwindigkeit und der Beschaffenheit der beteiligten Fahrzeuge jeder Grundlage.
14cc) Das Landgericht kann sich für die Ablehnung des bedingten Tötungsvorsatzes auch nicht auf die von ihm zitierten Senatsentscheidungen (Beschlüsse vom - 4 StR 293/83 = NStZ 1984, 19 und vom - 4 StR 271/99 = NZV 2000, 88 f.) stützen. Beide Entscheidungen betreffen ersichtlich Fallgestaltungen, die mit dem vorliegenden Tatgeschehen nicht vergleichbar sind.
154. Der Rechtsfehler führt zur Aufhebung des Urteils im Fall 2. Die teilweise Aufhebung des Urteils zieht die Aufhebung des Ausspruchs über die Gesamtstrafe nach sich.
16Wegen des inneren Zusammenhangs mit der Verurteilung im Fall 2 der Urteilsgründe kann auch die gemäß §§ 69, 69 a StGB angeordnete, für sich genommen nicht zu beanstandende Maßregel nicht bestehen bleiben (vgl. = NZV 2000, 88, 89).
175. Sollte der neu entscheidende Tatrichter zur Bejahung des (bedingten) Tötungsvorsatzes kommen, wird er zu prüfen haben, ob der Angeklagte mit einem gemeingefährlichen Mittel im Sinne des § 211 Abs. 2 StGB gehandelt hat. Auch wenn sich der unmittelbare Angriff in erster Linie gegen die Insassen des Kleinwagens richtete, schließt das die Annahme, der Angeklagte habe ein gemeingefährliches Mittel eingesetzt, nicht aus. Nach den Feststellungen liegt es vielmehr nahe, dass infolge des durch den Aufprall unmittelbar verursachten Unfalls eine unbestimmte Anzahl weiterer Personen - etwa die Fahrer oder Beifahrer anderer Fahrzeuge oder die auf der Baustelle tätigen Bauarbeiter - tödliche Verletzungen hätten erleiden können (vgl. BGHSt 38, 353, 355; ).
II.
18Revision des Angeklagten
191. Das Rechtsmittel des Angeklagten hat in dem aus der Urteilsformel ersichtlichen Umfang Erfolg.
20Die Verurteilung wegen tateinheitlich mit versuchter gefährlicher Körperverletzung begangener vollendeter Freiheitsberaubung im Fall 1 der Urteilsgründe hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
21Nach den insoweit getroffenen Feststellungen verbrachte der Angeklagte die Zeugin Se. nach minutenlangem Gerangel mit Gewalt, unter anderem unter Einsatz eines Cuttermessers, und gegen ihren Willen in seinen Pkw, weil er eine Beendigung ihres Treffens verhindern wollte. Der Zeugin gelang es jedoch, unmittelbar danach - noch während der Angeklagte zur Fahrertür "hastete" - aus dem Fahrzeug zu fliehen.
22Diese Feststellungen tragen eine Verurteilung wegen vollendeter Freiheitsberaubung nicht. Allerdings setzt der Tatbestand des § 239 Abs. 1 StGB keine bestimmte Dauer der Entziehung der persönlichen Fortbewegungsfreiheit voraus; es reicht vielmehr grundsätzlich auch eine nur vorübergehende Einschränkung aus (vgl. BGHSt 14, 314, 315). Jedoch erfüllt eine - wie hier - zeitlich nur unerhebliche Beeinträchtigung der Fortbewegungsfreiheit den Tatbestand nicht (vgl. BGH, Beschlüsse vom - 4 StR 432/02 = NStZ 2003, 371 und vom - 4 StR 414/02 = NStZ-RR 2003, 168). Der Angeklagte hat sich daher nur der versuchten Freiheitsberaubung schuldig gemacht.
23Der Senat ändert, da in der erneuten Hauptverhandlung weitere Feststellungen nicht zu erwarten sind, den Schuldspruch entsprechend ab. § 265 StPO steht dem nicht entgegen, weil sich der Angeklagte gegen den geänderten Schuldvorwurf nicht anders als geschehen hätte verteidigen können.
24Die Schuldspruchänderung führt zur Aufhebung der im Fall 1 erkannten Einzelstrafe, da das Landgericht bei deren Bemessung ausdrücklich zu Lasten des Angeklagten berücksichtigt hat, dass dieser tateinheitlich zu der versuchten gefährlichen Körperverletzung eine vollendete Freiheitsberaubung begangen habe. Die Aufhebung dieser Einzelstrafe entzieht auch der Gesamtstrafe die Grundlage.
252. Im Übrigen hat die Nachprüfung des Urteils auf Grund des Revisionsvorbringens keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben; insoweit wird auf die zutreffenden Ausführungen in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts verwiesen.
26Soweit der Angeklagte in der Hauptverhandlung unter Bezugnahme auf die Entscheidung des - beanstandet, das Landgericht habe zu Unrecht Telefonverbindungsdaten aus einer auf § 100 g Abs. 1 Satz 1 StPO beruhenden Vorratsdatenspeicherung verwendet, fehlt es bereits an einer zulässig erhobenen Verfahrensrüge.
III.
27Da sich das Verfahren nunmehr ausschließlich auf Straftaten bezieht, die der Angeklagte als Erwachsener begangen hat, verweist der Senat die Sache im Umfang der Aufhebung an eine als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurück.
Tepperwien Athing Solin-Stojanović
Ernemann Franke
Fundstelle(n):
OAAAD-42414