Keine Verzinsung von zu Unrecht nicht ausgezahlten Steuerguthabens; Steuerstundungen beeinflussen die Höhe der Zinsen nach § 233a AO nicht
Leitsatz
Ein zu Unrecht nicht ausgezahltes Steuerguthaben kann weder nach § 233a AO noch nach einer anderen Vorschrift verzinst werden. Der AO lässt sich kein allgemeiner Grundsatz des Inhalts entnehmen, dass Ansprüche des Steuerpflichtigen aus dem Steuerschuldverhältnis stets zu verzinsen sind. § 233 Satz 1 AO bestimmt im Gegenteil, dass Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis nur verzinst werden, soweit dies gesetzlich vorgeschrieben ist.
Für die Zinsberechnung nach § 233a AO spielt es keine Rolle, ob und inwieweit Steuerbeträge gestundet sind.
Gesetze: AO § 218 Abs. 3, AO § 233, AO § 233a, UmwStG § 21 Abs. 2
Instanzenzug: (Verfahrensverlauf), ,
Gründe
1 I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) erzielte im Streitjahr 1998 einen Entstrickungsgewinn i.S. des § 21 Abs. 2 des Umwandlungssteuergesetzes 1995 in Höhe von ca. 14,9 Mio. DM. Die hierauf entfallende tarifbegünstigte Einkommensteuer, die durch Vorauszahlungsbescheid vom festgesetzt worden war, wurde antragsgemäß über einen Zeitraum von fünf Jahren in gleich hohen Raten zu je 766.041 DM gestundet. Die tatsächlich gezahlten Stundungsraten betrugen viermal 766.041 DM und einmal 566.390 DM und wurden jeweils im Dezember der Jahre 1998 bis 2002 geleistet.
2 Mit Bescheid für 1998 vom wurde die Einkommensteuer auf 4.293.954 DM festgesetzt. Hiervon entfielen 3.938.155 DM auf den Entstrickungsgewinn und 355.799 DM auf ein nach der Grundtabelle zu versteuerndes Einkommen in Höhe von 714.465 DM. Auf die festgesetzte Einkommensteuer wurden Steueranrechnungsbeträge (Steuerabzug vom Lohn, Kapitalertragsteuer, Körperschaftsteuer) in Höhe von insgesamt 663.399 DM angerechnet. Soweit die Steueranrechnungsbeträge die nicht auf den Entstrickungsgewinn entfallende Einkommensteuer (355.799 DM) sowie die fälligen Raten des Entstrickungsgewinns überstiegen, rechnete der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) mit den gestundeten Raten auf, ohne dies offenzulegen. Dadurch verminderte sich die letzte Rate von 766.041 DM auf 566.390 DM.
3 Die Einkommensteuerfestsetzung für 1998 wurde in der Folgezeit wiederholt geändert, zuletzt mit Bescheid vom . Die Änderungsbescheide waren jeweils mit Zinsfestsetzungen nach § 233a der Abgabenordnung (AO) verbunden.
4 Die Klägerin beantragte, die Zinsfestsetzungen zu ändern. Zur Begründung führte sie aus, bei der Zinsberechnung sei von einer Überzahlung ab dem auszugehen; es dürfe nicht auf die Zahlung der letzten Stundungsrate vom abgestellt werden. Die Steueranrechnungsbeträge in Höhe von 663.399 DM hätten nur auf die gemäß Bescheid vom festgesetzte Steuer nach dem Grundtarif in Höhe von 355.799 DM zuzüglich der fälligen Steuer auf den Entstrickungsgewinn in Höhe von 107.949 DM angerechnet werden dürfen. Die Verrechnung mit der insgesamt festgesetzten Einkommensteuer einschließlich der darin enthaltenen Stundungsraten auf den Entstrickungsgewinn sei unzulässig gewesen. Bei zutreffender Verrechnung hätte sich ein auszahlungspflichtiger Erstattungsanspruch in Höhe von 199.651 DM ergeben. Dieser Betrag sei ab dem zu verzinsen.
5 Das FA lehnte die beantragte Änderung der Zinsfestsetzungen ab. Die dagegen gerichtete Klage wies das Finanzgericht (FG) Hamburg mit in Entscheidungen der Finanzgerichte 2009, 1527 veröffentlichtem Urteil vom 6 K 44/08 ab.
6 Mit ihrer Revision rügt die Klägerin eine Verletzung materiellen Rechts. Sie beantragt, das Urteil des FG sowie den Ablehnungsbescheid des FA vom und die Einspruchsentscheidung vom aufzuheben und das FA zu verpflichten, eine berichtigte Zinsfestsetzung zur Einkommensteuer 1998 zu erlassen, die bei der Ermittlung des Unterschiedsbetrags gemäß § 233a Abs. 3 und 5 AO auf die festgesetzte Einkommensteuer abzüglich der zum Zeitpunkt der erstmaligen Steuerfestsetzung für 1998 gestundeten Steuer abstellt und die den sich hieraus ergebenden Betrag ab dem verzinst.
7 Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
8 II. Die Revision ist unbegründet. Das FG hat zutreffend entschieden, dass die Klägerin keinen Anspruch auf Änderung der Zinsfestsetzungen hat. Es mag zwar zutreffen, dass das FA der Klägerin mit der erstmaligen Steuerfestsetzung 1998 einen Betrag von 199.651 DM hätte erstatten müssen. Dieser zu Unrecht vorenthaltene Betrag kann jedoch weder nach § 233a AO noch nach einer anderen Vorschrift verzinst werden.
9 1. Gemäß § 233a Abs. 1 AO werden Steuernachforderungen und Steuererstattungen verzinst, wenn die Festsetzung zu einem Unterschiedsbetrag i.S. von Abs. 3 führt. Maßgebend für die Zinsberechnung ist gemäß § 233a Abs. 3 AO die festgesetzte Steuer, vermindert um die Steuerabzugsbeträge, um die anzurechnende Körperschaftsteuer und um die bis zum Beginn des Zinslaufs festgesetzten Vorauszahlungen (Unterschiedsbetrag).
10 2. Die Einkommensteuer war auf 4.293.954 DM festgesetzt worden. Abzüglich der Steuerabzugsbeträge (Steuerabzug vom Lohn und Kapitalertragsteuer) und der anzurechnenden Körperschaftsteuer in Höhe von insgesamt 663.399 DM sowie der festgesetzten Einkommensteuervorauszahlungen in Höhe von 3.830.206 DM ergab sich ein Unterschiedsbetrag zugunsten der Klägerin in Höhe von 199.651 DM.
11 § 233a Abs. 3 Satz 3 AO begrenzt jedoch einen zu verzinsenden Unterschiedsbetrag zugunsten des Steuerpflichtigen auf die Höhe des zu erstattenden Betrages, wobei die Verzinsung frühestens mit dem Tag der Zahlung beginnt. Hierdurch soll verhindert werden, dass festgesetzte, tatsächlich aber nicht bezahlte Steuervorauszahlungen verzinst werden (vgl. Heuermann in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 233a AO Rz 56). Da zum Zeitpunkt der erstmaligen Steuerfestsetzung zwei Raten zu je 766.041 DM noch nicht entrichtet waren, kommt eine Verzinsung insoweit nicht in Betracht; der Unterschiedsbetrag zugunsten der Klägerin war noch nicht in voller Höhe gezahlt.
12 Hieran ändert auch nichts, dass diese Raten wegen der zinslosen Stundung noch nicht fällig waren und daher weder entrichtet werden mussten noch vom FA gefordert werden durften. Denn § 233a Abs. 3 Satz 3 AO lässt die Verzinsung des zu erstattenden Betrages nach seinem insoweit eindeutigen Wortlaut frühestens mit dem Tag der Zahlung zu. Steuerstundungen beeinflussen die Höhe der Zinsen nicht.
13 3. Eine andere Beurteilung kann sich nicht aus den späteren Änderungen des Einkommensteuerbescheides 1998 ergeben. Denn auch in diesem Fall bestimmt § 233a Abs. 5 Satz 4 AO i.V.m. Abs. 3 Satz 3 AO, dass ein Unterschiedsbetrag zu Gunsten des Steuerpflichtigen nur bis zur Höhe des zu erstattenden Betrages zu verzinsen ist und die Verzinsung frühestens mit dem Tag der Zahlung beginnt. Ob und inwieweit Steuerbeträge gestundet sind, spielt für die Zinsberechnung keine Rolle.
14 4. § 233a AO kann nicht erweiternd im Sinne der Klägerin ausgelegt werden. Unterstellt man zugunsten der Klägerin, dass das FA die Steuerabzugsbeträge nur mit dem Teil der Einkommensteuer hätte verrechnen dürfen, der auf die nach dem Grundtarif in Höhe von 355.799 DM zu versteuernden Einkünfte zuzüglich der fälligen Steuer auf den Entstrickungsgewinn in Höhe von 107.949 DM entfiel, hätte es den verbleibenden Betrag von 199.651 DM an die Klägerin erstatten müssen. Eine Aufrechnung mit den noch nicht fälligen Stundungsraten des Entstrickungsgewinns wäre unzulässig gewesen, da insoweit eine Aufrechnungslage nicht gegeben war. Gleichwohl könnte der der Klägerin (zunächst) zu Unrecht vorenthaltene Betrag nicht verzinst werden, weil weder § 233a AO noch eine andere Vorschrift für diesen Fall eine Verzinsung vorsieht und auch keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass das Gesetz insoweit lückenhaft ist. Der Abgabenordnung lässt sich kein allgemeiner Grundsatz des Inhalts entnehmen, dass Ansprüche des Steuerpflichtigen aus dem Steuerschuldverhältnis stets zu verzinsen sind. § 233 Satz 1 AO bestimmt im Gegenteil, dass Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis nur verzinst werden, soweit dies gesetzlich vorgeschrieben ist.
15 Die Klägerin war dadurch nicht rechtlos gestellt. Sie hätte vielmehr auf Auszahlung der 199.651 DM dringen und im Falle der Weigerung des FA einen Abrechnungsbescheid i.S. des § 218 Abs. 2 AO erwirken können, gegen den sie ggf. mit Rechtsmitteln hätte vorgehen können.
16 5. Ob der Liquiditätsvorteil, den das FA dadurch erlangt hat, dass es den überzahlten Betrag von 199.651 DM nicht mit der erstmaligen Steuerfestsetzung vom an die Klägerin ausgezahlt hat, bei späteren Zinsfestsetzungen im Billigkeitswege mindernd zu berücksichtigen ist, falls —was das FG nicht festgestellt hat— die späteren Steuerfestsetzungen zu Nachforderungszinsen des FA geführt haben sollten, ist nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
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Fundstelle(n):
BFH/NV 2010 S. 827 Nr. 5
HFR 2010 S. 802 Nr. 8
NWB-Eilnachricht Nr. 20/2010 S. 1582
WAAAD-40690