Instanzenzug: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg Az: OVG 4 B 19.06 Urteilvorgehend Az: XX Urteil
Tatbestand
1Die Klägerin steht als Obergerichtsvollzieherin im Dienst des Beklagten. Das Amtsgericht K. setzte die ihr zustehende Bürokostenentschädigung für das Jahr 2002 fest und forderte durch Bescheide vom 9. Oktober und die Auszahlung der Differenz zwischen diesem Betrag und dem Gesamtbetrag der von der Klägerin im Laufe des Jahres 2002 einbehaltenen Gebühren. Der Zahlungsbetrag belief sich auf 5 044,20 €.
2Die Klägerin hat nach erfolglosem Widerspruch im Klageverfahren die Aufhebung der Bescheide, soweit darin Bürokostenentschädigung für das Jahr 2002 zurückgefordert wird, sowie die Verpflichtung des Beklagten beantragt, die Bürokostenentschädigung für 2002 auf der Grundlage eines Gebührenanteils von 86,6 % und eines Höchstbetrages von 27 047,34 € neu festzusetzen. Das Verwaltungsgericht hat der Anfechtungsklage wegen Fehlens einer Billigkeitsprüfung entsprechend § 12 Abs. 2 Satz 3 BBesG stattgegeben und die Klage im Übrigen abgewiesen. Die Berufung des Beklagten hatte Erfolg; die Anschlussberufung der Klägerin hinsichtlich des Verpflichtungsbegehrens blieb erfolglos. Zur Begründung hat das Berufungsgericht im Wesentlichen ausgeführt:
3Rechtsgrundlage für die Ablieferung zuviel einbehaltener Gebühren sei das beamtenrechtliche Dienst- und Treueverhältnis. Der Tatbestand einer Rückforderung sei nicht erfüllt, weil die bei dem Gerichtsvollzieher eingehenden Gebührenzahlungen keine Leistung des Dienstherrn darstellten, so dass es auch nicht zu einer "Überzahlung" kommen könne. Die Klägerin treffe vielmehr die Dienstpflicht, vereinnahmte Gebühren abzuführen; davon sei sie nur insoweit befreit, als sie Gebühren nach Schlussabrechnung endgültig behalten dürfe. Für eine Billigkeitsentscheidung über das Ausmaß der den Gerichtsvollzieher treffenden Zahlungspflicht sei deshalb kein Raum.
4Die Klägerin habe auch keinen Anspruch auf Festsetzung einer höheren Bürokostenentschädigung. Rechtsgrundlage für die festgesetzte Entschädigung sei für das Jahr 2002 die brandenburgische Verordnung zur Abgeltung der Bürokosten der Gerichtsvollzieher in der Fassung der 3. Änderungsverordnung. Sie entspreche den Anforderungen des § 49 Abs. 3 BBesG, einen aktuellen und realitätsnahen Kostenersatz sicherzustellen, so dass Gerichtsvollzieher die Kosten für Büro und Schreibkräfte nicht aus ihrer Besoldung bestreiten müssten. Ein Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot liege nicht vor, da die während eines laufenden Jahres anzuwendenden Werte nach § 2 Abs. 2 Satz 2 der Verordnung ausdrücklich unter dem Vorbehalt einer abschließenden Regelung stünden.
5Die Klägerin hat die auf das Anfechtungsbegehren beschränkt zugelassene Revision eingelegt und rügt die Verletzung materiellen Rechts. Sie beantragt,
das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom zu ändern und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Cottbus vom zurückzuweisen.
6Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
7Die Beteiligten haben auf mündliche Verhandlung verzichtet.
Gründe
8Die Revision der Klägerin, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten gemäß § 101 Abs. 2, § 125 Abs. 1, § 141 Satz 1 VwGO ohne mündliche Verhandlung entscheiden kann, ist unbegründet. Das Oberverwaltungsgericht hat ohne Verstoß gegen Bundesrecht oder revisibles Landesrecht (§ 137 Abs. 1 VwGO, § 127 Nr. 2 BRRG) angenommen, dass die angefochtenen Bescheide vom 9. Oktober und in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom rechtmäßig sind.
91. Entgegen der Auffassung der Revision regeln die angefochtenen Bescheide nicht die Rückforderung von Leistungen des Dienstherrn im Sinne des § 12 des Bundesbesoldungsgesetzes (BBesG) i.d.F. der Bek. vom (BGBl I S. 3434) oder des § 55 des Beamtengesetzes für das Land Brandenburg (LBG Bbg) in der hier anzuwendenden Fassung der Bekanntmachung vom (GVBl I S. 446). Die Bescheide konkretisieren die Pflicht der Klägerin zur Ablieferung der von ihr vereinnahmten, dem Land zustehenden Gebühren. Sie stellen damit eine Zahlungsaufforderung dar.
10a) Nach § 12 Abs. 1 BBesG hat ein Beamter Unterschiedsbeträge nicht zu erstatten, die sich daraus ergeben, dass er durch eine gesetzliche Änderung seiner Bezüge mit rückwirkender Kraft schlechter gestellt wird. Die Vorschrift ist nach ihrem Wortlaut auf den Tatbestand einer Überzahlung von Bezügen beschränkt. Zu den Bezügen gehören nach § 1 Abs. 2 und 3 BBesG nur solche amtsbezogenen Leistungen, die den Lebensunterhalt des Beamten und seiner Familie sicherstellen sollen. Im Hinblick auf die besondere Bedeutung, die dem Wortlaut besoldungsrechtlicher Vorschriften wegen der strikten Gesetzesbindung im Besoldungs- und Versorgungsrecht zukommt (§ 2 Abs. 1 BBesG, § 3 Abs. 1 BeamtVG, stRspr, vgl. BVerwG 2 C 29.08 - juris Rn. 12, vom - BVerwG 2 C 30.06 - BVerwGE 131, 29 Rn. 25 = Buchholz 239.1 § 56 BeamtVG Nr. 6 und vom - BVerwG 6 C 82.67 - Buchholz 235 § 48a BBesG Nr. 2; BVerwG 2 B 35.07 - juris Rn. 7), verbietet es sich, § 12 Abs. 1 BBesG auch auf Leistungen anzuwenden, die nicht zu den Bezügen zählen, sondern - wie die Bürokostenentschädigung der Gerichtsvollzieher - eine Aufwandsentschädigung darstellen ( BVerwG 2 C 41.03 - NVwZ-RR 2005, 214; BVerwG 2 B 82.08 - juris Rn. 4 ff.). Hiervon abgesehen kommt eine Anwendung des § 12 Abs. 1 BBesG schon deshalb nicht in Betracht, weil Gegenstand der angegriffenen Bescheide lediglich der Anspruch des Dienstherrn auf Ablieferung vereinnahmter Gebühren - und nicht von Bürokostenentschädigung - ist.
11Die Klägerin kann sich nicht darauf berufen, dass eine Ablieferung der von ihr vereinnahmten Gebühren erst geltend gemacht werden dürfe, wenn zuvor nach § 12 Abs. 2 Satz 3 BBesG geprüft worden sei, ob aus Billigkeitsgründen von der Forderung abzusehen sei. Denn auch § 12 Abs. 2 BBesG ist auf die Rückforderung überzahlter Bezüge beschränkt und deshalb auf den Tatbestand einer Ablieferungspflicht für Gebühren nicht anwendbar.
12b) Etwas anderes folgt auch nicht aus § 55 LBG Bbg. Nach Satz 1 dieser Vorschrift gelten die § 3 Abs. 6 und §§ 11, 12 BBesG für die Verzinsung, Abtretung, Verpfändung, Aufrechnung, Zurückbehaltung und Rückforderung von sonstigen Leistungen des Dienstherrn entsprechend. Sonstige Leistungen sind nach § 55 Satz 2 LBG Bbg Kostenerstattungen und Fürsorgeleistungen, soweit sie nicht zur Besoldung und nicht zur Versorgung gehören. Die Pflicht zur Ablieferung vereinnahmter Gebühren bezieht sich nicht auf eine sonstige Leistung des Dienstherrn an die Klägerin, sondern auf Zahlungen, die die Klägerin von Kostenschuldnern für ihren Dienstherrn entgegengenommen und nun pflichtgemäß an ihn abzuliefern hat.
13Die Pflicht zur Ablieferung zu viel einbehaltener Gebühren ändert ihren rechtlichen Charakter nicht dadurch, dass der Gerichtsvollzieher einen Teil von ihnen behalten darf, um auf diese Weise seinen Anspruch auf Entschädigung für Einrichtung und Unterhaltung eines Büros (§ 49 Abs. 3 BBesG, BVerwG 2 C 13.01 - Buchholz 240 § 49 BBesG Nr. 2 und vom a.a.O.) zu befriedigen. Der Umstand, dass der Gerichtsvollzieher im Laufe eines Geschäftsjahrs nach § 4 Abs. 1, § 2 Abs. 2 Satz 2 der brandenburgischen Verordnung zur Abgeltung der Bürokosten der Gerichtsvollzieher (GVEntschV Bbg) vom (GVBl II 2000, S. 44) berechtigt ist, Gebührenanteile im Umfang des für das vorangegangene Jahr festgesetzten Gebührenanteils und Höchstbetrages vorläufig einzubehalten, kann zwar dazu führen, dass er zunächst mehr an Gebühren einbehält als ihm nach endgültiger Festsetzung von Gebührenanteil und Höchstbetrag zusteht. Die sich nach Abrechnung ergebenden überschießenden Beträge sind nach der Systematik des Abrechnungswesens für Gerichtsvollzieher jedoch auch weiterhin Teil der vereinnahmten Gebühren und als solche abzuliefern.
14Im Übrigen fehlt es an einer Situation der Rückforderung, wie sie § 55 Satz 1 LBG Bbg voraussetzt. Der einer Rückforderung ausgesetzte Beamte hat zuvor eine von seinem Dienstherrn berechnete und verantwortete Überzahlung erhalten, während der Gerichtsvollzieher den Umfang der Einbehaltung nach § 4 GVEntschV Bbg selbst und in dem Bewusstsein ihrer Vorläufigkeit (vgl. § 2 Abs. 2 GVEntschV Bbg) errechnet. In dieser Situation bedarf es keiner Billigkeitsentscheidung, da der Gerichtsvollzieher nicht darauf vertrauen kann, es werde bei den auf der Grundlage vorläufiger Zahlen von ihm berechneten Gebührenanteilen bleiben.
152. Rechtsgrundlage der angegriffenen Bescheide ist vielmehr das öffentlich-rechtliche Dienst- und Treueverhältnis, in dem die Klägerin als Obergerichtsvollzieherin steht.
16a) Zu den Dienstpflichten eines Gerichtsvollziehers gehört die Vereinnahmung von Gebühren nach dem Gesetz über Kosten der Gerichtsvollzieher (Gerichtsvollzieherkostengesetz - GvKostG) vom (BGBl I S. 861, BGBl I 1959, S. 155; ab ersetzt durch Gesetz vom , BGBl I S. 623), konkretisiert durch die im Streitzeitraum beanstandungslos angewandten Verwaltungsvorschriften (Gerichtsvollzieherordnung - GVO - vom , für Brandenburg: AV vom , JMBl S. 2, vgl. auch § 154 GVG). Von den vereinnahmten Gebühren steht dem im Außendienst beschäftigten Gerichtsvollzieher ein Anteil von 15 % als Vergütung (§ 49 Abs. 1, § 2 BBesG, § 1 Abs. 2 der Verordnung über die Vergütung für Beamte im Vollstreckungsdienst - VollstrVergV - vom , BGBl I S. 1783) sowie ein weiterer Anteil in regelmäßig neu festzusetzender Höhe als Entschädigung für das von ihm auf eigene Kosten zu unterhaltende Büro zu (§ 49 Abs. 3 BBesG, § 2 Abs. 1, § 3 Abs. 2 GVEntschV Bbg). Um seinen laufenden Geschäftsbetrieb sicherzustellen, hat er die ihm zustehenden Gebührenanteile vorläufig zu errechnen und einzubehalten, darf darüber jedoch erst nach Ablieferung der Gebühren verfügen, die der Landeskasse verbleiben (§ 4 GVEntschV Bbg, § 11 Nr. 1 und 4, § 75 Nr. 1 und 3, § 77 GVO). Ergibt sich nach Abrechnung, dass der Gerichtsvollzieher mehr an Gebühren einbehalten hat, als ihm nach endgültiger Abrechnung an Vollstreckungsvergütung bzw. Bürokostenentschädigung zustehen, so hat er den überschießenden Betrag an die zuständige Kasse abzuführen.
17b) Wie das Berufungsgericht zu Recht ausgeführt hat, sind die Voraussetzungen dieser Ablieferungspflicht gegeben. Der Klägerin steht keine höhere als die vom Beklagten ermittelte Bürokostenentschädigung für das Jahr 2002 zu.
18Grundlage für die Berechnung der Bürokostenentschädigung für das Jahr 2002 ist die brandenburgische Verordnung zur Abgeltung der Bürokosten der Gerichtsvollzieher i.d.F. der 3. Änderungsverordnung vom (GVBl II S. 462). Diese Änderungsverordnung hat die Werte der 2. Änderungsverordnung vom (GVBl II S. 590) ersetzt und insbesondere den Gebührenanteil von zuvor 59,4 % auf 54,0 % herabgesetzt. Einwände gegen die Rechtswirksamkeit der 3. Änderungsverordnung greifen nicht durch.
19Der Senat geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass § 49 Abs. 3 Satz 1 BBesG nicht nur eine Ermächtigung zum Verordnungserlass enthält, sondern den Dienstherrn zur regelmäßigen Entschädigung der angefallenen notwendigen Kosten eines Gerichtsvollziehers verpflichtet. Die Entschädigung ist realitätsnah an den tatsächlich anfallenden notwendigen Sach- und Personalkosten auszurichten sowie aktuell festzusetzen. Dabei legt die Vorschrift den Normgeber nicht auf ein bestimmtes Entschädigungsmodell fest und erlaubt Typisierungen und Pauschalierungen, solange das Gebot der Realitätsnähe nicht verletzt wird. Für die Ermittlung der jeweils festzusetzenden Werte muss sich der Normgeber auf eine hinreichend breite empirische Basis stützen (Urteile vom a.a.O. S. 4 und vom a.a.O.; Beschlüsse vom - BVerwG 2 B 48.96 -, vom - BVerwG 2 BN 1.05 - juris, vom - BVerwG 2 BN 2.07 - juris Rn. 2 und vom - BVerwG 2 BN 3.07 - juris Rn. 2).
20An diesen Maßstäben gemessen ist die für den vorliegenden Fall maßgebliche 3. Änderungsverordnung nicht zu beanstanden. Nach den für das Revisionsgericht gemäß § 137 Abs. 2 VwGO bindenden tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts beruht die Festsetzung des Gebührenanteils und des Höchstbetrags für das Jahr 2002 auf einer hinreichenden empirischen Basis und ist dem Gebot der Aktualität und Realitätsnähe gerecht geworden.
21Die 3. Änderungsverordnung verstößt nicht gegen das Rückwirkungsverbot. Soweit es um die auf den Beginn des Jahres 2002 rückwirkende Herabsetzung des Gebührenanteils geht, hätte die Klägerin schon nach dem Wortlaut des § 2 Abs. 2 GVEntschV Bbg erkennen können, dass es zu einer auf den 1. Januar des jeweils maßgeblichen Jahres rückwirkenden Änderung - insbesondere einer Herabsetzung - des in § 2 Abs. 1 Satz 2 GVEntschV Bbg festgesetzten Gebührenanteils kommen kann. Denn die Ermittlung der tatsächlichen Grundlagen für die Bemessung des Gebührenanteils kann regelmäßig nicht in demselben Jahr, für das sie vorgenommen wird, abgeschlossen werden. Angesichts dieser offensichtlichen Vorläufigkeit der in der 2. Änderungsverordnung für das Jahr 2001 festgesetzten Werte im Verlauf des Jahres 2002 musste die Klägerin damit rechnen, dass eine später notwendig werdende endgültige Bewertung durch den Dienstherrn zu für sie belastenden Festsetzungen führen konnte (vgl. BVerwG 2 B 40.06 - juris Rn. 3 ff.; zum Rückwirkungsverbot u.a. - BVerfGE 45, 142, - BVerfGE 101, 239 <262 ff.> und Beschluss vom - 2 BvL 2/66, 2 BvR 168, 196, 197, 210, 472/66 - BVerfGE 30, 367 <385 ff.>; BVerwG 2 C 36.02 - BVerwGE 118, 277 <286 f.> = Buchholz 237.6 § 87c Nds LBG Nr. 1 S. 9 jeweils m.w.N.). Dies gilt umso mehr, als die 2. Änderungsverordnung abweichend von der üblichen Praxis nicht nur die endgültigen Werte für 2001, sondern zusätzlich auch ausdrücklich als vorläufig bezeichnete Werte für 2002 festgesetzt hatte.
Fundstelle(n):
LAAAD-40004