Leitsatz
Leitsatz:
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Instanzenzug: AG Rüsselsheim, 3 C 1233/06 (35) vom LG Darmstadt, 7 S 11/07 vom
Tatbestand
Die Kläger verlangen von der beklagten Charterfluggesellschaft Ausgleichszahlungen nach Art. 7 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen (ABl. EG L 46 S. 1; im Folgenden: Verordnung), weil sie mit erheblicher Verspätung abgeflogen und mit erheblicher Verspätung am Zielflughafen angekommen sind.
Die Kläger buchten bei einem Reiseveranstalter einen Pauschalurlaub auf den Malediven. Der Flug von Frankfurt am Main nach Male und zurück wurde von der Beklagten durchgeführt. Der für den gebuchte Hinflug startete rund 19 Stunden später als geplant. Die Ankunft erfolgte mit entsprechender Verspätung. Die beiden Kläger verlangen deshalb eine Ausgleichszahlung in Höhe von 600,-- Euro pro Person sowie Freistellung von vorgerichtlichen Anwaltskosten.
Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Kläger ist erfolglos geblieben. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgen die Kläger ihr Begehren in vollem Umfang weiter. Die Beklagte tritt dem Rechtsmittel entgegen.
Der Senat hat mit Rücksicht auf ein beim Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften anhängiges Vorlageverfahren mit Zustimmung der Parteien zunächst von der Bestimmung eines Termins zur mündlichen Verhandlung über die Revision abgesehen. In diesem Vorlageverfahren hat der Gerichtshof mit Urteil vom (C-402/07, RRa 2009, 282 = NJW 2010, 43) wie folgt entschieden:
1.
Art. 2 Buchst. l sowie die Art. 5 und 6 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 sind dahin auszulegen, dass ein verspäteter Flug unabhängig von der - auch erheblichen - Dauer der Verspätung nicht als annulliert angesehen werden kann, wenn er entsprechend der ursprünglichen Flugplanung des Luftfahrtunternehmens durchgeführt wird.
2.
Die Art. 5, 6 und 7 der Verordnung Nr. 261/2004 sind dahin auszulegen, dass die Fluggäste verspäteter Flüge im Hinblick auf die Anwendung des Ausgleichsanspruchs den Fluggästen annullierter Flüge gleichgestellt werden können und somit den in Art. 7 dieser Verordnung vorgesehenen Ausgleichsanspruch geltend machen können, wenn sie wegen eines verspäteten Fluges einen Zeitverlust von drei Stunden oder mehr erleiden, d. h., wenn sie ihr Endziel nicht früher als drei Stunden nach der von dem Luftfahrtunternehmen ursprünglich geplanten Ankunftszeit erreichen. Eine solche Verspätung führt allerdings dann nicht zu einem Ausgleichsanspruch zugunsten der Fluggäste, wenn das Luftfahrtunternehmen nachweisen kann, dass die große Verspätung auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären, also auf Umstände, die von dem Luftfahrtunternehmen tatsächlich nicht zu beherrschen sind.
3.
Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 ist dahin auszulegen, dass ein bei einem Flugzeug aufgetretenes technisches Problem, das zur Annullierung oder Verspätung eines Fluges führt, nicht unter den Begriff "außergewöhnliche Umstände" im Sinne dieser Bestimmung fällt, es sei denn, das Problem geht auf Vorkommnisse zurück, die aufgrund ihrer Natur oder Ursache nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betroffenen Luftfahrtunternehmens sind und von ihm tatsächlich nicht zu beherrschen sind.
Gründe
Die zulässige Revision ist begründet und führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur antragsgemäßen Verurteilung der Beklagten.
I.
Die Annahme des Berufungsgerichts, die Voraussetzungen für die begehrten Ausgleichszahlungen nach Art. 7 Abs. 1 der Verordnung seien nicht erfüllt, hält der Nachprüfung nicht stand.
1.
Eine Annullierung des Flugs im Sinne von Art. 5 der Verordnung hat allerdings, wie das Berufungsgericht zutreffend angenommen hat, nicht stattgefunden. Nach dem Urteil des Gerichtshofs kann ein verspäteter Flug unabhängig von der - auch erheblichen - Dauer der Verspätung nicht als annulliert angesehen werden, wenn er entsprechend der ursprünglichen Flugplanung des Luftfahrtunternehmens durchgeführt wird (aaO Tz. 39). So verhält es sich im Streitfall. Der Flug von Frankfurt nach Male ist trotz der eingetretenen Verzögerung entsprechend der ursprünglichen Flugplanung durchgeführt worden.
2.
Wegen des wesentlich verspäteten Abflugs kommt gleichwohl ein Anspruch auf die in Art. 7 der Verordnung vorgesehene Ausgleichszahlung in Betracht.
a) Der Flug hat etwa 19 Stunden später als geplant begonnen; die Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 1 der Verordnung für die Annahme einer von der Verordnung erfassten (großen) Verspätung lagen daher ohne weiteres vor.
b) In einem solchen Fall steht dem Fluggast, sofern auch die weiteren Voraussetzungen für eine Ausgleichsleistung erfüllt sind, der in Art. 7 der Verordnung vorgesehene Ausgleichsanspruch zu, wenn er wegen des verspäteten Fluges sein Endziel nicht früher als drei Stunden nach der ursprünglich geplanten Ankunftszeit erreicht (EuGH aaO Tz. 61). Auch diese Voraussetzung ist ohne weiteres erfüllt, denn das Endziel der Kläger wurde ebenfalls etwa 19 Stunden später als geplant erreicht. Damit liegen im Streitfall die vom Gerichtshof aufgestellten Anforderungen für einen Ausgleichsanspruch wegen einer wie eine Annullierung zu behandelnden großen Verspätung vor.
II.
Das Berufungsurteil ist daher aufzuheben. Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden, da der Rechtsstreit auf der Grundlage des vom Berufungsgericht festgestellten Sachverhalts zur Endentscheidung reif ist.
1.
Der Ausgleichsanspruch ist nicht entsprechend Art. 5 Abs. 3 der Verordnung ausgeschlossen. Die Verspätung geht nicht auf außergewöhnliche Umstände im Sinne dieser Vorschrift zurück.
a) Entgegen der von der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vertretenen Auffassung besteht keine Veranlassung, den Rechtsstreit an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, um der Beklagten Gelegenheit zu geben, zu den Voraussetzungen des Art. 5 Abs. 3 der Verordnung vorzutragen. Die Parteien haben in den Tatsacheninstanzen darüber gestritten, ob die Beklagte im Streitfall zu einer Ausgleichszahlung wegen Annullierung des Flugs verpflichtet ist. Die Beklagte war demgemäß gehalten, auch zu den Voraussetzungen vorzutragen, unter denen die Verpflichtung zu einer solchen Ausgleichszahlung ausgeschlossen ist. Für den Ausgleichsanspruch wegen großer Verspätung gelten keine anderen Voraussetzungen.
b) Selbst wenn die Verspätung, wie die Beklagte vorgerichtlich geltend gemacht hat, auf eine technische Beanstandung zurückzuführen war, stellt dies keinen außergewöhnlichen Umstand im Sinne von Art. 5 Abs. 3 der Verordnung dar.
Wie der Senat im Anschluss an die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union bereits entschieden hat, begründen technische Defekte, wie sie beim Betrieb eines Flugzeugs gelegentlich auftreten können, für sich gesehen keine außergewöhnlichen Umstände, die das Luftfahrtunternehmen von der Verpflichtung zur Zahlung der Ausgleichsleistung wegen Annullierung eines Fluges befreien können (Sen.Urt. v. - X ZR 76/07, RIW 2010, 63).
2.
Die Beklagte ist deshalb verpflichtet, eine Ausgleichszahlung in der in Art. 7 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung bestimmten Höhe von 600,-- Euro pro Person zu erbringen. Der geltend gemachte Zinsanspruch ergibt sich aus § 288 Abs. 1 BGB. Gemäß §§ 280, 286 BGB hat die Beklagte die Kläger ferner von den vorgerichtlich nach Verzugseintritt entstandenen Anwaltskosten freizustellen, deren Höhe unstreitig ist.
3.
Zu der von der Beklagten angeregten Vorlage der Sache an den Gerichtshof der Europäischen Union sieht der Senat keine Veranlassung.
Der Bundesgerichtshof hat dem Gerichtshof die Streitsache X ZR 95/06 zur Vorabentscheidung vorgelegt, weil er es nicht für zweifelsfrei gehalten hat, dass den Fluggästen eines wesentlich verspäteten Fluges, wie er im Streitfall vorliegt, nach der Verordnung kein Anspruch auf Ausgleichszahlungen zusteht. Diese Unklarheit hinsichtlich der Auslegung des Gemeinschaftsrechts ist dadurch beseitigt worden, dass der Gerichtshof in seinem Urteil vom die Verordnung dahin ausgelegt hat, dass auch in einem solchen Fall Ausgleichsleistungen zu erbringen sind. Das Urteil selbst wirft jedenfalls keine für den Streitfall relevanten neuen Auslegungsfragen auf, die der Senat nicht ohne erneute Vorlage beantworten könnte.
Soweit sich das Urteil nicht ausdrücklich mit der Frage befasst, ob das vom Gerichtshof gefundene Auslegungsergebnis mit dem Montrealer Übereinkommen vereinbar ist, hat der Senat diese Frage bereits in seinem Urteil vom (Xa ZR 61/09) bejaht; daran hält er fest. Der Gerichtshof hat dies offenbar ebenso gesehen; dass er Art. 29 MÜ übersehen hätte, kann nicht angenommen werden.
Der Senat hat auch keine Zweifel an der Gültigkeit der Verordnung. Der Gerichtshof hat die Gültigkeit - anders als die Generalanwältin - bejaht (aaO Tz. 47). Für den von der Beklagten angenommenen Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist nichts Substantiiertes geltend gemacht.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.
Fundstelle(n):
NWB-Eilnachricht Nr. 29/2010 S. 2287
NWB-Eilnachricht Nr. 29/2010 S. 2287
KAAAD-39943