Wirtschaftliches Eigentum als Voraussetzung für die Zurechnung einer Beteiligung i.S. des § 17 EStG; Verträge unter nahen Angehörigen
Leitsatz
Die allgemeinen Regeln, wonach Verträge unter nahen Angehörigen steuerlich nur anzuerkennen sind, wenn sie zivilrechtlich wirksam abgeschlossen sowie vereinbarungsgemäß durchgeführt worden sind und nach Inhalt und Durchführung einem Fremdvergleich standhalten, gelten grundsätzlich auch für die Beurteilung einer Anteilsveräußerung im Sinne des § 17 EStG unter nahen Angehörigen.
Dabei müssen geringfügige Abweichungen der steuerlichen Anerkennung einer Übertragung nicht entgegenstehen. Eine Abweichung, die lediglich darin besteht, dass kein oder ein unüblich niedriger Kaufpreis vereinbart wird, steht der steuerlichen Anerkennung der Übertragung jedenfalls nicht entgegen. In einem solchen Fall ist davon auszugehen, dass der Geschäftsanteil (ggf. teilweise) unentgeltlich übertragen worden ist.
Gesetze: EStG § 17, EStG § 12, AO § 39 Abs. 2 Nr. 1
Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),
Gründe
1 I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) gründete im Jahr 1998 zusammen mit ihrem Ehemann sowie vier weiteren Gesellschaftern (A, B, R und C) die N-AG. Am Grundkapital der N-AG in Höhe von 102.000 DM hielt die Klägerin im Zeitpunkt der Gründung 2.000 Aktien im Nominalwert von 10.000 DM; ihre unmittelbare Beteiligung belief sich damit auf 9,8039 %. Im Jahr 1998 beteiligte sich die Klägerin an mehreren Barkapitalerhöhungen bei der N-AG; sie erhöhte damit ihre unmittelbare Beteiligungsquote auf 9,9938 % des seinerzeitigen Grundkapitals in Höhe von 8 Mio. DM. An weiteren Barkapitalerhöhungen im Jahr 1999 beteiligte sich die Klägerin nicht; ihre unmittelbare Beteiligungsquote sank nach der sog. vierten Kapitalerhöhung damit auf zunächst 5,7107 %.
2 Mit Aktienkauf- und Übertragungsvertrag vom übertrug die Klägerin 40.000 Aktien der N-AG zum Kaufpreis von 200.000 DM auf ihren Ehemann. Der Kaufpreis sollte zwischen den Eheleuten verrechnet werden. In der Folge betrug die unmittelbare Beteiligungsquote der Klägerin nur noch 4,2821 %. Am übte die Klägerin eine ihr von Frau K eingeräumte Option aus und erwarb zusätzlich 160.000 Aktien der N-AG. Dadurch erhöhte sich die unmittelbare Beteiligungsquote der Klägerin auf 9,9964 % (279.900 Aktien im Nominalwert von 1.399.500 DM am Gesamtnominalwert in Höhe von 14 Mio. DM). Infolge der sog. fünften Kapitalerhöhung vom , an der die Klägerin nicht teilnahm, sank ihre unmittelbare Beteiligungsquote auf nunmehr 8,4818 % (279.900 Aktien im Nominalwert von 1.399.500 DM am Gesamtnominalwert von 16.500.000 DM). Aufgrund der sechsten Kapitalerhöhung vom , an der die Klägerin wiederum nicht teilnahm, sank ihre unmittelbare Beteiligungsquote auf 7,775 % (279.900 Aktien im Nominalwert von 1.399.500 DM am Gesamtnominalwert von 18 Mio. DM).
3 Mit Beitrittserklärung vom trat die Klägerin der E-KG als Kommanditistin bei. Von diesem Zeitpunkt an war die Klägerin zu einem Drittel am Gesellschaftsvermögen der E-KG beteiligt. Bereits am hatte die E-KG im Rahmen der vierten Kapitalerhöhung der N-AG 148.000 Aktien im Nennwert zu je 5 DM zur Weitergabe an Arbeitnehmer der N-AG-Gruppe gezeichnet. Hintergrund war ein sog. Mitarbeiterprogramm, in dessen Rahmen Arbeitnehmer der N-AG-Gruppe zu günstigen Konditionen Aktien der N-AG zeichnen und erwerben durften; der Aktienerwerb war mit einer Haltefrist von bis zu 27 Monaten verbunden. Im Vorfeld der Aktienzeichnung hatte die N-AG ihre Mitarbeiter sowie die weiteren, zur Aktienzeichnung zugelassenen Personen dahin informiert, dass die Veräußerung der Aktien „voraussichtlich über einen Treuhänder” erfolgen werde. Im Rahmen der fünften Kapitalerhöhung vom erwarb die E-KG zu diesem Zweck weitere 50.000 Aktien der N-AG. Die von der E-KG erworbenen Aktien der N-AG wurden von dieser mit vorformulierten „Aktienkaufverträgen” an diejenigen Mitarbeiter, die Aktien geordert hatten, weiterveräußert. Gleichzeitig mit der Unterzeichnung des „Aktienkaufvertrages” erteilte der betreffende Mitarbeiter Stimmrechtsvollmacht zur Ausübung des Stimmrechts im Rahmen der ordentlichen und außerordentlichen Hauptversammlungen der N-AG, die bis zum befristet war. Die Kaufpreise für die erworbenen Aktien wurden von den Mitarbeitern zwischen dem 30. April und dem bezahlt.
4 Einige Mitarbeiter der N-AG-Gruppe, die Aktien gezeichnet hatten, hielten ihre ursprüngliche Zeichnung nicht aufrecht. Nach einer vom datierenden Aufstellung ergibt sich ein Restbestand von 15.960 ursprünglich georderten, jedoch nicht abgenommenen Aktien. In ihrer Bilanz zum wies die E-KG von ihr am Bilanzstichtag noch gehaltene 11.800 Aktien der N-AG als Umlaufvermögen mit jeweils 5 DM aus. Nicht festgestellt ist, zu welchem Zeitpunkt im Einzelnen die von der N-AG ausgegebenen Aktien auf die E-KG übergegangen bzw. von dieser an Mitarbeiter abgegeben worden sind. Nach einem vom Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt —FA—) vorgelegten Auszug aus der Aktionärsliste der N-AG fehlt hinsichtlich des Abgangs von 136.200 Aktien der N-AG im Zeitraum vom 22. Februar bis ein konkretes Abgangsdatum.
5 Im Laufe des Veranlagungszeitraums 2000 (Streitjahr) veräußerte die Klägerin 44.920 Aktien der N-AG an den Mitgesellschafter R, 56.560 Aktien an den Mitgesellschafter A sowie 88.000 Aktien an die U-AG. Aufgrund der eingangs geschilderten, hinsichtlich des Jahres 1999 festgestellten Beteiligungssituation kam das FA zu dem Ergebnis, dass die Klägerin jedenfalls am „wesentlich” —zu 9,9964 % unmittelbar und zu 0,028 % mittelbar über die E-KG und mithin insgesamt zu 10,0245 %— an der N-AG beteiligt gewesen sei und berücksichtigte einen Veräußerungsgewinn i.S. des § 17 des Einkommensteuergesetzes (EStG) bezüglich der im Streitjahr an R, A und die U-AG veräußerten Aktien.
6 Der Einspruch hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) wies die hiergegen gerichtete Klage mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte 2009, 831 veröffentlichten Urteil ab.
7 Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die Verletzung von § 74 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Das FG habe ermessensfehlerhaft von einer Aussetzung des Verfahrens mit Blick auf die gegen die maßgebliche Vorschrift des § 17 EStG gerichteten Verfassungsbeschwerden, die sich gegen die Herabsetzung der Wesentlichkeitsgrenze richteten, abgesehen. Ferner habe das FG zu Unrecht bei der am zwischen der Klägerin und ihrem Ehemann vereinbarten Veräußerung von 40.000 Aktien der N-AG einen Fremdvergleich angestellt. Die Klägerin habe auch weder durch den Beitritt zur E-KG am noch durch die Ausübung der Erwerbsoption gegenüber Frau K am die Wesentlichkeitsgrenze des § 17 EStG überschritten. Dies gelte auch dann, wenn man einen treuhänderischen Erwerb der Aktien der N-AG durch die E-KG ablehne. Denn die E-KG habe spätestens am sämtliche Aktien der N-AG an ihre Mitarbeiter weiterveräußert und dadurch das wirtschaftliche Eigentum an den genannten Aktien verloren. Darüber hinaus habe das FG nicht hinreichend ermittelt, ob die zum bei der E-KG verbliebenen und in der Bilanz zum Stichtag ausgewiesenen 11.800 Aktien im Zeitraum zwischen dem und dem bzw. dem weiterveräußert wurden und insoweit wirtschaftlich einem Dritten zuzurechnen seien. Das Fehlen dahin gehender Feststellungen verstoße gegen § 96 Abs. 1 Satz 1 und § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO.
8 Die Klägerin beantragt,
den Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr 2000 vom in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom unter Aufhebung des angefochtenen mit der Maßgabe zu ändern, dass kein Veräußerungsgewinn aus der Veräußerung von Aktien an der N-AG erfasst wird.
9 Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
10 Es vertritt die Auffassung, das FG habe zu Recht von einer Aussetzung des Verfahrens nach § 74 FGO abgesehen, da gegen die maßgebliche Regelung in § 17 EStG keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestünden. Die Frage, ob im Streitfall der Aktienverkauf zwischen der Klägerin und ihrem Ehemann unter Fremdvergleichsgesichtspunkten zu überprüfen seien, sei im Streitfall nicht entscheidungserheblich. Der Auffassung der Klägerin, wonach die E-KG jedenfalls zum jegliches wirtschaftliches Eigentum an sämtlichen zuvor gehaltenen Aktien der N-AG bereits wieder verloren hätte, könne nicht gefolgt werden. Jedenfalls könnten die zum Bilanzstichtag zum bei der E-KG verbliebenen Aktien nur aus der vierten Kapitalerhöhung vom , nicht aber aus der fünften Kapitalerhöhung vom stammen. Dies ergebe sich schon daraus, dass die Aktien der fünften Kapitalerhöhung zu einem von der Bilanzierung abweichenden Kaufpreis erworben worden seien. Die von der Klägerin gerügten Verfahrensverstöße lägen nicht vor.
11 II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der finanzgerichtlichen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO). Die vom FG getroffenen Feststellungen lassen den Schluss, die Klägerin sei im Streitjahr wesentlich i.S. des § 17 Abs. 1 EStG i.d.F. des Streitjahres beteiligt gewesen, nicht zu.
12 1. Nach § 17 Abs. 1 Satz 4 EStG ist eine wesentliche Beteiligung i.S. des § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG gegeben, wenn der Veräußerer an der Gesellschaft zu mindestens 10 % unmittelbar oder mittelbar beteiligt war. Notwendige und hinreichende Voraussetzung für die Zurechnung einer Beteiligung i.S. des § 17 EStG ist das wirtschaftliche Eigentum. Nach § 39 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 der Abgabenordnung (AO) ist die Rechtsstellung des wirtschaftlichen Eigentümers dadurch gekennzeichnet, dass er den zivilrechtlichen Eigentümer im Regelfall für die gewöhnliche Nutzungsdauer von der Einwirkung auf das Wirtschaftsgut wirtschaftlich ausschließen kann. Da es für die Besteuerung nicht auf die äußere Rechtsform, sondern auf die tatsächlichen Verhältnisse ankommt, ist auch bei der Bestimmung des wirtschaftlichen Eigentums nicht das formal Erklärte oder formal-rechtlich Vereinbarte, sondern das wirtschaftlich Gewollte und das tatsächlich Bewirkte ausschlaggebend (, BFH/NV 2008, 2004, m.w.N.).
13 2. Nach diesen Grundsätzen kommt im Streitfall eine wesentliche Beteiligung der Klägerin nur dann in Betracht, wenn die Klägerin entweder trotz des Abschlusses eines Aktienkauf- und Übertragungsvertrages am mit ihrem Ehemann wirtschaftliche Eigentümerin der zu übertragenden 40.000 Aktien geblieben oder die E-KG am —schon bzw. noch— wirtschaftliche Eigentümerin von (später) in ihrer Bilanz zum ausgewiesenen Aktien der N-AG gewesen ist. Die tatsächlichen Feststellungen des FG ermöglichen keine abschließende Beurteilung, ob die Klägerin danach im Streitjahr wesentlich an der N-AG beteiligt war. Zur Nachholung der erforderlichen Feststellungen wird die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückverwiesen.
14 a) Die allgemeinen Regeln, wonach Verträge unter nahen Angehörigen steuerlich nur anzuerkennen sind, wenn sie zivilrechtlich wirksam abgeschlossen sowie vereinbarungsgemäß durchgeführt worden sind und nach Inhalt und Durchführung einem Fremdvergleich standhalten, gelten grundsätzlich auch für die Beurteilung einer Anteilsveräußerung i.S. des § 17 EStG unter nahen Angehörigen; dabei müssen geringfügige Abweichungen der steuerlichen Anerkennung einer Übertragung nicht entgegenstehen. Eine Abweichung, die lediglich darin besteht, dass kein oder ein unüblich niedriger Kaufpreis vereinbart wird, steht der steuerlichen Anerkennung der Übertragung jedenfalls nicht entgegen. In einem solchen Fall ist davon auszugehen, dass der Geschäftsanteil (ggf. teilweise) unentgeltlich übertragen worden ist (vgl. , BFHE 209, 275, BStBl II 2005, 436; , nicht veröffentlicht). Das FG wird, soweit es die in diesem Zusammenhang aufgeworfenen Fragen nicht offenlassen kann, den Aktienkauf- und Übertragungsvertrag vom nach diesen Grundsätzen prüfen.
15 b) Soweit das FG der —ggf. nach den Grundsätzen der Feststellungslast zu beurteilenden— Frage nachgehen wird, ob und in welchem Umfang die E-KG zum maßgeblichen Zeitpunkt wirtschaftliche Eigentümerin von Aktien der N-AG gewesen ist, wird es die Zurechnung nach § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO prüfen.
16 Bei Anteilen an Kapitalgesellschaften wird der Erwerber —im Streitfall der jeweils zeichnungsberechtigte Mitarbeiter der N-AG-Gruppe— wirtschaftlicher Eigentümer i.S. des § 39 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 AO, wenn er aufgrund eines zivilrechtlichen Rechtsgeschäfts bereits eine rechtlich geschützte, auf den Erwerb des Rechts gerichtete Position erworben hat und die mit dem Anteil verbundenen wesentlichen Rechte sowie das Risiko einer Wertminderung und die Chance einer Wertsteigerung auf ihn übergegangen sind (ständige Rechtsprechung, vgl. , BFHE 222, 458, BStBl II 2009, 124, m.w.N.). Das nach diesen Maßstäben zu würdigende Gesamtbild des Einzelfalls kann sich nach Auffassung des Senats schlüssig und vollständig nicht ohne die Erhebung der von der Klägerin angebotenen Zeugenbeweise ergeben.
17 c) In diesem Zusammenhang ist —je nach dem Ergebnis der insoweit getroffenen finanzgerichtlichen Feststellungen— ggf. auch der Frage nachzugehen, ob und inwieweit die E-KG —wie von der Klägerin vorgetragen— gegenüber den zeichnungsberechtigten Mitarbeitern der N-AG-Gruppe als Treuhänderin aufgetreten ist und danach eine Zurechnung schon nach der Bestimmung des § 39 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 AO gerechtfertigt ist.
18 3. Im Rahmen seiner Entscheidung im zweiten Rechtsgang wird das FG auch erneut zu prüfen haben, ob im Streitfall die Voraussetzungen, die die Rechtsprechung für eine Aussetzung des Klageverfahrens nach § 74 FGO aufgestellt hat (z.B. , BFHE 171, 412, BStBl II 1993, 797), mit Blick auf die dem Bundesverfassungsgericht vorliegenden und auch nicht offensichtlich aussichtslosen Verfassungsbeschwerden zur Absenkung der Wesentlichkeitsgrenze in § 17 EStG i.d.F. des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 gegeben sind.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2010 S. 623 Nr. 4
EStB 2010 S. 138 Nr. 4
HFR 2010 S. 582 Nr. 6
EAAAD-38571