Leistungsklage aus Sozialplan bei Masseunzulänglichkeit
Leitsatz
Eine Leistungsklage gegen den Insolvenzverwalter auf Zahlung der Abfindung aus einem nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit vereinbarten Sozialplan ist unzulässig. § 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO steht dem nicht entgegen. Diese Vorschrift hat für Sozialplanansprüche keine Bedeutung.
Gesetze: § 123 Abs 2 S 1 InsO, § 53 InsO, § 123 Abs 3 S 2 InsO, § 209 Abs 1 Nr 2 InsO, § 123 Abs 2 S 2 InsO, § 123 Abs 2 S 3 InsO, § 208 Abs 1 S 2 InsO, § 174 InsO, § 178 Abs 3 InsO, § 12a ArbGG, § 210 InsO
Instanzenzug: ArbG Oberhausen Az: 1 Ca 1709/07 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Düsseldorf Az: 15 Sa 2088/07 Urteil
Tatbestand
1Die Parteien streiten über die Zulässigkeit einer Leistungsklage auf Zahlung der Abfindung aus einem vom Insolvenzverwalter nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit vereinbarten Sozialplan.
2Über das Vermögen der Schuldnerin, deren Arbeitnehmer der Kläger war, ist am das Insolvenzverfahren eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt worden. Bereits im Eröffnungsbeschluss wurde das Vorliegen von Masseunzulänglichkeit festgestellt. Der Beklagte zeigte darüber hinaus mit Schreiben vom , das am Folgetag beim Insolvenzgericht einging, Masseunzulänglichkeit an. Am vereinbarte er mit dem bei der Schuldnerin gewählten Betriebsrat einen Interessenausgleich und Sozialplan. Am kündigte er das Arbeitsverhältnis des Klägers zum rechtswirksam. Aus dem Sozialplan steht dem Kläger eine rechnerisch unstreitige Abfindung von 18.061,48 Euro brutto zu. Diesen Anspruch hat der Beklagte schriftlich festgehalten. Bereits in der Klageerwiderung hat er erklärt, er werde den von ihm vereinbarten Sozialplan nach Maßgabe der Insolvenzordnung ordnungsgemäß berücksichtigen.
3Mit der am beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage nimmt der Kläger den Beklagten in seiner Eigenschaft als Insolvenzverwalter auf Zahlung der Sozialplanabfindung in Anspruch. Hilfsweise begehrt er die Feststellung des Abfindungsanspruchs.
4Der Kläger hat die Ansicht vertreten, in der hier vorliegenden Konstellation sei die Sozialplanforderung eine Neumasseverbindlichkeit iSv. § 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO. Deswegen stehe ihr das Vollstreckungsverbot des § 210 InsO nicht entgegen. Aus der Regelung des § 210 InsO folge im Umkehrschluss, dass sämtliche Neumasseverbindlichkeiten mit der Leistungsklage verfolgt werden könnten. Dem stehe § 123 Abs. 3 Satz 2 InsO nicht entgegen. Aus einem Vollstreckungsverbot folge nicht zwangsläufig die Unzulässigkeit der Leistungsklage. Hilfsweise hat der Kläger geltend gemacht, in jedem Fall sei eine Feststellungsklage zulässig.
Der Kläger hat beantragt,
6Der Beklagte hat zur Begründung seines Klageabweisungsantrags vorgetragen, der Leistungsklage stünden die Vollstreckungsverbote des § 123 Abs. 3 Satz 2 InsO sowie des § 210 InsO entgegen. Trotz ihrer Höherstufung zu einer Masseverbindlichkeit seien Sozialplanforderungen gegenüber sonstigen Masseverbindlichkeiten nachrangig. Die Feststellungsklage sei unzulässig. Er bestreite den Anspruch des Klägers nicht. Es bestünden keine Anhaltspunkte dafür, dass er gerade die Forderung des Klägers missachten werde. Vielmehr werde er als Insolvenzverwalter die Forderungen aus dem Sozialplan von Amts wegen unter Beachtung der gesetzlichen Rangfolge berücksichtigen.
Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen.
Gründe
8Die Revision ist unbegründet.
9I. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht die Leistungsklage als unzulässig abgewiesen.
101. Forderungen aus einem nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgestellten Sozialplan sind gem. § 123 Abs. 2 Satz 1 InsO Masseverbindlichkeiten, die nach § 53 InsO vorweg zu befriedigen sind. § 123 Abs. 3 Satz 2 InsO bestimmt jedoch, dass eine Zwangsvollstreckung in die Masse wegen einer Sozialplanforderung schlechthin unzulässig ist. Nach allgemeiner Auffassung in Rechtsprechung und Literatur fehlt deswegen einer Leistungsklage gegen den Insolvenzverwalter wegen Forderungen aus einem von ihm vereinbarten Sozialplan das erforderliche Rechtschutzbedürfnis, weil ein entsprechender Leistungstitel dauerhaft keine Vollstreckungsgrundlage wäre. Der Gläubiger ist auf den Weg der Feststellungsklage verwiesen ( - Rn. 14, AP BetrVG 1972 § 112 Nr. 176 = EzA BetrVG 2001 § 112 Nr. 15; - 10 AZR 275/01 - BAGE 102, 82, 84; für das Vollstreckungsverbot nach § 210 InsO grundlegend - AP InsO § 209 Nr. 1 = EzA InsO § 210 Nr. 1; weitere Nachw. zur Rspr. zu § 210 InsO siehe - Rn. 50; FK/InsO/Eisenbeis 5. Aufl. § 123 Rn. 21; Nerlich/Römermann/Hamacher InsO Stand Mai 2007 § 123 Rn. 43 f.; Braun/Wolf InsO 3. Aufl. § 123 Rn. 14; Linck in HK/InsO 5. Aufl. § 123 Rn. 26). Ob davon bei Streitigkeiten über die gleichmäßige Befriedigung von gleichrangigen Gläubigern eine Ausnahme zu machen ist ( -; ablehnend Nerlich/Römermann/Hamacher InsO Stand Mai 2007 § 123 Rn. 44), kann dahinstehen. Eine derartige Fallkonstellation liegt hier nicht vor.
112. Etwas anderes ergibt sich nicht daraus, dass der Beklagte den Sozialplan nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit vereinbart hat. § 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO ist keine Spezialregelung, die nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit das in § 123 Abs. 3 Satz 2 InsO enthaltene Vollstreckungsverbot verdrängt. Vielmehr hat § 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO für Sozialplanansprüche aufgrund der in § 123 Abs. 2 Satz 2 und 3 InsO geregelten Berechnungsweise keine Bedeutung (BT-Drucks. 12/2443 S. 220).
12§ 123 Abs. 2 Satz 2 und 3 InsO setzen eine relative Obergrenze für die Erfüllung von Sozialplanansprüchen. Danach darf außer in den Fällen des Zustandekommens eines Insolvenzplans für die Berichtigung von Sozialplanforderungen nicht mehr als ein Drittel der Masse verwendet werden, die ohne den Sozialplan für die Verteilung an die Insolvenzgläubiger zur Verfügung stünde. Wird diese Grenze überschritten, sind die einzelnen Sozialplanforderungen anteilig zu kürzen. Die tatsächliche Höhe der Sozialplanansprüche kann also erst dann festgestellt werden, wenn alle anderen Masseverbindlichkeiten berichtigt sind, denn erst dann lässt sich ein Drittel aus der fiktiven Teilungsmasse berechnen (Braun/Wolf InsO 3. Aufl. § 123 Rn. 12). Daraus folgt, dass im Falle der Masseunzulänglichkeit keine Sozialplanansprüche bestehen. Sozialplanforderungen können nicht berichtigt werden, weil die Masse schon nicht ausreicht, um alle Masseverbindlichkeiten und Massekosten gem. § 53 InsO vorweg zu berichtigen (MünchKommInsO/Löwisch/Caspers 2. Aufl. § 123 Rn. 69; Linck in HK/InsO 5. Aufl. § 123 Rn. 25). Sozialplanansprüche sind lediglich letztrangige Masseverbindlichkeiten, die bei der Verteilung nach § 209 InsO keinerlei Rolle spielen. Dazu bedarf es keiner ausdrücklichen Regelung in § 209 InsO. Dies folgt vielmehr unmittelbar aus den Vorschriften über die Kürzung der Sozialplanansprüche bei geringer Masse (BT-Drucks. 12/2443 S. 220; - Rn. 51; Uhlenbruck InsO 12. Aufl. § 209 Rn. 19; Linck in HK/InsO 5. Aufl. § 123 Rn. 24; FK/InsO/Kießner 5. Aufl. § 209 Rn. 11). Die Höherstufung der Sozialplanforderung von einer bevorrechtigten Konkursforderung (§§ 2, 4 Satz 1 SozPlKonkG iVm. § 61 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a KO) zu einer Masseverbindlichkeit hat die Rechtsstellung der Sozialplangläubiger somit nur formell verbessert und im Wesentlichen das Erfordernis zur Anmeldung und Feststellung von Sozialplanforderungen entfallen lassen (BT-Drucks. 12/2443 S. 154).
13Die vom Kläger angeführte Literatur (Roth FS Gaul S. 573; Runkel/Schnurbusch NZI 2000, 49; Kröpelin ZIP 2003, 2341) setzt sich mit den angeführten Folgen der in § 123 Abs. 2 Satz 2 und 3 InsO geregelten Berechnungsweise für die Berichtigung von Sozialplanforderungen bei Masseunzulänglichkeit nicht auseinander und ist deshalb für seine Rechtsauffassung unergiebig.
143. Sozialplanansprüche aus einem nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit vereinbarten Sozialplan sind trotz der Regelung in § 123 Abs. 2 Satz 2 und 3 InsO nicht von vornherein wirtschaftlich wertlos. Die Anzeige der Masseunzulänglichkeit, die gem. § 208 Abs. 1 Satz 2 InsO bereits bei einer lediglich drohenden Unzulänglichkeit erfolgen kann, beruht auf einer Prognose des Insolvenzverwalters, deren Grundlagen sich nachträglich - etwa durch unverhoffte Verwertung von Vermögensgegenständen oder Erfüllung von Forderungen des Schuldners - ändern können. Darauf hat die Prozessbevollmächtigte des Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat zu Recht hingewiesen. Entfällt dadurch die Masseunzulänglichkeit, kommt eine Rückkehr ins reguläre Insolvenzverfahren in Betracht (zum Streitstand FK/InsO/Kießner 5. Aufl. § 208 Rn. 19 ff.; Landfermann in HK/InsO 5. Aufl. § 208 Rn. 24).
15II. Der Klage auf Feststellung des Abfindungsanspruchs fehlt das erforderliche Feststellungsinteresse. Auch dies hat das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt.
161. Allerdings hat der Erste Senat in seiner Entscheidung vom (- 1 AZR 458/04 - Rn. 14, AP BetrVG 1972 § 112 Nr. 176 = EzA BetrVG 2001 § 112 Nr. 15) ausgeführt, dass der Gläubiger wegen der Unzulässigkeit der Leistungsklage auf den Weg der Feststellungsklage verwiesen sei und einer solchen Klage deshalb das Feststellungsinteresse nicht versagt werden könne. Damit sollte jedoch nur klargestellt werden, dass der Vorrang der Leistungsklage der Zulässigkeit der Feststellungsklage nicht entgegensteht (vgl. - BAGE 107, 91, 92). Das erforderliche Feststellungsinteresse folgt auch nicht daraus, dass der Sozialplananspruch als Masseverbindlichkeit nicht in einem den § 174 ff. InsO entsprechenden Feststellungsverfahren festgestellt und nicht mit einem mit § 178 Abs. 3 InsO vergleichbaren Vollstreckungstitel verbunden ist (in diesem Sinn aber möglicherweise Oetker Anm. zu - AP BetrVG 1972 § 113 Nr. 42 unter I 2). Auch Sozialplanansprüche können nur mit der Feststellungsklage verfolgt werden, wenn dem Recht des Gläubigers eine gegenwärtige Gefahr der Unsicherheit dadurch droht, dass der Insolvenzverwalter das Recht des Gläubigers ernstlich bestreitet, und wenn das erstrebte Urteil infolge seiner Rechtskraft geeignet ist, diese Gefahr zu beseitigen (vgl. allgemein zum Feststellungsinteresse - zu I 3 b der Gründe, AP BGB § 613a Nr. 188 = EzA BGB § 613a Nr. 188; - NJW 1986, 2507). Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, fehlt das erforderliche Feststellungsinteresse.
172. Der Beklagte hat den Sozialplananspruch des Klägers weder vorprozessual noch im gesamten Verfahren dem Grunde und der Höhe nach jemals in Frage gestellt. Der Kläger hat auch keinerlei Anhaltspunkte dafür dargelegt, dass der Beklagte gerade ihn gegenüber anderen Sozialplangläubigern benachteiligen wird. Im Gegenteil ist die Behauptung des Beklagten aus der Berufungserwiderung, er werde die Forderungen aus dem Sozialplan von Amts wegen unter Beachtung der gesetzlichen Rangfolge berücksichtigen, unwidersprochen geblieben. Der Umstand, dass der Beklagte dem Leistungsbegehren unter Hinweis auf die Vollstreckungsverbote der Insolvenzordnung entgegengetreten ist, bedeutet nicht, dass er sich etwa eines gegen Grund und Höhe dieses Anspruchs gerichteten Rechts berühmt. Der Feststellung des Abfindungsanspruchs bedarf der Kläger daher nicht (vgl. - zu III 2 der Gründe, ZIP 2005, 817; vgl. auch - IX ZB 129/07 - Rn. 11, NJW-RR 2009, 59).
183. Das uneingeschränkte Festhalten an den genannten zivilprozessualen Anforderungen erscheint vorliegend um so mehr geboten, weil unnötige Feststellungsverfahren die Masse gefährden. Billigt man dem Sozialplangläubiger ohne jeglichen Anhaltspunkt dafür, dass seine Forderung nicht entsprechend den Regeln der Insolvenzordnung erfüllt werden wird, Anspruch auf einen Titel zu, wird die Masse mit den dadurch entstehenden Prozesskosten belastet. Selbst wenn der Insolvenzverwalter die Forderung sofort anerkennt, trägt die Masse wegen der arbeitsrechtlichen Sonderregelung in § 12a ArbGG etwaige außergerichtliche Kosten des Insolvenzverwalters .
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
Fundstelle(n):
BB 2010 S. 632 Nr. 11
DB 2010 S. 567 Nr. 10
DStR-Aktuell 2010 S. 11 Nr. 13
NJW 2010 S. 10 Nr. 13
NWB-Eilnachricht Nr. 5/2010 S. 330
StBW 2010 S. 329 Nr. 7
StuB-Bilanzreport Nr. 11/2010 S. 448
ZIP 2010 S. 546 Nr. 11
ZAAAD-38444