BFH Beschluss v. - X B 107/09

Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör

Gesetze: FGO § 96 Abs. 2, FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3

Instanzenzug: ,F

Gründe

1 Die Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision hat keinen Erfolg. Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (§ 96 Abs. 2 der FinanzgerichtsordnungFGO—) liegt nicht vor.

2 1. a) Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) rügen, das Finanzgericht (FG) habe gegen das Verbot einer Überraschungsentscheidung verstoßen. Ausweislich des Protokolls vom sei im Erörterungstermin übereinstimmend festgestellt worden, dass Betriebsausgaben in Höhe von 36.480 DM entstanden seien. Fraglich sei nur gewesen, ob die Betriebsausgaben den Veranlagungszeiträumen 1992 oder 1993 zuzurechnen seien. Da schon deshalb eine vorsätzliche Steuerhinterziehung nicht bejaht werden könne, stehe einer Änderung der Ablauf der Festsetzungsfrist entgegen. Unabhängig hiervon hätte das FG auch den Inhalt der tatsächlichen Verständigung in diesem Punkt würdigen müssen. Da der Kläger in der mündlichen Verhandlung hierzu nicht mehr gehört worden sei, habe er davon ausgehen können, dass die Betriebsausgabe 1992 (wegen des Ablaufs der Festsetzungsfrist) oder 1993 (wegen der tatsächlichen Verständigung) berücksichtigt werde.

3 b) Das rechtliche Gehör (Art. 103 Abs. 1 des GrundgesetzesGG— i.V.m. § 96 Abs. 2 FGO) gewährleistet den Verfahrensbeteiligten die Möglichkeit, sich zu Tatsachen und Beweisergebnissen zu äußern, die der gerichtlichen Entscheidung zugrunde gelegt werden sollen (, BVerfGE 49, 325). Die Verfahrensbeteiligten werden durch Art. 103 Abs. 1 GG auch davor geschützt, dass das Gericht ihnen den Vortrag zur Rechtslage dadurch abschneidet, dass es ohne vorherigen Hinweis auf einen nicht vorhersehbaren rechtlichen Gesichtspunkt abstellt (vgl. , BVerfGE 86, 133, 144; , BFH/NV 2000, 448, m.w.N.). Andererseits verlangt der Anspruch auf rechtliches Gehör nicht, dass das Gericht die maßgeblichen rechtlichen Gesichtspunkte mit den Beteiligten umfassend erörtert (vgl. z.B. , BFHE 165, 398, BStBl II 1992, 375). Der Anspruch auf Schutz vor Überraschungsentscheidungen ist daher nicht schon dann verletzt, wenn das FG rechtliche Gesichtspunkte, die im bisherigen Verfahren nicht im Vordergrund standen, in der Entscheidung als maßgebend herausstellt (, Steuerrechtsprechung in Karteiform, Grundgesetz, Art. 103 Abs. 1, Rechtsspruch 160; , BFHE 157, 72, BStBl II 1989, 741). Ein Verstoß kommt allerdings dann in Betracht, wenn das Gericht einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung gemacht und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gegeben hat, mit der die Beteiligten nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen brauchten (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 119 Rz 10a, m.w.N.).

4 c) Das Vorbringen der Kläger rechtfertigt nicht die Annahme eines Verfahrensfehlers. Zwar gingen die Beteiligten im Erörterungstermin davon aus, dass im Veranlagungszeitraum 1993 eine Betriebsausgabe in Höhe von 36.480 DM noch zu berücksichtigen sei. Allerdings behielten sich die Beteiligten vor, alsbald —unter Berücksichtigung der Osterferien— zu den verschiedenen Streitpunkten Stellung zu nehmen (vgl. Bl. 250 der FG-Akte). Von dieser Möglichkeit hat der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) mit Schriftsatz vom Gebrauch gemacht. Er habe am beim FG die Prüferhandakten und die Bilanzakten angefordert. Deren Überprüfung habe nun ergeben, dass die Rechnung über 36.480 DM bereits im Rahmen des Einspruchsverfahrens im Veranlagungszeitraum 1993 als Betriebsausgabe berücksichtigt worden sei. Für einen nochmaligen Abzug bestehe daher kein Raum. Zu dieser Stellungnahme des FA hat sich der Kläger selbst im Schriftsatz vom geäußert und erklärt: „Ich glaube das dieser Punkt erledigt ist” (Bl. 326 der FG-Akte). Angesichts dieser Sachlage mussten die in der mündlichen Verhandlung sachkundig vertretenen Kläger davon ausgehen, dass das FG bei seiner Entscheidung nicht von einer tatsächlichen Verständigung der Beteiligten hinsichtlich des Betriebsausgabenabzugs im Veranlagungszeitraum 1993 ausgehen und —vor allem auch im Hinblick auf die Einlassung des Klägers— weitere Betriebsausgaben nicht anerkennen würde. Es wäre deshalb Sache der Kläger gewesen, weitere Nachweise hinsichtlich der Rechnung über 36.480 DM vorzulegen und vor allem die Einlassung des FA zu widerlegen, diese sei bereits während des Einspruchsverfahren als Betriebsausgabe berücksichtigt worden.

5 2. Auch die weitere Rüge der Kläger, das angefochtene Urteil stelle eine Überraschungsentscheidung dar und verletze ihren Anspruch auf rechtliches Gehör, weil das FG mit seiner Entscheidung ohne weitere Erörterung in der mündlichen Verhandlung von der im Termin am geäußerten Rechtsauffassung abgewichen sei, wonach nach Aktenlage für 1992 und 1993 weitere Betriebsausgaben in Höhe von 50.000 DM bzw. 150.000 DM anzuerkennen seien, greift nicht durch. Die Kläger lassen außer Acht, dass das FA bereits im Erörterungstermin erklärt hatte, diesen Punkt anhand der Geldverkehrsrechnung des Betriebsprüfers überprüfen und hierzu Stellung nehmen zu wollen. Nach Überprüfung dieses Streitpunktes ist das FA dann im Schriftsatz vom mit einer umfangreichen Begründung zu dem Ergebnis gekommen, für einen weiteren Betriebsausgabenabzug verbleibe kein Raum (vgl. Bl. 307 bis 309 der FG-Akte). Bei dieser Sachlage konnten die Kläger nicht davon ausgehen, das FG halte an der vom Berichterstatter im Erörterungstermin geäußerten Rechtsauffassung fest. Eine entsprechende Hinweispflicht des Gerichts bestand nicht; die in der mündlichen Verhandlung rechtskundig vertretenen Kläger durften nicht darauf vertrauen, der Spruchkörper werde der Rechtsansicht des Berichterstatters folgen (Senatsbeschluss vom X B 160/05, BFH/NV 2007, 480, m.w.N.).

6 3. Im Kern erschöpfen sich die Ausführungen der Kläger in kritischen Äußerungen darüber, dass und warum das FG den Streitfall in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht unzutreffend gewürdigt habe. Die Rüge solcher Fehler führt nicht zur Zulassung der Revision gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO (vgl. z.B. Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz 55, m.w.N.).

7 4. Der Senat hat aus Kostengründen darauf verzichtet, über den mit Schreiben vom vom Kläger selbst gestellten Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) zu entscheiden. Ein solcher Antrag wäre unzulässig. Vor dem BFH muss sich jeder Beteiligte, sofern es sich nicht um eine juristische Person des öffentlichen Rechts oder um eine Behörde handelt, durch einen Rechtsanwalt, Steuerberater, Steuerbevollmächtigten, Wirtschaftsprüfer oder vereidigten Buchprüfer als Bevollmächtigten vertreten lassen; zur Vertretung berechtigt sind auch Gesellschaften i.S. des § 3 Nr. 2 und 3 des Steuerberatungsgesetzes, die durch solche Personen handeln (§ 62 Abs. 4 FGO). Im Streitfall ist der AdV-Antrag nicht von einer solchen Person oder Gesellschaft gestellt worden; er wäre daher als unzulässig zu verwerfen. Im Übrigen könnte der AdV-Antrag auch deswegen keinen Erfolg haben, weil das Urteil des FG durch die Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde rechtskräftig geworden ist (§ 116 Abs. 5 Satz 3 FGO). Damit sind auch die angefochtenen Steuerbescheide unanfechtbar geworden. Infolgedessen könnten ernstliche Zweifel an deren Rechtmäßigkeit nicht mehr mit Erfolg geltend gemacht werden (ständige Rechtsprechung; vgl. z.B. , BFH/NV 2001, 181).

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
BFH/NV 2010 S. 662 Nr. 4
HAAAD-38249