Leitsatz
Leitsatz:
1. Die den Herstellern von Elektro- und Elektronikgeräten durch das Elektro- und Elektronikgerätegesetz auferlegte Pflicht, die auf den Sammelstellen der öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger bereitgestellten und mit Altgeräten befüllten Behältnisse - auch soweit diese fremde Altgeräte enthalten - auf eigene Kosten zurückzunehmen und zu entsorgen, ist mit Gemeinschaftsrecht und nationalem Verfassungsrecht vereinbar.
2. Bei der Zuordnung von Elektro- und Elektronikgeräten zu Gerätearten nach § 14 Abs. 4 ElektroG verfügt die Gemeinsame Stelle der Hersteller über einen Beurteilungsspielraum, der nur eingeschränkt gerichtlich nachprüfbar ist.
3. Eine gerichtliche Überprüfung der konkreten Berechnung der Abholverpflichtung darf nicht mit dem pauschalen Hinweis auf den Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen anderer Hersteller versagt werden.
Gesetze: Elektro-Richtlinie Art. 5 Abs. 2 Buchst. c, Art. 8 Abs. 1 bis 3; ElektroG §§ 1 Abs. 1, § 3 Abs. 2, 9 Abs. 4, 5 und 8, 14 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4, 5 Satz 2 und 3, Abs. 6, 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 und 4, 16 Abs. 5
Instanzenzug: VGH Bayern, 20 BV 07.2359 vom VG Ansbach, VG AN 11 K 06.2472 vom Veröffentlichungen: Amtliche Sammlung: nein; Fachpresse: ja
Gründe
I
Die Klägerin stellt hochwertige Kommunikationssysteme zum Senden, Empfangen und Verteilen von Radio- und Fernsehsignalen her, insbesondere Kopfstellen und Verstärker zur Ausrüstung von Wohnanlagen. Seit Januar 2006 ist die Klägerin bei der Beklagten als Herstellerin von Geräten der Unterhaltungselektronik (Gerätekategorie 4) registriert; als Geräteart ist verzeichnet: "Übrige Geräte der Unterhaltungselektronik (mit Ausnahme von TV-Geräten)."
Mit Anordnung vom forderte die Beklagte die Klägerin auf, an einer Übergabestelle in W. ... ein Behältnis der Sammelgruppe 3 ("Informations- und Telekommunikationsgeräte, Geräte der Unterhaltungselektronik") mit einem Volumen von 38 m3 abzuholen. Mit Anordnung vom selben Tage wurde der Klägerin zudem aufgegeben, ein neues Behältnis der Sammelgruppe 3 mit gleichem Volumen an dieser Übergabestelle bereitzustellen. Die Klägerin kam diesen Anordnungen nach, erhob aber Klage zum Verwaltungsgericht. Für die Entsorgung von 6,52 t Elektroabfall aus dem Sammelbehältnis fielen Kosten in Höhe von 1 583,98 EUR an.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen: Das im Elektro- und Elektronikgesetz vorgesehene Verfahren zur Ermittlung der Abhol- und Bereitstellungspflichten der Hersteller sei sowohl mit Gemeinschaftsrecht, insbesondere dem in Art. 174 Abs. 2 EG verankerten Verursacherprinzip, als auch mit nationalem Verfassungsrecht vereinbar. Die allgemeine Zuordnung von Elektro- und Elektronikgeräten zu Gerätearten erfolge allein durch die Gemeinsame Stelle, weil der Gesetzgeber ihr eine besondere Sachkunde zuerkenne. Dies sei Teil der internen Regelsetzung und somit Ausdruck der Herstellerverantwortung. Das Mitwirkungsrecht registrierter Hersteller werde durch § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 ElektroG gewährleistet, was helfe Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden. Die Gemeinsame Stelle berechne die zeitlich und örtlich gleichmäßige Abholpflicht auf der Basis einer wissenschaftlich anerkannten, im Internet veröffentlichten Berechnungsweise. Das Elektrogesetz konkretisiere die Produktverantwortung, die wiederum Ausdruck des Verursacherprinzips sei. Für die vor dem Inkrafttreten des Gesetzes in Verkehr gebrachten Altgeräte ("historische Altgeräte") gelte das Kostenzurechnungsprinzip, für Altgeräte nicht mehr existierender Hersteller (sog. "Waisengeräte") eine Gruppenfinanzierungsverantwortlichkeit. Durch die Bestimmungen über die Abhol- und Bereitstellungspflichten werde in die Berufsausübungsfreiheit eingegriffen; dies sei durch vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls gerechtfertigt. Die kollektive Verantwortung, somit auch die Produktverantwortung für historische Altgeräte verstoße nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz. Dies gelte auch, soweit das Gesetz lediglich fünf Sammelgruppen mit teils heterogenen Inhalten vorsehe. Der Gesetzgeber könne hierzu typisierend und generalisierend Regelungen treffen. Ebenso scheide ein Verstoß gegen das rechtsstaatliche Rückwirkungsverbot aus. Es sei von einer lediglich unechten Rückwirkung auszugehen. Die Abholverpflichtung der Klägerin sei zutreffend ermittelt worden. Der Anteil der Geräteart an der Sammelgruppe werde durch statistische Analyse bestimmt. Pro Geräteart werde - anhand der monatlichen Meldungen der Hersteller - die im Kalenderjahr in den Verkehr gebrachte Menge der Elektro- und Elektronikgeräte, somit auch der Anteil der Klägerin an ihrer Geräteart errechnet. Unter Berücksichtigung von Vollmeldungen der öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger bestimme die Beklagte, welchen Hersteller einer Sammelgruppe die Abholverpflichtung treffe. Dies sei derjenige mit der höchsten Rücknahmeverpflichtung. Die im Einzelnen dargelegte Berechnungsweise der Beklagten sei ausreichend transparent und nachvollziehbar. Eine Bekanntgabe konkreter Berechnungen verbiete das Gesetz wegen des Schutzes von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen. Aus dem Umstand, dass Hersteller ohne (ausreichende) Registrierung sich am Markt beteiligten, könne nicht auf einen unzureichenden Gesetzesvollzug mit der Folge einer gleichheitssatzwidrigen Belastung registrierter Hersteller geschlossen werden. Das Gesetz verpflichte die Hersteller zur Registrierung, Verstöße hiergegen seien strafbewehrt und würden verfolgt.
Gegen dieses Urteil richtet sich die vom Senat zugelassene Revision der Klägerin. Sie trägt vor: Die im Elektro- und Elektronikgerätegesetz enthaltenen Abhol- und Rücknahmepflichten seien mit dem in Art. 174 Abs. 2 EG sowie in der Richtlinie 2002/96 des Europäischen Parlaments und des Rates vom (WEEE-Richtlinie) niedergelegten Verursacherprinzip nicht vereinbar. Die Richtlinie gehe davon aus, dass jeder Hersteller nur für seine eigenen Produkte verantwortlich sei. Für die Annahme eines Kostenzurechnungsprinzips sei daher kein Raum. Das Gesetz differenziere zudem nicht ausreichend zwischen den Herstellern hochwertiger Elektro- und Elektronikgeräte mit hoher Lebensdauer und den Herstellern von Massenware mit kurzer Lebensdauer. Die Anordnung, Elektroschrott abzuholen, der nicht zumindest aus ähnlichen Geräten bestehe, verstoße gegen das Verursacherprinzip. Dasselbe gelte für die gesetzliche Einteilung in lediglich fünf Sammelgruppen. Die Klägerin werde damit auch zur Abholung von Bildschirmgeräten verpflichtet, die nicht in ihrer Produktpalette stünden. Das Gesetz verstoße mit seinen Abhol- und Beseitigungspflichten des Weiteren gegen die Berufsfreiheit und den Gleichheitsgrundsatz. Die Entsorgungskosten für die in der dritten Sammelgruppe erfassten Bildschirme seien doppelt so hoch wie die für Altgeräte der Unterhaltungselektronik. Dies überschreite die Grenzen zulässiger Typisierung. Hersteller besonders hochwertiger Produkte mit langer Lebensdauer subventionierten Billigware mit geringer Lebensdauer, was mit vernünftigen Erwägungen des Gemeinwohls nicht zu vereinbaren sei. Überdies werde bei der Rücknahme und Entsorgung von Elektro- und Elektronikgeräten nicht mit dem erforderlichen Aufwand gegen nicht registrierte Hersteller vorgegangen. Ebenso sei der Berechnungsmodus nicht geeignet, die Abholpflichten zuverlässig zu ermitteln. Die Plausibilität der Berechnungsweise sei zweifelhaft. Weshalb das Gutachten der Hochschule Pforzheim, das die Berechnungsweise der Beklagten in Frage stelle, wissenschaftliche Substanz vermissen lasse, sei nicht nachvollziehbar.
Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil und beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Rechtsgrundlagen des Elektro- und Elektronikgerätegesetzes und das darauf basierende Verfahren zur Rückführung von Altgeräten seien mit gemeinschaftlichem Primär- und Sekundärrecht vereinbar. Das gemeinschaftsrechtliche Verursacherprinzip sei bei der Rücknahme und Entsorgung von Elektro- und Elektronikgeräten als Kostenzurechnungsprinzip im Sinne einer Finanzierungsverantwortung ausgestaltet. Eine Reduzierung des Verursacherprinzips ausschließlich auf die individuelle Rücknahme eigener Geräte könne dem Gemeinschaftsrecht nicht entnommen werden. Die Produkt- und Finanzierungsverantwortung gelte nach Art. 8 Abs. 3 WEEE-Richtlinie auch für historische Altgeräte. Für das Sammelsystem enthalte die Richtlinie keine konkreten Vorgaben, insbesondere nicht im Hinblick auf die Anzahl der Sammelgruppen. Über den Deckelungsmechanismus "Marktanteil für den betreffenden Gerätetyp" hinaus habe der nationale Gesetzgeber besonderen Eigenschaften der Elektrogeräte nicht Rechnung tragen müssen. Die Hersteller seien über die Gemeinsame Stelle mittelbar selbst im Wege der Regelsetzung für die Gerätezuordnung verantwortlich. Die Gruppenfinanzierungsverantwortung beschränke sich auf den eigenen, geräteartbezogenen Anteil. Die Klägerin habe das Umlagemodell gewählt; stärker am Verursacherprinzip orientierte Rücknahmesysteme seien durch § 9 Abs. 8 Satz 1 und § 14 Abs. 5 Satz 3 Nr. 1 ElektroG vorgegeben. Die Abhol- und Bereitstellungspflichten seien mit den Grundrechten aus Art. 12 und 3 GG vereinbar. Gegen das rechtsstaatliche Rückwirkungsverbot werde nicht verstoßen. Es liege lediglich eine unechte Rückwirkung vor; denn angeknüpft werde an die aktuelle Marktteilnahme. Die Berechnung der Abholverpflichtungen sei hinreichend transparent. Die Rechtmäßigkeit der konkreten Berechnungen der Beklagten sei einer gerichtlichen Nachprüfung entzogen. Ein Defizit beim Vollzug des Elektro- und Elektronikgerätegesetzes sei nicht gegeben. Das Umweltbundesamt gehe mit umfangreicher Personalausstattung gegen nicht registrierte Hersteller vor.
Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht tritt dem angegriffenen Berufungsurteil bei.
II
Die Revision der Klägerin hat mit dem Ergebnis Erfolg, dass das angegriffene Urteil aufzuheben und die Sache an den Verwaltungsgerichtshof zurückzuverweisen ist. Zwar hat dieser zu Recht angenommen, dass die Bestimmungen des Elektro- und Elektronikgerätegesetzes über die Modalitäten der Rücknahme von Elektro- und Elektronik-Altgeräten mit Gemeinschaftsrecht (1.) und nationalem Verfassungsrecht (2.) im Einklang stehen. Bundesrechtswidrig ist aber die Annahme des Verwaltungsgerichtshofs, dass der von § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 ElektroG bezweckte Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen einer Bekanntgabe der konkreten Berechnung der Abholverpflichtung eines Herstellers von vornherein entgegensteht und daher auch eine gerichtliche Überprüfung der konkreten Berechnung ausscheidet (3.). Da der Verwaltungsgerichtshof hierzu von seinem Rechtsstandpunkt aus konsequent keine Tatsachenfeststellungen getroffen hat, kann der Senat nicht abschließend beurteilen, ob die angegriffenen Bescheide rechtmäßig sind; das zwingt zur Zurückverweisung.
1. Die den Herstellern von Elektro- und Elektronikgeräten durch das Elektro- und Elektronikgerätegesetz auferlegte Pflicht, die auf den Sammelstellen der öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger bereitgestellten und mit Altgeräten befüllten Behältnisse - auch soweit diese fremde Altgeräte enthalten - auf eigene Kosten zurückzunehmen und zu entsorgen, ist mit Gemeinschaftsrecht vereinbar. Das Elektro- und Elektronikgerätegesetz verstößt insoweit nicht gegen die Richtlinie 2002/96/EG vom (ABl EG Nr. 1 37 S. 24 - WEEE-Richtlinie), sondern setzt deren Vorgaben korrekt und vollständig um.
Entgegen der Auffassung der Klägerin sind die Hersteller von Elektro- und Elektronikgeräten gemeinschaftsrechtlich nicht nur verpflichtet, ihre eigenen Altgeräte zurückzunehmen und zu entsorgen. Das in Art. 174 Abs. 2 EG verankerte gemeinschaftsrechtliche Verursacherprinzip ist in der WEEE-Richtlinie als Kostenzurechnungsprinzip ausgestaltet. Nach Art. 8 Abs. 1 WEEE-Richtlinie sollen die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass die Hersteller spätestens ab dem mindestens die Sammlung, Behandlung, Verwertung und umweltgerechte Beseitigung von bei den Rücknahmestellen gelagerten Elektro- und Elektronik-Altgeräten aus privaten Haushalten "finanzieren" (vgl. auch Satz 2 des 20. Erwägungsgrundes).
Für die sog. historischen Altgeräte, d.h. die vor dem in Verkehr gebrachten Geräte, ist in Art. 8 Abs. 3 WEEE-Richtlinie - in Übereinstimmung mit Satz 6 des 20. Erwägungsgrundes - eine anteilige Finanzierungsverpflichtung aller Hersteller vorgesehen, die zum Zeitpunkt des Anfalls der jeweiligen Kosten auf dem Markt sind. Einbezogen sind demnach auch Fremdgeräte anderer Hersteller und "Waisengeräte", d.h. Geräte solcher Hersteller, die inzwischen nicht mehr am Markt sind. Diese Regelung ist in § 14 Abs. 5 Satz 2 und 6 ElektroG ohne Einschränkung übernommen worden.
Für sog. Neu-Altgeräte, d.h. die ab dem in Verkehr gebrachten Geräte, sieht Art. 8 Abs. 2 WEEE-Richtinie eine Finanzierungsverpflichtung der Hersteller vor, die wahlweise individuell oder durch die Beteiligung an einem kollektiven System erfüllt werden kann (vgl. auch 20. Erwägungsgrund, Satz 4). Diese Vorgabe hat der nationale Gesetzgeber in § 14 Abs. 5 und § 9 Abs. 8 ElektroG umgesetzt und den Herstellern dabei verschiedene Möglichkeiten eröffnet: Zum einen kann ein Hersteller sich an einem kollektiven Abhol- und Bereitstellungssystem beteiligen und den Umfang seiner Abhol- und Bereitstellungspflicht nach seinem jeweiligen Anteil an der in Verkehr gebrachten Menge an Elektro- und Elektronik-Altgeräten pro Geräteart im Kalenderjahr berechnen lassen (§ 14 Abs. 5 Satz 3 Nr. 2 ElektroG). Wahlweise kann er an einem kollektiven Abhol- und Bereitstellungssystem teilnehmen, den Umfang seiner Abhol- und Bereitstellungspflicht aber individuell nach dem von ihm durch Sortierung oder nach wissenschaftlich anerkannten statistischen Methoden nachgewiesenen Anteil seiner eindeutig identifizierbaren Altgeräte an der gesamten Altgerätemenge pro Geräteart berechnen lassen (§ 14 Abs. 5 Satz 3 Nr. 1 ElektroG). Zusätzlich eröffnet § 9 Abs. 8 ElektroG den Herstellern die Möglichkeit, freiwillig individuelle oder kollektive Rücknahmesysteme zu errichten und zu betreiben (vgl. Art. 5 Abs. 2 Buchst. c WEEE-Richtlinie), die auf diese Weise gesammelte Menge an Altgeräten wird gemäß § 14 Abs. 5 Satz 6 ElektroG angerechnet. Mit diesen Wahlmöglichkeiten wird auch der gemeinschaftsrechtlichen Vorgabe, dass jeder Hersteller für die Finanzierung der Entsorgung des durch seine eigenen Produkte (Neu-Altgeräte) anfallenden Abfalls verantwortlich sein soll (vgl. 20. Erwägungsgrund, Satz 3) hinreichend Rechnung getragen.
Angesichts dieser eindeutigen Rechtslage kommt eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof nach Art. 234 EG nicht in Betracht. Die Klägerin hat dies auch nicht beantragt.
2. Die den Herstellern von Elektro- und Elektronikgeräten auferlegten Pflichten zur Abholung und Bereitstellung von Sammelbehältern sowie zur Entsorgung von Altgeräten sind auch mit nationalem Verfassungsrecht vereinbar.
a) Diese Pflichten stellen zwar einen Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit der Hersteller aus Art. 12 Abs. 1 GG dar, werden aber durch ausreichende Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt und belasten die Hersteller nicht übermäßig.
Der Gesetzgeber verfolgt mit dem Elektro- und Elektronikgerätegesetz verschiedene Ziele, die in § 1 ElektroG umschrieben sind. Vorrangig sollen Abfälle von Elektro- und Elektronikgeräten vermieden werden. Darüber hinaus soll die Wiederverwendung oder stoffliche Verwertung der Abfälle gefördert werden, um den Eintrag von Schadstoffen aus Elektro- und Elektronikgeräten in Abfälle und damit in die Umwelt zu vermeiden. Die Hersteller sollen Verantwortung für die von ihnen produzierten Geräte übernehmen und dadurch gezwungen werden, den gesamten Lebenszyklus eines Produktes bereits vorab zu bedenken und in ihre Kalkulation einzubeziehen (BTDrucks 15/3930 S. 16 und BRDrucks 664/04 S. 28 f.). Diese Ziele sind legitim und dienen zugleich der Umsetzung des in Art. 20a GG verankerten Staatsziels des Schutzes der natürlichen Lebensgrundlagen.
Die Abhol-, Bereitstellungs- und Entsorgungspflichten sind zur Erreichung dieser Ziele des Gesetzgebers geeignet, weil der gewünschte Erfolg mit ihrer Hilfe jedenfalls gefördert werden kann.
Diese jeden registrierten Hersteller von Elektro- und Elektronikgeräten treffenden Pflichten sind auch erforderlich. Mildere, gleich wirksame Mittel sind nicht ersichtlich und auch von der Klägerin nicht dargelegt worden. Dies gilt auch und gerade für die Rücknahme historischer Fremd- und Waisengeräte, für die sonst niemand zuständig wäre. Von einer vollständigen Aufgabenübertragung an die öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger durfte der Gesetzgeber schon deshalb absehen, weil dies dem gesetzgeberischen Ziel, die Hersteller in die Pflicht zu nehmen, gerade zuwiderliefe. Zudem ist dem Gesetzgeber bei der Neueinführung von Entsorgungssystemen ein Beurteilungs- und Prognosespielraum eingeräumt. Ihm steht insbesondere in Bezug auf die Bewertung und die Auswahl der für das beabsichtigte Vorhaben in Erwägung zu ziehenden Maßnahmen ein weites Ermessen zu. Infolge dieser Einschätzungsprärogative können Maßnahmen, die der Gesetzgeber zum Schutz eines wichtigen Gemeinschaftsguts für erforderlich hält, verfassungsrechtlich nur beanstandet werden, wenn nach den dem Gesetzgeber bekannten Tatsachen und im Hinblick auf die bisher gemachten Erfahrungen feststellbar ist, dass Beschränkungen, die als Alternativen in Betracht kommen, die gleiche Wirksamkeit versprechen und die Betroffenen weniger belasten (vgl. - BVerfGE 102, 197 <218>). Insoweit mag, da der Gesetzgeber gehalten ist, die Folgen einer gesetzlichen Neuregelung zu beobachten und unter Kontrolle zu halten, nachträglich gesetzgeberischer Anpassungsbedarf entstehen ( - BVerfGE 110, 141 <158>). Dafür ist hier aber derzeit nichts ersichtlich.
Die Abhol-, Bereitstellungs- und Entsorgungspflicht ist auch verhältnismäßig im engeren Sinne und belastet die Hersteller von Elektro- und Elektronikgeräten nicht unzumutbar. Eine weitere Ausdifferenzierung der fünf in § 9 Abs. 4 ElektroG vorgesehenen Sammelgruppen war nicht geboten. Der Gesetzgeber durfte bei der Ausübung seines Gestaltungsermessens praktischen Erfordernissen Rechnung tragen und berücksichtigen, dass eine Zusammenfassung ähnlicher Gerätetypen zu jeweils einer Sammelgruppe schon aus Platz- und Kostengründen sinnvoll ist. Ihm stand insoweit eine Typisierungsbefugnis zu, deren Grenzen hier nicht überschritten sind. Offenbar haben solche Praktikabilitätserwägungen den Gesetzgeber bewogen, die ursprünglich vorgesehenen sieben Sammelgruppen letztlich in fünf Sammelgruppen zu konzentrieren.
Die streitigen Pflichten erweisen sich für die Hersteller auch nicht wegen der damit verbundenen finanziellen Belastungen als unzumutbar. Zum einen wird die jeweilige finanzielle Belastung der Hersteller dadurch beschränkt, dass der Umfang der Abhol-, Bereitstellungs- und Entsorgungspflicht sich nach ihrem Anteil an der Gesamtmenge der in Verkehr gebrachten Geräte pro Geräteart (§ 14 Abs. 5 Satz 3 Nr. 2 ElektroG) bzw. ihrem Anteil an der gesamten Altgerätemenge pro Geräteart (§ 14 Abs. 5 Satz 3 Nr. 1 ElektroG) bemisst. Zum anderen können die Entsorgungskosten steuerlich abgesetzt und auf die Preise für Neugeräte abgewälzt werden. Sofern die Entsorgungskosten für die Entsorgung historischer Altgeräte angefallen sind, kann dies beim Verkauf neuer Produkte entsprechend ausgewiesen werden (vgl. § 6 Abs. 4 ElektroG). Die Hersteller können zudem freiwillig individuelle oder kollektive Rücknahmesysteme errichten und betreiben (§ 9 Abs. 8 ElektroG). Sie sind überdies von den Kosten der Sammlung der Altgeräte freigestellt, denn die Einrichtung und der Betrieb der Sammelstellen obliegt nach § 9 Abs. 3 und 4 ElektroG den öffentlichen-rechtlichen Entsorgungsträgern. In Anbetracht dieser Gesamtumstände und im Hinblick auf die Gruppenverantwortung der Hersteller ist es auch nicht unzumutbar, dass die Hersteller auch die Entsorgung von Fremdgeräten finanzieren müssen. Für die Neu-Altgeräte folgt dies schon daraus, dass in der Kostenbelastung wegen der Unwägbarkeit des Fortbestehens der jetzigen Marktteilnehmer im künftigen Zeitpunkt des Abfallanfalls lediglich eine Art Vorausfinanzierung zu sehen ist. Hinsichtlich der historischen Altgeräte ist die Kostenbelastung für die aktuellen Marktteilnehmer dagegen Ausdruck eines Generationenvertrages zugunsten der Allgemeinheit und der Umwelt.
b) Aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG ergeben sich ebenfalls keine durchgreifenden Einwände gegen die im Elektro- und Elektronikgerätegesetz niedergelegten Abhol-, Bereitstellungs- und Entsorgungspflichten. Soweit die Klägerin auch zur Rücknahme und Entsorgung von Fremdgeräten verpflichtet ist und diese Kosten mittragen muss, ist dies bei kollektiven Sammelsystemen, für die die Klägerin sich entschieden hat, systemimmanent. Aus den bereits genannten Gründen ist auch keine Ausweitung der Sammelgruppen in § 9 Abs. 4 Satz 1 ElektroG geboten, um eine schärfer am Verursacherprinzip orientierte Zuordnung von Altgeräten an den entsorgungspflichtigen Hersteller zu gewährleisten. Eine willkürliche Gleichbehandlung ungleicher Sachverhalte verbindet sich mit den in § 9 Abs. 4 Satz 1 ElektroG vorgegebenen Sammelgruppen nicht. Der Gesetzgeber ist auch durch den Gleichheitsgrundsatz nicht daran gehindert, aus Gründen der Praktikabilität pauschale Maßstäbe zu wählen und sich mit einer Typengerechtigkeit zu begnügen ( - BVerfGE 31, 119 <131 ff.>).
Soweit die Klägerin einen Verstoß gegen Art. 3 GG mit angeblichen Vollzugsdefiziten bei der Registrierung der Hersteller von Elektro- und Elektronikgeräten begründet, ist ihr Vorbringen nicht stichhaltig. Es ist nicht ersichtlich, dass vermeintliche Vollzugsdefizite im Elektro- und Elektronikgerätegesetz angelegt sind. Das Gesetz flankiert die Registrierungspflicht mit einem Vertriebsverbot und Ordnungswidrigkeitentatbeständen. Von einem im Gesetz angelegten strukturellen Vollzugsdefizit kann daher nicht die Rede sein. Überdies haben die Hersteller - und damit auch die Klägerin - es selbst in der Hand, durch wettbewerbsrechtliche Klagen oder Anzeigen Maßnahmen gegen nicht registrierte Hersteller in die Wege zu leiten.
Die Abhol-, Bereitstellungs- und Entsorgungspflichten und deren Erstreckung auf historische Altgeräte verstoßen auch nicht gegen das aus dem Rechtsstaatsprinzip hergeleitete Verbot rückwirkender belastender Eingriffe in bestehende subjektive Rechte ( u.a. - BVerfGE 45, 142 <167 f.>). Der Verwaltungsgerichtshof ist mit zutreffenden Erwägungen zu dem Ergebnis gelangt, dass hinsichtlich der Erstreckung der Abhol-, Bereitstellungs- und Entsorgungspflichten auf historische Altgeräte von einer unechten Rückwirkung auszugehen ist. Dies hat die Klägerin mit der Revision auch nicht mehr angegriffen.
3. Nicht mit Bundesrecht vereinbar ist dagegen die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichtshofs, dass dem Gericht eine Überprüfung der Berechnung der Abhol- und Bereitstellungspflicht zum Schutz der Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse anderer Hersteller (vgl. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 ElektroG) verwehrt ist.
Die der Heranziehung der Klägerin zugrunde liegende Berechnung ist auf der einfachgesetzlichen Anwendungsebene allerdings nicht schon deshalb rechtswidrig, weil die Geräte der Klägerin innerhalb der Sammelgruppe 3 (§ 9 Abs. 4 Satz 1 ElektroG) der undifferenzierten Geräteart "übrige Geräte der Unterhaltungselektronik (mit Ausnahme von TV-Geräten)" zugeordnet worden sind. Die Zuordnung von Geräten zu Gerätearten ist zwar nach dem Berechnungsmodus des Elektro- und Elektronikgerätegesetzes für die Häufigkeit der Heranziehung und daher auch für die Höhe der Entsorgungskosten von maßgeblicher Bedeutung. Der von der Klägerin insoweit erhobene Einwand, ihre Geräte seien besonders hochwertig und von langer Lebensdauer, ist aber nicht geeignet, die Zuordnung ihrer Geräteart zu den "übrigen Geräten der Unterhaltungselektronik" in Zweifel zu ziehen.
Die Zuordnung von Geräten zu Gerätearten erfolgt im Wege interner Regelsetzung durch die Gemeinsame Stelle (§ 14 Abs. 4 ElektroG). Die Gemeinsame Stelle ist für alle Hersteller zu gleichen Bedingungen zugänglich; alle Hersteller können an der internen Regelsetzung mitwirken und so Einfluss auf die Zuordnung von Geräten zu Gerätearten nehmen (vgl. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 ElektroG).
Bei der Zuordnung von Elektro- und Elektronikgeräten zu Gerätearten nach § 14 Abs. 4 ElektroG verfügt die Gemeinsame Stelle über einen Beurteilungsspielraum, der gerichtlich nur eingeschränkt nachprüfbar ist. Gemäß § 3 Abs. 2 ElektroG bezeichnet der Begriff "Geräteart" im Sinne des Gesetzes "Geräte innerhalb einer Kategorie, die hinsichtlich der Art ihrer Nutzung oder ihrer Funktionen vergleichbare Merkmale aufweisen". Die Ausfüllung des unbestimmten Rechtsbegriffs "vergleichbare Merkmale" ist in besonderem Maße von Wertungen abhängig, für die es besonderer Sachkunde bedarf, über die die Gemeinsame Stelle aufgrund ihrer Zusammensetzung verfügt (vgl. zur besonderen fachliche Legitimation von Kollegialorganen auch BVerwG 5 C 29.82 - BVerwGE 72, 195 <201> und vom - BVerwG 7 C 20.92 - BVerwGE 91, 211 <215 f.>).
Der Beurteilungsspielraum der Gemeinsamen Stelle ist allerdings dadurch eingeschränkt, dass für die Zuordnung von Geräten zu einer Geräteart nach § 3 Abs. 2 ElektroG die Vergleichbarkeit von Geräten "hinsichtlich der Art ihrer Nutzung oder ihrer Funktionen" maßgeblich ist. Die Lebensdauer und/oder die Recyclingfreundlichkeit von Geräten kann daher nur innerhalb dieser gesetzlichen Kriterien von Bedeutung sein. Die Klägerin hat aber nicht geltend gemacht, dass der von ihr hergestellte Produkttyp "Kopfstelle" generell deutlich haltbarer oder recyclingfreundlicher als die anderen in der Geräteart "übrige Geräte der Unterhaltungselektronik (mit Ausnahme von TV-Geräten)" erfassten Elektrogeräte ist und deshalb eine eigene Geräteart "Kopfstellen" eingerichtet werden müsste. Auch im Übrigen sind Anhaltspunkte dafür, dass die Grenzen des Beurteilungsspielraums hier überschritten worden sind, nicht ersichtlich.
Der Verwaltungsgerichtshof hatte daher keine Veranlassung, insoweit weitere Ermittlungen anzustellen.
Die - grundsätzlich gerichtlicher Überprüfung unterliegende - abstrakte Berechnungsweise (sog. Algorithmus), auf deren Grundlage die Gemeinsame Stelle nach § 14 Abs. 6 Satz 1 ElektroG die zeitlich und örtlich gleichmäßige Verteilung der Abholpflicht auf alle registrierten Hersteller berechnet, ist nicht Gegenstand dieses Revisionsverfahrens. Die Klägerin hat die Würdigung des Verwaltungsgerichtshofs, die wissenschaftliche Plausibilität des Algorithmus werde durch die gutachterlichen Stellungnahmen der Hochschule Pforzheim und des Fraunhofer Instituts nicht ernstlich in Zweifel gezogen, nicht mit Verfahrensrügen angegriffen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat der Klägerin aber zu Unrecht eine Nachprüfung der konkreten, den angegriffenen Anordnungen zugrundeliegenden Berechnung der Beklagten verwehrt. Eine gerichtliche Überprüfung der konkreten Berechnung der Abhol- und Bereitstellungsverpflichtung darf nicht mit dem pauschalen Hinweis auf den Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen anderer Hersteller versagt werden. Dies verstößt gegen § 16 Abs. 5 und § 9 Abs. 5 ElektroG und das Gebot effektiven Rechtsschutzes aus Art. 19 Abs. 4 GG.
Gemäß § 9 Abs. 5 und § 16 Abs. 5 ElektroG ist die Beklagte gehalten, vor dem Erlass von Abhol- und Bereitstellungsanordnungen die Berechnungen der Gemeinsamen Stelle zu überprüfen. Auf diese Weise ist sichergestellt, dass die Verlagerung von Aufgaben bzw. Vorbereitungshandlungen auf ein besonderes Fachgremium nicht zur Folge hat, dass diese Tätigkeiten behördlicher Kontrolle entzogen sind. Mit diesen Regelungen und dem Gebot effektiven Rechtsschutzes ist es unvereinbar, dass der Verwaltungsgerichtshof die den streitgegenständlichen Abhol- und Bereitstellungsanordnungen zugrundeliegende konkrete Berechnung nur darauf überprüft hat, ob die von der Beklagten vorgelegte Excel-Tabelle plausibel ist, und eine weitergehende Nachprüfung unter Berufung auf entgegenstehende Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse anderer Hersteller abgelehnt hat. Zwar ist der Schutz der Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse anderer Hersteller nicht nur in § 15 Abs. 1 Satz 3 ElektroG ausdrücklich vorgesehen, sondern in Art. 12 Abs. 1 GG auch verfassungsrechtlich verankert. Der Verwaltungsgerichtshof hat aber verkannt, dass der Konflikt zwischen dem Gebot effektiven Rechtsschutzes, das für eine vollständige Überprüfung der konkreten Berechnung der Abhol- und Bereitstellungspflicht streitet, und dem verfassungsrechtlich geschützten Interesse der anderen Hersteller an einer Geheimhaltung ihrer Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse etwa durch Rückgriff auf anonymisierte Datensätze gelöst werden kann. Denkbar ist auch, dass innerhalb einer Gerätegruppe so viele Hersteller am Markt sind, dass eine Zuordnung von Daten zu konkreten Konkurrenten nicht möglich und die Offenbarung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen daher von vornherein nicht zu befürchten ist. Da der Verwaltungsgerichtshof die danach erforderliche Überprüfung nicht vorgenommen hat, ist die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
UAAAD-38194