Anscheinsbeweis für eine private Nutzung des Firmenfahrzeugs
Gesetze: FGO § 76, FGO § 81 Abs. 1, FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3, FGO § 116 Abs. 6, EStG § 6 Abs. 1 Nr. 4, EStG § 8 Abs. 2, EStG § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1
Instanzenzug:
Gründe
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I. Die Beteiligten stritten im finanzgerichtlichen Verfahren darum, ob ein Vorteil für die private Nutzung eines betrieblichen Kraftfahrzeugs nach der sogenannten 1 %-Regelung einkommensteuerrechtlich als Vorteil i.S. des § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) anzusetzen ist, wenn arbeitsvertraglich ein Verbot ausgesprochen war, das Fahrzeug für private Fahrten zu nutzen.
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Dem Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) wurde von seinem Arbeitgeber ein Firmenfahrzeug für dienstliche Zwecke zur Verfügung gestellt. Er trug vor, das Fahrzeug nicht für private Zwecke genutzt zu haben. Er legte zum Beweis dafür ein Schreiben seines Arbeitgebers vor, in dem es heißt, dass der Geschäftswagen nicht für private Fahrten genutzt werden darf und für Dienstfahrten ein Fahrtenbuch zu führen ist. Zum Beweis dafür, dass das Verbot der privaten Nutzung des Firmenfahrzeugs von seinem Arbeitgeber nicht nur zum Schein ausgesprochen worden sei, beantragte der Kläger Beweiserhebung durch Zeugeneinvernahmen des Geschäftsführers und des Vertriebsdirektors seines Arbeitgebers.
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Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab, ohne die beantragte Beweiserhebung durchzuführen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) spreche aufgrund der allgemeinen Lebenserfahrung der Beweis des ersten Anscheins für eine auch private Nutzung des Dienstwagens. Der Anscheinsbeweis könne zwar durch den Gegenbeweis entkräftet oder erschüttert werden. Hierfür bedürfe es auch nicht des Beweises des Gegenteils. Insofern genüge es, einen Sachverhalt darzulegen, der die ernsthafte Möglichkeit eines anderen als des der allgemeinen Erfahrung entsprechenden Geschehensablaufs ergebe. Allerdings bedürften die Tatsachen, aus denen die Möglichkeit eines atypischen Geschehensablaufs abzuleiten sei, des vollen Beweises. Danach habe der Kläger den Anscheinsbeweis für eine private Nutzung des überlassenen Firmenfahrzeugs nicht entkräftet. Das ausgesprochene private Nutzungsverbot sei zweifelhaft und der Kläger habe auch nicht die ihm darin ebenfalls auferlegte Verpflichtung, für Dienstfahrten ein Fahrtenbuch zu führen, erfüllt.
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Das FG ließ die Revision nicht zu. Dagegen wendet sich der Kläger mit der Beschwerde. Er macht als Revisionszulassungsgrund Verfahrensmängel geltend.
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II. Die Beschwerde ist begründet. Die Vorentscheidung beruht auf einem Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Das angefochtene finanzgerichtliche Urteil wird gemäß § 116 Abs. 6 FGO aufgehoben und der Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.
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1. Das FG hat den entscheidungserheblichen Sachverhalt nicht vollständig aufgeklärt und damit gegen § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO verstoßen.
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a) Nach § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO hat das FG den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen und gemäß § 81 Abs. 1 Satz 2 FGO die erforderlichen Beweise zu erheben. Dabei hat es den entscheidungserheblichen Sachverhalt so vollständig wie möglich und bis zur Grenze des Zumutbaren, d.h. unter Ausnutzung aller verfügbaren Beweismittel aufzuklären. Ein ordnungsgemäß gestellter Beweisantrag darf nur unberücksichtigt bleiben, wenn das Beweismittel für die zu treffende Entscheidung unerheblich, das Beweismittel unerreichbar bzw. unzulässig oder absolut untauglich ist oder wenn die in Frage stehende Tatsache zugunsten des Beweisführenden als wahr unterstellt werden kann (vgl. Senatsentscheidungen vom VI B 131/07, BFH/NV 2008, 1475, m.w.N.; vom VI B 100/07, BFH/NV 2008, 219).
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b) Nach diesem Rechtsmaßstab hätte das FG auf Grundlage seiner Rechtsauffassung den angebotenen Zeugenbeweis zu der Frage der Ernsthaftigkeit des ausgesprochenen arbeitsrechtlichen Nutzungsverbots für das Fahrzeug erheben müssen.
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aa) Nach § 8 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG gilt für die Nutzung eines betrieblichen Kraftfahrzeugs zu privaten Fahrten die sogenannte 1 %-Regelung als eine grundsätzlich zwingende, stark typisierende und pauschalierende Bewertungsregelung, sofern kein ordnungsgemäßes Fahrtenbuch geführt wird (§ 8 Abs. 2 Satz 4 EStG). Die Regelung kommt allerdings nicht zur Anwendung, wenn eine Privatnutzung ausscheidet.
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Nach der Rechtsprechung des Senats spricht allerdings aufgrund der allgemeinen Lebenserfahrung der Beweis des ersten Anscheins für eine auch private Nutzung des Dienstwagens. Der Anscheinsbeweis kann durch den Gegenbeweis entkräftet oder erschüttert werden. Hierzu bedarf es jedoch nicht des Beweises des Gegenteils. Es genügt vielmehr, dass ein Sachverhalt dargelegt wird, der die ernstliche Möglichkeit eines anderen als des der allgemeinen Erfahrung entsprechenden Geschehensablaufs ergibt (vgl. , BFHE 215, 256, BStBl II 2007, 116; vom VI R 94/04, BFH/NV 2007, 1302; vom VI R 85/04, BFHE 221, 11, BStBl II 2008, 887). Die bloße Behauptung des Steuerpflichtigen, das betriebliche Fahrzeug nicht für Privatfahrten genutzt oder Privatfahrten ausschließlich mit anderen Fahrzeugen durchgeführt zu haben, genügt allerdings nicht, um die Anwendung der 1 %-Regelung auszuschließen (BFH-Beschlüsse vom VI B 123/08, BFH/NV 2009, 1434; vom VI B 93/08, Zeitschrift für Steuern & Recht 2009, R 746).
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bb) Von dieser Rechtsauffassung ist das FG grundsätzlich auch ausgegangen. Es hat allerdings seine Entscheidung, dass der Anscheinsbeweis für eine private Nutzung des Firmenfahrzeugs nicht entkräftet sei, im Wesentlichen auch darauf gestützt, dass das von der Arbeitgeberin ausgesprochene private Nutzungsverbot „zweifelhaft” sei. Angesichts dessen hat das FG zu Unrecht den Beweis über die Frage der Ernsthaftigkeit des ausgesprochenen privaten Nutzungsverbots nicht erhoben, obwohl für die Würdigung des FG, dass der Anscheinsbeweis nicht erschüttert worden sei, die Frage der Ernsthaftigkeit des ausgesprochenen privaten Nutzungsverbots offensichtlich entscheidungserheblich gewesen war.
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2. Der Kläger hat sein Rügerecht nicht verloren. Denn der gerügte Verfahrensverstoß ergab sich erst aus den Entscheidungsgründen selbst, so dass die rechtzeitige Rüge in der mündlichen Verhandlung nicht möglich war (BFH-Beschluss in BFH/NV 2008, 219, m.w.N.).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2010 S. 650 Nr. 4
DAAAD-37355