BFH Urteil v. - I R 25/09

Anwendung der Zuflussfiktion bei Gewinnanteilen stiller Gesellschafter

Leitsatz

Enthalten die Beteiligungsverträge zwischen einer GmbH und ihren stillen Gesellschaftern keine Vereinbarungen zum Zeitpunkt der Ausschüttung der jährlichen Gewinnanteile, kommt die Zuflussfiktion des § 44 Abs. 3 Satz 1 EStG zur Anwendung.
Bei Gutschrift der Gewinnanteile auf den Konten der stillen Gesellschafter gilt dies auch dann, wenn die Gewinnanteile diesen später nicht tatsächlich ausgezahlt wurden. Denn im Zuge der Verbuchung der Gewinnanteile im Jahresabschluss der GmbH und der entsprechenden Erfassung auf den Konten der stillen Gesellschafter sind die entsprechenden Gewinnanteile den Gesellschaftern im Sinne des § 11 Abs. 1 Satz 1 EStG zugeflossen.
Der Schuldner der Kapitalerträge handelt grob fahrlässig im Sinne des § 44 Abs. 5 Satz 1 EStG 1997, wenn er die Sorgfalt, zu der er nach den Umständen und seinen persönlichen Kenntnissen und Fähigkeiten verpflichtet und imstande ist, in ungewöhnlich hohem Ausmaß außer Acht lässt; dabei kann die ordnungsgemäße Beachtung der gesetzlichen Vorschriften steuerlicher Art von jedem kaufmännischen Leiter eines Gewerbebetriebes verlangt werden.

Gesetze: EStG § 20 Abs. 1 Nr. 4, EStG § 43 Abs. 1 Nr. 3, EStG § 44 Abs. 3, EStG § 44 Abs. 5, AO § 69, AO § 191, AO § 34 Abs. 1, EStG § 11 Abs. 1

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),

Gründe

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I. Streitig ist die Rechtmäßigkeit eines Haftungsbescheids.

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Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war Gesellschafter und Geschäftsführer der X GmbH (GmbH), zunächst neben einem weiteren Geschäftsführer, später (bis 2001) als alleiniger Geschäftsführer. Im Zusammenhang mit der Finanzierung eines Bauvorhabens waren Verträge über die Beteiligung von 82 Personen als stille Gesellschafter der GmbH geschlossen worden.

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Der Jahresabschluss der GmbH für 1999 wurde am aufgestellt. Die Gewinn- und Verlustrechnung weist einen Jahresüberschuss von 67.576 DM sowie abgeführte Gewinne („aufgrund einer Gewinngemeinschaft, eines Gewinnabführungs- oder Teilgewinnabführungsvertrags”) von 200.973 DM aus. Im Rahmen einer Außenprüfung wurde in 2001 darauf hingewiesen, dass die Anmeldung der Kapitalertragsteuer und des darauf entfallenden Solidaritätszuschlags bezüglich der Gewinnanteile der stillen Gesellschafter für 1999 noch nicht beim Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt —FA—) eingereicht worden sei. Die nunmehrige Geschäftsführerin der GmbH reichte am „... nochmals eine Kopie” einer von ihr unterzeichneten Kapitalertragsteueranmeldung für Juli 2000 ein. Darin wurden als Kapitalerträge mit Steuerabzug nach § 43a Abs. 1 Nr. 1 bis 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) 1997 Einnahmen aus stiller Gesellschaft für das Kalenderjahr/Wirtschaftsjahr 1999 von 200.973 DM, Kapitalertragsteuer von 50.243 DM (25 %) und Solidaritätszuschlag zur Kapitalertragsteuer von 2.763 DM (5,5 %) angemeldet. Die GmbH zahlte die angemeldeten Beträge nur teilweise; später (in 2002) wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der GmbH eröffnet. Das Insolvenzverfahren ist noch nicht abgeschlossen.

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Das FA nahm den Kläger mit Haftungsbescheid vom in Höhe von insgesamt 28.397 € nach § 69 der Abgabenordnung (AO) in Haftung (Kapitalertragsteuer: 23.850,28 €; Solidaritätszuschlag zur Kapitalertragsteuer: 1.412,89 €; Säumniszuschläge: 3.133,97 €). Die Begründung für das Vorliegen des Haftungstatbestands und die Ermessensentscheidung erläuterte das FA in einer Anlage 2 zum Haftungsbescheid. Im Einspruchsverfahren wurde die Haftungssumme auf einen Betrag von 25.161,65 € herabgesetzt. Die Klage blieb im Wesentlichen erfolglos (Finanzgericht —FG— Nürnberg, Urteil vom 4 K 387/2007, Entscheidungen der Finanzgerichte 2009, 1391).

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Mit der Revision rügt der Kläger eine Verletzung materiellen und formellen Rechts. Er beantragt, das angefochtene Urteil und den Haftungsbescheid in der Gestalt der Einspruchsentscheidung aufzuheben.

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Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

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II. Die Revision ist —soweit sie nicht wegen fehlender Beschwer im Umfang des stattgebenden Teiles des angefochtenen Urteils unzulässig ist— unbegründet. Sie ist daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der FinanzgerichtsordnungFGO—). Der Haftungsbescheid vom in Gestalt des angefochtenen Urteils ist rechtmäßig, weil der Kläger gemäß § 69 Satz 1 i.V.m. § 34 Abs. 1 AO für die durch die Gutschrift der Gewinnanteile der stillen Gesellschafter ausgelöste Kapitalertragsteuer (einschließlich Solidaritätszuschlag und Nebenleistungen) haftet.

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1. Nach § 191 Abs. 1 Satz 1 AO kann durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden, wer kraft Gesetzes für eine Steuer haftet. Dabei haftet der Geschäftsführer als gesetzlicher Vertreter der GmbH gemäß § 69 Satz 1 i.V.m. § 34 Abs. 1 AO und i.V.m. § 35 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung für Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis, wenn diese infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihm auferlegten Pflichten der GmbH gegenüber nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt werden. Die Haftung bezieht sich nach § 69 Satz 2 AO auch auf die infolge der Pflichtverletzung zu zahlenden Säumniszuschläge.

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2. Die von der GmbH den stillen Gesellschaftern zugewiesenen Gewinnanteile unterlagen als Kapitalerträge gemäß § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 i.V.m. § 20 Abs. 1 Nr. 4 EStG 1997 der Kapitalertragsteuer. Diese entsteht gemäß § 44 Abs. 1 Satz 2 EStG 1997 in dem Zeitpunkt, in dem die Kapitalerträge dem Gläubiger zufließen. Als Schuldnerin der Kapitalerträge hatte die GmbH gemäß § 44 Abs. 1 Satz 3 EStG 1997 den Steuerabzug für Rechnung der stillen Gesellschafter —der Schuldner der Kapitalertragsteuer (§ 44 Abs. 1 Satz 1 EStG 1997)— vorzunehmen. Soweit die angemeldete Steuer nicht gezahlt wurde, haftet die GmbH gemäß § 44 Abs. 5 Satz 1 EStG 1997 für die Kapitalertragsteuer; für diese Schuld hat der Kläger gemäß § 69 Satz 1 AO einzustehen.

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a) Die GmbH war hinsichtlich der für das Wirtschaftsjahr 1999 den stillen Gesellschaftern zuzuweisenden Gewinnanteile zur Anmeldung und Abführung einer Kapitalertragsteuer verpflichtet. Da der Jahresabschluss der GmbH für das Kalenderjahr 1999 am aufgestellt wurde, war diese verpflichtet, spätestens bis zum beim FA die Kapitalertragsteueranmeldung für die im Jahresabschluss zum ausgewiesenen Gewinnanteile der stillen Gesellschafter einzureichen und die Kapitalertragsteuer sowie den darauf entfallenden Solidaritätszuschlag abzuführen.

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aa) Nach der Fiktion des § 44 Abs. 3 Satz 1 EStG 1997 gilt bei Einnahmen aus der Beteiligung an einem Handelsgewerbe als stiller Gesellschafter als für die Entstehung der Kapitalertragsteuer maßgebender Zuflusszeitpunkt der Tag nach der Aufstellung der Bilanz oder einer sonstigen Feststellung des Gewinnanteils des stillen Gesellschafters. Der Zufluss gilt jedoch als spätestens sechs Monate nach Ablauf des Wirtschaftsjahres erfolgt, für das der Kapitalertrag ausgeschüttet oder gutgeschrieben werden soll, wenn in dem Beteiligungsvertrag über den Zeitpunkt der Ausschüttung keine Vereinbarung getroffen worden ist. Der Gesetzgeber hat insoweit eine von der allgemeinen Regelung des § 44 Abs. 1 Satz 2 EStG 1997 abweichende Sonderregelung eingeführt (s. Lindberg, Die Besteuerung der Kapitaleinkünfte, 1996, Rz C 158).

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bb) Die Zuflussfiktion kommt im Streitfall zur Anwendung. Denn die Beteiligungsverträge zwischen der GmbH und den stillen Gesellschaftern enthielten keine Vereinbarungen zum Zeitpunkt der Ausschüttung der jährlichen Gewinnanteile. Aus den vom FG festgestellten „Vertragsbedingungen” der stillen Gesellschaft lässt sich nur ableiten, dass Gewinnanteile dem „Privatkonto” des jeweiligen Gesellschafters gutzuschreiben waren und dass die GmbH ein Guthaben auf dem Privatkonto (z.B. um eine eigene Zinsbelastung abzuwenden) jederzeit auszahlen konnte. Dass sich aus der Laufzeit der Gesellschaftsverträge ein Zeitpunkt errechnen lässt, an dem es zu einer Schlussabrechnung der verschiedenen für jeden stillen Gesellschafter jeweils —unter Berücksichtigung des vertraglich vereinbarten Entnahmeverbots und der Möglichkeit der Verlustverrechnung— geführten Konten kommen sollte, ist für die Entstehung der Kapitalertragsteuer nicht maßgebend.

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cc) Die Zuflussfiktion wäre auch anzuwenden, wenn die Gewinnanteile den stillen Gesellschaftern später nicht tatsächlich ausgezahlt worden sein sollten (s. z.B. Lindberg in Blümich, EStG/KStG/GewStG, § 44 EStG Rz 16; Weber-Grellet in Schmidt, EStG, § 44 Rz 3; Lindberg, a.a.O., Rz C 160). Denn im Zuge der Verbuchung der Gewinnanteile im Jahresabschluss der GmbH und der entsprechenden Erfassung auf den Konten der stillen Gesellschafter sind die entsprechenden Gewinnanteile den Gesellschaftern i.S. des § 11 Abs. 1 Satz 1 EStG zugeflossen (z.B. , BFHE 184, 21, BStBl II 1997, 755; F. Dötsch in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 20 Rz F 202; Blaurock, Handbuch der Stillen Gesellschaft, 6. Aufl., Rz 22.137; Fleischer/Thierfeld, Stille Gesellschaft im Steuerrecht, 8. Aufl., S. 105 f.). Der wirtschaftliche Verbrauch der Einlage eines stillen Gesellschafters durch eine Verlustbeteiligung tritt erst im Zeitpunkt der entsprechenden Buchung ein (s. z.B. , BFH/NV 1998, 300; vom VIII R 21/06, BFHE 219, 165, BStBl II 2008, 126) und berührt daher schon unter diesem zeitlichen Aspekt den früheren Zufluss von Gewinnanteilen nicht (zu einer in der Grundstruktur vergleichbaren Situation —Zufluss von Gewinnanteilen, auch wenn diese dazu dienen, die durch frühere Verlustanteile geminderte Vermögenseinlage des stillen Gesellschafters wieder aufzufüllen— Senatsurteil vom I R 55/85, BFHE 162, 19, BStBl II 1991, 147; zustimmend z.B. F. Dötsch in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, a.a.O., § 20 Rz F 203; Blaurock, a.a.O., Rz 22.139; Fleischer/ Thierfeld, a.a.O., S. 105 f.).

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b) Der Kläger hat den Nachweis nicht erbracht, dass die Haftung der GmbH gemäß § 44 Abs. 5 Satz 1 EStG 1997 ausgeschlossen war, weil beim Unterlassen der zeitgerechten Steueranmeldung weder grob fahrlässig noch vorsätzlich gehandelt wurde.

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aa) Der Schuldner der Kapitalerträge haftet nach § 44 Abs. 5 Satz 1 EStG 1997 für die Kapitalertragsteuer, die er einzubehalten und abzuführen hat, es sei denn, er weist nach, dass er die ihm auferlegten Pflichten weder vorsätzlich noch grob fahrlässig verletzt hat. Grob fahrlässig handelt, wer die Sorgfalt, zu der er nach den Umständen und seinen persönlichen Kenntnissen und Fähigkeiten verpflichtet und imstande ist, in ungewöhnlich hohem Ausmaß außer Acht lässt; dabei kann die ordnungsgemäße Beachtung der gesetzlichen Vorschriften steuerlicher Art von jedem kaufmännischen Leiter eines Gewerbebetriebes verlangt werden (z.B. , BFH/NV 1995, 941).

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bb) Nach den unstreitig gebliebenen Feststellungen des FG kannte der Kläger —als Geschäftsführer der GmbH— die Verpflichtung zur Kapitalertragsteueranmeldung und -zahlung aus den Vorjahren. Denn für die Jahre bis 1998 hatte der Kläger für die GmbH auf die Gutschrift der Gewinnanteile der stillen Gesellschafter bezogene Kapitalsteueranmeldungen eingereicht und Zahlungen geleistet. Der Umstand, dass sich aus dem Mitte 2000 abzeichnenden Geschäftsergebnis dieses Wirtschaftsjahres ein Verlust der GmbH ergeben würde, der anteilig auch von den stillen Gesellschaftern zu tragen sein sollte, kann die GmbH —und damit den Kläger— aus den unter II.2.a cc ausgeführten Gründen nicht entlasten. Etwaigen eigenen Zweifeln an der Rechtslage hätte der Kläger (für die GmbH) durch das Einholen von Rechtsrat begegnen müssen, bzw. er hätte seine Zweifel gegenüber dem FA offenlegen können.

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c) Da die übrigen Voraussetzungen für die Rechtmäßigkeit einer Inanspruchnahme des Klägers als Haftender gemäß §§ 69, 191 AO zwischen den Beteiligten nicht streitig sind, verzichtet der Senat insoweit auf weitere Ausführungen.

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3. Die Verfahrensrüge des Klägers (Verletzung der Amtsermittlungspflicht des § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO) hat keinen Erfolg. So kann aus dem Umstand, dass der Tatbestand des angefochtenen Urteils nicht alle vom Kläger für entscheidungserheblich erachteten Einzelregelungen der Vertragsbedingungen der stillen Gesellschaft ausdrücklich anführt, nicht abgeleitet werden, dass das FG die Vertragsbedingungen nicht in Gänze zur Kenntnis genommen hat. Durch den Zusatz „u.a.” im Tatbestand vor dem wörtlichen Zitat einzelner Vertragsbedingungen hat das FG ausreichend deutlich gemacht, dass es den gesamten Vertragsinhalt in seine Würdigung einbezogen hat. Derselbe Befund gilt für die Steuerakten des Jahres 2000, die das FG im Tatbestand der angefochtenen Entscheidung ausdrücklich —neben weiterem Aktenmaterial— angeführt hat.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2010 S. 620 Nr. 4
GmbHR 2010 S. 447 Nr. 8
FAAAD-37337