BSG Urteil v. - B 8 SO 19/08 R

Leitsatz

Leitsatz:

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Instanzenzug: SG Duisburg, S 2 (32) SO 32/05 vom

Gründe

I

Der Kläger verlangt die Erstattung der Kosten für eine in der Zeit vom 1. bis durchgeführte Maßnahme (so genannte "Petö-Block-Therapie").

Der im Jahre 1998 geborene Kläger leidet an einer Zerebralparese. Er wurde im Herbst 2004 eingeschult und besucht eine behindertengerechte Gemeinschaftsschule. Im Mai 2005 beantragte er bei der Stadt Mühlheim an der Ruhr die Übernahme der Kosten für eine in der Zeit vom 1. bis durchzuführende "Petö-Block-Therapie" als Eingliederungshilfe; zuvor hatte die Techniker Krankenkasse die Übernahme der Kosten abgelehnt, ohne die Sache zur weiteren Bearbeitung an den Sozialhilfeträger weiterzuleiten. Auch der Beklagte lehnte den vom Kläger bei ihm gestellten Antrag ab (Bescheid vom ; Widerspruchsbescheid vom ).

Das Sozialgericht (SG) Duisburg hat die auf Erstattung der Kosten gerichtete Klage abgewiesen (Urteil vom ). Zur Begründung seiner Entscheidung hat es ausgeführt, für die Übernahme der Kosten der durchgeführten Petö-Therapie fehle eine Anspruchsgrundlage. Insbesondere stehe einer Förderung als Eingliederungshilfe im Rahmen der medizinischen Rehabilitation nach §§ 53, 54 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) iVm § 26 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - (SGB IX) § 54 Abs 1 Satz 2 SGB XII entgegen. Danach könnten Leistungen zur medizinischen Rehabilitation - um eine solche handele es sich bei dem Heilmittel der Petö-Therapie - nur übernommen werden, wenn sie (auch) den Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) entsprächen. Dies sei aber für die Petö-Therapie nicht der Fall, weil der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) deren therapeutischen Nutzen nicht anerkannt habe (§ 138 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung - [SGB V]). Eine Kostenübernahme nach § 55 Abs 2 SGB IX im Rahmen der Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft iVm den Regelungen der §§ 53, 54 SGB XII (soziale Rehabilitation) komme nicht in Betracht, weil die Petö-Therapie zu den medizinischen Rehabilitationsleistungen zähle.

Mit der Sprungrevision rügt der Kläger, § 54 Abs 1 Satz 2 SGB XII könne entgegen der Ansicht des SG und des Beklagten nicht angewendet werden. Die Petö-Therapie stelle auch eine Form von Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft dar, für die der Sozialhilfeträger die entsprechenden Therapiekosten zu übernehmen habe. Das Sozialstaatsprinzip gebiete insoweit die Gewährung weiter gehender Leistungen, als sie von der GKV zu erbringen seien. Nur durch die Petö-Therapie könne er Fähigkeiten erlangen, die hohen alltagspraktischen Nutzen hätten und großen Gewinn nicht nur für seine Mobilität, sondern auch für seine gesellschaftliche Integration, insbesondere für den Schulbesuch, brächten. Die Therapie habe für ihn bereits zu erheblichen Fortschritten bei der Wahrnehmung des Unterrichts in der von ihm besuchten Schule geführt.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des SG sowie den Bescheid vom in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, die Kosten für die Therapie in dem Zentrum für Konduktive Therapie, in der Zeit vom 1. bis dem Grunde nach zu erstatten.

Der Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er ist der Ansicht, das Bundessozialgericht (BSG) habe bereits entschieden, dass bei der Petö-Therapie der medizinische Charakter der Fördermaßnahme im Vordergrund stehe. Deshalb scheide eine Übernahme der Kosten wegen § 54 Abs 1 Satz 2 SGB XII aus. Daneben kämen Leistungen der sozialen Rehabilitation nicht in Betracht.

II

Die Sprungrevision des Klägers ist zulässig. Zwar ist sie durch (nachträglichen) fehlerhaft ohne Beteiligung der ehrenamtlichen Richter zugelassen worden; gleichwohl ist der Senat nach § 161 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) an die Zulassung der Sprungrevision gebunden (Senatsurteil vom - B 8/9b SO 13/06 R - RdNr 9).

Die Revision des Klägers ist auch im Sinne der Zurückverweisung der Sache an das Landessozialgericht (LSG) zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 und Abs 4 SGG), weil das Verfahren an einem von Amts wegen zu beachtenden Verfahrensmangel leidet und eine abschließende Entscheidung nicht möglich ist. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist der Bescheid des Beklagten vom in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom (§ 95 SGG), gegen den sich der Kläger mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 und 4, § 56 SGG) wendet.

Das SG hätte die Techniker Krankenkasse gemäß § 75 Abs 2 Satz 1 1. Alt SGG in das Verfahren einbeziehen müssen. Nach dieser Vorschrift sind Dritte beizuladen, wenn sie an dem streitigen Rechtsverhältnis derart beteiligt sind, dass die Entscheidung auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann (echte notwendige Beiladung). Trotz der Regelung des § 161 Abs 4 SGG ist der Verfahrensfehler des SG vom Senat zu berücksichtigen; denn das Verbot des § 161 Abs 4 SGG, wonach die Sprungrevision nicht auf Mängel des Verfahrens gestützt werden kann, bezieht sich nicht auf von Amts wegen zu beachtende Verfahrensfehler - wie die versäumte notwendige echte Beiladung (vgl nur BSGE 93, 283 ff RdNr 5 = SozR 4-3250 § 14 Nr 1) -, sondern nur auf solche, für die in der Revisionsinstanz eine Rügepflicht besteht (vgl nur Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 161 RdNr 10b mwN zur Rechtsprechung).

Die Voraussetzungen einer notwendigen echten Beiladung liegen vor; die vom Kläger begehrte Entscheidung ist im Hinblick auf § 14 SGB IX nur einheitlich auch gegenüber der Techniker Krankenkasse möglich (vgl BSGE 93, 283 ff RdNr 5 = SozR 4-3250 § 14 Nr 1); dies gilt denknotwendig nicht nur bei einer Klage gegen den im Außenverhältnis zuständig gewordenen, sondern auch - wie vorliegend - gegen den im Innenverhältnis eigentlich zuständigen Leistungsträger. Insoweit hat das SG übersehen, dass die Techniker Krankenkasse nach § 14 Abs 2 Satz 1 SGB IX für die Entscheidung über die Leistung und damit auch für die Erbringung der Leistung zuständig geworden ist. Nach § 14 Abs 2 Satz 1 SGB IX stellt nämlich der Rehabilitationsträger den (gesamten) Rehabilitationsbedarf unverzüglich fest, wenn der Antrag - wie hier - nicht an einen anderen (zuständigen) Rehabilitationsträger weitergeleitet worden ist (BSGE 93, 283 ff RdNr 9 = SozR 4-3520 § 14 Nr 1; BSGE 101, 207 ff RdNr 29 ff = SozR 4-3250 § 14 Nr 7; BSGE 102, 90 ff RdNr 24; - RdNr 22).

Die vom Kläger beantragte Leistung ist eine Leistung zur Teilhabe iS des § 14 SGB IX, dh eine solche der §§ 4, 5 SGB IX. Dabei kann dahinstehen, ob es sich bei der Petö-Therapie auch nach dem Leistungsrecht der GKV um medizinische Rehabilitation handelt (vgl § 27 Abs 1 Satz 2 SGB V); denn § 14 SGB IX gilt seiner Intention nach auch in den Fällen, in denen eine Leistung beantragt wird, die von einem anderen in § 6 SGB IX genannten Träger als Rehabilitationsleistung zu erbringen wäre, wenn der erstangegangene Leistungsträger jedenfalls Rehabilitationsträger iS des § 6 SGB IX ist, wie dies für die Techniker Krankenkasse zutrifft (vgl BSGE 101, 207 ff RdNr 28 = SozR 4-3250 § 14 Nr 7). Vorliegend kam ein Leistungsanspruch gegen den Sozialhilfeträger nach den Vorschriften über die Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft in Betracht (§§ 53, 54 SGB XII). Die Zuständigkeit der Techniker Krankenkasse im Außenverhältnis zum Kläger ist auch nicht dadurch entfallen, dass der Kläger nach der Ablehnung von Leistungen nach dem SGB V durch die Krankenkasse mögliche Ansprüche nach dem SGB XII nicht mehr dieser gegenüber, sondern dann gegenüber dem Träger der Sozialhilfe verfolgt hat; eine nach § 14 SGB IX begründete Zuständigkeit ist endgültig (BSGE 93, 283 ff RdNr 8 = SozR 4-3250 § 14 Nr 1; BSGE 101, 207 ff RdNr 29 ff = SozR 4-3250 § 14 Nr 7). § 14 SGB IX soll nicht nur im Interesse des behinderten Menschen Zuständigkeitszweifel beseitigen; die Vorschrift soll vielmehr auch Rechtssicherheit schaffen, indem eine - im Außenverhältnis - einmal begründete Zuständigkeit erhalten bleibt (vgl BSG aaO; aA wohl, jedoch in einem obiter dictum, BSG SozR 4-3250 § 14 Nr 3 RdNr 32; offen gelassen in BSGE 102, 90 ff RdNr 24).

Von einer Nachholung der Beiladung mit Zustimmung der Beizuladenden gemäß § 168 Satz 2 SGG hat der Senat abgesehen, weil die Sache aus anderen Gründen ohnedies mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen an die Tatsacheninstanz zurückzuverweisen wäre. Dies gilt bereits für die Frage der sachlichen Zuständigkeit des Beklagten. Ist die Maßnahme ambulant durchgeführt worden, wovon alle Beteiligten wohl ausgehen, wäre zuständiger Leistungsträger die Stadt Mühlheim an der Ruhr (§ 97 Abs 1, § 98 Abs 1 SGB XII iVm § 3 Abs 2 Satz 1 SGB XII; §§ 1, 2 Landesausführungsgesetz zum SGB XII [AG-SGB XII] für das Land Nordrhein-Westfalen [NRW] vom - Gesetz- und Verordnungsblatt [GVBl] NRW 816 - iVm der Ausführungsverordnung zum SGB XII [AV-SGB XII] des Landes NRW vom - GVBl NRW 817). Falls die Therapie jedoch stationär oder teilstationär durchgeführt worden sein sollte, käme eine sachliche Zuständigkeit des überörtlichen Trägers der Sozialhilfe (Landschaftsverband Rheinland) in Betracht (§ 2 Abs 1 Nr 1 Buchst a AV-SGB XII NRW); normativ ist eine Heranziehung der örtlichen Träger insoweit nicht erfolgt (vgl § 3 Abs 1 AG-SGB XII NRW iVm der Satzung des Landschaftsverbandes Rheinland über die Heranziehung des örtlichen Trägers der Sozialhilfe und der kreisangehörigen Gemeinden zur Durchführung von Aufgaben des überörtlichen Trägers der Sozialhilfe vom - GVBl NRW 20). Auch dessen Direktor müsste deshalb vom LSG ggf beigeladen werden (§ 75 Abs 2 SGG).

Richtiger Klagegegner ist (institutionell) der Oberbürgermeister der Stadt Mühlheim an der Ruhr. Für diese handelt nämlich der Oberbürgermeister als beteiligtenfähige Behörde (§ 70 Nr 3 SGG iVm § 3 Gesetz zur Ausführung des SGG im Land NRW vom - GVBl NRW 412 - iVm § 62 Abs 1 und § 63 Abs 1 Satz 1 Gemeindeordnung für das Land NRW idF der Bekanntmachung vom - GVBl NRW 666). Dem kann nicht entgegengehalten werden, angesichts des Fehlens einer § 78 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) vergleichbaren Regelung habe der Kläger ein Wahlrecht, die Behörde oder die dahinter stehende juristische Person zu verklagen. Nach § 78 Abs 1 Nr 2 VwGO muss das Landesrecht bestimmen, ob bzw dass die Klage gegen die Behörde selbst zu richten ist; ergänzend hierzu wird in § 61 Nr 3 VwGO eine Beteiligtenfähigkeit der Behörde vor den Verwaltungsgerichten normiert. Im SGG ist demgegenüber in § 70 Nr 3 nur die landesrechtliche Regelung über die Beteiligtenfähigkeit der Behörde als solche vorgesehen, ohne dass das SGG eine gesetzliche Ermächtigung des Landesgesetzgebers dazu enthält, wann bzw ob die Klage gegen die Behörde zu richten ist. Der Bundesgesetzgeber hat im SGG unausgesprochen vorausgesetzt, dass dann, wenn das Landesrecht eine Beteiligtenfähigkeit der Behörde anordnet, zwangsläufig auch diese Behörde der richtige Beklagte, Kläger oder Beigeladene - also der richtige Beteiligte - ist. Ein Wahlrecht ist an keiner Stelle eingeräumt; vielmehr ist davon auszugehen, dass § 70 Nr 3 SGG wie im Übrigen § 70 Nr 2 SGG als speziellere Regelung § 70 Nr 1 SGG verdrängt. Dies bedeutet: Hat ein Land das Behördenprinzip eingeführt, ist die Klage gegen die Behörde zu richten. Allerdings dürfte es den Klägern regelmäßig gleichgültig sein, wer der richtige Beklagte ist, sodass die Bezeichnung in der Klageschrift auslegungsfähig ist. Demgemäß hat das SG zu Recht den Oberbürgermeister in das Rubrum des Urteils aufgenommen.

Wegen der Zurückverweisung der Sache zur Nachholung der Beiladung ist der Senat allerdings gehindert, über die im Zusammenhang mit einem möglichen Anspruch sich ergebenden materiellrechtlichen Fragen bindend zu entscheiden (§ 170 Abs 5 SGG), weil anderenfalls das rechtliche Gehör (§ 62 SGG, Art 103 Abs 1 Grundgesetz, Art 6 Abs 1 Europäische Menschenrechtskonvention) der Beizuladenden verletzt würde (vgl dazu: Senatsurteil vom - B 8 SO 29/07 R - RdNr 14; BSGE 97, 242 ff RdNr 17 = SozR 4-4200 § 20 Nr 1).

Ein Anspruch des Klägers auf Erstattung der Kosten der im August 2005 durchgeführten Therapie kann sich aus § 19 Abs 3 SGB XII (in der Normfassung des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das SGB vom - BGBl I 3022) iVm §§ 53 f SGB XII ergeben. Dabei ist auch zu beachten, ob die Maßnahme stationär bzw teilstationär durchgeführt worden ist, sodass originär ein Sachleistungsanspruch bestanden haben könnte (vgl zur vollstationären Maßnahme: BSGE 102, 1 ff = SozR 4-1500 § 75 Nr 9). In diesem Falle käme zusätzlich § 15 Abs 1 Satz 4 SGB IX zur Anwendung, nach dem an die Stelle des Sachleistungsanspruchs ein Erstattungsanspruch getreten wäre (vgl hierzu Senatsurteil vom - B 8 SO 32/07 R - RdNr 12). Ggf wird in diesem Zusammenhang darüber zu befinden sein, ob bzw inwieweit dann die Voraussetzungen des § 75 Abs 3 und 4 SGB XII vorliegen müssen.

Das LSG wird auch darüber zu befinden haben, ob die beizuladende Techniker Krankenkasse mit ihrer Entscheidung über die Leistungsablehnung - was nahe liegt - bereits bestandskräftig im Rahmen ihrer Zuständigkeit nach § 14 SGB IX (konkludent) auch eine Leistung der Eingliederungshilfe nach dem SGB IX abgelehnt hat, selbst wenn sie nicht ausdrücklich darüber befunden hat. Dann käme § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) zur Anwendung; allerdings dürfte - dem Schutzzweck des § 14 SGB IX entsprechend - bei der Vierjahresfrist für die rückwirkende Leistungserbringung auf die Antragstellung bei dem Beklagten abzustellen sein (nicht ganz eindeutig BSGE 101, 207 ff RdNr 51 = SozR 4-3250 § 14 Nr 7).

Ein Leistungsanspruch des Klägers könnte sich aus §§ 53, 54 Abs 1 SGB XII (in den Normfassungen des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das SGB) iVm § 55 Abs 1 und 2 SGB IX bzw aus §§ 53, 54 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB XII ergeben. Das LSG wird die jeweiligen Voraussetzungen - auch die Bedürftigkeit - näher zu prüfen haben. Nach § 55 Abs 1 SGB IX, auf den § 54 Abs 1 SGB XII verweist, werden Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft erbracht, die dem behinderten Menschen die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft ermöglichen oder sichern oder sie so weit wie möglich unabhängig von Pflege machen und nach den Kapiteln 4 bis 6 nicht erbracht werden. Leistungen der Eingliederungshilfe sind nach § 55 Abs 2 SGB IX ua Hilfen zum Erwerb praktischer Kenntnisse und Fähigkeiten, die erforderlich und geeignet sind, behinderten Menschen die für sie erreichbare Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen (Nr 3). Insbesondere unter Berücksichtigung des umfassenden Förderungspostulats des § 4 SGB IX liegt es nahe, diese Regelung als Auffangnorm zu verstehen, nach der auch die Erbringung heilpädagogischer Hilfe ermöglicht wird (Löschau in Gemeinschaftskommentar SGB IX, § 55 RdNr 56, Stand August 2004, und § 56 RdNr 24, Stand Mai 2005). Darüber hinaus macht die Formulierung des § 55 Abs 2 SGB IX ("insbesondere") ohnedies deutlich, dass es sich bei der Aufzählung in § 55 Abs 2 SGB IX nicht um eine abschließende Regelung handelt. Die Frage der Klassifizierung als heilpädagogische Leistung ist deshalb nur insoweit von Bedeutung, als es um die weiteren Voraussetzungen des § 56 SGB IX für die Erbringung heilpädagogischer Leistungen geht.

Vorrangig wird das LSG allerdings zu prüfen haben, ob die Voraussetzungen des § 54 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB XII zu bejahen sind. Danach gehören zu den Leistungen der Eingliederungshilfe Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung, insbesondere im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht und zum Besuch weiterführender Schulen einschließlich der Vorbereitung hierzu. Nach § 12 Nr 1 der Verordnung zu § 60 SGB XII (Eingliederungshilfe-Verordnung [Eingliederungshilfe-VO] in der Normfassung des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch) umfasst die Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung iS des § 54 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB XII auch heilpädagogische sowie sonstige Maßnahmen zu Gunsten körperlich und geistig behinderter Kinder und Jugendlicher, wenn die Maßnahmen erforderlich und geeignet sind, dem behinderten Menschen den Schulbesuch im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht zu ermöglichen und zu erleichtern. Nach dem Gesamtzusammenhang der tatsächlichen Feststellungen des SG kann zwar davon ausgegangen werden, dass der Kläger durch eine Behinderung iS von § 2 Abs 1 Satz 1 SGB IX wesentlich in seiner Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt ist (§ 53 Abs 1 Satz 1 SGB XII). Ob die im August 2005 durchgeführte Therapie allerdings unter Berücksichtigung des § 9 SGB XII geeignet und erforderlich iS des § 12 Nr 1 Eingliederungshilfe-VO war, dem Kläger den Schulbesuch im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht zumindest zu erleichtern, lässt sich anhand der bisherigen tatsächlichen Feststellungen nicht entscheiden.

Einer Leistungspflicht im Rahmen der Leistungen zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben (soziale Rehabilitation) steht nicht entgegen, dass es sich bei der im August 2005 durchgeführten Maßnahme wohl - auch hierzu fehlen allerdings genaue Feststellungen - um die - wovon die Beteiligten und das SG ausgehen - so genannte Petö-Therapie handelt, die nach der Rechtsprechung des BSG nicht zum Leistungsangebot der GKV gehört, weil die Voraussetzungen der §§ 138, 92 Abs 1 Satz 2 Nr 6 SGB V nicht vorliegen (BSG SozR 4-2500 § 18 Nr 1). Das BSG hat diese Therapie als (neues) Heilmittel iS des § 27 Abs 1 Satz 2 Nr 3, § 32 SGB V eingestuft, das der GBA mittlerweile in die Anlage der nicht verordnungsfähigen Heilmittel zu den Heilmittelrichtlinien (§ 92 Abs 1 Satz 2 Nr 6 SGB V) aufgenommen hat (s "Bekanntmachung eines Beschlusses des GBA über eine Änderung der Richtlinie über die Verordnung von Heilmitteln in der vertragsärztlichen Versorgung - Heilmittel-Richtlinien" - BAnz vom , S 4995). Die Klassifizierung als Heilmittel im Sinne der GKV, mit der Folge, dass eine Leistungserbringung als Heilmittel wegen § 54 Abs 1 Satz 2 SGB XII auch nicht im Rahmen der medizinischen Rehabilitation (§ 26 SGB IX) möglich ist, bedeutet indes nicht, dass eine Leistungserbringung nicht unter einer anderen Zielsetzung möglich ist.

Die Abgrenzung von Leistungen zur medizinischen Rehabilitation von Leistungen zur sozialen Rehabilitation erfolgt nämlich nicht nach den in Betracht kommenden Leistungsgegenständen; entscheidend ist vielmehr der Leistungszweck. Leistungszwecke des SGB V bzw der medizinischen Rehabilitation und der sozialen Rehabilitation können sich überschneiden; darauf hat der Senat bereits im Zusammenhang mit der Übernahme der Kosten von Hilfsmitteln iS von § 31 SGB IX hingewiesen (Senatsurteil vom - B 8 SO 32/07 R - RdNr 17). Die Zwecksetzung der Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft ist mit der Zwecksetzung der Leistungen der GKV nicht identisch (BSG aaO; - RdNr 15); insbesondere verfolgen die Leistungen nach § 54 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB XII mit der Erleichterung des Schulbesuchs über die Zwecke der GKV hinausgehende Ziele.

§ 54 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB XII iVm § 12 Nr 1 Eingliederungshilfe-VO liegt dabei auch ein stärker individualisiertes Förderverständnis zu Grunde als den Leistungen zur Heilmittelversorgung der GKV, die generell der Begrenzung des § 138 SGB V unterliegen. Dieser individualisierende Ansatz zeigt sich auch in § 9 Abs 2 Satz 1 SGB XII und § 9 Abs 1 SGB IX, die es ermöglichen, den Wünschen der Leistungsberechtigten Rechnung zu tragen. Zwar enthält auch § 2a SGB V eine Regelung, wonach den besonderen Belangen Behinderter und chronisch kranker Menschen Rechnung zu tragen ist; die Leistungsbegrenzung des § 138 SGB V kann dadurch aber nicht ausgeschaltet werden (vgl nur Plagemann in juris Praxiskommentar SGB V [juris PK-SGB V], § 2a RdNr 13 ff mwN). Insbesondere kann dadurch nicht der Leistungsrahmen der § 27 Abs 1 Satz 1 Nr 3, § 32 SGB V über § 11 Abs 2 SGB V erweitert werden (aA Lachwitz, Handkommentar zum SGB IX, 3. Aufl 2010, § 30 SGB IX RdNr 53 f). Auch das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) hatte bereits zu § 40 Abs 1 Nr 3 Bundessozialhilfegesetz aF (iVm § 12 Nr 1 Eingliederungshilfe-VO), einer Vorgängervorschrift des § 54 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB XII, hervorgehoben, dass sich der Verordnungsgeber in § 12 Nr 1 Eingliederungshilfe-VO mit der Prüfung der Geeignetheit und Erforderlichkeit im Einzelfall begnügt habe und dies mit historisch-systematischen und teleologischen Erwägungen begründet ( -, FEVS 53, 499 ff). An diesem individuellen Prüfungsmaßstab hat sich auch mit den Neuregelungen des Rehabilitations- und Teilhaberechts nach Inkrafttreten des SGB IX nichts geändert. Nach wie vor stellt das Gesetz bei den Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft die Besonderheiten des Einzelfalls in den Vordergrund. Nach wie vor knüpft die Möglichkeit einer Förderung auch an die (individuell zu bestimmende) "Aussicht" auf Erfolg an.

Vor diesem Hintergrund lässt sich auch aus dem Beschluss des GBA nicht ableiten, dass die Petö-Therapie generell ungeeignet wäre, die Schulfähigkeit eines an Zerebralparese leidenden Kindes zu verbessern. Denn dem Beschluss liegt gerade - abgesehen davon, dass er von den engeren Zielen der GKV ausgeht - kein individueller Maßstab zu Grunde; das Verfahren des GBA dient vielmehr nicht nur der Feststellung des "allgemein anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse" (vgl § 2 Abs 1 Satz 3 SGB V), sondern auch der Wirtschaftlichkeit des § 12 SGB V aus Gründen der Einheitlichkeit (BSG SozR 3-2500 § 135 Nr 21 S 115; s auch Koch in juris PK-SGB V, § 138 RdNr 17 f mwN).

Sollte sich aus der Überprüfung des LSG eine Leistungspflicht der beizuladenden Techniker Krankenkasse unter Berücksichtigung des § 14 SGB IX für Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem SGB XII ergeben, wäre ggf § 75 Abs 5 SGG zu beachten, wonach die beizuladende Techniker Krankenkasse verurteilt werden kann. Zwar steht der Verurteilung eines Beigeladenen nach der allgemeinen Rechtsprechung des BSG ein von diesem erlassener bestandskräftig gewordener ablehnender Verwaltungsakt entgegen (BSG SozR 1500 § 75 Nr 38); entsprechend dem Schutzzweck des § 14 SGB IX erscheint es allerdings naheliegend, diese Rechtsprechung nicht auf Fälle der Geltendmachung von Rehabilitationsleistungen zu übertragen (angedeutet in BSGE 101, 207 ff RdNr 51 = SozR 4-3250 § 14 Nr 7).

Das LSG wird ggf auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben.

Fundstelle(n):
NAAAD-37330