Leitsatz
Leitsatz:
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Instanzenzug: LG Essen vom
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in zwei Fällen, Raubes, gefährlicher Körperverletzung und wegen vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg.
1. Das Urteil hat insgesamt keinen Bestand, weil die Revision zu Recht geltend macht, dass der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO gegeben ist.
a) Der zulässig erhobenen Rüge der Verletzung der §§ 230 Abs. 1, 231 Abs. 2 StPO liegt folgendes Verfahrensgeschehen zu Grunde:
Am zweiten Verhandlungstag stellte der Verteidiger des Angeklagten insgesamt acht Beweisanträge. Zu dem auf den anberaumten Fortsetzungstermin erschien der Angeklagte nicht. Der Vorsitzende erklärte, der Angeklagte sei, wie vom Verteidiger mitgeteilt, nach telefonischer Auskunft einer Ärztin des Krankenhauses am frühen Morgen in das Krankenhaus eingeliefert worden. Der Angeklagte habe zweimal das Bewusstsein verloren und werde aufgrund einer früher dort behandelten Herzproblematik stationär untersucht, um einen Herzinfarkt auszuschließen. Die Verhandlung wurde in Abwesenheit des Angeklagten fortgesetzt. Gegen einen ordnungsgemäß geladenen Zeugen, der nicht erschienen war, wurde auf Antrag der Staatsanwaltschaft ein Ordnungsgeld festgesetzt. Danach verkündete der Vorsitzende einen Beschluss der Kammer, mit dem drei der vom Verteidiger des Angeklagten am zweiten Verhandlungstag gestellten Beweisanträge gemäß § 244 Abs. 6 StPO abgelehnt wurden. Danach wurde die Hauptverhandlung vom Vorsitzenden unterbrochen und Termin zur Fortsetzung der Hauptverhandlung auf den anberaumt.
b) Die Fortsetzung der Hauptverhandlung gegen den am dritten Verhandlungstage ausgebliebenen Angeklagten verstößt gegen § 230 Abs. 1 StPO. Die Verhandlung ohne den Angeklagten war hier auch nicht ausnahmsweise nach § 231 Abs. 2 StPO zulässig. Nach dieser Vorschrift darf zwar eine unterbrochene Hauptverhandlung ohne den Angeklagten zu Ende geführt werden, wenn er eigenmächtig ferngeblieben ist, d.h. ohne Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgründe wissentlich seiner Anwesenheitspflicht nicht genügt (vgl. BGHSt 37, 249, 251), er über die Anklage schon vernommen war und das Gericht seine fernere Anwesenheit nicht für erforderlich erachtet. Nach dem von der Revision vorgetragenen Verfahrensgang, der durch die Sitzungsniederschrift bestätigt wird, ist die Strafkammer auf der Grundlage der vom Vorsitzenden eingeholten telefonischen Auskunft der Ärztin des Krankenhauses ersichtlich nicht von einem eigenmächtigen Fernbleiben des Angeklagten ausgegangen und hat demgemäß auch nicht die vom Gericht nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffende Entscheidung über die Erforderlichkeit der ferneren Anwesenheit des Angeklagten (vgl. Meyer-Goßner StPO 52. Aufl. § 231 Rdn. 20) getroffen. Es kann dahinstehen, ob der Ausnahmetatbestand des § 231 Abs. 2 StPO schon deshalb zu verneinen ist. Jedenfalls lässt sich heute nicht mehr aufklären, ob der Angeklagte, was zum Zeitpunkt der Revisionsentscheidung nachgewiesen sein muss und vom Revisionsgericht im Freibeweis selbständig zu klären ist (vgl. Meyer-Goßner aaO. § 231 Rdn. 25 m.N.), am dritten Verhandlungstag eigenmächtig ausgeblieben ist. Insbesondere im Hinblick darauf, dass der Angeklagte nach den Feststellungen unter Herzproblemen leidet und dass er deswegen im Frühjahr 2008 in stationärer Behandlung war, ist der Nachweis, dass er die zweimalige Bewusstlosigkeit, die zu seiner Aufnahme in das Krankenhaus führte, nur vorgetäuscht hat, nicht mehr zu führen.
Die Verkündung des Beschlusses, mit dem drei vom Verteidiger des Angeklagten gestellte Beweisanträge abgelehnt wurden, stellt einen wesentlichen Teil der Hauptverhandlung dar. Da eine Heilung durch Nachholung des vom Angeklagten versäumten Teils der Hauptverhandlung nicht erfolgt ist, liegt der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO vor.
2. Entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts genügt auch die Rüge der Verletzung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes (§ 250 StPO) den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Die Revision beanstandet die ausweislich der Sitzungsniederschrift von der Strafkammer jeweils durch Beschluss ohne Angabe des Grundes angeordnete Verlesung der die psychische Verfassung der Zeugin Be. betreffenden Berichte des Leitenden Oberarztes der LWL-Klinik H. und des Leitenden Arztes der Abteilung für Psychotherapie und Psychosomatik des . R. Hospitals zu Recht. Das Landgericht hat die Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung und wegen Vergewaltigung zum Nachteil der Zeugin Be. maßgeblich auf die Aussage dieser Zeugin gestützt, die "vollständig aussagetüchtig" gewesen sei. Die Behauptung der Verteidigung, die Zeugin sei schizophren, finde im Ergebnis der Beweisaufnahme keine Stütze. Insbesondere aus den in der Hauptverhandlung verlesenen ärztlichen Bescheinigungen lasse sich eine solche Schlussfolgerung nicht herleiten. Danach diente die Verlesung der ärztlichen Bescheinigungen aber entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts nicht lediglich der Abklärung dem Freibeweis unterliegender Tatsachen. Das Landgericht hat sich nicht darauf beschränkt, in den ärztlichen Berichten einen Anknüpfungspunkt für weiteres prozessuales Verhalten zu sehen (vgl. dazu BGHSt 47, 270, 273). Vielmehr waren die darin mitgeteilten Tatsachen, insbesondere die in den Urteilsgründen wörtlich mitgeteilten Angaben des Leitenden Oberarztes der LWL-Klinik H. zum psychischen Befund, für die Glaubwürdigkeit der Zeugin und damit für die Beurteilung der Schuldfrage von Bedeutung und unterlagen deshalb den in den §§ 244 bis 265 StPO festgelegten Regeln des Strengbeweises (vgl. BGH aaO. S. 273). Danach hätte die nach § 250 StPO gebotene Vernehmung der Verfasser der ärztlichen Berichte aber unter den hier gegebenen Umständen nicht durch die Verlesung der Berichte ersetzt werden dürfen.
Einer Verlesung nach § 256 Nr. 1 a StPO steht entgegen, dass es sich bei dem . R. Hospital um ein in Trägerschaft eines Ordens geführtes konfessionelles Krankenhaus handelt. Der ärztliche Bericht des Leitenden Oberarztes der LWL-Klinik H. stellt mangels eines Vertretungszusatzes kein Behördengutachten dar. Nach § 256 Nr. 2 StPO sind die Berichte schon deshalb nicht verlesbar, weil sie sich nicht auf Körperverletzungen beziehen. Zudem diente die Verlesung der Berichte, soweit es den Vorwurf der Vergewaltigung betrifft, nicht ausschließlich dem Nachweis einer Köperverletzung (vgl. , NStZ 1997, 199 m. N.). Die Vorrausetzungen des § 251 Abs. 3 Nr. 3 StPO liegen ebenfalls nicht vor. Ausweislich der Sitzungsniederschrift hat keiner der Verfahrensbeteiligten ausdrücklich sein Einverständnis mit der Verlesung erklärt. Die Annahme eines stillschweigend erklärten Einverständnisses (vgl. dazu Meyer-Goßner aaO. § 251 Rdn. 27) kommt hier schon deshalb nicht in Betracht, weil der Grund der Verlesung in den jeweiligen Beschlüssen nicht angegeben worden war.
3. Der neue Tatrichter wird im Falle einer Verurteilung wegen Vergewaltigung der Zeugin Be. bei der Strafrahmenwahl zu beachten haben, dass die Regelwirkung des § 177 Abs. 2 Nr. 1 StGB bei einem Zusammentreffen mit gewichtigen Milderungsgründen, wie sie nach den bisherigen Feststellungen vorgelegen haben, entfallen und die Annahme eines minder schweren Falles in Betracht kommen kann (vgl. Senatsbeschluss vom - 4 StR 163/05, NStZ-RR 2006, 6). Hinsichtlich des Vorwurfs des Raubes wird gegebenenfalls zu prüfen sein, ob unter den gegebenen Umständen schon das Vorliegen des vertypten Milderungsgrund des § 21 StGB die Annahme eines minder schweren Falles rechtfertigen kann.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
UAAAD-37264