BAG Urteil v. - 1 AZR 511/08

Leitsatz

Leitsatz:

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: BetrVG § 77 Abs. 6

Instanzenzug: LAG Hamm, 11 Sa 1153/07 vom ArbG Gelsenkirchen, 4 Ca 2025/06 vom Veröffentlichungen: Für die Amtliche Sammlung: Nein

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Anrechnung einer Zulage auf das geänderte Tarifentgelt des Klägers.

Die Beklagte und der in ihrem Werk G errichtete Betriebsrat schlossen am eine Rahmenbetriebsvereinbarung zum Entlohnungsgrundsatz Prämienlohn (BV 1996). Nach deren Ziff. IV.1. bestand das Entgelt der in ihren Geltungsbereich einbezogenen Arbeitnehmer aus dem Lohn der Entgeltgruppe, einer Zulage iHv. 3,00 DM sowie einer zielorientierten Prämie. Die Höhe der Zulage und der Prämie wurde entsprechend einer als Protokollnotiz bezeichneten Vereinbarung vom (PN 2002) in der Folgezeit zwischen den Betriebsparteien in gesonderten Abreden festgelegt. In diesen mit "Prämienlohn Werk G" überschriebenen Vereinbarungen waren in Form von tabellarischen Aufstellungen die einzelnen Zulagen und Prämien den jeweiligen Lohngruppen zugeordnet.

Mit Schreiben vom kündigte die Beklagte alle die Prämienentlohnung betreffenden Betriebsvereinbarungen zum . In dem Kündigungsschreiben heißt es:

"... Wir gehen davon aus, dass sich die Betriebsvertragsparteien einvernehmlich auf eine neue EntgeltBetriebsvereinbarung (nach Muster der Ihnen vorliegenden Entwürfe) verständigen können."

Nach der ab dem geltenden Prämienlohnvereinbarung betrug die monatliche Zulage für die in die Lohngruppe 4 eingruppierten Arbeitnehmer, zu denen auch der Kläger zählt, 252,74 Euro. Dieser Betrag ermäßigte sich ab dem auf 229,90 Euro und ab dem auf 204,94 Euro.

Zuvor hatte die Beklagte mit Wirkung ab dem für das Werk G zur Beschäftigungssicherung einen firmenbezogenen Verbandstarifvertrag abgeschlossen (TV Beschäftigungssicherung). Nach dessen § 3 Satz 1 wurde die Vergütung für die individuelle regelmäßige Arbeitszeit der vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmer bis zum unter Beibehaltung der tatsächlichen Arbeitszeit von 35 Stunden auf 32 Stunden abgesenkt. § 3 Satz 2 TV Beschäftigungssicherung bestimmte, dass sich auch die abgeleiteten Leistungen entsprechend vermindern. Die unter dem zwischen den Betriebsparteien abgeschlossene Prämienlohnvereinbarung (PLV 2005) enthielt folgenden Zusatz:

"Während der Laufzeit des verbandsbezogenen Sondertarifvertrages werden die in Spalte B definierten Zulagen grundsätzlich nicht gegen eventuelle tarifliche Erhöhungen des Tarifentgeltes (Spalte A) verrechnet."

Die Beklagte führte am in ihrem Werk G das Entgeltrahmenabkommen für die Metall- und Elektroindustrie in Nordrhein- Westfalen (ERA) ein. Der Tarifgrundlohn des Klägers betrug zu diesem Zeitpunkt 1.503,40 Euro. Ab dem erhielt er ein Monatsgrundentgelt nach der ERA-Entgeltgruppe 4 iHv. 1.519,08 Euro. Der Kläger gehörte damit zu den sog. Unterschreitern, für die in § 4 Nr. 2 des zwischen den Parteien kraft Tarifbindung anwendbaren Einführungstarifvertrags zum ERA (ERA-ETV) bestimmt ist, dass bisher gewährte übertarifliche Verdienste "verrechnet werden sollen". Die sich zwischen alter und neuer Monatsvergütung ergebende Differenz von 15,68 Euro brutto verrechnete die Beklagte mit der Zulage, deren Zahlbetrag sich daher auf 189,26 Euro verringerte. Den Betriebsrat beteiligte sie nicht.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 15,68 Euro nebst fünf Prozent Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit Fälligkeit zu zahlen.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und gemeint, die Anrechnung sei individual- und kollektivrechtlich wirksam. Das am vereinbarte Anrechnungsverbot betreffe nur die regelmäßigen Tariflohnerhöhungen in den Lohnabkommen in der Metall- und Elektroindustrie NRW. Ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats gem. § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG habe wegen der Regelung in § 4 Nr. 2 ERA-ETV nicht bestanden.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die zugelassene Berufung der Beklagten bis auf eine geringfügige Korrektur der Zinsentscheidung zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.

Gründe

Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Dem Kläger steht ein Anspruch auf Zahlung des einbehaltenen Betrags von 15,68 Euro brutto nebst Zinsen zu.

1. Der Anspruch des Klägers beruht auf der BV 1996. Diese ist zwar zum gekündigt, wirkt aber gemäß § 77 Abs. 6 BetrVG nach.

a) Gemäß § 77 Abs. 6 BetrVG gelten nach Ablauf einer Betriebsvereinbarung deren Regelungen in Angelegenheiten, in denen ein Spruch der Einigungsstelle die Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat ersetzen kann, weiter, bis sie durch eine andere Abmachung ersetzt werden. Dies betrifft die Angelegenheiten der zwingenden Mitbestimmung, darunter insbesondere diejenigen nach § 87 Abs. 1 BetrVG ( - Rn. 23, AP BetrVG 1972 § 87 Leistungslohn Nr. 9), zu denen auch das Mitbestimmungsrecht bei der betrieblichen Lohngestaltung (§ 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG) gehört. Betriebsvereinbarungen über Gegenstände, die nicht der zwingenden Mitbestimmung unterliegen, entfalten kraft Gesetzes keine Nachwirkung. Betriebsvereinbarungen mit teils erzwingbaren, teils freiwilligen Regelungen wirken grundsätzlich nur hinsichtlich der Gegenstände nach, die der zwingenden Mitbestimmung unterfallen ( - zu B II 5 der Gründe, BAGE 70, 356). Dies setzt allerdings voraus, dass sich die Betriebsvereinbarung sinnvoll in einen nachwirkenden und einen nachwirkungslosen Teil aufspalten lässt. Andernfalls entfaltet zur Sicherung der Mitbestimmung die gesamte Betriebsvereinbarung Nachwirkung.

b) Betriebsvereinbarungen über finanzielle Leistungen des Arbeitgebers sind regelmäßig teilmitbestimmt. Während der Arbeitgeber den Dotierungsrahmen mitbestimmungsfrei vorgeben kann, bedarf er für die Ausgestaltung, also für den Verteilungs- und Leistungsplan, nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG, der Zustimmung des Betriebsrats. Die Nachwirkung derart teilmitbestimmter Betriebsvereinbarungen hängt im Falle ihrer Kündigung durch den Arbeitgeber davon ab, ob die gesamten freiwilligen Leistungen ersatzlos beseitigt oder lediglich reduziert werden sollen.

aa) Will ein Arbeitgeber mit der Kündigung einer teilmitbestimmten Betriebsvereinbarung seine finanziellen Leistungen vollständig und ersatzlos einstellen, tritt keine Nachwirkung ein ( - zu II A 2 der Gründe, AP BetrVG 1972 § 77 Nachwirkung Nr. 7 = EzA BetrVG 1972 § 77 Nr. 54). Bei einer vollständigen Einstellung der Leistungen verbleiben keine Mittel, bei deren Verteilung der Betriebsrat nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG mitzubestimmen hätte. Sinn der Nachwirkung nach § 77 Abs. 6 BetrVG ist - zumindest auch - die Wahrung betriebsverfassungsrechtlicher Mitbestimmungsrechte. Sind solche nicht betroffen, bedarf es der Nachwirkung nicht.

bb) Will der Arbeitgeber seine finanziellen Leistungen nicht völlig zum Erlöschen bringen, sondern mit der Kündigung einer Betriebsvereinbarung nur eine Verringerung des Volumens der insgesamt zur Verfügung gestellten Mittel und zugleich eine Veränderung des Verteilungsplans erreichen, wirkt die Betriebsvereinbarung nach ( - Rn. 17 mwN, AP BetrVG 1972 § 87 Nr. 15 = EzA BetrVG 2001 § 87 Betriebliche Lohngestaltung Nr. 16). In diesem Fall verbleibt ein Finanzvolumen, bei dessen Verteilung der Betriebsrat nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG mitzubestimmen hat.

Das vom Arbeitgeber einmal zur Verfügung gestellte Finanzvolumen wird dadurch nicht unabänderlich perpetuiert. Vielmehr müssen die Betriebsparteien oder im Konfliktfall die Einigungsstelle das vom Arbeitgeber noch zur Verfügung gestellte Finanzvolumen als mitbestimmungsfreie Vorgabe zugrunde legen ( - zu I 3 c cc der Gründe mwN, BAGE 108, 299).

cc) Ist ein Arbeitgeber tarifgebunden, beschränkt sich die Mitbestimmung des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG wegen § 87 Abs. 1 Eingangshalbs. BetrVG auf den nicht tariflich geregelten Teil der Vergütung, den der Arbeitgeber ohne normative Verpflichtung und damit freiwillig erbringt. Dementsprechend kommt eine Nachwirkung von Betriebsvereinbarungen nach § 77 Abs. 6 BetrVG auch nur hinsichtlich der übertariflichen Vergütungsbestandteile in Betracht. Sollen diese durch die Kündigung einer Betriebsvereinbarung vollständig beseitigt werden, ist für eine Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG kein Raum. Damit entfällt die Nachwirkung nach § 77 Abs. 6 BetrVG.

c) Hiernach wirkten die Bestimmungen der BV 1996 nach dem Ablauf der Kündigungsfrist zum gemäß § 77 Abs. 6 BetrVG nach.

aa) Die Regelungen in der BV 1996 betreffen die Mitbestimmung des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 und 11 BetrVG. Die Beklagte ist aufgrund ihrer Verbandsmitgliedschaft an die für sie geltenden Tarifverträge der Metallindustrie in Nordrhein-Westfalen gebunden. Die BV 1996 regelt die nach § 12 Abs. 3 des Lohnrahmenabkommens in der Eisen-, Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalens idF vom einer betrieblichen Regelung vorbehaltenen Einzelheiten über die Ermittlung und Höhe des Prämienlohns. Die Beklagte wollte nach dem Kündigungsschreiben vom die Zulage und die leistungsbezogenen Entgeltbestandteile für die im Prämienlohn beschäftigten Arbeitnehmer nach neuen Grundsätzen ausgestalten. Eine ausgestaltende Änderung der betrieblichen Entlohnungsgrundsätze konnte sie wirksam nicht ohne den Betriebsrat vornehmen.

bb) Die Höhe der monatlichen Zulage richtete sich seit der Änderung der BV 1996, in der ein einheitlicher Zulagenbetrag von 3,00 DM festgelegt war, nach den jeweils zwischen der Beklagten und ihrem Betriebsrat getroffenen Prämienlohnvereinbarungen. Die Betriebsparteien haben die BV 1996 durch die PN 2002 geändert. In dieser haben sie bestimmt, dass die Höhe der Zulage und der Leistungsprämie zukünftigen Vereinbarungen vorbehalten bleibt. Für die Zeit ab dem betrug die Höhe der Zulage für die in die Lohngruppe 4 eingruppierten Arbeitnehmer 252,74 Euro monatlich. Diesen Betrag konnte der Kläger nach der Beendigung der BV 1996 durch die Kündigung der Beklagten vom nach § 77 Abs. 6 BetrVG weiterhin beanspruchen.

2. Die Nachwirkung der BV 1996 ist nicht durch eine andere Abmachung iSd. § 77 Abs. 6 BetrVG beseitigt worden. Die Beklagte hat die Existenz einer mit dem Kläger getroffenen vertraglichen Abrede, die zur Beseitigung der Nachwirkung der BV 1996 geführt haben könnte, nicht behauptet. Es kann dahinstehen, ob ihre in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat geäußerte Ansicht zutrifft, bei den nach dem abgeschlossenen Vereinbarungen über den Prämienlohn handele es sich um Betriebsvereinbarungen iSd. § 77 BetrVG. Dies kann zu Gunsten der Beklagten unterstellt werden. In diesem Fall wäre zwar durch den Abschluss dieser Vereinbarungen die Nachwirkung der BV 1996 hinsichtlich der Zulage beendet worden. Die Beklagte wäre jedoch nach § 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG verpflichtet, den im Prämienlohn beschäftigten Arbeitnehmern die in der PLV 2005 festgelegten Zulagenbeträge zu zahlen. Sie könnte dabei jedoch den sich daraus für den Kläger ergebenden Betrag von 204,94 Euro wegen der unmittelbaren und zwingenden Wirkung der PLV 2005 nicht einseitig auf sein zum um 15,68 Euro erhöhtes Monatsgrundentgelt anrechnen. Eine Anrechnungsbefugnis war der Beklagten nicht eröffnet. Weder in der PLV 2005 noch in der im Jahr 2004 getroffenen Prämienlohnvereinbarung findet sich eine Reglung, nach der sie berechtigt gewesen wäre, im Zusammenhang mit der Einführung des ERA den festgelegten Zulagenbetrag bei den Unterschreitern zu kürzen. Der Senat musste daher nicht entscheiden, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen eine solche Vereinbarung zulässig gewesen wäre. Dies gilt gleichermaßen für die von den Vorinstanzen behandelten Fragen nach der Auslegung von § 4 Nr. 2 Satz 3 ERA-ETV und des der PLV 2005 angefügten Zusatzes.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


Fundstelle(n):
AAAAD-37249