Leitsatz
Leitsatz:
1. Eine Durchbrechung der Rechtskraft im Wege des Wiederaufgreifens nach § 51 Abs. 5 LVwVfG in Verbindung mit §§ 48,49 LVwVfG erfordert zunächst eine Positiventscheidung der Behörde zum Wiederaufgreifen (Stufe 1). Erst wenn eine solche Entscheidung getroffen ist, wird der Weg für eine erneute Sachentscheidung eröffnet (Stufe 2). Auf dieser zweiten Stufe ist die Behörde nicht auf die in § 48 Abs. 1 Satz 1 LVwVfG und § 49 Abs. 1 LVwVfG normierten Möglichkeiten der Aufhebung des Verwaltungsakts ex tunc oder ex nunc beschränkt, sondern sie hat zu entscheiden, ob der Verwaltungsakt zurückgenommen, geändert oder im Wege eines Zweitbescheids bestätigt werden soll.
2. Die Behörde handelt im Fall einer rechtskräftig bestätigten Ausweisung grundsätzlich nicht ermessensfehlerhaft, wenn sie ein Wiederaufgreifen nach § 51 Abs. 5 LVwVfG in Verbindung mit §§ 48,49 LVwVfG im Hinblick auf die rechtskräftige Bestätigung ihrer Entscheidung ablehnt. In diesen Fällen bedarf es regelmäßig keiner weiteren ins Einzelne gehenden Ermessenserwägungen.
3. Die in § 51 Abs. 3 LVwVfG geregelte Antragsfrist für die Geltendmachung von Wiederaufnahmegründen bezieht sich nur auf die in § 51 Abs. 1 LVwVfG geregelten Tatbestände, nicht hingegen auf ein Wiederaufgreifen im Ermessensweg nach § 51 Abs. 5 LVwVfG.
Gesetze: GG Art. 19 Abs. 4, Art. 20 Abs. 3; AufenthG § 11 Abs. 1, § 60 Abs. 7; AuslG 1990 § 44 Abs. 1, § 47 Abs. 1; EMRK Art. 8; VwGO § 121, § 124a; VwVfG § 48 Abs. 1, § 49 Abs. 1, § 51; ZPO § 580 Nr. 8EG Art. 10, Art. 234; Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrats; EWG-Türkei über die Entwicklung derAssoziation - ARB 1/80 Art. 7, Art. 14; Richtlinie 64/221/EWG Art. 9
Instanzenzug: VGH Baden-Württemberg, VGH 13 S 2809/07 vom VG Stuttgart, VG 5 K 1035/05 vom Veröffentlichungen: Amtliche Sammlung: ja; Fachpresse: ja
Gründe
I
Der Kläger, ein 1959 geborener türkischer Staatsangehöriger, erstrebt die rückwirkende Aufhebung der gegen ihn verfügten Ausweisung, hilfsweise ihren Widerruf.
Er reiste 1969 zusammen mit seiner Mutter und seinen Geschwistern nach Deutschland ein. Bis 1982 wohnte er bei seinem Vater, der in dieser Zeit durchgehend als Arbeitnehmer beschäftigt war. Er besuchte die Grund- und die Hauptschule, die er im Alter von 15 Jahren nach der 6. Klasse ohne Abschluss verließ. Anschließend war er in mehreren Arbeitsverhältnissen unterschiedlicher Dauer beschäftigt; zeitweise war er arbeitslos. Seit 1993 oder 1994 arbeitete er für Polizeidienststellen als Verbindungsmann (V-Mann). Seit 1982 ist der Kläger mit einer türkischen Staatsangehörigen verheiratet. Aus dieser Ehe sind zwei 1983 und 1990 geborene Kinder hervorgegangen. 1990 wurde dem Kläger eine Aufenthaltsberechtigung erteilt.
Im Oktober 1999 wurde er wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Das Regierungspräsidium Stuttgart wies ihn mit Verfügung vom aus der Bundesrepublik Deutschland aus und drohte ihm die Abschiebung in die Türkei an. Zur Begründung führte es aus, der Kläger erfülle aufgrund der begangenen Straftat den Tatbestand der Ist-Ausweisung nach § 47 Abs. 1 Nr. 2 AuslG. Zwar genieße er aufgrund seiner Aufenthaltsberechtigung besonderen Ausweisungsschutz. Dies hindere aber seine Ausweisung nicht, da schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung vorlägen. Die Ausweisung sei sowohl aus spezialpräventiven als auch aus generalpräventiven Gründen erforderlich. Ein vom Regelfall abweichender atypischer Fall liege nicht vor. Die Ausweisung stehe auch im Einklang mit Art. 14 ARB 1/80 und verstoße weder gegen Art. 6 Abs. 1 GG noch gegen Art. 8 Abs. 1 EMRK.
Auf die hiergegen erhobene Klage hob das Verwaltungsgericht im April 2001 die Abschiebungsandrohung im Bescheid des Regierungspräsidiums auf und wies die Klage im Übrigen ab. Den auf ernstliche Zweifel an der Richtigkeit gestützten Zulassungsantrag des Klägers lehnte der Verwaltungsgerichtshof im August 2001 ab. Dem Zulassungsantrag des Beklagten gab er hingegen statt und wies die Klage auch hinsichtlich der Abschiebungsandrohung ab.
Im März 2003 wurde der Kläger erneut wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln (in 23 Fällen) verurteilt, und zwar zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten.
Im Januar 2005 beantragte er beim Regierungspräsidium gemäß § 51 Abs. 5 i.V.m. § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG, hilfsweise i.V.m. § 49 Abs. 1 Satz 1 VwVfG das Verfahren über seine Ausweisung wieder aufzugreifen und festzustellen, dass Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz vorliegen. Eine Abschiebung in die Türkei bedeute für ihn eine erhebliche konkrete Gefahr für sein Leben. Dem Antrag war ein 43-seitiges handschriftliches Schreiben vom beigefügt, in dem der Kläger von seiner jahrelangen Tätigkeit als V-Mann berichtete und von mehreren Anschlägen, die auf ihn und seine Familienangehörigen verübt worden seien. Auf diesen Antrag teilte das Regierungspräsidium dem Kläger mit, sein Begehren sei wohl als Antrag auf Wiederaufgreifen des bestandskräftig abgeschlossenen Ausweisungsverfahrens zu verstehen. Darauf beantragte der Prozessbevollmächtigte des Klägers im Februar 2005, die Ausweisungsverfügung zu widerrufen und für den Fall, dass der Kläger abgeschoben werde, die Wirkungen der Ausweisungsverfügung sowie der Abschiebung ab dem Zeitpunkt der Abschiebung zu befristen.
Mit Bescheid vom lehnte das Regierungspräsidium den "Antrag auf Rücknahme bzw. Widerruf der Ausweisung vom " ab (Ziffer 1 des Bescheides). Gegenstand dieser Entscheidung sei lediglich der Antrag auf Wiederaufgreifen des Ausweisungsverfahrens gemäß § 51 Abs. 5 i.V.m. §§ 48 und 49 LVwVfG. Hinsichtlich des Vorliegens etwaiger Abschiebungshindernisse ergehe eine gesonderte Entscheidung. Über den Antrag auf nachträgliche Befristung der Sperrwirkung der Ausweisung und Abschiebung werde erst nach erfolgter Abschiebung entschieden. Die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens gemäß § 51 Abs. 1 LVwVfG lägen nicht vor. Die Behörde könne ein Verwaltungsverfahren zwar auch nach pflichtgemäßem Ermessen gemäß § 51 Abs. 5 LVwVfG wiederaufgreifen. Voraussetzung hierfür sei jedoch, dass die Frist nach § 51 Abs. 3 LVwVfG eingehalten sei. Das sei nicht der Fall. Unabhängig davon könne die Aufhebung einer rechtskräftigen Ausweisung nur durch Widerruf oder Rücknahme nach §§ 48 und 49 LVwVfG erfolgen. Ein Widerruf nach § 49 LVwVfG sei hier wegen der abschließenden Regelung des § 52 AufenthG nicht möglich. Auch eine Rücknahme des Verwaltungsakts sei abzulehnen. Zwar sei die Ausweisungsverfügung unter Zugrundelegung der neueren Rechtsprechung rechtswidrig. Es bestehe aber keine Verpflichtung zur Rücknahme. Im Bescheid werden im Weiteren unterschiedliche rechtliche Gesichtspunkte aufgeführt, wonach im vorliegenden Fall eine Rücknahme abzulehnen sei.
Das Verwaltungsgericht wies die auf Rücknahme der Ausweisung, hilfsweise Befristung ihrer Wirkungen, gerichtete Klage ab. Mit Urteil vom hat der Verwaltungsgerichtshof die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Zur Begründung ist ausgeführt: Der Kläger habe weder einen Anspruch auf Rücknahme der Ausweisung noch einen Anspruch auf erneute Entscheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts. Die Voraussetzungen einer Rücknahme nach § 48 Abs. 1 LVwVfG lägen nicht vor. Danach könnten nur rechtswidrige Verwaltungsakte zurückgenommen werden. Aufgrund der Rechtskraft des Urteils des Verwaltungsgerichts von 2001 sei jedoch davon auszugehen, dass die damalige Ausweisung rechtmäßig sei. Die Bindungswirkung des rechtskräftigen Urteils nach § 121 Nr. 1 VwGO sei auch nicht infolge einer Veränderung der zur Zeit des Urteils maßgeblichen Sach- oder Rechtslage entfallen. Sie sei auch dann zu beachten, wenn sich die Behörde nicht darauf berufe, sondern selbst die Rechtmäßigkeit der Verfügung überprüfe und nach heutiger Erkenntnislage von deren Rechtswidrigkeit ausgehe. Die Behörde könne nicht auf die Wirkungen der Rechtskraft verzichten. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zum Gebot der Zusammenarbeit nach Art. 10 EG. Denn es fehle jedenfalls an einer Verletzung der Vorlagepflicht nach Art. 234 Abs. 3 EG. Der Verwaltungsgerichtshof sei bei seiner Entscheidung über die Zulassung der Berufung des Klägers nicht zu einer Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften berechtigt gewesen. Der Kläger habe seinen Zulassungsantrag nämlich nicht auf gemeinschaftsrechtliche Zweifelsfragen, sondern darauf gestützt, dass das Verwaltungsgericht die persönlichen Belange des Klägers nicht zutreffend gewürdigt habe, insbesondere nicht seine Mitwirkung an der Überführung von Straftätern als V-Mann und die ihm daraus erwachsene Gefährdung.
Es könne dahingestellt bleiben, ob ausnahmsweise eine Durchbrechung der Rechtskraft dann geboten sei, wenn die Aufrechterhaltung des durch die Vorentscheidung geschaffenen Zustands schlechthin unerträglich wäre. Denn eine solche Situation bestehe hier nicht. Es erscheine nicht undenkbar, dass ein Widerruf nach § 49 LVwVfG in Betracht komme. Der Kläger habe aber ausdrücklich nur die Rücknahme der Ausweisung beantragt. In Bezug auf die höchst hilfsweise begehrte Befristung sei die Klage unzulässig. Denn es fehle insoweit an einem vorherigen Antrag bei der Verwaltung und an der Durchführung eines entsprechenden Verwaltungsverfahrens.
Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Revision. Er macht geltend: Der Beklagte sei verpflichtet, die Ausweisung zurückzunehmen, weil sie im Zeitpunkt ihres Erlasses offensichtlich rechtswidrig gewesen und ihre Aufrechterhaltung schlechthin unerträglich sei. Seine schützenswerten Interessen an einem Verbleib in Deutschland seien in der Ausweisungsverfügung nicht hinreichend berücksichtigt worden. Jedenfalls habe er einen Anspruch auf fehlerfreie Entscheidung über sein Rücknahmebegehren. Hilfsweise verfolge er für den Fall der vollständigen Abweisung seines Antrags auf rückwirkende Aufhebung der Ausweisung weiter das Ziel, den Beklagten zum Widerruf der Ausweisung nach § 49 Abs. 1 LVwVfG zu verpflichten.
Der Beklagte tritt der Revision entgegen.
II
Die Revision hat teilweise Erfolg. Das Berufungsurteil beruht auf einer Verletzung von revisiblem Recht im Sinne von § 137 Abs. 1 Nr. 2 VwGO. Der ablehnende Bescheid des Regierungspräsidiums Stuttgart vom ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Der Beklagte ist verpflichtet, den Antrag des Klägers auf Wiederaufgreifen des Verfahrens betreffend die Ausweisungsverfügung vom unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO).
1. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist das Begehren des Klägers, den Beklagten zur rückwirkenden Aufhebung der Ausweisungsverfügung vom zu verpflichten. Dieses Begehren umfasst sowohl einen Anspruch auf Rücknahme nach § 48 Abs. 1 Satz 1 des Landesverwaltungsverfahrensgesetzes für Baden-Württemberg - LVwVfG - als auch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 LVwVfG mit dem Ziel der rückwirkenden Aufhebung der Ausweisungsverfügung. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist hingegen nicht die im Verwaltungsverfahren beantragte Befristung der Wirkungen der Ausweisung. Über die Befristung, die nur für den Fall der Abschiebung des Klägers beantragt worden ist, hat der Beklagte noch nicht entschieden. Der Verwaltungsgerichtshof hat das im Berufungsverfahren höchst hilfsweise verfolgte Befristungsbegehren als unzulässig zurückgewiesen. Der Kläger hat diese Entscheidung mit seiner Revision nicht angegriffen. Gegenstand der Revision ist auch nicht die in der Ausweisungsverfügung enthaltene Abschiebungsandrohung. Der Kläger hat zwar im Januar 2005 auch insoweit einen Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrens gestellt, das Regierungspräsidium Stuttgart hat aber in seinem Bescheid vom eine Entscheidung über das Vorliegen etwaiger Abschiebungshindernisse zurückgestellt. Weder aus den Feststellungen des Berufungsgerichts noch aus dem Vorbringen der Beteiligten ergibt sich, dass eine solche Entscheidung vom Beklagten bereits erlassen und vom Kläger zum Gegenstand des Klageverfahrens gemacht worden wäre.
Gegen die Zulässigkeit der vom Kläger im Revisionsverfahren weiterverfolgten Verpflichtungsklage bestehen keine Bedenken.
2. Zutreffend hat der Verwaltungsgerichtshof entschieden, dass der Kläger nicht die Rücknahme der Ausweisung verlangen kann. Die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 1 des hier maßgeblichen Landesverwaltungsverfahrensgesetzes Baden-Württemberg - LVwVfG - liegen nicht vor (2.1). Der Kläger kann eine Rücknahme der Ausweisung auch nicht im Wege des Wiederaufgreifens des Verfahrens nach § 51 Abs. 1 bis 3 LVwVfG erreichen (2.2). Das Urteil des Berufungsgerichts verletzt aber revisibles Recht im Sinne von § 137 Abs. 1 Nr. 2 VwGO, weil es dem Kläger keinen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Neubescheidung seines Antrags auf Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 Abs. 5 LVwVfG i.V.m. §§ 48 und 49 LVwVfG (sog. Wiederaufgreifen im weiteren Sinne) gewährt (2.3), auch wenn nach diesen Vorschriften kein Anspruch auf Wiederaufgreifen besteht (2.4).
2.1
Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Rücknahme der Ausweisung nach § 48 Abs. 1 Satz 1 LVwVfG nicht vorliegen. Nach dieser Vorschrift kann ein rechtswidriger belastender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Nachdem der Kläger die Ausweisungsverfügung gerichtlich angefochten und das Verwaltungsgericht deren Rechtmäßigkeit rechtskräftig bestätigt hat, steht zwischen den Beteiligten - ungeachtet der tatsächlichen Rechtslage - bindend fest, dass die Ausweisung im für die gerichtliche Überprüfung maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz rechtmäßig war. Gemäß § 121 Nr. 1 VwGO binden rechtskräftige Urteile die Beteiligten und ihre Rechtsnachfolger, soweit über den Streitgegenstand entschieden ist. Wie der Senat in seinem Urteil vom selben Tag in der Sache BVerwG 1 C 26.08 (zur Veröffentlichung in der Entscheidungssammlung BVerwGE vorgesehen) im Einzelnen ausgeführt hat, kann die Rechtskraftbindung des § 121 VwGO nur auf gesetzlicher Grundlage überwunden werden. Dies ist der Fall, wenn der Betroffene nach § 51 LVwVfG einen Anspruch auf ein Wiederaufgreifen des Verfahrens hat oder die Behörde das Verfahren im Ermessenswege wieder aufgreift (vgl. nachfolgend 2.2 bis 2.4). Solange diese Voraussetzungen - wie hier - nicht vorliegen, steht § 121 VwGO einer Rücknahme der Ausweisung entgegen.
2.2
Mit Recht ist das Berufungsgericht zu dem Ergebnis gekommen, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 LVwVfG für einen gesetzlichen Anspruch auf Wiederaufgreifen des (Ausweisungs-)Verfahrens nicht vorliegen.
a) Der Kläger kann sich nicht mit Erfolg auf eine Änderung der Sachlage berufen. Nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 LVwVfG hat die Behörde auf Antrag des Betroffenen über die Aufhebung oder Änderung eines unanfechtbaren Verwaltungsakts zu entscheiden, wenn sich die dem Verwaltungsakt zugrunde liegende Sachlage nachträglich zugunsten des Betroffenen geändert hat.
Der Kläger hat sich in der Revisionsbegründung auf sein ausführliches Schreiben vom berufen, in dem er seine persönlichen Interessen am Verbleib in Deutschland, insbesondere aber seine jahrelange Tätigkeit als Verbindungsmann (V-Mann) der Polizei und die daraus resultierenden Drohungen und Anschläge aus der kriminellen Szene gegenüber ihm und seiner Familie schildert. Aus diesem Vorbringen wird aber nicht deutlich, dass er damit Tatsachen und Gefahren geltend macht, die erst nach Bestandskraft der Ausweisung eingetreten sind. Nur dann käme aber ein Wiederaufgreifensanspruch nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 LVwVfG in Betracht. Der konkret darzulegende Wiederaufnahmegrund bestimmt den Gegenstand des Verfahrens. Die Behörde, und in einem nachfolgenden Verfahren das Gericht, sind nicht befugt, andere als vom Antragsteller geltend gemachte Gründe ihrer Entscheidung über die Wiederaufnahme zugrunde zu legen ( BVerwG 9 C 47.87 - Buchholz 402.25 § 14 AsylVfG Nr. 8; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 10. Aufl., § 51 Rn. 11). Der Kläger - wie auch sein Bevollmächtigter - haben sich weder bei Übersendung des Schreibens vom noch in der Folgezeit darauf berufen, dass darin neue Tatsachen vorgetragen werden, die dem Kläger zum Zeitpunkt der Übersendung des Schreibens erst seit drei Monaten bekannt sind, wie in § 51 Abs. 3 LVwVfG gefordert.
b) Ohne Erfolg beruft sich der Kläger auch auf eine Änderung der Rechtsprechung hinsichtlich der sich aus dem Gemeinschaftsrecht und aus Art. 8 EMRK ergebenden Anforderungen an die Ausweisung eines seit seiner Jugend in Deutschland lebenden assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen und damit zumindest sinngemäß auf den Wiederaufgreifensgrund einer Änderung der Rechtslage nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 LVwVfG.
Denn die nachträgliche Klärung gemeinschaftsrechtlicher Fragen durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) und eine hierauf beruhende Änderung der höchstrichterlichen nationalen Rechtsprechung - hier zu den Ausweisungsvoraussetzungen für assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige - als auch die zwischenzeitliche Konkretisierung der Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit einer Ausweisung nach Art. 8 EMRK in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) und des Bundesverfassungsgerichts haben nicht zu einer Änderung der Rechtslage nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 LVwVfG geführt. Eine solche verlangt eine Änderung im Bereich des materiellen Rechts, dem eine allgemein verbindliche Außenwirkung zukommt. Sie liegt hier jedoch nicht vor. Eine Änderung der Rechtsprechung führt demgegenüber eine Änderung der Rechtslage grundsätzlich nicht herbei. Vielmehr bleibt die gerichtliche Entscheidungsfindung grundsätzlich eine rechtliche Würdigung des Sachverhalts am Maßstab der vorgegebenen Rechtsordnung (vgl. hierzu das Urteil des Senats vom selben Tag in der Sache BVerwG 1 C 26.08).
c) Der Kläger erfüllt auch nicht die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 Nr. 3 LVwVfG. Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 ZPO liegen nicht vor. Soweit nach § 580 Nr. 8 ZPO die Restitutionsklage stattfindet, wenn der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte eine Verletzung der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten oder ihrer Protokolle festgestellt hat und das Urteil auf dieser Verletzung beruht, setzt dies nach dem Wortlaut der Vorschrift und der Begründung des Gesetzgebers (vgl. BTDrucks 16/3038 S. 38 ff.) voraus, dass sich die Feststellung der Konventionsverletzung auf den konkreten Fall bezieht. Hieran fehlt es.
2.3
Das Berufungsgericht hat aber verkannt, dass der Kläger einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Neubescheidung seines Antrags auf Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 Abs. 5 LVwVfG i.V.m. §§ 48 und 49 LVwVfG (sog. Wiederaufgreifen im weiteren Sinne) hat.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann die Behörde - auch wenn die in § 51 Abs. 1 bis 3 LVwVfG normierten Voraussetzungen nicht vorliegen - ein abgeschlossenes Verwaltungsverfahren nach pflichtgemäßem Ermessen zugunsten des Betroffenen wiederaufgreifen und eine neue - der gerichtlichen Überprüfung zugängliche - Sachentscheidung treffen (sog. Wiederaufgreifen im weiteren Sinne). Diese Möglichkeit des Wiederaufgreifens findet ihre Rechtsgrundlage in § 51 Abs. 5 LVwVfG i.V.m. §§ 48 und 49 LVwVfG (vgl. BVerwG 1 C 6.99 - Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 20 S. 16; BVerwG 9 C 41.99 - BVerwGE 111, 77 <82>). In Fällen, in denen - wie hier - ein Verwaltungsakt gerichtlich bestätigt worden ist, bedarf es zur Überwindung der Rechtskraft einer gesetzlichen Grundlage (vgl. - NVwZ 1989, 141). Diese findet sich - außerhalb der in § 51 Abs. 1 bis 3 LVwVfG geregelten zwingenden Wiederaufgreifensgründe - in § 51 Abs. 5 LVwVfG. Die dort verankerte Ermächtigung der Behörden, ein abgeschlossenes Verwaltungsverfahren im Ermessenswege wiederaufzugreifen (vgl. Gesetzesbegründung zu § 47 Abs. 5 VwVfG-E <heute: § 51 Abs. 5 VwVfG> BTDrucks 7/910 S. 75), ermöglicht auch bei rechtskräftig bestätigten Verwaltungsakten die nachträgliche Korrektur inhaltlich unrichtiger Entscheidungen (vgl. - InfAuslR 2008, 94; a.a.O. S. 16).
Eine Durchbrechung der Rechtskraft erfordert aber zunächst eine Positiventscheidung der Behörde zum Wiederaufgreifen (Stufe 1), sei es weil ein zwingender Wiederaufnahmegrund - z.B. nach § 51 Abs. 1 bis 3 LVwVfG - vorliegt, sei es weil die Behörde sich im Wege ihres Wiederaufgreifensermessens nach § 51 Abs. 5 LVwVfG hierzu entscheidet. Erst wenn eine solche Positiventscheidung getroffen ist, wird der Weg für eine erneute Sachentscheidung eröffnet (Stufe 2). Auf dieser zweiten Stufe ist die Behörde nicht auf die in § 48 Abs. 1 Satz 1 LVwVfG und § 49 Abs. 1 LVwVfG normierten Möglichkeiten der Aufhebung des Verwaltungsakts ex tunc oder ex nunc beschränkt, sondern sie hat zu entscheiden, ob der Verwaltungsakt zurückgenommen, geändert oder im Wege eines Zweitbescheids bestätigt werden soll (vgl. Urteil vom a.a.O. S. 16, das insoweit auf die Möglichkeit zum Erlass eines Zweitbescheides hinweist; ähnlich BVerwG 8 C 90.79 - BVerwGE 60, 316 <325>, wonach das Wiederaufgreifen nach § 51 Abs. 5 LVwVfG auf "Rücknahme, gegebenenfalls Widerruf eines Verwaltungsakts und möglicherweise Neuerlass eines anderen" zielt).
Mit der Befugnis der Behörde, ein rechtskräftig abgeschlossenes Verwaltungsverfahren im Ermessenswege wiederaufzugreifen, korrespondiert ein - gerichtlich einklagbarer (vgl. Art. 19 Abs. 4 GG) - Anspruch des Betroffenen auf fehlerfreie Ermessensausübung (vgl. a.a.O.; a.a.O.). Dabei handelt die Behörde im Falle einer rechtskräftig bestätigten Ausweisung grundsätzlich nicht ermessensfehlerhaft, wenn sie ein Wiederaufgreifen im Hinblick auf die rechtskräftige Bestätigung ihrer Entscheidung ablehnt. In diesen Fällen bedarf es regelmäßig keiner weiteren ins Einzelne gehenden Ermessenserwägungen der Behörde.
Der Beklagte hat im vorliegenden Fall sein Ermessen über das Wiederaufgreifen nach § 51 Abs. 5 LVwVfG i.V.m. §§ 48 und 49 LVwVfG weder ausdrücklich noch konkludent ausgeübt. Er hat ein Wiederaufgreifen, d.h. eine Positiventscheidung auf der ersten Stufe der ihm obliegenden Ermessensentscheidung, mit einer Begründung abgelehnt, die einer rechtlichen Überprüfung nicht standhält. Das Regierungspräsidium ist davon ausgegangen, dass auch für ein Wiederaufgreifen nach § 51 Abs. 5 LVwVfG die Antragsfrist des § 51 Abs. 3 LVwVfG gelte und diese nicht eingehalten worden sei. Das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften vom sei spätestens seit Anfang Mai 2004 und die Entscheidungen des seien spätestens seit Mitte August 2004 bekannt gewesen. Daher sei der Antrag auf Wiederaufgreifen vom Januar 2005 verspätet gestellt worden. Diese Auslegung der Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen nach § 51 Abs. 5 LVwVfG ist rechtsfehlerhaft. § 51 Abs. 3 LVwVfG sieht zwar vor, dass der Antrag auf Wiederaufgreifen innerhalb einer Frist von drei Monaten gestellt wird. Die Frist ist nach der systematischen Stellung des Absatzes 3 im Gefüge des § 51 LVwVfG wie auch nach ihrem Sinn und Zweck aber ausschließlich auf die Wiederaufnahmegründe nach Absatz 1 bezogen, nicht auf das Wiederaufgreifen im Ermessenswege nach Absatz 5. Entscheidend ist hierbei der Sinn und Zweck der Vorschrift, wonach der Verwaltung von Amts wegen die Möglichkeit eingeräumt werden soll, einen Verwaltungsakt aufzuheben, ohne dass darauf ein Anspruch des durch den Bescheid Belasteten besteht (vgl. Gesetzesbegründung zu § 47 Abs. 5 VwVfG-E <heute: § 51 Abs. 5 VwVfG> a.a.O.). Dann ergibt es aber keinen Sinn, ein Wiederaufgreifen nach dieser Vorschrift von der Kenntniserlangung des Betroffenen abhängig zu machen, wie dies § 51 Abs. 3 LVwVfG regelt. Das bestätigt die Gesetzesbegründung, die als Anwendungsbeispiel für § 51 Abs. 5 VwVfG den Fall nennt, dass ein Betroffener "wegen Fristversäumnis nach Absatz 3 keinen Antrag mehr stellen kann" (vgl. BTDrucks 7/910 a.a.O.). Daher kann sich eine zeitliche Grenze für einen Anspruch auf fehlerfreie Ermessensentscheidung über das Wiederaufgreifen grundsätzlich nur aus dem Gesichtspunkt der Verwirkung ergeben; für diesen Ausschlussgrund sind im vorliegenden Fall keine Anhaltspunkte ersichtlich.
Wurde danach ein Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 Abs. 5 LVwVfG vom Regierungspräsidium rechtsfehlerhaft abgelehnt, hat der Kläger Anspruch auf eine Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts. Dabei spielt keine Rolle, welche Bedeutung den weiteren Ausführungen des Regierungspräsidiums in dessen Bescheid vom beizumessen ist, die mit den Worten "Unabhängig davon" eingeleitet werden und sich mit der Frage befassen, ob die Ausweisungsverfügung der Sache nach zu Recht ergangen ist. Denn eine erneute Sachentscheidung war der Behörde aufgrund der Rechtskraftbindung verwehrt. Ein Zweitbescheid darf im Falle eines rechtskräftig bestätigten Erstbescheids - wie oben bereits näher ausgeführt - erst erlassen werden, wenn die Behörde eine Positiventscheidung über das Wiederaufgreifen auf Stufe 1 der zu beachtenden Entscheidungsschritte getroffen hat. Dafür ist erforderlich, dass sich die Verwaltung bewusst ist, eine Wiederaufgreifensentscheidung zu treffen, die die Bindungswirkung nach § 121 VwGO durchbricht. Dies war hier nicht der Fall, da sich das Regierungspräsidium an einer solchen Entscheidung aufgrund der von ihm fehlerhaft angenommenen Fristversäumnis gehindert sah.
2.4
Der Kläger kann aufgrund vorstehender Gründe vom Beklagten eine ermessensfehlerfreie Neubescheidung auf der 1. Stufe verlangen, nicht jedoch ein Wiederaufgreifen mit dem Ziel der rückwirkenden Aufhebung des Ausweisungsbescheides. Denn für eine dahingehende Verdichtung des behördlichen Ermessens nach § 51 Abs. 5 LVwVfG i.V.m. § 48 Abs. 1 LVwVfG ergibt sich aus den Feststellungen des Berufungsgerichts nichts. Insoweit war die Revision des Klägers zurückzuweisen.
Das Wiederaufgreifensermessen nach § 51 Abs. 5 LVwVfG i.V.m. § 48 Abs. 1 LVwVfG verdichtet sich zu einem Anspruch des Betroffenen, wenn die Aufrechterhaltung der Ausweisung, etwa wegen offensichtlicher Fehlerhaftigkeit des sie bestätigenden gerichtlichen Urteils, schlechthin unerträglich wäre oder wenn die Überprüfung der Ausweisungsverfügung nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften gemeinschaftsrechtlich geboten ist (vgl. hierzu das Urteil des Senats vom selben Tag in der Sache BVerwG 1 C 26.08 - zur Veröffentlichung in der Entscheidungssammlung BVerwGE vorgesehen). Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor.
a) Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen für eine gemeinschaftsrechtliche Verpflichtung des Beklagten zur Überprüfung der nach innerstaatlicher Erschöpfung des Rechtswegs bestandskräftigen Ausweisung nicht vorliegen. Die vom Gerichtshof in der Rechtssache "Kühne & Heitz" (Urteil vom - Rs. C-453/00 - Slg. 2004, I-00837) aufgestellten und in der Rechtssache "Kempter" (Urteil vom - Rs. C-2/06 - Slg. 2008, I-00411) weiter konkretisierten Voraussetzungen für die Überprüfung einer nach innerstaatlicher Erschöpfung des Rechtswegs bestandskräftigen, aber gemeinschaftswidrigen Verwaltungsentscheidung liegen nicht vor. Es fehlt jedenfalls an einer Verletzung der Verpflichtung zur Einholung einer Vorabentscheidung des Gerichtshofs nach Art. 234 Abs. 3 EG im vorangegangenen Anfechtungsprozess. Denn ein Verstoß gegen die Verpflichtung der nationalen Gerichte zur Zusammenarbeit mit dem Gerichtshof nach Art. 10 EG liegt nur dann vor, wenn der gemeinschaftsrechtliche Gesichtspunkt, dessen Auslegung sich in Anbetracht eines späteren Urteils des Gerichtshofs als unrichtig erwiesen hat, von dem in letzter Instanz entscheidenden nationalen Gericht entweder geprüft wurde oder von Amts wegen hätte aufgegriffen werden können. Das Gemeinschaftsrecht gebietet den nationalen Gerichten nicht, von Amts wegen die Frage eines Verstoßes gegen gemeinschaftsrechtliche Bestimmungen zu prüfen, wenn sie durch die Prüfung dieser Frage die von den Parteien bestimmten Grenzen des Rechtsstreits überschreiten müssten. Sie müssen die rechtlichen Gesichtspunkte, die sich aus einer zwingenden Gemeinschaftsvorschrift ergeben, aber von Amts wegen aufgreifen, wenn sie nach dem nationalen Recht verpflichtet oder berechtigt sind, dies im Falle einer zwingenden Vorschrift des nationalen Rechts zu tun (vgl. a.a.O. Rn. 44 und 45).
Letztinstanzliches nationales Gericht bei der gerichtlichen Überprüfung der Ausweisungsverfügung war hier nicht das Verwaltungsgericht, sondern der Verwaltungsgerichtshof. Denn gegen das abweisende Urteil des Verwaltungsgerichts gab es die Möglichkeit, einen Antrag auf Zulassung der Berufung zu stellen, die der Kläger auch genutzt hat (im Ergebnis ebenso BVerwG 3 B 3.86 - NJW 1987, 601). Erst der die Zulassung der Berufung ablehnende Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs konnte nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden. Der Verwaltungsgerichtshof verstieß mit seiner damaligen Entscheidung aber nicht gegen die Vorlagepflicht des Art. 234 Abs. 3 EG. Den Antrag auf Zulassung der Berufung hatte der Kläger zwar auf ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts gestützt, in diesem Zusammenhang aber keine gemeinschaftsrechtlichen Bedenken geltend gemacht. Mangels Darlegung eines auf das Gemeinschaftsrecht bezogenen Zulassungsgrundes prüfte der Verwaltungsgerichtshof daher bei seiner Entscheidung nicht die Vereinbarkeit der Ausweisung mit Gemeinschaftsrecht und war hierzu nach nationalem Prozessrecht auch weder berechtigt noch verpflichtet.
b) Nach nationalem Recht liegt ebenfalls kein Fall vor, in dem sich das Wiederaufgreifensermessen so verdichtet hat, dass nur ein Wiederaufgreifen des Verfahrens ermessensfehlerfrei wäre. Insoweit trifft die Bewertung des Berufungsgerichts im Ergebnis zu, dass die Aufrechterhaltung der Ausweisungsverfügung nicht schlechthin unerträglich wäre.
(aa)
Eine derartige Unerträglichkeit kann sich aus einer offensichtlichen Fehlerhaftigkeit des die Ausweisung bestätigenden Urteils ergeben. In diesem Zusammenhang kann offen bleiben, ob die Ausweisung aus den vom Kläger geltend gemachten Gründen tatsächlich (gemeinschafts-)rechtswidrig war. Denn es fehlt - bezogen auf den Zeitpunkt des die Ausweisung bestätigenden Urteils des Verwaltungsgerichts - jedenfalls an einer offensichtlichen Rechtswidrigkeit der gerichtlichen Entscheidung.
Zwar dürfte davon auszugehen sein, dass der seit dem Alter von 10 Jahren in Deutschland aufgewachsene Kläger, der länger als fünf Jahre bei seinem als Arbeitnehmer beschäftigten Vater lebte, nach Art. 7 ARB 1/80 ein assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht erworben hat. Damit hätte das Verwaltungsgericht auf den Kläger die für die Ausweisung freizügigkeitsberechtigter Unionsbürger entwickelten Grundsätze übertragen müssen (vgl. BVerwG 1 C 29.02 - BVerwGE 121, 316 <320>). Dies hätte in verfahrensrechtlicher Hinsicht zur Folge gehabt, dass der Kläger nur unter Beachtung des Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG hätte ausgewiesen werden dürfen. Danach bedarf es bei Ausweisungen grundsätzlich der Einschaltung einer unabhängigen zweiten Stelle neben der Ausländerbehörde ("Vier-Augen-Prinzip", vgl. dazu BVerwG 1 C 7.04 - BVerwGE 124, 217 <221 ff.> und vom - BVerwG 1 C 47.06 - BVerwGE 129, 162 <170 f.>). Dass dies nicht geschehen ist, begründet hier aber keine offensichtliche Fehlerhaftigkeit des die Ausweisung bestätigenden Urteils. Denn die Konsequenzen der in Baden-Württemberg erfolgten Abschaffung des behördlichen Vorverfahrens mit Blick auf Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG waren bei Erlass des die Ausweisungsverfügung bestätigenden verwaltungsgerichtlichen Urteils jedenfalls nicht evident. Dass die verfahrensrechtlichen Mindestgarantien des Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG über die von den Verwaltungsgerichten gewährleistete Prüfung aller Tat- und Rechtsfragen unter Einbeziehung der Verhältnismäßigkeit einer Ausweisung hinaus eine "erschöpfende Prüfung ... einschließlich der Zweckmäßigkeit der beabsichtigten Maßnahme" gewährleisten sollten, wurde erst mit der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom in den Rechtssachen "Orfanopoulos und Oliveri" ( und C-493/01 - Slg. 2004, I-05257 Rn. 103 ff.) deutlich (vgl. BVerwG 1 C 33.07 - Buchholz 402.242 § 54 AufenthG Nr. 5).
Das die Rechtmäßigkeit der Ausweisung bestätigende Urteil war auch in materiellrechtlicher Hinsicht nicht offensichtlich fehlerhaft. Assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige dürfen zwar nur bei einer von ihnen ausgehenden gegenwärtigen Gefährdung der öffentlichen Ordnung aufgrund einer umfassenden Ermessensentscheidung ausgewiesen werden. Dabei ist für die gerichtliche Überprüfung der Ausweisung auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung der Tatsachengerichte abzustellen. Auch diese gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben waren zum Zeitpunkt der Abweisung der vom Kläger gegen die Ausweisungsverfügung erhobenen Klage durch das Verwaltungsgericht nicht offensichtlich, sondern beruhen ebenfalls auf einer späteren Änderung der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. BVerwG 1 C 29.02 - BVerwGE 121, 315 <318 ff.>) in Anlehnung an die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs in den Rechtssachen "Orfanopoulos und Oliveri" vom (a.a.O.).
Die Ausweisung des Klägers ist schließlich - bezogen auf den Zeitpunkt der sie bestätigenden gerichtlichen Entscheidung - auch nicht im Hinblick auf Art. 8 EMRK offensichtlich unverhältnismäßig. Art. 8 EMRK schützt das Recht auf Achtung des Familien- und des Privatlebens. In diese Rechte können die Vertragsstaaten nach Art. 8 Abs. 2 EMRK eingreifen, soweit die gewählte Maßnahme in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist, also durch ein dringendes soziales Bedürfnis gerechtfertigt wird und mit Blick auf die verfolgten legitimen Ziele auch im engeren Sinne verhältnismäßig ist (vgl. - NVwZ 2007, 946 m.w.N.). In diesem Zusammenhang hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte wiederholt festgestellt, dass Art. 8 EMRK auch im Gastland geborenen und aufgewachsenen Ausländern der zweiten Generation kein absolutes Bleiberecht gewährt. Entsprechend hat er in der Vergangenheit zwar in einigen Fällen dieser Art eine Verletzung von Art. 8 EMRK festgestellt, in einem beachtlichen Teil der Fälle eine Verletzung hingegen abgelehnt. Dabei wies die Rechtsprechung lange Zeit stark kasuistische Züge auf (vgl. - NVwZ 2004, 852 m.w.N.). Ob ein Ausländer der zweiten Generation ausgewiesen werden kann, ist letztlich anhand einer einzelfallbezogenen Würdigung der für die Ausweisung sprechenden öffentlichen Belange und der gegenläufigen Interessen des Ausländers und deren Abwägung gegeneinander zu ermitteln. Dabei sind die vom Menschenrechtsgerichtshof inzwischen entwickelten Kriterien zu beachten (vgl. insbesondere EGMR, Urteile vom - 54273/00 - Boultif, InfAuslR 2001, 476, vom - 46410/99 - Üner, InfAuslR 2005, 450 und vom - 1638/03 - Maslov II, InfAuslR 2008, 333). Dass diese Abwägung hier nur zu Gunsten des Klägers hätte ausfallen dürfen, war bei Abweisung der Klage gegen die Ausweisungsverfügung nicht evident. Zu Lasten des Klägers waren vor allem die Art und die Schwere der von ihm begangenen Straftat (Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in zwei Fällen) und die dadurch von ihm ausgehende Gefahr für die Gesellschaft zu berücksichtigen. Die seinerzeitige Gefahrenprognose hat sich im Übrigen nachträglich insofern bestätigt, als der Kläger im März 2003 erneut wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln (dieses Mal in 23 Fällen) zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden ist.
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Die Aufrechterhaltung der Ausweisung ist auch nicht aus sonstigen Gründen schlechthin unerträglich. Ohne Erfolg beruft sich der Kläger insoweit auf die aus seiner Sicht nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung von Ausländern, deren Ausweisung - ohne gerichtliche Überprüfung - bestandskräftig geworden ist, und solchen, bei denen der Ausweisungsbescheid rechtskräftig bestätigt worden ist. Dass insoweit Unterschiede bei der Aufhebung solcher Verfügungen bestehen, ist sachlich begründet und der besonderen Bindungswirkung rechtskräftiger Urteile nach § 121 VwGO geschuldet. Soweit sich der Kläger auf eine ihm im Fall der Abschiebung in die Türkei drohende Leib- und Lebensgefahr beruft, ist dieser Gesichtspunkt bei der Bescheidung seines Begehrens auf Aufhebung der Abschiebungsandrohung vom zu berücksichtigen, nicht aber im vorliegenden Verfahren. Droht dem Kläger nach den zu treffenden Feststellungen im noch ausstehenden Verfahren betreffend die Abschiebungsandrohung tatsächlich Gefahr für Leib und Leben in einer Weise, dass sie ein Abschiebungshindernis im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG begründet, wäre das Verfahren insoweit wiederaufzugreifen und neu in der Sache zu entscheiden. Die Neubescheidung könnte dann in der Weise erfolgen, dass der Staat Türkei gemäß § 59 Abs. 3 Satz 2 AufenthG in der Abschiebungsandrohung als der Staat bezeichnet wird, in den eine Abschiebung nicht erfolgen darf.
3. Da der Kläger mit seinem vorrangig verfolgten Begehren teilweise Erfolg hat und der Beklagte verpflichtet wird, den Antrag des Klägers auf Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 Abs. 5 LVwVfG i.V.m. §§ 48 und 49 LVwVfG mit dem Ziel der rückwirkenden Aufhebung der Ausweisungsverfügung neu zu bescheiden, war über den hilfsweise - für den Fall der vollständigen Abweisung seines Hauptbegehrens - gestellten Antrag auf Verpflichtung der Beklagten zum Widerruf der Verfügung mit Wirkung für die Zukunft nicht mehr zu entscheiden. Der Senat bemerkt hierzu jedoch Folgendes: Der Kläger hat sein auf Widerruf gerichtetes Hilfsbegehren bei verständiger Auslegung seines Vorbringens und seines prozessualen Verhaltens auch in der Berufungs- und Revisionsinstanz weiterverfolgt. Sollte der Beklagte im Rahmen der Neubescheidung ein Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 Abs. 5 LVwVfG ablehnen, wird er über das Hilfsbegehren des Klägers auf Widerruf der Ausweisungsverfügung zu entscheiden haben. Dabei wird zu beachten sein, dass die Berücksichtigung von Änderungen der Sachlage einer Bescheidung im Rahmen der Befristung nach § 11 AufenthG vorbehalten ist (vgl. Urteil vom - 1 C 21.07 - Rn. 13 = BVerwGE 129, 243 <246 f.>). Hingegen können Änderungen der Rechtsprechung, die zu einer Neubewertung der Rechtmäßigkeit der Ausweisung führen, im Rahmen der Ermessensentscheidung über den Widerruf berücksichtigt werden. In die Ermessensentscheidung wird auch einzustellen sein, dass der Widerruf der Korrektur noch nicht vollstreckter Verwaltungsentscheidungen - wie hier - dienen kann, wenn sie bei Zugrundelegung der heutigen Auslegung der Rechtslage so nicht mehr erlassen werden könnten.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Beschluss:
Der Wert des Streitgegenstands wird für das Revisionsverfahren auf 5 000 EUR festgesetzt (§ 47 Abs. 1 i.V.m. § 52 Abs. 2 GKG).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
WAAAD-37006