BSG Beschluss v. - B 12 SF 18/09 S

Leitsatz

Leitsatz:

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Instanzenzug: SG Gelsenkirchen, S 17 AR 1/09

Gründe

I

Der im Zuständigkeitsbereich des Sozialgerichts (SG) Bayreuth wohnende Kläger hat vor dem SG Bayreuth Klage erhoben gegen Bescheide der beklagten Krankenkasse, mit denen seine Versicherungspflicht aufgrund einer abhängigen Beschäftigung ab in seiner Tätigkeit als mitarbeitender Gesellschafter einer in G. und damit im Zuständigkeitsbereich des SG Gelsenkirchen liegenden Firma festgestellt worden war. Unter Hinweis darauf, dass die Klageerhebung allein wegen der Benennung des SG Bayreuth als zuständiges Gericht im Widerspruchsbescheid erfolgt sei, hat er um Prüfung gebeten, ob eine Verweisung des Rechtsstreits an das SG Gelsenkirchen als dem für den Ort seiner Tätigkeit zuständigen SG in zumindest analoger Anwendung des § 57 Abs 1 Satz 1 2. Halbsatz SGG in Betracht komme, und später einen entsprechenden Verweisungsantrag gestellt. Das SG Bayreuth hat den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben, sich nach Eingang der Stellungnahmen mit Beschluss vom für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das SG Gelsenkirchen verwiesen. Das SG Gelsenkirchen hat mit Schreiben vom die Streitsache dem Bundessozialgericht (BSG) vorgelegt, weil der Verweisungsbeschluss unter Missachtung der Stellungnahme der Beklagten willkürlich ergangen und damit nicht bindend sei.

II

Die Voraussetzungen für eine Zuständigkeitsbestimmung nach § 58 Abs 1 Nr 4 SGG durch das BSG liegen vor. Es ist als gemeinsam nächsthöheres Gericht im Sinne dieser Vorschrift zur Entscheidung des negativen Kompetenzkonflikts zwischen dem SG Bayreuth und dem SG Gelsenkirchen berufen, nachdem das SG Bayreuth seine örtliche Zuständigkeit verneint und den Rechtsstreit an das SG Gelsenkirchen verwiesen hat, dieses Gericht sich jedoch ebenfalls nicht für örtlich zuständig hält, sondern weiterhin das SG Bayreuth mangels Bindungswirkung als zuständig ansieht. Das SG Gelsenkirchen konnte von einem eigenen Verweisungsbeschluss absehen und von seiner Unzuständigkeit ausgehend unmittelbar das BSG zur Bestimmung des zuständigen Gerichts anrufen (vgl , SozR 4-1500 § 57a Nr 2).

Zum zuständigen Gericht ist das SG Gelsenkirchen zu bestimmen, weil dieses an den Verweisungsbeschluss des SG Bayreuth vom gebunden ist.

Gemäß § 98 Satz 1 SGG iVm § 17a Abs 2 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) ist ein Verweisungsbeschluss wegen örtlicher oder sachlicher Unzuständigkeit für das Gericht, an das verwiesen wurde, bindend. Dies gilt im Interesse des verfassungsrechtlich gewährleisteten effektiven Rechtsschutzes (Art 19 Abs 4 GG) und einer möglichst zügigen sachlichen Entscheidung grundsätzlich unabhängig von der Verletzung prozessualer oder materieller Vorschriften. Den Streit der beteiligten Gerichte über den Anwendungsbereich von Regelungen über die örtliche Zuständigkeit zu entscheiden oder in jedem Einzelfall die Richtigkeit des dem Verweisungsbeschluss zugrunde liegenden Subsumtionsvorgangs zu überprüfen, ist gerade nicht Aufgabe des gemeinsam übergeordneten Gerichts im Verfahren nach § 58 Abs 1 Nr 4 SGG.

Ausnahmsweise kommt dem Verweisungsbeschluss dann keine Bindungswirkung zu, wenn die Verweisung auf einer Missachtung elementarer Verfahrensgrundsätze oder einem willkürlichen Verhalten beruht (vgl BSG, Beschlüsse vom , B 1 SF 9/98 S, SozR 3-1720 § 17a Nr 11 S 19 ff, vom , B 7 SF 6/04 S, SozR 4-1500 § 57a Nr 2 RdNr 11, vom , B 13 SF 4/05 S, SozR 4-1500 § 58 Nr 6 RdNr 15, und vom , B 12 SF 3/07 S, SozR 4-1500 § 57 Nr 2 RdNr 4, sowie , NVwZ-RR 2002, 389). Willkürlich ist eine gerichtliche Entscheidung dann, wenn sie unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt mehr vertretbar ist, sodass sich der Schluss aufdrängt, dass sie auf sachfremden Erwägungen beruht und deshalb auch Art 3 Abs 1 GG verletzt. Allein ein offensichtlicher Irrtum eines Gerichts lässt die Bindungswirkung nicht entfallen. Danach ist für eine vom Verweisungsbeschluss des SG Bayreuth abweichende Bestimmung des örtlich zuständigen SG kein Raum.

Das SG Gelsenkirchen ist schon deshalb für die Entscheidung örtlich zuständig, weil der Verweisungsbeschluss des SG Bayreuth nach § 98 Satz 1 SGG, § 17a Abs 2 GVG unanfechtbar (§ 98 Satz 2 SGG) und für das SG Gelsenkirchen bindend ist (§ 17a Abs 1 GVG). Der Beschluss beruht nicht auf einer Verletzung elementarer Verfahrensgrundsätze, soweit sie hier zu beachten sind. Die fehlende Begründung des Beschlusses ist kein solcher Verstoß. Ob der Beschluss unter Verletzung des Anspruchs der Beteiligten auf rechtliches Gehör ergangen ist, kann offenbleiben, denn eine Verletzung dieses Anspruchs ist von keinem der Beteiligten nach Zustellung des Verweisungsbeschlusses des SG Bayreuth rechtzeitig geltend gemacht worden.

Das Verfahren bis zum Erlass des Beschlusses des SG Bayreuth legt allerdings nahe, dass hier das rechtliche Gehör der Beklagten verletzt sein könnte. Die Beklagte hatte im Schriftsatz vom auf den Wohnort des Klägers im Gerichtsbezirk des SG Bayreuth hingewiesen. Wenn das SG Bayreuth gleichwohl die Verweisung ohne jede Begründung aussprach, musste dies aus der Sicht der Beklagten den Eindruck erwecken, ihr Schriftsatz sei nicht zur Kenntnis genommen worden. Die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör ist in der Rechtsprechung der obersten Bundesgerichte als Grund angesehen worden, die Bindungswirkung eines Verweisungsbeschlusses nicht zu beachten (vgl BAG AP Nr 9 zu § 36 ZPO; BGHZ 71, 69 = FamRZ 1978, 402 = NJW 1978, 1163). Dies kann jedoch jedenfalls nach Einführung der Anhörungsrüge (§ 178a SGG) nur noch mit der Maßgabe gelten, dass die Verletzung des rechtlichen Gehörs von einem der Beteiligten innerhalb angemessener Frist nach Zustellung des Beschlusses geltend gemacht wird. Zwar gilt § 178a SGG nicht für Entscheidungen, die der Endentscheidung vorausgehen. Aus dieser Vorschrift ist jedoch der Grundsatz zu entnehmen, dass eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör nicht etwa zu einer von Amts wegen zu berücksichtigenden Unbeachtlichkeit einer Entscheidung führt. Die Verletzung muss vielmehr innerhalb angemessener Frist von dem gerügt werden, dessen Anspruch auf Gehör verletzt ist, wobei als angemessen die Frist des § 178a SGG zugrunde zu legen ist. Eine mögliche Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör durch das verweisende Gericht ist deshalb nicht etwa ohne Rüge von dem Gericht, an das ein Rechtsstreit verwiesen wird, zu prüfen und kann ohne vorhergehende Rüge im Rahmen einer Vorlage zur Entscheidung nach § 58 SGG keine vom Verweisungsbeschluss abweichende Bestimmung des zuständigen Gerichts rechtfertigen. Der Senat braucht hier nicht zu entscheiden, ob eine Verletzung des rechtlichen Gehörs durch den Betroffenen beim verweisenden Gericht oder beim Gericht, an das verwiesen worden ist, geltend zu machen wäre. Der Beschluss ist den Beteiligten am zugestellt worden. Die fehlende Begründung als der Umstand, der die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör begründen könnte, war damit bekannt. Bis zur Vorlage an das BSG durch das SG Gelsenkirchen am hat keiner der Beteiligten die Verletzung des rechtlichen Gehörs gerügt. Das spätere Vorbringen der Beklagten ist unbeachtlich. Das SG Gelsenkirchen selbst wiederum konnte jedenfalls nicht ohne eine solche Rüge der Beklagten den Verweisungsbeschluss mit der Begründung für unbeachtlich erklären, das Vorbringen der Beklagten sei vom SG Bayreuth nicht berücksichtigt worden. In der Sache macht das SG Gelsenkirchen damit geltend, der Beschluss sei unter Verletzung des Anspruchs der Beklagten auf rechtliches Gehör ergangen.

Die Entscheidung des SG Bayreuth ist auch nicht willkürlich. Selbst wenn das SG Bayreuth möglicherweise die Vorschrift des § 57 Abs 1 Satz 1 2. Halbsatz SGG fehlerhaft angewandt hat, nach der ein in einem Beschäftigungsverhältnis stehender Kläger auch vor dem für seinen Beschäftigungsort zuständigen SG klagen kann, war seine Rechtsauffassung nicht unter jedem rechtlichen Gesichtspunkt unvertretbar. Der Kläger hatte zwar bei Erhebung der Klage seinen Wohnsitz im Zuständigkeitsbereich des SG Bayreuth, dennoch war es nicht völlig fernliegend, entsprechend der Rechtsansicht des Klägers eine Zuständigkeit des SG Gelsenkirchen nach § 57 Abs 1 Satz 1 2. Halbsatz SGG anzunehmen, weil er in dessen Zuständigkeitsbereich tätig war. Da die Beklagte ihre angefochtene Entscheidung gerade auf das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung gestützt hatte, war möglicherweise hier - ähnlich wie für die Prüfung der Kostenfreiheit nach § 183 SGG - für die Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit zugunsten des Klägers von der im angefochtenen Bescheid zugrunde gelegten Rechtslage auszugehen. Der Kläger könnte auch berechtigt gewesen sein, noch mit oder nach Erhebung der Klage vor dem für seinen Wohnort zuständigen SG seine Wahl gemäß § 57 Abs 1 Satz 1 2. Halbsatz SGG auszuüben, weil im Widerspruchsbescheid nicht auf ein solches Wahlrecht hingewiesen worden war (vgl zur Wahlmöglichkeit Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer SGG 8. Aufl 2005 § 57 RdNr 7a und 7b mwN, sowie nunmehr 9. Aufl 2008 § 57 RdNr 7a und 7b mwN). Soweit das SG Bayreuth darüber hinaus trotz des Hinweises der Beklagten nicht ermittelt hat, ob diese Tätigkeit zum Zeitpunkt der Klageerhebung noch ausgeübt wurde, konnte dies zwar zu einer fehlerhaften Rechtsanwendung führen, ließ jedoch den Beschluss nicht allein deshalb als willkürlich erscheinen. Auch andere Umstände sind nicht ersichtlich, die darauf schließen lassen könnten, dass die Entscheidung des SG Bayreuth auf sachfremden Erwägungen beruht haben könnte.

Fundstelle(n):
WAAAD-36731