BGH Beschluss v. - XI ZB 6/09

Leitsatz

[1] Über die Identifizierbarkeit des Verfassers einer Berufungsbegründungsschrift ist aufgrund einer Gesamtwürdigung aller dem Berufungsgericht bei Ablauf der Begründungsfrist zur Verfügung stehenden Umstände zu entscheiden.

Gesetze: GG Art. 2 Abs. 1; ZPO § 130; ZPO § 520 Abs. 5

Instanzenzug: OLG München, 19 U 4014/08 vom LG München, 22 O 23033/07 vom

Gründe

I.

Der Kläger nimmt die beklagte Bank auf Rückabwicklung eines Darlehens zur Finanzierung des Erwerbs einer Eigentumswohnung in Anspruch. Sein Prozessbevollmächtigter hat gegen das klageabweisende Urteil des Landgerichts fristgerecht Berufung eingelegt. Die Berufungsbegründungsschrift ist am letzten Tag der mehrfach verlängerten Begründungsfrist um 16.38 Uhr mittels Telefax beim Berufungsgericht eingegangen. Im Briefkopf dieses Schriftsatzes werden die Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte K. K. , U. H. , B. L. , N. G. , M. Gö. und Ma. H. aufgeführt. Am Ende des Schriftsatzes befindet sich die maschinenschriftliche Angabe: "K. K. Rechtsanwalt". Daneben ist der Stempelaufdruck: "für den an der Unterschrift verhinderten Kollegen" angebracht. Darüber befindet sich ein Schriftzug, der aus einer mehrfach auf- und absteigenden Linie, einem darauf folgenden Punkt und einer anschließenden, ebenfalls auf- und absteigenden und dann waagerecht auslaufenden Linie besteht. Nach einem Hinweis des Berufungsgerichts, dass Bedenken gegen die ordnungsgemäße Unterzeichnung der Berufungsbegründungsschrift bestünden, weil der Unterzeichner nicht zweifelsfrei identifizierbar sei, hat der Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt.

Mit dem angefochtenen Beschluss vom hat das Berufungsgericht den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Dagegen wendet sich der Kläger mit der Rechtsbeschwerde.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist zulässig und begründet.

1.

Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 522 Abs. 1 Satz 4, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2, § 575 ZPO). Eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts ist zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich, weil die angefochtene Entscheidung auf einer Verletzung des Verfahrensgrundrechts des Klägers auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V. mit dem Rechtsstaatsprinzip) beruht (vgl. BGHZ 154, 288, 296; 159, 135, 139 f. zu § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 ZPO). Das Berufungsgericht hat aus den im Folgenden dargelegten Gründen überspannte Anforderungen an die Unterschrift des zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten des Klägers unter der Berufungsbegründungsschrift gestellt.

2.

Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet.

a)

Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:

Die Berufung sei nicht frist- und formgemäß begründet worden, weil die innerhalb der Begründungsfrist eingegangene Begründungsschrift nicht ordnungsgemäß unterzeichnet worden sei. Ihr Aussteller könne nicht zweifelsfrei identifiziert werden. Da der Briefkopf der Prozessbevollmächtigten des Klägers sechs Rechtsanwälte aufführe, habe sich im Zeitpunkt des Ablaufs der Begründungsfrist weder aus der Berufungsbegründungsschrift selbst noch aus dem Akteninhalt ergeben, welcher Rechtsanwalt die Berufungsbegründungsschrift unterzeichnet habe. Das auf der ersten Seite der Berufungsbegründung angeführte Zeichen "... " besage nichts über die Urheberschaft. Es sei schon nicht als Diktatzeichen erkennbar, sondern könne ebenso gut ein Registerzeichen sein. Außerdem lege der am Ende des Schriftsatzes angebrachte Stempel "für den an der Unterschrift verhinderten Kollegen" es nahe, dass ein zuvor mit der Sache nicht befasster Rechtsanwalt den Schriftsatz nur vertretungsweise gezeichnet habe.

Aus dem Schriftzug über dem Stempel ergebe sich die Autorenschaft ebenfalls nicht. Der Buchstabe vor dem Punkt könne ein M, aber auch ein U oder N sein. Der Schriftzug nach dem Punkt scheine mit einem U zu beginnen. Ein H scheine es eher nicht zu sein. Aber selbst in diesem Falle komme auch Rechtsanwältin U. H. als Urheberin in Betracht.

Da die Autorenschaft völlig offen sei, komme es nicht darauf an, ob im Übrigen eine gewollte Namensabkürzung oder eine formgültige Unterschrift vorliege. Letzteres könne aber bejaht werden.

Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei unbegründet, weil die Versäumung der Begründungsfrist auf einem dem Kläger gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnenden Verschulden seines Prozessbevollmächtigten beruhe. Dieser hätte seine Autorenschaft durch einen Namensstempel unzweifelhaft offen legen können. Da die Berufungsbegründungsschrift erst am letzten Tag der Frist zum Dienstschluss eingereicht worden sei, sei ein gerichtlicher Hinweis auf die Mängel der Unterschrift vor Fristablauf nicht mehr möglich gewesen. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers könne sich nicht auf Vertrauensschutz berufen. Er habe kein Verfahren benannt, in dem in der Vergangenheit eine derartige Berufungsbegründung ungerügt hingenommen worden sei. Im Übrigen mache er lediglich geltend, dass er bislang alle Schriftsätze so oder ähnlich wie die Berufungsbegründungsschrift im vorliegenden Verfahren unterzeichnet habe. Dies beziehe sich aber nicht darauf, dass er alle Schriftsätze anonym ohne Offenlegung seiner Autorenschaft unterschrieben habe.

b)

Diese Ausführungen halten rechtlicher Überprüfung nicht Stand.

aa)

Die Unterschrift ist allerdings gemäß § 520 Abs. 5, § 130 Nr. 6 ZPO grundsätzlich Wirksamkeitserfordernis einer Berufungsbegründungsschrift. Sie soll die Identifizierung des Urhebers der schriftlichen Prozesshandlung ermöglichen (BVerfG, NJW 2007, 3117) und dessen unbedingten Willen zum Ausdruck bringen, die volle Verantwortung für den Inhalt des Schriftsatzes zu übernehmen und diesen bei Gericht einzureichen (, NJW-RR 2009, 933, Tz. 7; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, 22. Aufl., § 130 Rn. 29, jeweils m.w.N.). Eine Unterschrift setzt einen die Identität des Unterzeichnenden ausreichend kennzeichnenden Schriftzug voraus, der individuelle, charakteristische Merkmale, die die Nachahmung erschweren, aufweist, der sich, ohne lesbar sein zu müssen, als Wiedergabe eines Namens darstellt und der die Absicht einer vollen Unterschrift erkennen lässt, selbst wenn er nur flüchtig niedergelegt und von einem starken Abschleifungsprozess gekennzeichnet ist. Unter diesen Voraussetzungen kann selbst ein vereinfachter und nicht lesbarer Namenszug als Unterschrift anzuerkennen sein, wobei insbesondere von Bedeutung ist, ob der Unterzeichner auch sonst in gleicher oder ähnlicher Weise unterschreibt. Dabei ist in Anbetracht der Variationsbreite, die selbst Unterschriften ein und derselben Person aufweisen, jedenfalls bei gesicherter Urheberschaft ein großzügiger Maßstab anzulegen (Senat, Urteil vom - XI ZR 253/07, WM 2008, 2158, Tz. 11 m.w.N.).

Die Prüfung, ob eine Unterzeichnung die an eine Unterschrift zu stellenden Anforderungen erfüllt, hat der Bundesgerichtshof von Amts wegen ohne Bindung an die Ausführungen des Berufungsgerichts vorzunehmen (, WM 2001, 1866, 1867). Dabei ist zu berücksichtigen, dass bei der Auslegung und Anwendung verfahrensrechtlicher Vorschriften keine überspannten Anforderungen gestellt werden und der Zugang zu den in den Verfahrensordnungen eingeräumten Instanzen nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden darf (BVerfG, NJW 2002, 3534).

bb)

Gemessen hieran hat das Berufungsgericht die Anforderungen an die Identifizierbarkeit des Urhebers der Berufungsbegründungsschrift überspannt. Entgegen seiner Auffassung steht fest, dass dieser Schriftsatz von Rechtsanwalt Ma. H. unterschrieben worden ist.

Aus dem unter der Unterschrift aufgebrachten Stempelaufdruck "für den an der Unterschrift verhinderten Kollegen" geht, wie auch das Berufungsgericht angenommen hat, hervor, dass anstelle von Rechtsanwalt K. eine(r) der anderen fünf, im Briefkopf des Schriftsatzes genannten Rechtsanwältinnen bzw. Rechtsanwälte unterschrieben hat. Für eine Unterzeichnung durch eine nicht der Sozietät angehörige Person oder eine Fälschung der Unterschrift fehlt jeder Anhaltspunkt.

Ob für eine ordnungsgemäße Berufungsbegründung die Feststellung ausreicht, dass die Begründungsschrift von einem von mehreren beim Berufungsgericht zugelassenen Rechtsanwälten unterzeichnet worden ist, ohne dass erkennbar ist, welcher dieser Rechtsanwälte unterschrieben hat (vgl. hierzu , VersR 2006, 387, Tz. 6 f.), bedarf keiner Entscheidung. Es kann nämlich mit ausreichender Sicherheit davon ausgegangen werden, dass Rechtsanwalt Ma. H. die Berufungsbegründungsschrift unterschrieben hat.

Die über dem Stempelaufdruck befindlichen Schriftzüge sollen, wie das Berufungsgericht ebenfalls zu Recht angenommen hat, den Anfangsbuchstaben des Vornamens, einen Punkt und den Nachnamen darstellen. Der Nachname ist zwar nicht lesbar. Die auf- und abführende Linie, mit der dieser Teil des Schriftzuges beginnt, kann aber jedenfalls kein L und kein G sein, so dass von den Namen der sechs, im Briefkopf des Schriftsatzes genannten Rechtsanwälte nur der Nachname H. in Betracht kommt. Die den Anfangsbuchstaben des Vornamens darstellende Linie führt zweimal auf- und jeweils anschließend abwärts. Dass der Ab- und Aufstrich in der Mitte deutlich kürzer als die außenstehenden Auf- bzw. Abstriche ist, zeigt mit hinreichender Deutlichkeit, dass es sich um ein M handelt. Hinzu kommt, dass die auf der ersten Seite der Berufungsbegründung unter dem Datum angegebenen Buchstaben KK-MH nur den Rechtsanwälten K. K. und Ma. H. zugeordnet werden können. Aufgrund der gebotenen Gesamtwürdigung dieses Zeichens und des Schriftzuges über dem Stempelaufdruck am Ende des Schriftsatzes konnte im Zeitpunkt des Ablaufs der Berufungsbegründungsfrist kein ernsthafter Zweifel daran bestehen, dass Rechtsanwalt Ma. H. die Berufungsbegründungsschrift unterschrieben hat.

Da auch die übrigen Anforderungen an eine wirksame Unterschrift, wie das Berufungsgericht zu Recht nicht in Zweifel zieht, erfüllt sind, ist die Berufung frist- und ordnungsgemäß begründet worden und somit zulässig. Über den Antrag auf Wiedereinsetzung ist daher nicht zu entscheiden.

III.

Der angefochtene Beschluss war daher aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung zurückzuverweisen (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO).

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:




Fundstelle(n):
NJW-RR 2010 S. 358 Nr. 5
StuB-Bilanzreport Nr. 2/2010 S. 79
YAAAD-34516

1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja