Leitsatz
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gesetze: GG Art. 12 Abs. 1; GG Art. 19 Abs. 4
Instanzenzug: VGH Baden-Württemberg, 9 S 1783/09 vom VG Karlsruhe, 11 K 1455/09 vom
Gründe
I.
Der Beschwerdeführer wendet sich mit der Verfassungsbeschwerde gegen die sofortige Vollziehung des Widerrufs seiner Approbation als Arzt wegen Unwürdigkeit sowie der Aufforderung, seine Approbationsurkunde in Verwahrung zu geben.
Er rügt eine Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 12 Abs. 1 und Art. 19 Abs. 4 GG und begehrt den Erlass einer einstweiligen Anordnung.
II.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist begründet.
1. Nach §§ 32, 93d Abs. 2 BVerfGG kann die Kammer im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Dabei haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsakts vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es sei denn, die Verfassungsbeschwerde erweist sich von vornherein als unzulässig oder offensichtlich unbegründet. Bei offenem Ausgang des Verfassungsbeschwerdeverfahrens muss das Bundesverfassungsgericht die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde aber der Erfolg zu versagen wäre (vgl. BVerfGE 88, 25 <35>; 89, 109 <110 f.>).
2. Die Verfassungsbeschwerde ist weder unzulässig noch offensichtlich unbegründet.
Durch die Anordnung der sofortigen Vollziehung des Widerrufs der Approbation und der Aufforderung, seine Approbationsurkunde in Verwahrung zu geben, wird die berufliche Betätigung des Beschwerdeführers beeinträchtigt. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind solche vorläufigen Eingriffe in die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsfreiheit nur unter strengen Voraussetzungen zum Schutze wichtiger Gemeinschaftsgüter und unter strikter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit statthaft. Die hohe Wahrscheinlichkeit, dass das Hauptsacheverfahren zum Nachteil des Betroffenen ausgehen wird, reicht nicht aus. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung setzt vielmehr voraus, dass überwiegende öffentliche Belange es rechtfertigen, den Rechtsschutzanspruch des Betroffenen gegen die Grundverfügung einstweilen zurückzustellen, um unaufschiebbare Maßnahmen im Interesse des allgemeinen Wohls rechtzeitig in die Wege zu leiten (vgl. BVerfGE 44, 105 <117 ff.>; stRspr). Ob diese Voraussetzungen gegeben sind, hängt von einer Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalls und insbesondere davon ab, ob eine weitere Berufstätigkeit schon vor Rechtskraft des Hauptsacheverfahrens konkrete Gefahren für wichtige Gemeinschaftsgüter befürchten lässt (vgl. BVerfGK 2, 89 <94>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom - 1 BvR 2157/07 -, NJW 2008, S. 1369 f. m.w.N.).
Des Weiteren gewährt das Verfahrensgrundrecht des Art. 19 Abs. 4 GG nicht nur das formelle Recht und die theoretische Möglichkeit, die Gerichte anzurufen, sondern auch die Effektivität des Rechtsschutzes; der Grundrechtsträger hat einen Anspruch auf eine tatsächlich wirksame gerichtliche Kontrolle (vgl. BVerfGE 35, 263 <274>; 35, 382 <401 f.>; 93, 1 <13>; stRspr). Der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG kommt daher nicht nur die Aufgabe zu, jeden Akt der Exekutive, der in Rechte des Grundrechtsträgers eingreift, vollständig der richterlichen Prüfung zu unterstellen, sondern auch irreparable Entscheidungen, wie sie durch die sofortige Vollziehung einer hoheitlichen Maßnahme eintreten können, soweit als möglich auszuschließen (vgl. BVerfGE 35, 263 <274>). Nur überwiegende öffentliche Belange können es rechtfertigen, den Rechtsschutzanspruch des Grundrechtsträgers einstweilen zurückzustellen, um unaufschiebbare Maßnahmen im Interesse des allgemeinen Wohls rechtzeitig in die Wege zu leiten. Dabei ist der Rechtsschutzanspruch umso stärker und darf umso weniger zurückstehen, je schwerwiegender die auferlegte Belastung ist und je mehr die Maßnahmen der Verwaltung Unabänderliches bewirken (vgl. BVerfGE 35, 382 <402>).
Ob die angegriffenen Maßnahmen diesen Maßstäben Rechnung tragen, ist zweifelhaft und bedarf der Überprüfung im Verfassungsbeschwerdeverfahren. Dabei wird namentlich zu prüfen sein, ob ausreichend berücksichtigt wurde, dass die Anordnung der sofortigen Vollziehung nicht allein auf eine offensichtliche Rechtmäßigkeit der Grundverfügung gestützt werden kann. Auch erscheint fraglich, ob das durch einen Approbationswiderruf wegen Unwürdigkeit geschützte Vertrauen in die Ärzteschaft ein Gemeinwohlinteresse ist, dessen Bedeutung in angemessenem Verhältnis zur Schwere des Eingriffs steht (zweifelnd zum Merkmal der Unwürdigkeit bereits BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom - 1 BvR 1028/05 -, juris; Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom - 1 BvR 1098/07 -, juris). Ferner wird zu prüfen sein, ob für den Fall einer weiteren Berufstätigkeit des Beschwerdeführers bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens hinreichend konkrete Gefahren für dieses Gemeinwohlinteresse festgestellt und ob die schwerwiegenden Folgen, die für den Beschwerdeführer mit der Anordnung des Sofortvollzugs verbunden sind, in angemessener Weise gegen das öffentliche Interesse abgewogen wurden.
3. Die hiernach gebotene Folgenabwägung führt zum Erlass der einstweiligen Anordnung.
Erginge die einstweilige Anordnung nicht, erwiese sich die Verfassungsbeschwerde aber als begründet, so entstünden dem Beschwerdeführer durch den Sofortvollzug des Approbationswiderrufs schwere und nahezu irreparable berufliche Nachteile. Er könnte mit sofortiger Wirkung seinen Beruf als Arzt nicht mehr ausüben. Infolgedessen würde er angesichts der monatlichen Fixkosten seine Praxis aufgeben und seinen Angestellten kündigen müssen. Zugleich würde er seinen Patientenstamm verlieren. Diese schwerwiegenden Konsequenzen wären bei einem späteren Erfolg der Verfassungsbeschwerde praktisch kaum noch rückgängig zu machen.
Erginge die einstweilige Anordnung, hätte die Verfassungsbeschwerde später aber keinen Erfolg, so könnte der Beschwerdeführer seine Praxis einstweilen weiter betreiben. Für die von ihm versorgten Patienten drohen hierdurch nach den im Ausgangsverfahren getroffenen Feststellungen keine Gefahren. Es ist danach nicht anzunehmen, dass der Beschwerdeführer bei einer weiteren Berufstätigkeit seine beruflichen Pflichten verletzen wird; eine Wiederholungsgefahr wurde verneint. Der Antragsgegner des Ausgangsverfahrens und die Fachgerichte gehen allerdings davon aus, dass durch die fortgesetzte berufliche Tätigkeit des Beschwerdeführers das Vertrauen der Allgemeinheit in die Ärzteschaft und das Ansehen desselben auch schon während des laufenden Hauptsacheverfahrens beeinträchtigt werden. Selbst wenn diese Annahme ungeachtet der Einwände des Beschwerdeführers für die Entscheidung über den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zugrunde gelegt wird, ist allerdings zu berücksichtigen, dass der mit den angegriffenen Entscheidungen angestrebte Schutz des Vertrauens in die Ärzteschaft durch eine einstweilige Anordnung nicht vereitelt, sondern nur aufgeschoben wird. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass gerade während der Dauer des Verfassungsbeschwerdeverfahrens ein unwiederbringlicher Vertrauensverlust der Allgemeinheit in die Ärzteschaft eintreten könnte.
Die aufgezeigten Folgen einer weiteren ärztlichen Tätigkeit des Beschwerdeführers fallen somit nicht nachhaltig ins Gewicht, während andererseits die beruflichen Folgen für den Beschwerdeführer bei Ablehnung der einstweiligen Anordnung existenziell wären. Die grundrechtlich geschützten Belange des Beschwerdeführers überwiegen daher das Interesse der Allgemeinheit an der sofortigen Vollziehung des Widerrufs seiner Approbation als Arzt.
4. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 3 BVerfGG.
5. Wegen der besonderen Dringlichkeit ergeht diese Entscheidung unter Verzicht auf die Anhörung des Antragsgegners des Ausgangsverfahrens (§ 32 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
IAAAD-34394