Anspruch natürlicher Personen auf Erteilung einer Steuernummer für Umsatzsteuerzwecke
Leitsatz
Hat eine natürliche Person durch Anmeldung eines Gewerbes ernsthaft die Absicht bekundet, unternehmerisch i.S. des § 2 UStG tätig zu werden, ist ihr außer in Fällen eines offensichtlichen, auf die Umsatzsteuer bezogenen Missbrauchs auf Antrag eine Steuernummer für Umsatzsteuerzwecke zu erteilen.
Gesetze: GG Art. 12 Abs. 1UStG § 2UStG § 14UStG § 14aUStG § 15
Instanzenzug: (EFG 2007, 1929) (Verfahrensverlauf),
Gründe
I.
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger), ein polnischer Staatsangehöriger, erklärte in dem Fragebogen zur Betriebseröffnung, am ein Gewerbe als Fliesen- und Estrichleger aufgenommen zu haben. Seinen Antrag, ihm eine Steuernummer zu erteilen, lehnte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt —FA—) unter Hinweis auf die nach seiner Ansicht fehlende Selbständigkeit der Tätigkeit des Klägers ab.
Den Einspruch wies das FA als unbegründet zurück, da der Kläger nach den bei einer Umsatzsteuernachschau festgestellten gesamten Umständen nicht selbständig tätig sei. Der Eintragung bei der Handwerkskammer in das Verzeichnis der zulassungsfreien Handwerke komme kein Beweiswert zu.
Zur Begründung der Klage brachte der Kläger vor, er habe sich als Fliesen- und Estrichleger selbständig gemacht. Aufgrund der Weigerung des FA, ihm eine Steuernummer zu erteilen, könne er jedoch keine Aufträge annehmen, da er ohne Steuernummer keine Rechnungen erteilen könne. Aus den von ihm vorgelegten Rechnungen ergebe sich im Übrigen, dass er als Subunternehmer tätig sei.
Das Finanzgericht (FG) verpflichtete das FA, dem Kläger eine Steuernummer zu erteilen. Dem Kläger stehe ein öffentlich-rechtlicher Anspruch auf Zuteilung einer Steuernummer zu, da er ohne Steuernummer im Rechtsverkehr nicht handlungsfähig sei und bei unternehmerischem Tätigwerden nach § 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) jeder Rechnung zwingend eine Steuernummer beifügen müsse. Ob er unternehmerisch tätig geworden sei oder nicht, spiele keine Rolle. Die Unternehmereigenschaft sei erst im Rahmen des Besteuerungsverfahrens zu prüfen. Die Finanzbehörden seien nicht berechtigt, zur „Gefahrenabwehr” bereits im Vorfeld des Tätigwerdens eines Steuerpflichtigen ihm die steuerliche Erfassung zu versagen. Das Urteil des FG ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 2007, 1929 veröffentlicht.
Mit der Revision vertritt das FA die Auffassung, dem Kläger stehe kein Anspruch auf Erteilung einer Steuernummer für Umsatzsteuerzwecke zu, weil er nach dem Gesamtbild der Verhältnisse kein Unternehmer i.S. des § 2 UStG sei und die bloße Erklärung der Absicht, unternehmerisch tätig werden zu wollen, den Anspruch nicht begründen könne. Ob ein Steuerpflichtiger Unternehmer i.S. des § 2 UStG sei, müsse bereits vor Erteilung der Steuernummer für umsatzsteuerliche Zwecke eingehend geprüft werden. Mit der Erteilung einer solchen Steuernummer erkenne das FA nämlich die Unternehmereigenschaft mit bindender Wirkung für den Umsatzsteuerjahresbescheid an.
Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
II.
Die Revision ist unbegründet und war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung —FGO—). Das FG hat das FA zu Recht zur Erteilung einer Steuernummer an den Kläger verpflichtet. Die Vorentscheidung ist dabei nach dem Gesamtzusammenhang dahingehend auszulegen, dass es sich um eine Steuernummer handeln muss, die der Kläger gemäß § 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 UStG in von ihm ausgestellten Rechnungen angeben kann.
1. Ein öffentlich-rechtlicher Anspruch von Unternehmern i.S. des § 2 UStG auf Erteilung einer Steuernummer für umsatzsteuerliche Zwecke ist zwar weder im Gemeinschaftsrecht noch im inländischen Recht ausdrücklich vorgesehen; ein solcher Anspruch ergibt sich aber mittelbar aus § 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 UStG (, BFH/NV 2008, 1004). Nach dieser Vorschrift muss eine Rechnung u.a. die dem leistenden Unternehmer vom Finanzamt erteilte Steuernummer oder die ihm vom Bundeszentralamt für Steuern erteilte Umsatzsteuer-Identifikationsnummer enthalten. Gemäß § 14 Abs. 2 Satz 1 UStG ist der Unternehmer, der eine Lieferung oder eine sonstige Leistung nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG ausführt, verpflichtet, innerhalb von sechs Monaten nach Ausführung der Leistung eine Rechnung auszustellen, wenn er einen Umsatz an einen anderen Unternehmer für dessen Unternehmen oder an eine juristische Person ausführt (§ 14 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Satz 2 UStG) oder wenn er eine steuerpflichtige Werklieferung (§ 3 Abs. 4 Satz 1 UStG) oder sonstige Leistung im Zusammenhang mit einem Grundstück ausführt (§ 14 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UStG).
Der Leistungsempfänger seinerseits kann das Recht auf Vorsteuerabzug gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 2 UStG nur ausüben, wenn er eine nach den §§ 14, 14a UStG ausgestellte Rechnung besitzt. Enthält die Rechnung weder eine dem leistenden Unternehmer erteilte Steuernummer noch dessen Umsatzsteuer-Identifikationsnummer, kann der Vorsteuerabzug nicht ausgeübt werden (Wagner in Sölch/Ringleb, Umsatzsteuer, § 15 Rz 359 bis 361; Hundt-Eßwein in Offerhaus/Söhn/Lange, § 15 UStG Rz 95; Stadie in Rau/Dürrwächter, Umsatzsteuergesetz, § 15 Rz 301 f.; Heidner in Bunjes/Geist, UStG, 9. Aufl., § 15 Rz 137a; , Rz 32, 36, 87 Abs. 2 Satz 2, BStBl I 2004, 258).
Die Steuernummer dient danach nicht nur der verwaltungstechnischen Erfassung von Steuerpflichtigen und der Durchführung des Besteuerungsverfahrens. Sie ist vielmehr regelmäßig Voraussetzung für ein selbständiges gewerbliches oder berufliches Tätigwerden, soweit nicht ausnahmsweise ausschließlich Umsätze ausgeführt werden sollen, für die die Ausstellung einer Rechnung mit Angabe der Steuernummer oder der Umsatzsteuer-Identifikationsnummer nicht vorgeschrieben ist. Der Verpflichtung des Unternehmers zur Ausstellung von Rechnungen unter Angabe der Steuernummer steht demgemäß ein öffentlich-rechtlicher Anspruch des Unternehmers auf Erteilung einer Steuernummer gegenüber (BFH-Beschluss in BFH/NV 2008, 1004). Die Steuernummer ist zudem auch Voraussetzung für die Erteilung einer Umsatzsteuer-Identifikationsnummer nach § 27a UStG. In dem Antrag auf Erteilung einer solchen Nummer ist nämlich die Steuernummer anzugeben, unter der der Antragsteller umsatzsteuerlich geführt wird (§ 27a Abs. 1 Satz 6 UStG).
Der Anspruch auf Erteilung einer Steuernummer für Umsatzsteuerzwecke besteht bereits dann, wenn der Antragsteller ernsthaft erklärt, ein selbständiges gewerbliches oder berufliches Tätigwerden zu beabsichtigen. Da, wie dargelegt, die Erteilung der Steuernummer für Umsatzsteuerzwecke regelmäßig Voraussetzung für ein solches Tätigwerden ist, kann sie nicht davon abhängig gemacht werden, dass eine entsprechende Tätigkeit bereits aufgenommen wurde. Lediglich in offensichtlichen Missbrauchsfällen kann die Erteilung der Steuernummer für Umsatzsteuerzwecke abgelehnt werden. Der Missbrauch muss sich dabei auf die Umsatzsteuer beziehen und kann insbesondere in dem offenkundig verfolgten Ziel bestehen, den Vorsteuerabzug für zu privaten Zwecken bezogene Lieferungen oder Leistungen zu Unrecht in Anspruch nehmen zu können. Ausländerrechtliche oder arbeitsmarktpolitische Fragen können bereits wegen der insoweit fehlenden Zuständigkeit der Finanzämter nicht berücksichtigt werden.
Gegen die grundsätzliche Verpflichtung zur Erteilung einer Steuernummer für Umsatzsteuerzwecke allein aufgrund der vom Antragsteller abgegebenen ernsthaften Erklärung, ein selbständiges gewerbliches oder berufliches Tätigwerden zu beabsichtigen, kann entgegen der Ansicht des FA nicht eingewandt werden, dass sich aus der Erteilung eine Bindungswirkung für die spätere Festsetzung von Umsatzsteuer oder Umsatzsteuer-Vorauszahlungen ergebe. Eine gesetzliche Grundlage für eine solche Bindungswirkung gibt es nicht. Beim Erlass von Umsatzsteuerbescheiden ist vielmehr die Unternehmereigenschaft eigenständig zu prüfen, ohne dass es auf die Erteilung einer Steuernummer ankommt (vgl. z.B. , BFHE 191, 468, BStBl II 2000, 597; vom V R 29/03, BFHE 209, 162, BStBl II 2005, 730, und vom V R 77/05, BFHE 219, 277, BStBl II 2008, 443). Die Berechtigung zum Vorsteuerabzug in Fällen, in denen es aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht zur Ausführung steuerpflichtiger, zum Vorsteuerabzug berechtigender Umsätze kommt, wird ebenfalls nicht aus der Erteilung einer Steuernummer für Umsatzsteuerzwecke abgeleitet. Entscheidend sind vielmehr die durch objektive Anhaltspunkte belegte Absicht, i.S. von § 2 UStG eine Umsatztätigkeit gegen Entgelt selbständig auszuüben, sowie die Tätigung erster Investitionsausgaben für diesen Zweck (, BFHE 194, 498, BStBl II 2003, 426; vom V R 24/98, BFHE 194, 522, BStBl II 2003, 430, und vom V R 38/00, BFHE 195, 437, BStBl II 2003, 434; , BFH/NV 2002, 1351). Die Unternehmereigenschaft des Leistenden ist bei der Steuerfestsetzung gegen den Leistungsempfänger, der den Vorsteuerabzug begehrt, und in einem etwaigen Rechtsstreit ebenfalls eigenständig zu prüfen (, BFH/NV 2008, 1210).
Dass die Erteilung einer Steuernummer für Umsatzsteuerzwecke für die spätere Festsetzung von Umsatzsteuer bindend sei, lässt sich entgegen der Auffassung des FA auch nicht aus der von ihm angeführten Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) ableiten. Die , Inzo (Slg. 1996, I-857, BStBl II 1996, 655), vom C-396/98, Schloßstraße (Slg. 2000, I-4279, BStBl II 2003, 446) und vom C-400/98, Breitsohl (Slg. 2000, I-4321, BStBl II 2003, 452) betreffen ebenso wie die darauf aufbauende Rechtsprechung des BFH (Urteile in BFHE 194, 498, BStBl II 2003, 426; in BFHE 194, 522, BStBl II 2003, 430, und in BFHE 195, 437, BStBl II 2003, 434; Beschluss in BFH/NV 2002, 1351) die Berechtigung zum Vorsteuerabzug, wenn es nicht zur Ausführung steuerpflichtiger Umsätze kommt. Diese Berechtigung hat der EuGH ebenso wie der BFH nicht aus der Erteilung einer Steuernummer für Umsatzsteuerzwecke abgeleitet.
Der EuGH hat in den o.g. Entscheidungen zudem klargestellt, dass in Missbrauchs- oder Betrugsfällen kein Recht zum Vorsteuerabzug besteht. Die Eigenschaft als Steuerpflichtiger wird danach nur dann endgültig erlangt, wenn die Erklärung, die beabsichtigten wirtschaftlichen Tätigkeiten aufnehmen zu wollen, vom Betroffenen in gutem Glauben abgegeben worden ist, nicht hingegen, wenn der Betroffene die Absicht, eine bestimmte wirtschaftliche Tätigkeit aufzunehmen, nur vorgespiegelt, in Wirklichkeit jedoch versucht hat, Gegenstände, deren Erwerb zum Vorsteuerabzug berechtigen kann, seinem Privatvermögen zuzuführen.
Das vom FA ferner angeführte , Planzer Luxembourg Sarl (Slg. 2007, I-5655, BFH/NV 2007, Beilage 4, 418) ist nicht einschlägig. Es betrifft die Bindungswirkung der Unternehmerbescheinigung nach Art. 3 Buchst. b und Art. 9 Abs. 2 der Achten Richtlinie des Rates vom zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 79/1072/EWG (in Deutschland: § 61 Abs. 3 der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung) und den Begriff des Sitzes der wirtschaftlichen Tätigkeit i.S. des Art. 1 Nr. 1 der Dreizehnten Richtlinie des Rates vom zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 86/560/EWG.
2. Das FG hat das FA danach zu Recht verpflichtet, dem Kläger eine Steuernummer für umsatzsteuerliche Zwecke zu erteilen. Der Kläger hat durch die Gewerbeanmeldung bei der Handwerkskammer und die Angaben im Fragebogen zur Betriebseröffnung ernsthaft seine Absicht bekundet, eine selbständige gewerbliche Tätigkeit auszuüben. Aus den vom FG getroffenen Feststellungen und den Ausführungen des FA in der Einspruchsentscheidung und im gerichtlichen Verfahren lässt sich nicht entnehmen, dass der Antrag des Klägers, ihm eine Steuernummer für Umsatzsteuerzwecke zu erteilen, bezogen auf die Umsatzsteuer offensichtlich missbräuchlich ist. Auf die Frage, ob der Kläger tatsächlich als Unternehmer (§ 2 Abs. 1 Satz 1 UStG) oder gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 1 UStG nicht selbständig tätig geworden ist, kommt es nicht an (vgl. zur Abgrenzung , BFH/NV 2009, 1749, m.w.N.).
Mit der Weigerung, dem Kläger die beantragte Steuernummer für Umsatzsteuerzwecke zu erteilen, hat das FA ohne gesetzliche Grundlage in den Schutzbereich der dem Kläger zustehenden Grundrechte eingegriffen. Für Deutsche und für inländische juristische Personen des Privatrechts gilt insoweit das Grundrecht auf Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 des Grundgesetzes —GG— (BFH-Beschluss in BFH/NV 2008, 1004). Ob dem Kläger als polnischem Staatsangehörigen über den Wortlaut des Art. 12 Abs. 1 GG hinaus dieses Grundrecht aufgrund gemeinschaftsrechtlicher Anforderungen ebenfalls zusteht, kann auf sich beruhen (vgl. dazu Di Fabio in Maunz/Dürig, Komm. z. GG, Art. 2 Abs. 1 Rz 35; Scholz in Maunz/Dürig, a.a.O., Art. 12 Rz 105; Mann in Sachs, Grundgesetz, 5. Aufl., Art. 12 Rz 34 f.; Jarass in Jarass/Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Kommentar, 10. Aufl., Art. 12 Rz 10 und Art. 19 Rz 12; Wieland in Dreier, Grundgesetz-Kommentar, Bd. 1, 2. Aufl., Art. 12 Rz 72; Manssen in v. Mangoldt/Klein/ Starck, GG, 5. Aufl., Art. 12 Abs. 1 Rz 265; Umbach in Umbach/ Clemens, Grundgesetz, Mitarbeiterkommentar, Art. 12 Rz 65). Jedenfalls genießt der Kläger den Schutz der allgemeinen Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG ( u.a., BVerfGE 78, 179, 196 f.; , BVerfGE 104, 337, 345 f.).
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
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Fundstelle(n):
BStBl 2010 II Seite 712
BB 2010 S. 21 Nr. 1
BBK-Kurznachricht Nr. 5/2010 S. 193
BFH/NV 2010 S. 365 Nr. 2
BFH/PR 2010 S. 95 Nr. 3
BStBl II 2010 S. 712 Nr. 12
DB 2010 S. 89 Nr. 2
DStR 2009 S. 2665 Nr. 51
DStRE 2010 S. 134 Nr. 2
DStZ 2010 S. 218 Nr. 7
GStB 2010 S. 6 Nr. 2
HFR 2010 S. 141 Nr. 2
KÖSDI 2010 S. 16797 Nr. 1
NWB-Eilnachricht Nr. 52/2009 S. 4068
StB 2010 S. 5 Nr. 1
StC 2010 S. 11 Nr. 3
StuB-Bilanzreport Nr. 2/2010 S. 78
UR 2010 S. 138 Nr. 4
UAAAD-34056