BFH Beschluss v. - III B 6/08

Offenbare Unrichtigkeit bei Irrtum über den tatsächlichen Programmablauf oder die Nichtbeachtung einer Dienstanweisung für das maschinelle Veranlagungsverfahren

Gesetze: AO § 129, FGO § 115 Abs. 2 Nr. 2

Instanzenzug:

Gründe

I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) ist seit Mitte des Streitjahres 2002 geschieden.

Im April 2004 reichte er die —nur von ihm unterzeichneten— Einkommensteuererklärungen für die Jahre 2002 und 2003 bei dem Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt —FA—) ein. Im Mantelbogen der Erklärungen trug er in dem hierfür vorgesehenen Feld „geschieden seit dem” in Zeile 7 das Scheidungsdatum ein. Angaben zur geschiedenen Ehefrau, insbesondere zu deren Einkünften, enthielten die Steuererklärungen nicht. Die nur von Ehegatten auszufüllende Zeile 13, in der Angaben zur Wahl der Ehegattenveranlagung (Zusammen- oder getrennte Veranlagung) vorgesehen sind, war ebenfalls nicht ausgefüllt. Direkt unter der Angabe des Klägers zu seinem Familienstand brachte der Sachbearbeiter des FA handschriftlich den Vermerk „GD geändert ” an.

Unter dem ergingen zeitgleich die —lediglich an den Kläger adressierten— Einkommensteuerbescheide für 2002 und 2003. Die Einkommensteuerfestsetzung für 2003 wurde als Einzelveranlagung durchgeführt; im Einkommensteuerbescheid 2002 hingegen waren bei der Berechnung des zu versteuernden Einkommens beide Ehegatten aufgeführt, für die Ehefrau aber keine Einkünfte angesetzt. Die Einkommensteuer wurde nach der Splittingtabelle berechnet. Der Einkommensteuerbescheid für 2002 wurde bestandskräftig.

Die fehlerhafte Veranlagung beruhte darauf, dass bei der Änderung der Stammdaten lediglich der Wechsel des Familienstandes „geschieden” statt „verheiratet” gespeichert worden war. Für das Jahr der Scheidung wäre aber aus programmtechnischen Gründen eine Zusatzspeicherung „dauernd getrennt lebend” erforderlich gewesen.

Nach Aufdeckung des Fehlers bei einer Innenrevision erließ das FA am einen nach § 129 der Abgabenordnung (AO) berichtigten Bescheid, in dem für den Kläger —zutreffend— eine Einzelveranlagung durchgeführt und die Einkommensteuer nach der Grundtabelle berechnet wurde. Der Einspruch blieb erfolglos.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Das FA habe den Einkommensteuerbescheid 2002 nach § 129 AO korrigieren dürfen. Der Fehler beruhe nicht auf einer mangelnden Sachaufklärung durch den Sachbearbeiter. Denn er habe unmittelbar nach Eingang der Erklärung eine entsprechende Änderung des Familienstandes in den Stammdaten veranlasst. Für eine Prüfung, ob der Kläger und seine Ehefrau im Scheidungsjahr zeitweise noch zusammen gelebt hätten, habe aufgrund der vom Kläger allein eingereichten Einkommensteuererklärung für 2002 kein Anlass bestanden. Dahinstehen könne, ob dem Sachbearbeiter bekannt gewesen sei oder zumindest hätte bekannt sein müssen, dass für die Durchführung einer Einzelveranlagung für das Scheidungsjahr zusätzlich zu den Grunddaten eine Angabe zum dauernden Getrenntleben erforderlich sei. Denn insoweit handle es sich um ein einem mechanischen Versehen gleichgestelltes Versehen über den tatsächlichen Programmablauf bzw. die Nichtbeachtung der für das maschinelle Veranlagungsverfahren geltenden Dienstanweisung. Die fehlerhafte Veranlagung beruhe auch nicht auf einem Rechtsirrtum des Bearbeiters. Hätte der Sachbearbeiter bewusst eine Zusammenveranlagung für 2002 durchführen wollen, hätte er u.a. einen inhaltsgleichen Bescheid für die Ehefrau ausgedruckt und dieser bekannt gegeben. Zudem hätte der an den Kläger adressierte Bescheid einen entsprechenden Hinweis auf den der Ehefrau bekannt gegebenen Bescheid enthalten. Die fernliegende Möglichkeit, der Sachbearbeiter habe entsprechend § 32a Abs. 6 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes rechtsirrig den Splittingtarif gewähren wollen, sei schon theoretisch auszuschließen.

Mit seiner Beschwerde macht der Kläger die Erforderlichkeit einer Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geltend (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 der FinanzgerichtsordnungFGO—). Das Urteil des FG weiche von den Rechtsgrundsätzen der BFH-Rechtsprechung ab. Der BFH habe in seiner Entscheidung vom VI R 63/84 (BFH/NV 1987, 480) den abstrakten Rechtssatz aufgestellt, Fehler bei der Auslegung oder Nichtanwendung einer Rechtsnorm, unrichtige Tatsachenwürdigung, unzutreffende Annahme eines in Wirklichkeit nicht vorliegenden Sachverhalts oder Fehler, die auf mangelnder Sachaufklärung bzw. Nichtbeachtung feststehender Tatsachen beruhten, würden eine Korrektur nach § 129 AO ausschließen. Die Argumentation des FG, mit der es den Ausschluss eines Rechtsirrtums begründe, weiche von den Grundsätzen des BFH ab. Dadurch, dass das FG ausgeführt habe, der Sachbearbeiter des FA hätte Ermittlungen bezüglich der Ehefrau angestellt, wenn er bewusst eine Zusammenveranlagung hätte durchführen wollen, stelle das FG eine reine Hypothese auf. Diese Hypothese schließe aber nicht aus, dass der Sachbearbeiter einem Rechtsirrtum unterlegen sei. Deshalb weiche das FG in seinem Urteil auch von den Entscheidungen des (BFH/NV 2005, 1013) und vom XI R 17/05 (BFH/NV 2007, 1810) ab, nach denen keine offenbare Unrichtigkeit i.S. des § 129 AO gegeben sei, wenn mehr als nur die theoretische Möglichkeit eines Rechtsirrtums bestehe.

II. Die Beschwerde ist unbegründet und wird zurückgewiesen (§ 116 Abs. 5 Satz 1 FGO).

Das Urteil des FG weicht nicht von den vom Kläger zitierten BFH-Entscheidungen ab.

1. Eine die Rechtseinheit gefährdende Abweichung ist dann gegeben, wenn das FG bei vergleichbarem Sachverhalt in einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage eine andere Rechtsauffassung vertritt als der BFH oder ein anderes FG (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. , BFH/NV 2008, 802, m.w.N.; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 115 Rz 53, m.w.N.). Das FG muss seiner Entscheidung einen abstrakten Rechtssatz zugrunde gelegt haben, der mit den tragenden Rechtsausführungen in der Divergenzentscheidung des anderen Gerichts nicht übereinstimmt.

2. Das FG hat seinem Urteil die Rechtsgrundsätze der Entscheidungen in BFH/NV 1987, 480, BFH/NV 2005, 1013 und in BFH/NV 2007, 1810 zugrunde gelegt. Es ist davon ausgegangen, dass bei einem Rechtsirrtum des Sachbearbeiters eine Korrektur des Einkommensteuerbescheids 2002 nicht in Betracht komme. Es ist jedoch unter Würdigung des Sachverhalts im Streitfall zu dem Ergebnis gelangt, der Sachbearbeiter habe keine Zusammenveranlagung durchführen wollen. Es hat weiter dargelegt, dass die fernliegende Möglichkeit, der Sachbearbeiter habe rechtsirrig den Splittingtarif gewähren wollen, schon theoretisch auszuschließen sei.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2010 S. 176 Nr. 2
NAAAD-34041