BFH Beschluss v. - XI R 37/08 BStBl 2010 II S. 368

EuGH-Vorlage zur Abgrenzung von Restaurationsleistungen (Dienstleistungen) und Lieferungen von Nahrungsmitteln; Leistungen des Betreibers eines Imbiss-Standes

Leitsatz

Dem EuGH werden folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Ist der Begriff „Nahrungsmittel” in Anhang H Kategorie 1 der Richtlinie 77/388/EWG dahin auszulegen, dass darunter nur Nahrungsmittel „zum Mitnehmen” fallen, wie sie typischerweise im Lebensmittelhandel verkauft werden, oder fallen darunter auch Speisen oder Mahlzeiten, die —durch Kochen, Braten, Backen oder auf sonstige Weise— zum sofortigen Verzehr zubereitet worden sind?

2. Falls „Nahrungsmittel” im Sinne des Anhangs H Kategorie 1 der Richtlinie 77/388/EWG auch Speisen oder Mahlzeiten zum sofortigen Verzehr sind:

Ist Art. 6 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 77/388/EWG dahin auszulegen, dass darunter die Abgabe frisch zubereiteter Speisen oder Mahlzeiten fällt, die der Abnehmer unter Inanspruchnahme von Verzehrvorrichtungen, wie z.B. Ablagebrettern, Stehtischen oder Ähnlichem, an Ort und Stelle verzehrt und nicht mitnimmt?

Gesetze: UStG 1993/1999 § 3 Abs. 1UStG 1993/1999 § 3 Abs. 9UStG 1993/1999 § 12 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1, Nrn. 28, 31, 32UStG 1993/1999 33 der Anlage zu § 12 Abs. 2 Nr. 1Richtlinie 77/388/EWG Art. 5 Abs. 1Richtlinie 77/388/EWG Art. 6 Abs. 1 Satz 1Richtlinie 77/388/EWG Art. 12 Abs. 3 Buchst. a, Anhang H Kategorie 1

Instanzenzug: (EFG 2008, 647) (Verfahrensverlauf),

Gründe

I. Sachverhalt

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) betrieb in den Jahren 1996 bis 1999 (Streitjahre) mehrere Imbissstände und einen Schwenkgrill. Er verkaufte dort verzehrfertige Speisen (Bratwurst, Currywurst, Hot Dog, Pommes Frites bzw. Steaks, Bauchfleisch, Spieße, Bauchrippe).

Er behandelte sämtliche Umsätze aus der Abgabe von Speisen als solche, die dem ermäßigten Umsatzsteuersatz unterliegen.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (Finanzamt —FA—) führte eine Betriebsprüfung für die Jahre 1996 bis 1999 durch. Dabei stellte die Prüferin fest, dass an den Imbissständen Ablagebretter vorhanden waren. Sie meinte, dass es sich hierbei um besondere Vorrichtungen handele, die zum Verzehr von Speisen an Ort und Stelle bereit gehalten würden. Deshalb seien die bisher mit dem ermäßigten Steuersatz versteuerten Umsätze grundsätzlich der Regelbesteuerung zu unterwerfen. Da sie nicht ausschloss, dass ein Teil der Kunden die vorhandenen Ablagebretter nicht zum Verzehr benutzte, sondern die Speisen „zum Mitnehmen” erwarb, schätzte sie den Anteil der der Regelbesteuerung unterliegenden Umsätze auf 80 %.

Das FA erließ am dementsprechend geänderte Umsatzsteuerbescheide für 1996 bis 1999. Die hiergegen eingelegten Einsprüche hatten keinen Erfolg.

Während des Klageverfahrens erließ das FA am geänderte Umsatzsteuerbescheide für die Jahre 1996 bis 1999 aus Gründen, die das vorliegende Verfahren nicht betreffen.

Die Klage hatte keinen Erfolg. Das Urteil ist veröffentlicht in Entscheidungen der Finanzgerichte 2008, 647.

Der Kläger trägt zur Begründung seiner Revision im Wesentlichen vor, das Ablagebrett an einem Imbissstand sei keine Infrastruktur im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH).

Er beantragt sinngemäß, die Vorentscheidung aufzuheben und die Umsatzsteuerbescheide 1996 bis 1999 vom dahingehend zu ändern, dass die Umsätze aus dem Verkauf der fertig zubereiteten Speisen als Lieferungen dem ermäßigten Steuersatz zu unterwerfen sind.

Das FA beantragt sinngemäß, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

II. Der Senat legt dem EuGH die im Leitsatz bezeichneten Fragen zur Auslegung des Gemeinschaftsrechts vor und setzt das Verfahren bis zur Entscheidung des EuGH aus.

1. Die maßgeblichen Vorschriften und Bestimmungen

a) Die Vorschriften des nationalen Rechts

§ 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1993/1999 bestimmt:

„Der Umsatzsteuer unterliegen die folgenden Umsätze:

1. die Lieferungen und sonstigen Leistungen, die ein Unternehmer im Inland gegen Entgelt im Rahmen seines Unternehmens ausführt.”

Die Höhe des Regelsteuersatzes ergibt sich aus § 12 Abs. 1 UStG 1993/1999. Dieser beträgt in den Streitjahren 15 % bzw. 16 % der Bemessungsgrundlage.

Nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 UStG 1993/1999 ermäßigt sich die Steuer auf 7 % u.a. für die Lieferungen der in der Anlage des Gesetzes bezeichneten Gegenstände, darunter z.B. Zubereitungen von Fleisch, Fischen usw. (Nr. 28), aus Getreide, Mehl, Stärke oder Milch sowie Backwaren (Nr. 31), Zubereitungen von Gemüse, Früchten usw. (Nr. 32) oder „verschiedene Lebensmittelzubereitungen” (Nr. 33). Die Anlage verweist auf die jeweiligen Kapitel, Positionen und Unterpositionen des Zolltarifs.

Gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 1 Sätze 2 und 3 UStG 1993 in der bis geltenden Fassung (UStG 1993 a.F.) gilt der ermäßigte Steuersatz

„... nicht für die Lieferungen von Speisen und Getränken zum Verzehr an Ort und Stelle. Speisen und Getränke werden zum Verzehr an Ort und Stelle geliefert, wenn sie nach den Umständen der Lieferung dazu bestimmt sind, an einem Ort verzehrt zu werden, der mit dem Ort der Lieferung in einem räumlichen Zusammenhang steht, und besondere Vorrichtungen für den Verzehr an Ort und Stelle bereitgehalten werden.”

Durch Art. 4 Nr. 4 des Gesetzes zur Datenermittlung für den Verteilungsschlüssel des Gemeindeanteils am Umsatzsteueraufkommen und zur Änderung steuerlicher Vorschriften vom —UStGemAntG— (BGBl I 1998, 1496) hat der Gesetzgeber mit Wirkung vom die Sätze 2 und 3 in § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG 1993 a.F. gestrichen.

§ 3 Abs. 1 UStG 1993/1999 bestimmt:

„Lieferungen eines Unternehmers sind Leistungen, durch die er oder in seinem Auftrag ein Dritter den Abnehmer oder in dessen Auftrag einen Dritten befähigt, im eigenen Namen über einen Gegenstand zu verfügen (Verschaffung der Verfügungsmacht).”

§ 3 Abs. 9 Satz 1 UStG 1993/1999 regelt:

„Sonstige Leistungen sind Leistungen, die keine Lieferungen sind.”

Mit Wirkung vom fügte der Gesetzgeber durch Art. 4 Nr. 1 UStGemAntG in § 3 Abs. 9 UStG 1993 die Sätze 4 und 5 ein. Diese lauten:

„Die Abgabe von Speisen und Getränken zum Verzehr an Ort und Stelle ist eine sonstige Leistung. Speisen und Getränke werden zum Verzehr an Ort und Stelle abgegeben, wenn sie nach den Umständen der Abgabe dazu bestimmt sind, an einem Ort verzehrt zu werden, der mit dem Abgabeort in einem räumlichen Zusammenhang steht, und besondere Vorrichtungen für den Verzehr an Ort und Stelle bereitgehalten werden.”

b) Die Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts

Art. 2 Nr. 1 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern (Richtlinie 77/388/EWG) lautet:

„Der Mehrwertsteuer unterliegen:

1. Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Inland gegen Entgelt ausführt;

...”

Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG regelt:

„Als Lieferung eines Gegenstands gilt die Übertragung der Befähigung, wie ein Eigentümer über einen körperlichen Gegenstand zu verfügen.”

Art. 6 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 77/388/EWG bestimmt:

„Als Dienstleistung gilt jede Leistung, die keine Lieferung eines Gegenstands im Sinne des Artikels 5 ist.”

Art. 12 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie 77/388/EWG sieht vor:

„Der Normalsatz der Mehrwertsteuer wird von jedem Mitgliedstaat als ein Prozentsatz der Besteuerungsgrundlage festgelegt, der für Lieferungen von Gegenständen und für Dienstleistungen gleich ist. ...

Die Mitgliedstaaten können außerdem einen oder zwei ermäßigte Sätze anwenden. Diese ermäßigten Sätze werden als ein Prozentsatz der Besteuerungsgrundlage festgelegt, der nicht niedriger als 5 % sein darf, und sind nur auf Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen der in Anhang H genannten Kategorien anwendbar.

...”

Anhang H („Verzeichnis der Gegenstände und Dienstleistungen, auf die ermäßigte MWSt.-Sätze angewandt werden können”) der Richtlinie 77/388/EWG nennt als Kategorie 1 u.a. „Nahrungs- und Futtermittel” sowie „üblicherweise für die Zubereitung von Nahrungs- und Futtermitteln verwendete Zutaten”.

2. Rechtliche Würdigung

a) Steuerrechtliche Behandlung der Leistungen des Klägers nach nationalem Recht

aa) Die Umsätze des Klägers im Jahr 1996 und bis zum aus dem Verkauf von Speisen und Getränken zum Verzehr an Ort und Stelle unterliegen nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 Sätze 2 und 3 UStG 1993 a.F. insoweit dem Regelsteuersatz, als die Kunden die Ablagebretter zum Verzehr der erworbenen Speisen tatsächlich genutzt haben. Denn nach dem (BFHE 191, 429, BStBl II 2000, 482) sind Ablagebretter Verzehrvorrichtungen im Sinne dieser Vorschrift. Ferner sind die vom Kläger gelieferten Speisen nach den Umständen der Lieferung dazu bestimmt, an einem Ort verzehrt zu werden, der mit dem Ort der Lieferung in einem räumlichen Zusammenhang steht.

bb) Ab dem und im Jahr 1999 handelt es sich bei den Umsätzen des Klägers aus dem Verkauf von Speisen und Getränken zum Verzehr an Ort und Stelle nach § 3 Abs. 9 Sätze 4 und 5 UStG 1993/1999 um sonstige Leistungen, die dem Regelsteuersatz unterliegen, soweit die Kunden die Ablagebretter zum Verzehr der erworbenen Speisen tatsächlich genutzt haben. Denn, wie bereits ausgeführt, sind Ablagebretter Verzehrvorrichtungen im Sinne dieser Vorschrift. Die oben zitierte BFH-Rechtsprechung zu § 12 Abs. 2 Nr. 1 Sätze 2 und 3 UStG 1993 a.F. gilt insofern auch für § 3 Abs. 9 Sätze 4 und 5 UStG 1993/1999.

cc) Der deutsche Gesetzgeber hat denselben Lebensvorgang —die Überlassung von Speisen und Getränken, die der Abnehmer unter Inanspruchnahme von dafür zur Verfügung gestellten Vorrichtungen an Ort und Stelle verzehrt— für die Streitjahre 1996 bis zum in § 12 Abs. 2 Nr. 1 Sätze 2 und 3 UStG 1993 a.F. einerseits und für die Zeit ab dem in § 3 Abs. 9 Sätze 4 und 5 UStG 1993/1999 andererseits zwar rechtlich unterschiedlich qualifiziert, aber in beiden Fällen dem Regelsteuersatz unterworfen. Während er den Vorgang zunächst als Warenlieferung angesehen hat, hat er ihn mit Wirkung ab dem als Dienstleistung qualifiziert.

Da sich die einschlägigen Bestimmungen der Richtlinie 77/388/EWG in dieser Zeit nicht geändert haben, kann gemeinschaftsrechtlich nur eine der beiden Qualifizierungen zutreffend sein.

Der BFH hat in einem Urteil vom V R 55/06 (BFHE 223, 539, BFH/NV 2009, 673) den Vorgang der Zubereitung von Speisen oder Mahlzeiten zu einem —vom jeweiligen Kunden— bestimmten Zeitpunkt als ein wesentliches Dienstleistungselement berücksichtigt. Er hat dafür auf das —Faaborg-Gelting Linien— (Slg. 1996, I-2395, BStBl II 1998, 282) verwiesen, wonach die Abgabe von Speisen und Getränken zum sofortigen Verzehr das „Ergebnis einer Reihe von Dienstleistungen vom Zubereiten bis zum Darreichen der Speisen” (Randnr. 13) sei. Dass der Gemeinschaftsgesetzgeber die Zubereitung von Mahlzeiten als Herstellungsvorgang im Rahmen einer Dienstleistung und nicht als einen Vorgang beurteile, der zur Lieferung von Nahrungsmitteln gehöre, folge auch daraus, dass in Anhang H Kategorie 1 der Richtlinie 77/388/EWG u.a. Nahrungsmittel und die für die Zubereitung von Nahrungsmitteln verwendeten Zutaten aufgeführt seien, nicht aber die Zubereitung selbst.

Dieses Verständnis, wonach die Zubereitung zum sofortigen Verzehr als Dienstleistungselement zu berücksichtigen sei, werde auch durch eine aufgrund der Erweiterung der Gemeinschaft veranlasste Übergangsregelung bestätigt. Art. 129 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL) erlaube Slowenien die Anwendung eines ermäßigten Steuersatzes für die Zubereitung von Mahlzeiten.

Dem entspreche die nationale Regelung in § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG 1993/1999 in Verbindung mit der Anlage zu diesem Gesetz. Letztere verweise auf den Gemeinsamen Zolltarif der Europäischen Gemeinschaft, dem die Kombinierte Nomenklatur des Harmonisierten Systems zur Bezeichnung und Codierung der Waren zu Grunde liege. Lebensmittelzubereitung im zolltariflichen Sinne sei nur die Vermischung und Vermengung einzelner Bestandteile, nicht aber die verzehrfertige Zubereitung im Sinne eines Kochens, Bratens oder Backens zu einem bestimmten Zeitpunkt.

Die Auffassung, die Zubereitung einer Speise oder Mahlzeit zum sofortigen Verzehr sei als Dienstleistungselement zu berücksichtigen, spricht dafür, die Überlassung einer verzehrfertigen Speise bereits dann insgesamt als Dienstleistung zu qualifizieren, wenn (lediglich) noch ein weiteres nicht unwesentliches Dienstleistungselement, wie die Überlassung eines Ablagebretts oder eines Stehtisches, hinzukommt.

Der erkennende Senat hält es unter Berücksichtigung der an der dargestellten Rechtsprechung geäußerten Kritik aber nicht mehr mit der erforderlichen Sicherheit für zweifelsfrei, ob die Zubereitung einer Speise zu einem bestimmten Zeitpunkt als ein wesentliches Dienstleistungselement zu berücksichtigen ist, das entweder allein oder zusammen mit einer nicht unwesentlichen zusätzlichen Dienstleistung bei der Abgabe an den Kunden dazu führt, insgesamt eine Dienstleistung anzunehmen.

b) Zu den einzelnen Vorlagefragen

aa) Zu Frage 1

Wenn zum sofortigen Verzehr zubereitete Speisen oder Mahlzeiten keine „Nahrungsmittel” im Sinne des Anhangs H Kategorie 1 der Richtlinie 77/388/EWG wären, wären die Mitgliedstaaten nicht ermächtigt, derartige Speisen dem ermäßigten Steuersatz zu unterwerfen. § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG 1993/1999 in Verbindung mit der Anlage zum Gesetz wäre richtlinienkonform dahin auszulegen, dass die Leistungen des Betreibers eines Imbissstands auf jeden Fall dem Regelsteuersatz unterlägen, also unabhängig davon, ob die Kunden die Speisen oder Mahlzeiten an Ablagebrettern oder Stehtischen verzehren oder „zum Mitnehmen” erwerben. Im Streitfall wäre die Klage abzuweisen.

Die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes ist eine Begünstigung, sodass es nach dem Zweck der Bestimmung nicht zwingend erscheint, als Nahrungsmittel im Sinne des Anhangs H Kategorie 1 der Richtlinie 77/388/EWG auch Speisen oder Mahlzeiten anzusehen, die —anders als z.B. zum Verkauf im Lebensmittelhandel zubereitete Speisen— zum sofortigen Verzehr zu einem bestimmten Zeitpunkt zubereitet worden sind. Auch die Slowenien in Art. 129 Abs. 1 der MwStSystRL erteilte Erlaubnis, für die Zubereitung von Mahlzeiten einen ermäßigten Steuersatz anzuwenden, kann möglicherweise so verstanden werden, dass zum sofortigen Verzehr zubereitete Mahlzeiten nicht nach Anhang H Kategorie 1 der Richtlinie 77/388/EWG begünstigt sind.

Gleiches gilt, soweit in Erwägungsgrund 3 der Richtlinie 2009/47/EG des Rates vom zur Änderung der Richtlinie 2006/112/EG in Bezug auf ermäßigte Mehrwertsteuersätze (Amtsblatt der Europäischen Union —ABlEU— Nr. L 116/18) und in Art. 55 und 57 der MwStSystRL in der Fassung der Richtlinie 2008/8/EG des Rates vom zur Änderung der Richtlinie 2006/112/EG bezüglich des Ortes der Dienstleistung (ABlEU Nr. L 44/11) mit Wirkung ab dem die „Restaurant- und Verpflegungsdienstleistungen” genannt werden. Der Begriff „Verpflegungsdienstleistungen” ist in diesen Richtlinien nicht definiert. Es können damit möglicherweise Speisen oder Mahlzeiten gemeint sein, die zum sofortigen Verzehr zubereitet worden sind und außerhalb von Restaurants überlassen werden.

bb) Zu Frage 2

(1) Sollte es sich bei den umstrittenen Leistungen des Klägers um Dienstleistungen i.S. des Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG handeln, wäre der deutsche Gesetzgeber verpflichtet, sie dem Regelsteuersatz zu unterwerfen. Die im hier maßgeblichen Zeitraum geltenden Vorschriften des deutschen Rechts wären im Ergebnis gemeinschaftsrechtskonform und die Klage wäre abzuweisen.

Würde es sich hingegen bei der Überlassung von Speisen oder Mahlzeiten zum sofortigen Verzehr nebst Verzehrvorrichtungen um Warenlieferungen i.S. des Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG handeln, wäre der ab dem geltende § 3 Abs. 9 Sätze 4 und 5 UStG 1993/1999, der diese Leistung als Dienstleistung qualifiziert, gemeinschaftsrechtswidrig und zugunsten des Steuerpflichtigen nicht anzuwenden. Es läge eine nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG 1993/1999 begünstigt zu besteuernde Lieferung von Nahrungsmitteln vor und der Klage wäre insoweit stattzugeben.

(2) Ob es sich bei der Überlassung von Speisen zum Verzehr an Ort und Stelle um eine Warenlieferung oder um eine Dienstleistung handelt, hängt nach Auffassung des Senats davon ab, ob der Vorgang der Zubereitung als Dienstleistungselement zu berücksichtigen ist. Wäre dies der Fall, läge nach Ansicht des Senats bei der Überlassung von Speisen oder Mahlzeiten an einem Imbissstand insgesamt eine Dienstleistung vor, soweit die Speisen oder Mahlzeiten nicht mitgenommen, sondern unter Inanspruchnahme von Vorrichtungen für den Verzehr an Ort und Stelle verzehrt werden. Es wäre —jedenfalls schon aus Gründen der Praktikabilität— nicht nach dem konkreten Arbeitsaufwand zu differenzieren, den die Herstellung der jeweiligen Speise oder Mahlzeit erfordert hat. Vielmehr wäre das in der Zubereitung liegende Dienstleistungselement typisierend als so gewichtig anzusehen, dass schon das Hinzutreten einer nicht nur unwesentlichen Nebenleistung, z.B. der Überlassung eines Ablagebretts oder eines Stehtisches, für die Annahme ausreichen würde, der Umsatz werde durch seine Dienstleistungselemente geprägt.

Zwar kann sich die Auffassung, der Vorgang der Zubereitung sei im Rahmen der Gesamtwürdigung als Dienstleistungselement zu berücksichtigen, auf den Wortlaut der Randnr. 13 des EuGH-Urteils Faaborg-Gelting Linien in Slg. 1996, I-2395, BStBl II 1998, 282 stützen. Es erscheint jedoch nicht zweifelsfrei, ob die fallbezogenen Aussagen in diesem Urteil, das zu einem Restaurationsumsatz ergangen ist, losgelöst von dem konkreten Sachverhalt zu verstehen und auf die Leistungen eines Betreibers eines Imbissstands übertragbar sind.

Wenn die verzehrfertig zubereiteten Speisen „Gegenstände” sind, an denen dem Kunden mit der Übergabe die Verfügungsmacht verschafft wird (Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG), dann erscheint es jedenfalls nicht zwingend, diese Gegenstände dann, wenn eine oder mehrere Leistungen mit Dienstleistungscharakter hinzukommen, wieder in die Elemente aufzuteilen, die in ihre Herstellung —untrennbar— eingegangen sind. Denn nach dem —Hermann— (Slg. 2005, I-2025, BFH/NV Beilage 2005, 210, Randnr. 22) sind im Rahmen der Qualifizierung einer einheitlichen Leistung solche Dienstleitungen, die mit der Vermarktung des Gegenstands notwendig verbunden sind, nicht als Dienstleistungselemente zu berücksichtigen. Dies wirft die Frage auf, ob und ggf. weshalb es gerechtfertigt ist, eine notwendig und untrennbar in die Herstellung des Gegenstands eingegangene Dienstleistung als Dienstleistungselement „wieder aufleben” zu lassen.

Sollte die Zubereitung im Rahmen der Qualifizierung einer einheitlichen Leistung nicht als Dienstleistungselement zu berücksichtigen sein, wäre zu entscheiden, ob bei der einheitlichen Leistung des Betreibers eines Imbissstands die Überlassung der Speisen als Lieferelement oder die Überlassung der Ablagebretter oder Stehtische als Dienstleistungselement den Umsatz prägt.

In diesem Fall neigt der Senat dazu, das Zurverfügungstellen der Ablagebretter als Nebenleistung zur Lieferung der Speisen und damit als nicht prägend zu beurteilen. Denn diese haben für die Kundschaft keinen eigenen Zweck, sondern stellen das Mittel dar, um die Lieferung der Speisen unter optimalen Bedingungen in Anspruch zu nehmen (vgl. allgemein hierzu —CCP—, Slg. 1999, I-973, Randnr. 30). Anders wäre dies bei der nach Ansicht des Senats gebotenen typisierenden Betrachtung, wenn der Unternehmer den Kunden neben Tischen auch Stühle bereitstellt und der Kunde diese nutzt, weil dies dem Umsatz einen restaurationsähnlichen Charakter verleiht.

3. Rechtsgrundlage für die Anrufung des EuGH ist Art. 234 Satz 3 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft. Die Aussetzung des Verfahrens beruht auf § 121 Satz 1 i.V.m. § 74 der Finanzgerichtsordnung.

Fundstelle(n):
BStBl 2010 II Seite 368
BFH/NV 2010 S. 127 Nr. 1
BFH/PR 2010 S. 65 Nr. 2
BStBl II 2010 S. 368 Nr. 6
DStRE 2010 S. 30 Nr. 1
DStZ 2010 S. 179 Nr. 6
HFR 2010 S. 153 Nr. 2
KÖSDI 2010 S. 16798 Nr. 1
RIW 2010 S. 576 Nr. 8
UR 2010 S. 65 Nr. 2
ZAAAD-33133