Leitsatz
[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gesetze: InsO § 36 Abs. 4; ZPO § 574 Abs. 1; ZPO § 850c Abs. 4
Instanzenzug: LG Chemnitz, 3 T 820/08 vom AG Chemnitz, 1401 IK 3818/06 vom
Gründe
I.
Über das Vermögen des Schuldners ist am das Verbraucherinsolvenzverfahren eröffnet worden. Der Schuldner ist nicht mehr berufstätig. Er erhält Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung sowie eine Rente der A. AG. Aufgrund eines Beschlusses des Amtsgerichts Chemnitz vom werden beide Renten bei der Berechnung des pfändbaren Einkommens zusammengerechnet. Am verstarb die Ehefrau des Schuldners. Am heiratete der Schuldner wieder.
Der weitere Beteiligte (fortan: Treuhänder) hat beantragt festzustellen, dass die neue Ehefrau, die berufstätig ist und ein monatliches Nettoeinkommen von 2.118,60 EUR erzielt, bei der Berechnung des unpfändbaren Teils des Einkommens unberücksichtigt bleibt. Das Insolvenzgericht hat antragsgemäß entschieden. Die sofortige Beschwerde des Schuldners ist erfolglos geblieben. Mit seiner vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde will der Schuldner weiterhin die Zurückweisung des Antrags des Treuhänders erreichen.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist nach § 36 Abs. 4 InsO, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die nicht näher begründete Zulassung gebunden (§ 574 Abs. 3 Satz 2 ZPO). In der Sache bleibt das Rechtsmittel jedoch ohne Erfolg.
1.
Das Beschwerdegericht hat ausgeführt: Die gemäß § 850c Abs. 4 ZPO zu treffende Bestimmung habe unter Einbeziehung aller wesentlichen Umstände des Einzelfalls und nicht lediglich nach festen Berechnungsgrößen zu erfolgen. Es komme darauf an, ob die eigenen Einkünfte des Unterhaltsberechtigten, die ihm für seinen Lebensunterhalt zur Verfügung stehen, dessen Bedarf decken. Die Einkünfte des Angehörigen dürften auch nicht mittelbar zur Tilgung der Verbindlichkeiten des Schuldners dienen. Andererseits müsse ein vom Schuldner abhängiger Unterhaltsberechtigter gewisse Abstriche in seiner Lebensführung hinnehmen, wenn der Verpflichtete Schulden zu tilgen habe. Im vorliegenden Fall reichten die Einkünfte der Ehefrau des Schuldners von 2.118,60 EUR zur Deckung ihres eigenen Bedarfs aus, auch wenn man Aufwendungen von 1.262,40 EUR für wöchentliche Fahrten zwischen dem Wohnsitz des Schuldners in Chemnitz und dem Arbeitsplatz der Ehefrau in Hamburg, die Miete für die Wohnung in Hamburg von 430 EUR monatlich, Stromkosten von 35 EUR monatlich, Kosten für Internet von 9,90 EUR berücksichtige. Unter Berücksichtigung der Steuerersparnis für doppelte Haushaltsführung von 360 EUR verbleibe der Ehefrau ein Betrag von 741,30 EUR. Davon könne die Ehefrau des Schuldners neben den allgemeinen Lebenshaltungskosten auch Zuzahlungen beim Zahnarzt sowie die Krankenhauszusatzversicherung begleichen. Soweit der Schuldner auf sein hohes Alter von 81 Jahren und seine Schwerbehinderung von 90% verweise, komme es hierauf nicht an.
2.
Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung jedenfalls im Ergebnis stand.
a)
Gemäß der Vorschrift des § 850c Abs. 4 ZPO, die im Insolvenzverfahren entsprechend anwendbar ist (§ 36 Abs. 1 Satz 2 InsO), kann das Vollstreckungsgericht (oder gemäß § 36 Abs. 4 Satz 1 InsO das Insolvenzgericht) nach billigem Ermessen anordnen, dass eine nach dem Gesetz unterhaltsberechtigte Person, die eigene Einkünfte hat, bei der Berechnung des unpfändbaren Teils des Arbeitseinkommens ganz oder teilweise unberücksichtigt bleibt. Ab welcher Höhe ein eigenes Einkommen des Unterhaltsberechtigten seine Berücksichtigung bei der Bestimmung der Pfändungsfreibeträge aus Arbeitseinkommen oder diesem gleichgestellten Bezügen des Unterhaltspflichtigen ausschließt, hat der Gesetzgeber bewusst nicht im Einzelnen geregelt (BT-Drucks. 8/693, S. 48 f). Das folgt schon aus der Verwendung des Begriffs des billigen Ermessens. Nach mittlerweile gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs verbietet sich deshalb eine schematisierende Betrachtungsweise. Das Gericht hat vielmehr seine Entscheidung unter Abwägung der wirtschaftlichen Lage des Gläubigers und des Schuldners sowie der von ihm unterhaltenen Angehörigen zu treffen. Dabei können Pfändungsfreibeträge und Unterhaltstabellen Anhaltspunkte für die Ausübung des Ermessens geben. Eine bloß einseitige Orientierung an bestimmten Berechnungsmodellen scheidet jedoch aus, weil sie dem Sinn des § 850c Abs. 4 ZPO widerspricht ( IXa ZB 142/04, ZVI 2005, 194, 196; v. - VII ZB 28/05, ZVI 2005, 254, 255; v. - VII ZB 24/05, ZVI 2006, 19, 20 Rn. 11; vgl. auch Beschl. v. - IX ZB 211/08, NZI 2009, 443, 444 Rn. 11). Von diesen Grundsätzen ist das Beschwerdegericht ausgegangen.
b)
Die im einzelnen Fall nach billigem Ermessen zu treffende Entscheidung obliegt dem Tatrichter. Soweit die Rechtsbeschwerde beanstandet, nach der Berechnung des Beschwerdegerichts verbleibe der Ehefrau des Schuldners nach Abzug der Aufwendungen für die Fahrten zwischen Chemnitz und Hamburg sowie für die Wohnung in Hamburg einschließlich Strom und Internetzugang nicht einmal der Grundfreibetrag von mindestens 930 EUR im Monat, ist damit ein Ermessensfehlgebrauch nicht dargetan. Der dem Schuldner gebührende Pfändungsfreibetrag nach § 850c Abs. 1 ZPO kann als Maßstab dienen; er stellt jedoch keinen Mindestbetrag dar, welcher dem Unterhaltsberechtigten zwingend verbleiben muss, wenn eine Bestimmung nach § 850c Abs. 4 ZPO getroffen wird. Bereits im Beschluss vom (a.a.O. S. 255) hat der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs überdies darauf verwiesen, dass der Grundfreibetrag des § 850c Abs. 1 ZPO regelmäßig auch dazu dient, die Wohnungsmiete und andere Grundkosten des Haushalts abzudecken. Diese Kosten erhöhen sich bei mehreren Personen nicht proportional zur Personenzahl. Lebt der Unterhaltsberechtigte mit dem Schuldner in einem Haushalt, "passt" der Grundfreibetrag des § 850c Abs. 1 ZPO daher nicht. In derartigen Fällen können eher die nach den sozialrechtlichen Regelungen die Existenzsicherung gewährleistenden Sätze herangezogen werden. Dass diese unterschritten seien, legt die Rechtsbeschwerde nicht dar.
Nach Ansicht der Rechtsbeschwerde soll im vorliegenden Fall allerdings nicht von einem im Haushalt des Schuldners lebenden Unterhaltsberechtigten ausgegangen werden, weil die Ehefrau des Schuldners in Hamburg arbeitet und dort eine Wohnung unterhält. Das Beschwerdegericht hat die Kosten der Wohnung in Hamburg nebst Strom und Internetzugang bei der Berechnung des für den Lebensunterhalt zur Verfügung stehenden Einkommens der Ehefrau des Schuldners jedoch vollständig abgezogen. Geht man in dieser Weise vor, stellt der Grundfreibetrag ebenso wie bei einem im Haushalt des Schuldners lebenden Unterhaltsberechtigten keinen angemessenen Maßstab mehr dar, weil die Wohnkosten (hier: der Wohnung in Chemnitz) grundsätzlich aus dem Freibetrag zu bestreiten sind und bereits im Freibetrag des Schuldners selbst Berücksichtigung finden. Geht man dagegen von zwei getrennten Haushalten aus, also davon, dass die Ehefrau des Schuldners die Kosten ihrer Wohnung in Hamburg (einschließlich Strom und Internetzugang) selbst trägt, dürfen diese Kosten nicht vom Nettoeinkommen abgesetzt werden. Zählt man die Kosten der Wohnung in Hamburg nebst Strom und Internetzugang zu dem vom Beschwerdegericht errechneten Betrag von 741 EUR hinzu, ist der Freibetrag von 930 EUR deutlich überschritten. Auf die Frage der Fahrtkosten, die das Beschwerdegericht in Höhe von 1.262,40 EUR (526 km x 2 x 0,3 x 4) anerkannt hat, obwohl der Schuldner selbst vorgetragen hatte, seine Ehefrau fahre nicht jedes Wochenende zu ihm nach Chemnitz, sowie des steuerlichen Abzugsbetrages kommt es damit nicht mehr an.
c)
Die Rechtsbeschwerde beanstandet weiter, dass das Beschwerdegericht die Verpflegungsmehraufwendungen nicht berücksichtigt habe, die aus der doppelten Haushaltsführung entstünden. Auch hier ist ein Ermessensfehler des Beschwerdegerichts jedoch nicht ersichtlich. Lebenshaltungskosten sind aus dem Grundfreibetrag zu bestreiten. Dass bei doppelter Haushaltsführung ein Verpflegungsmehraufwand von 24 EUR täglich steuerlich abgesetzt werden kann, spielt im Rahmen des § 850c Abs. 4 ZPO keine Rolle. Die Kosten der Krankenzusatzversicherung sowie Zuzahlungen beim Zahnarzt hat das Beschwerdegericht ebenfalls dem aus dem Grundfreibetrag zu deckenden Bedarf zugerechnet.
d)
Eine Auseinandersetzung mit der wirtschaftlichen Lage der Gläubiger, welche die Rechtsbeschwerde vermisst, kommt im hier gegebenen Fall eines Gesamtvollstreckungsverfahrens nicht in Betracht (vgl. , NZI 2009, 443, 444 Rn. 11 mit insoweit zustimmender Anmerkung Ahrens, NZI 2009, 423, 424).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
SAAAD-33063
1Nachschlagewerk: nein; BGHZ: nein; BGHR: nein