BFH Beschluss v. - XI B 60/09

Sicherheitsleistung bei der Aussetzung der Vollziehung eines Umsatzsteuerbescheids aus dem Betrieb von Gewinnspielautomaten; Besteuerung der Umsätze aus dem Betrieb von Geldspielautomaten

Gesetze: UStG § 4 Nr. 9b, GewO § 33i, AO § 69, FGO § 128 Abs. 3, GG Art. 19 Abs. 4, GG Art. 106

Instanzenzug:

Gründe

I. Die Antragstellerin und Beschwerdegegnerin (Antragstellerin) betreibt seit dem . 2008 die gewerbliche Aufstellung von Unterhaltungsautomaten mit Gewinnspielmöglichkeit in Spielstätten gemäß § 33i der Gewerbeordnung.

Mit Umsatzsteuerbescheid für 2008 schätzte der Antragsgegner und Beschwerdeführer (das Finanzamt —FA—) steuerpflichtige Umsätze der Antragstellerin in Höhe von . €, was zu einer Zahllast von . € führte.

Die Antragstellerin legte dagegen Einspruch ein und beantragte die Aussetzung der Vollziehung (AdV). Das FA gewährte mit Bescheid vom . die AdV gegen eine Sicherheitsleistung von . €. Es lehnte eine AdV ohne Sicherheitsleistung ab.

Das Finanzgericht (FG) gab dem Antrag, die Vollziehung ohne Sicherheitsleistung auszusetzen, statt. Es führte aus, eine Sicherheitsleistung sei unzumutbar, wenn eine große Wahrscheinlichkeit für die Aufhebung der Steuerfestsetzung spreche. Dies sei hier der Fall. Zwar sei aufgrund der Rechtsform der Antragsstellerin (GmbH), der Höhe der sich akkumulierenden Umsatzsteuerrückstände und mangels verfestigter Sachwerte in einer Betriebsstätte davon auszugehen, dass eine spätere Vollstreckung weniger aussichtsreich sei. Auch ergebe sich eine hohe Wahrscheinlichkeit für die Aufhebung des angefochtenen Umsatzsteuerbescheids noch nicht aus dem Beschluss des V. Senats des (BFH/NV 2008, 627) und auch nicht aus dem Aussetzungs- und Vorlagebeschluss des XI. Senats des (BFHE 224, 156, BStBl II 2009, 434) an den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH).

Die hohe Wahrscheinlichkeit der Rechtswidrigkeit des angefochtenen Umsatzsteuerbescheids für 2008 folge jedoch aus der Praxis der Hamburger Finanzbehörden, bei der Spielbankabgabe, die die Hamburger Spielbank zu tragen habe, die auf die Glücksspiele anfallende Umsatzsteuer zu verrechnen. Der Abzug der Umsatzsteuer von der Spielbankabgabe sei mit hoher Wahrscheinlichkeit gemeinschaftsrechtswidrig. Nach dem —Fischer— (Slg. 1998, I-3369) sei es den Mitgliedstaaten untersagt, eine Umsatzsteuerbefreiung an die Belastung mit der Spielbankabgabe zu knüpfen. Daraus ergebe sich aber genauso das Verbot, die Erhebung der Spielbankabgabe an die Belastung mit Umsatzsteuer zu knüpfen.

Die Gemeinschaftsrechtswidrigkeit führe zur Nichtanwendbarkeit der Norm. Zwar verstoße § 4 Nr. 9 Buchst. b des Umsatzsteuergesetzes 2005 in der Fassung des Art. 2 des Gesetzes zur Eindämmung missbräuchlicher Steuergestaltungen vom (BGBl I 2006, 1095, BStBl I 2006, 353) —UStG n.F.— unter dem Gesichtspunkt der Anrechnung der Umsatzsteuer auf die Spielbankabgabe nicht für sich genommen gegen die Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL). Eine landesrechtlich geregelte Anrechung der Umsatzsteuer auf eine andere Abgabe sei aber genauso zu behandeln wie eine im UStG selbst geregelte Differenzierung. In diesem Fall könnten sich die Aufsteller von Geldspielautomaten auf die Gemeinschaftswidrigkeit mit der Folge berufen, dass ihre Umsätze umsatzsteuerfrei seien. Der Beschluss ist in Internationales Steuerrecht 2009, 589 veröffentlicht.

Das FA verweist zur Begründung seiner vom FG zugelassenen Beschwerde darauf, dass die wirtschaftliche Situation der Antragstellerin auch aus der Sicht des FG den Steueranspruch gefährdet erscheinen lasse. Entgegen der Auffassung des FG sei die Praxis, die von der Spielbank abgeführte Umsatzsteuer auf die Spielbankabgabe anzurechnen, gemeinschaftsrechtskonform. Die Umsatzsteuer werde nicht „erstattet”. Sie werde vielmehr von den Spielbanken erhoben und in der erhobenen Höhe gemäß Art. 106 Abs. 3 Sätze 1 und 3 des Grundgesetzes (GG) als Gemeinschaftssteuer verteilt.

Die Anrechnung sei zur Vermeidung einer Doppelbesteuerung erforderlich. Mit der Spielbankabgabe werde der Ertrag der Spielbank besteuert und es hätten damit nach alter Rechtslage alle betrieblichen Steuern, mithin Einkommen-, Gewerbe- und Umsatzsteuer abgegolten werden sollen (vgl. , BFHE 177, 276, BStBl II 1995, 432). Daraus, dass mit Wirkung ab dem die Umsatzsteuerbefreiung für Spielbankumsätze aufgehoben worden sei, resultiere eine systemwidrige Doppelbesteuerung in Form von Umsatzsteuer und Spielbankabgabe. Ohne Anrechnung der Umsatzsteuer bestünde bei einer Spielbankabgabe, die sich gemäß § 3 des Gesetzes über die Zulassung einer öffentlichen Spielbank vom (Hamburgisches Gesetz- und Verordnungsblatt 1976, 139) auf 70 % der Bruttospielerträge und eine Sonderabgabe von bis zu 20 % des Bruttospielertrags belaufe, die Möglichkeit, dass durch die Gesamtbelastung der Bruttoertrag mehr als aufgezehrt würde.

Das FA beantragt, den Beschluss des FG dahin zu ändern, dass der Antrag auf AdV ohne Sicherheitsleistung abgelehnt und die AdV nur gegen Sicherheitsleistung gewährt wird.

Die Antragstellerin beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

II. Die gemäß § 128 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) statthafte Beschwerde des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.

Der Senat teilt nicht die Auffassung des FG, dass auf eine Sicherheitsleistung deshalb zu verzichten sei, weil das Hauptsacheverfahren mit großer Wahrscheinlichkeit günstig für die Antragstellerin ausgehen werde. Er kann auf der Grundlage der bisherigen tatsächlichen Feststellungen aber nicht entscheiden, ob das Verlangen nach einer Sicherheit für die Antragstellerin zu einer unbilligen Härte und deshalb zu einer aus verfassungsrechtlicher Sicht unzumutbaren Beschränkung des vorläufigen Rechtsschutzes führt. Da das FG zum möglichen Vorliegen einer unbilligen Härte —von seinem Rechtsstandpunkt aus zu Recht— noch keine tatsächlichen Feststellungen getroffen hat, hält der Senat eine Zurückverweisung an das FG für zweckmäßig.

1. Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO soll die AdV auf Antrag u.a. erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen. Nach § 69 Abs. 2 Satz 3 FGO kann die Aussetzung von einer Sicherheitsleistung abhängig gemacht werden. Gemäß § 69 Abs. 4 Satz 1 FGO ist der Antrag nach Abs. 3 beim Gericht der Hauptsache vorbehaltlich bestimmter Ausnahmen nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf AdV ganz oder zum Teil abgelehnt hat.

a) Im Streitfall war der beim FG gestellte Antrag auf eine AdV ohne Sicherheitsleistung gemäß § 69 Abs. 4 Satz 1 FGO zulässig. Denn eine teilweise Ablehnung durch die Finanzbehörde liegt auch vor, wenn —wie im Streitfall— das FA eine uneingeschränkt beantragte AdV nur gegen Sicherheitsleistung bewilligt hat (vgl. BFH-Beschlüsse vom I B 69/80, BFHE 134, 239, BStBl II 1982, 135; vom VII S 28/01, BFH/NV 2003, 12).

b) Das FG ist zu Recht davon ausgegangen und zwischen den Beteiligten ist auch zu Recht unstreitig, dass der angefochtene Umsatzsteuerbescheid für 2008 deshalb von der Vollziehung auszusetzen ist, weil offen ist, ob die Umsätze der Antragstellerin steuerpflichtig sind. Es ist bis zur Entscheidung des EuGH über den Vorlagebeschluss des erkennenden Senats vom in BFHE 224, 156, BStBl II 2009, 434 ungeklärt, ob § 4 Nr. 9 Buchst. b UStG n.F. mit Art. 135 Abs. 1 Buchst. i der MwStSystRL insoweit vereinbar ist, als „sonstige Glücksspiele mit Geldeinsatz” von der Steuerbefreiung ausgenommen sind.

c) Der Senat teilt jedoch nicht die Auffassung des FG, die AdV sei deshalb ohne Sicherheitsleistung zu gewähren, weil der angefochtene Umsatzsteuerbescheid mit großer Wahrscheinlichkeit gemeinschaftsrechtswidrig sei.

Die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsakts ist regelmäßig ohne Sicherheitsleistung auszusetzen, wenn seine Rechtmäßigkeit ernstlich zweifelhaft ist und keine konkreten Anhaltspunkte dafür bestehen, dass bei einem Unterliegen des Antragstellers im Hauptsacheverfahren die Durchsetzung des Steueranspruchs gefährdet wäre (vgl. , BFHE 209, 204, BStBl II 2005, 351). Auch entfällt das öffentliche Interesse an einer Sicherheitsleistung, wenn mit Gewissheit oder großer Wahrscheinlichkeit ein für den Steuerpflichtigen günstiger Prozessausgang zu erwarten ist (vgl. BFH-Beschlüsse vom III B 15/99, BFH/NV 2000, 827, unter II. 2. c, m.w.N.; vom I B 109/04, BFH/NV 2005, 1782). Schließlich darf eine Sicherheitsleistung nicht gefordert werden, wenn der Steuerpflichtige zur Sicherheitsleistung außerstande ist (vgl. , BFH/NV 1989, 403).

aa) Im Streitfall liegen —auch nach Auffassung des FG— konkrete Anhaltspunkte dafür vor, dass bei einem Unterliegen der Antragstellerin im Hauptsacheverfahren die Durchsetzung des Steueranspruchs gefährdet wäre. Denn das FA hat dargelegt, dass aufgrund der Rechtsform der Antragstellerin (GmbH), der Höhe der sich akkumulierenden Umsatzsteuerrückstände und mangels verfestigter Sachwerte in einer Betriebsstätte eine spätere Vollstreckung der festgesetzten Umsatzsteuer wenig aussichtsreich wäre. Diesem Vorbringen ist die Antragstellerin nicht entgegengetreten.

bb) Das FG geht jedoch zu Unrecht davon aus, dass das Hauptsacheverfahren mit großer Wahrscheinlichkeit für die Antragstellerin günstig ausgehen wird.

Der erkennende Senat hat in seinem Vorlagebeschluss in BFHE 224, 156, BStBl II 2009, 434 Zweifel daran geäußert, ob § 4 Nr. 9 Buchst. b UStG n.F. und die daraus resultierende Umsatzsteuerpflicht für alle „sonstigen Glücksspiele mit Geldeinsatz” mit Ausnahme bestimmter Wetten und Lotterien dem Gemeinschaftsrecht entspricht. Danach ist zwar offen und ungeklärt, ob der angefochtene Umsatzsteuerbescheid rechtmäßig ist. Es ergibt sich aus diesem Vorlagebeschluss aber —wovon auch das FG ausgeht— keine überwiegende oder große Wahrscheinlichkeit dafür, dass der EuGH die Steuerpflicht für gemeinschaftsrechtswidrig halten wird und der angefochtene Umsatzsteuerbescheid für 2008 deshalb rechtswidrig ist. Auch der V. Senat des BFH hat in seinem Beschluss in BFH/NV 2008, 627 betont, die AdV setze nicht voraus, dass die für die Rechtswidrigkeit sprechenden Gründe überwiegen müssten.

Eine große Wahrscheinlichkeit für eine Steuerfreiheit der Umsätze der Antragstellerin besteht abweichend von der Rechtsauffassung des FG auch nicht deshalb, weil die Hamburger Finanzverwaltung diejenige Umsatzsteuer, die nach der Änderung des § 4 Nr. 9 Buchst. b UStG 2005 mit Wirkung ab dem auch von den öffentlichen Spielbanken zu erheben ist, auf die Spielbankabgabe anrechnet. Denn diese Anrechnung ändert nichts daran, dass für die Festsetzung der Umsatzsteuer gegenüber der Antragstellerin und den öffentlichen Spielbanken derselbe gesetzliche Tatbestand gilt. Durch § 4 Nr. 9 Buchst. b UStG n.F. werden gleichartige Dienstleistungen hinsichtlich der Mehrwertsteuer unabhängig von der Identität oder Rechtsform des Veranstalters oder Betreibers gleich behandelt, sodass der vom EuGH in seinem Urteil vom Rs. C-453/02 —Linneweber— (Slg. 2005, I-1131) beanstandete Verstoß gegen den Grundsatz der steuerlichen Neutralität beseitigt worden ist.

Ob die Antragstellerin durch eine unterschiedliche Behandlung der festgesetzten oder gezahlten Umsatzsteuer im Rahmen der Festsetzung anderer Abgaben in ihren Rechten verletzt wird, ist für die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Umsatzsteuerbescheids ohne Bedeutung und in dem Festsetzungsverfahren über die anderen Abgaben, zum Beispiel der Körperschaftsteuer oder Vergnügungsteuer, zu entscheiden.

Zu einer großen Wahrscheinlichkeit der Rechtswidrigkeit des angefochtenen Umsatzsteuerbescheids führt auch nicht das Vorbringen der Antragstellerin, es bestünden erhebliche Zweifel daran, ob das FA Umsatzsteuerzahlungen der Hamburger Spielbank vereinnahme. Bei der derzeitigen ungeklärten Rechtslage könnte die fehlende Zahlung einer festgesetzten Umsatzsteuer durch die Hamburger Spielbank schon deshalb nicht zu einem verfassungsrechtlich zu beanstandenden Vollzugsdefizit (vgl. , BVerfGE 84, 239, BStBl II 1991, 654) führen, weil bis zur Entscheidung des EuGH über den Vorlagebeschluss des erkennenden Senats nicht nur den gewerblichen Aufstellern von Glücksspielgeräten, sondern auch den öffentlichen Spielbanken ein Anspruch auf AdV oder Aufhebung der Vollziehung zusteht, soweit die Umsatzsteuer auf „sonstige Glücksspiele mit Geldeinsatz” entfällt.

d) Die bisherigen tatsächlichen Feststellungen des FG reichen nicht aus, um zu entscheiden, ob das Verlangen einer Sicherheit für die Antragstellerin eine unbillige Härte bedeutet und deshalb ihren Anspruch auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) verletzt.

Das FA hat im finanzgerichtlichen Verfahren unter Hinweis auf den Beschluss des vorgetragen, es sei der Antragstellerin zuzumuten, die laufenden Umsatzerlöse in dem Maße zurückzubehalten, in dem die Umsatzsteuer nach dem nationalen Umsatzsteuerrecht zu entrichten sei. Es hat damit im Ergebnis die Auffassung vertreten, das Verlangen nach einer Sicherheit führe nicht zu einer unbilligen Härte.

Das BVerfG hat mit einem Beschluss vom 1 BvR 1305/09, der zwei Beschlüsse des Niedersächsischen FG über die AdV von Umsatzsteuer aus Umsätzen mit Glückspielgeräten gegen Sicherheitsleistung betrifft, entschieden, es wäre im Allgemeinen unverhältnismäßig, dem Steuerpflichtigen die AdV zu versagen, wenn seine wirtschaftlichen Verhältnisse die Leistung einer Sicherheit nicht zuließen. Die abstrakte Erwägung, bei fortlaufend veranlagten und festgesetzten Steuern wie Lohn- und Umsatzsteuer könne die Sicherheitsleistung aus den laufenden Umsätzen zurückbehalten werden, sei mit der Garantie effektiven Rechtsschutzes unvereinbar. Das FG nehme damit in Kauf, dass dem Steuerschuldner die AdV einer Steuerforderung trotz ernstlicher Zweifel an ihrer Rechtmäßigkeit nur gegen die Leistung einer Sicherheit gewährt werde, selbst wenn deren Aufbringung mit einer unbilligen Härte für ihn verbunden wäre. Es sei nicht erkennbar und vom FG auch in keiner Weise tragfähig begründet worden, dass in Fällen einer aus laufend vereinnahmten Steuern resultierenden Steuerschuld die Leistung einer Sicherheit nie zu einer unbilligen Härte für den Steuerschuldner führen könne.

Im Streitfall hat das FG —von seinem Rechtsstandpunkt aus zu Recht— bisher nicht geprüft, ob die Leistung der vom FA geforderten Sicherheit für die Antragstellerin zu einer unbilligen Härte führt. Es wird dies unter Beachtung der Vorgaben des BVerfG nachzuholen haben. Soweit sich die Antragstellerin auf eine unbillige Härte berufen sollte, wird sie der ihr auch im finanzgerichtlichen Eilverfahren obliegenden Pflicht nachzukommen haben, die wirtschaftliche Unzumutbarkeit zur Erbringung einer Sicherheit darzutun (vgl. unter IV. 1. c des ) und ihre Vermögens- und Liquiditätslage im Einzelnen offenzulegen.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2010 S. 58 Nr. 1
OAAAD-32798