Leitsatz
[1] Die Zuziehung von Experten oder sonst besser qualifizierten Fachleuten oder die Einholung von entsprechenden Erkundigungen kann vom zuständigen Fachmann erwartet werden, wenn das zu lösende Problem sich in einem sachlich naheliegenden Fachgebiet in ähnlicher Weise stellt bzw. wenn er aufgrund seiner eigenen Sachkunde erkennen kann, dass er eine Lösung auf einem anderen Gebiet finden kann (Bestätigung von Sen.Urt. v. - X ZR 12/81, GRUR 1983, 64, 66 f. - Liegemöbel und v. - X ZR 17/83, GRUR 1986, 798 - Abfördereinrichtung für Schüttgut).
Setzt die Frage, ob gegebenenfalls der Rat eines höher qualifizierten Fachmanns hilfreich sein könnte, voraus, dass der Fachmann bereits eine ihm durch den Stand der Technik nicht nahegelegte Lösung zumindest in Grundprinzipien erdacht hat, kann die erfinderische Tätigkeit nicht mit der Begründung verneint werden, die Lösung wäre dem Spezialisten nahegelegt gewesen.
Gesetze: EPÜ Art. 56; PatG § 4
Instanzenzug: BPatG, 4 Ni 10/06 EU vom
Tatbestand
Die Firma des Beklagten ist als Inhaberin des am auch für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland angemeldeten und erteilten europäischen Patents 900 971 (Streitpatents) eingetragen, das 16 Patentansprüche umfasst, deren - nebengeordnete - Ansprüche 1 und 9 in der Verfahrenssprache lauten:
"1.
Beleuchtungsvorrichtung bestehend aus einer Vielzahl von auf der Fläche einer Trägerplatte befestigten Leuchtdioden, welche mit auf der Trägerplatte angebrachten Leiterbahnen elektrisch verbunden sind, dadurch gekennzeichnet, dass die Trägerplatte als glasklare Glasplatte (1) ausgebildet ist und dass die Leiterbahnen (2, 3) als elektrisch leitende, dünne und unsichtbare bzw. nahezu unsichtbare Schicht auf der Glasplatte (1) aufgebracht sind.
9.
Kombination einer Vitrine mit einer Beleuchtungsvorrichtung nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass die Glasplatte (1) als Zwischenboden (13) in der Vitrine eingesetzt ist, wobei die Leuchtdioden (6) auf der Unterseite der Glasplatte (1) angebracht sind."
Wegen des Wortlauts der übrigen Ansprüche wird auf die Streitpatentschrift Bezug genommen.
Mit ihrer Nichtigkeitsklage hat die Klägerin das Streitpatent in vollem Umfang angegriffen und geltend gemacht, sein Gegenstand sei nicht neu und beruhe nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit. Dafür hat sie sich im Wesentlichen auf die japanische Offenlegungsschrift 5-119706 vom (Anlage K 3, Übersetzung Anlage K 5), auf die deutsche Patentschrift 42 08 922 (Anlage K 16) und die französische Offenlegungsschrift 2 624 712 (Anlage K 34, Übersetzung Anlage K 35), ferner auf die deutsche Offenlegungsschrift 42 35 485 (Anlage K 8) berufen.
Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt und das Streitpatent hilfsweise mit sieben Hilfsanträgen, wegen deren Wortlauts auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen wird, beschränkt verteidigt.
Das Patentgericht hat das Streitpatent im Umfang der Patentansprüche 1 bis 8 für nichtig erklärt und die Klage im Übrigen abgewiesen. Dagegen haben der Beklagte Berufung und die Klägerin Anschlussberufung eingelegt.
Mit seinem Rechtsmittel, dessen Zurückweisung die Klägerin begehrt, verteidigt der Beklagte das Streitpatent in erster Linie beschränkt in der aus dem Tenor ersichtlichen Fassung und hilfsweise mit der Maßgabe, dass die Patentansprüche 9 bis 16 in der erteilten Fassung Bestand haben mögen.
Mit ihrer Anschlussberufung, deren Zurückweisung der Beklagte beantragt, verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter, die Patentansprüche 9 bis 16 des Streitpatents ebenfalls für nichtig zu erklären.
Die Berufung hat Erfolg, soweit das Streitpatent noch beschränkt verteidigt wird. In diesem Umfang führt das Rechtsmittel zur Abweisung der Nichtigkeitsklage. Soweit das Streitpatent über die noch verteidigte Fassung hinausgeht, ist es ohne weitere Sachprüfung für nichtig zu erklären (st. Rspr., vgl. BGHZ 170, 215 - Carvedilol II). Die Anschlussberufung bleibt ohne Erfolg.
Gründe
A.
I.
1. Das Streitpatent betrifft eine Beleuchtungsvorrichtung, bei der mehrere Leuchtdioden auf einer Trägerplatte befestigt und mit auf dieser Trägerplatte angebrachten Leiterbahnen elektrisch verbunden sind, sowie die Kombination einer Vitrine mit einer solchen Beleuchtungsvorrichtung.
2. Die Streitpatentschrift verweist für derartige Beleuchtungsvorrichtungen auf einen in einem Unternehmensprospekt gezeigten Infrarot-Scheinwerfer aus einer Vielzahl von matrixförmig angeordneten, auf einer Leiterplatte angebrachten Infrarot-Leuchtdioden und bezeichnet solche Vorrichtungen des Weiteren als aus der deutschen Patentschrift 42 08 922 bekannt, die ein Flächendisplay zur Ausleuchtung von Hintergrundflächen betrifft (unten A III 2 b bb).
Ferner ist der Streitpatentschrift zufolge aus der französischen Offenlegungsschrift 2 624 712 eine säulenförmige, mehreckige Vitrine mit Seitenteilen aus Glas, drehbaren, scheibenförmigen Präsentationsflächen und einer im Oberteil befindlichen Beleuchtungsvorrichtung bekannt.
3.
Die Streitpatentschrift bezeichnet es als Aufgabe der Erfindung, eine Beleuchtungsvorrichtung dahingehend anzugeben, dass diese insbesondere zur Beleuchtung von Schaufenstern sowie Verkaufs- und/oder Ausstellungsvitrinen geeignet ist. Dafür schlägt das Streitpatent gemäß Patentanspruch 1 in der noch verteidigten Fassung eine Beleuchtungsvorrichtung vor,
1. bestehend aus einer Vielzahl von Leuchtdioden, die
1.1 auf einer Trägerplatte befestigt und
1.2 mit auf der Trägerplatte angebrachten Leiterbahnen elektrisch verbunden sind, wobei
2. die Trägerplatte als glasklare Glasplatte ausgebildet ist und eine Fensterscheibe bildet und
3. die Leiterbahnen als elektrisch leitende, dünne und unsichtbare bzw. nahezu unsichtbare Schicht auf der Glasscheibe aufgebracht sind.
II.
Die beschränkte Verteidigung von Patentanspruch 1 gemäß dem jetzigen Hauptantrag ist zulässig.
1. Es wird damit nur noch eine Beleuchtungsvorrichtung unter Schutz gestellt, die die Merkmalsgruppe 1 und das Merkmal 3 aufweist und bei der die gemäß Merkmal 2 als Trägerplatte fungierende glasklare Glasplatte eine Fensterscheibe bildet. Diese Modifikation des erteilten Anspruchs stellt eine substantielle, unterscheidungskräftige Beschränkung im Sinngehalt des Anspruchs dar. Die räumlichkörperliche Ausgestaltung der geschützten Scheibe wird auf eine bestimmte Weise konkretisiert und charakterisiert (vgl. Sen.Urt. v. - X ZR 174/04 Tz. 13; vgl. auch Sen.Urt. v. - X ZR 105/04, GRUR 2006, 923 - Luftabscheider für Milchsammelanlage). Während den zuvor allgemein als Bestandteil der Beleuchtungsvorrichtung beanspruchten "Glasplatten" u.a. auch eine Tragefunktion zugewiesen sein konnte (gläserne Tischplatten), sind (glasklare) Fensterscheiben dadurch gekennzeichnet, dass sie als Bauteil in Öffnungen an Außenflächen von Gebäuden oder innen eingesetzt werden und - wenn sie glasklar ausgebildet sind - durchsichtig sind.
2. Beleuchtungsvorrichtungen, bei denen die Glasplatte eine Fensterscheibe bildet, sind in den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen offenbart. Dort ist vom Einsatz der Vorrichtung insbesondere zur Beleuchtung von Schaufenstern und Vitrinen die Rede (europäische Patentanmeldung 900 971 Sp. 1 Z. 26 ff.; Z. 48 ff.).
3. Mit der Beschränkung auf Fensterscheiben bildende Glasplatten wird entgegen der Ansicht der Klägerin der Schutzbereich des erteilten Patentanspruchs 1, nicht erweitert. Der Begriff der Glasplatte schließt nach dem maßgeblichen Verständnis der Streitpatentschrift (vgl. BGHZ 150, 149, 156 - Schneidmesser I) Fensterscheiben als Element der Beleuchtungsvorrichtung zwanglos ein. Diese sind auch nicht deswegen ein Aliud zum Gegenstand des erteilten Patentanspruchs 1, weil sie ein Konstruktionsbauteil darstellen. Vielmehr stellen Beleuchtungsvorrichtungen, bei denen die Glasplatte als Fensterscheibe ausgebildet ist, lediglich eine besondere Ausführungsform dar. Dadurch, dass nur diese noch von Anspruch 1 unter Schutz gestellt werden sollen, wird dessen Gegenstand beschränkt und nicht erweitert.
III.
Die mit dem jetzigen Hauptantrag verteidigte Fassung von Patentanspruch 1 (im Folgenden nur noch: Patentanspruch 1) ist schutzfähig (Art. 52 Abs. 1 EPÜ).
1. Der Gegenstand dieses Anspruchs ist neu.
Beleuchtungsvorrichtungen, bei denen die Trägerplatte für Leuchtdioden die Scheibe eines Fensters, insbesondere eines Schaufensters bildet, sind im Stand der Technik nicht offenbart. Das in der japanischen Offenlegungsschrift 5-119706 beschriebene Glassubstrat erfasst zwar, worauf die Klägerin hinweist, Glas jedweder stofflichen Beschaffenheit (Mineral- oder Plexiglas) als Träger von elektrisch leitfähigen Beschichtungen und Leuchtdiodenchips mitsamt ihren Anschlüssen. Damit ist jedoch nur bestimmtes Material seiner Qualität nach offenbart. Der Gegenstand der Erfindung gemäß dem beschränkten Anspruch 1 bezieht sich dagegen nicht auf "Fensterglas" als Material, sondern damit werden Beleuchtungsvorrichtungen beansprucht, zu denen eine Fensterscheibe, insbesondere eine Schaufensterscheibe als Träger von Leiterbahnen und Leuchtdioden gehört. Derartiges ist in der japanischen Schrift ebenso wenig gezeigt, wie in der deutschen Offenlegungsschrift 42 35 485, die Einbaulichtquellen für Möbel betrifft. Die gemäß der Lehre der deutschen Patentschrift 42 08 922 als Leuchtfläche für Flächendisplays dienende Leiterplatte stellt ebenfalls keine in eine Bauwerksöffnung eingesetzte Fensterscheibe dar.
2. Nach dem gesamten Inhalt der Verhandlungen (§ 286 ZPO) vermag der Senat nicht die Wertung zu treffen, dass der Gegenstand von Patentanspruch 1 dem Fachmann durch den Stand der Technik nahegelegt war.
a) Bei dem maßgeblichen Fachmann, der am Anmeldetag des Streitpatents über Möglichkeiten der Schaufensterbeleuchtung oder darüber nachdachte, wie Vitrinen auf andere als im Stand der Technik bekannte Weise ausgeleuchtet werden könnten, handelte es sich um einen berufserfahrenen Glasbautechniker und nicht, wie das Patentgericht meint, um einen mit Beleuchtungsfachleuten zusammenarbeitenden Festkörperphysiker.
aa) Das Betätigungsfeld von Glasbauunternehmen, in denen der zuständige Fachmann tätig war, umfasste am Anmeldetag des Streitpatents die Herstellung von Sicherheitsglas, von unterschiedlich beschichteten bzw. elektrochromen, auf Transparenz schaltbaren (Fenster-)Scheiben, etwa für Hochhäuser, und auch von Glasvitrinen, wie sie beispielsweise Gegenstand der französischen Offenlegungsschrift 2 624 712 sind. Im Vorbringen der Parteien finden sich keine zureichenden Anhaltspunkte dafür und auch die mündliche Verhandlung hat nicht ergeben, dass die typischen Glasbauunternehmen seinerzeit Entwicklungsabteilungen unterhalten und dort Festkörperphysiker beschäftigt hätten, zumal die Produktpalette solcher Unternehmen die ständige Beschäftigung so speziell qualifizierter akademischer Fachmitarbeiter nicht erwarten ließ.
bb) Dem in der Anlage K 44 dokumentierten, im Jahre 2007 gehaltenen Vortrag über das Unternehmen des Beklagten (in einer früheren Rechtsform) lässt sich entgegen der Ansicht der Klägerin nicht entnehmen, dass für den fachmännischen Horizont zum Anmeldezeitpunkt auf höheres Fachwissen abzustellen sein könnte, als es dem erfahrenen Glasbautechniker zu Gebote stand. Der Beklagte ist schon nicht Erfinder der mit dem Streitpatent unter Schutz gestellten Lehre und auch nicht dessen ursprünglicher Inhaber, sondern er hat es nachträglich erworben. Im Übrigen ergibt sich aus dem Dokument lediglich, dass sein Unternehmen 1985 als Zulieferer und Entwickler der Industrie in einem Nischenmarkt für technische Gläser in den Bereichen Optik, Elektronik und Mechanik von einem Chemieunternehmen einen nicht näher spezifizierten Auftrag über Spezialglasscheiben mit einer besonderen Bearbeitung erhalten hatte und aus dieser Situation heraus seine Chance erkannte, der Industrie innovative Glas-Lösungen anzubieten. Für diesen Nischenmarkt habe man vier Eigenschaften definiert, die eine "Hightech-Glasoberfläche" in Zukunft auszeichneten, darunter frei programmierbare Schaltfunktionen. Diese dienen, wie die Klägerin vorträgt, der Herstellung von Anzeigevorrichtungen, indem einzelne Leuchtmittel individuell an- und ausgeschaltet werden. Abgesehen davon, dass der dokumentierte Vortrag nicht erkennen lässt, über welche Kenntnisse die im Unternehmen des Beklagten zur Anmeldezeit beschäftigen Fachleute verfügten und welcher technische Entwicklungsstand dort seinerzeit verwirklicht war, ist der Umstand, dass frei programmierbare Schaltungen für Anzeigevorrichtungen angeboten wurden, kein tragfähiges Anzeichen dafür, dass dieses Unternehmen oder ein ihm vergleichbarer Anbieter zur Anmeldezeit Festkörperphysiker mit der Weiterentwicklung von Erzeugnissen wie den vom Streitpatent unter Schutz gestellten betraute.
b) Der Fachmann fand im Stand der Technik keine Vorbilder vor, die Anlass zur Auffindung gerade der patentgemäßen Lösung hätten sein können.
aa) Der in den Anmeldungsunterlagen und in der Beschreibung erwähnte Infrarot-Scheinwerfer liegt weit ab vom Gegenstand von Patentanspruch 1. Mit der Bündelung von Infrarot-Leuchtdioden zu einem Scheinwerfer wird zwar eine spezielle Lichtquelle geschaffen. Damit wird jedoch keine Anregung gegeben, einzelne Leuchtdioden als Beleuchtungskörper auf Fensterscheiben anzubringen und deren Versorgung mit elektrischer Energie so anzulegen, dass die Sichtfunktion des Fensters gewahrt bleibt. Die Stromzuführung der auf einer Leiterplatte aufgebrachten Leuchtdioden erfolgte bei dem beschriebenen Scheinwerfer über Leiterbahnen, welche sich auf der der Bestückungsseite der Platte abgewandten Seite befinden (Beschreibung Sp. 1 Tz. 5).
bb) Für die Auffindung patentgemäßer Vorrichtungen gab auch die deutsche Patentschrift 42 08 922 keine Anregung. Ungeachtet ihrer Einordnung als nächstliegender Stand der Technik in der Streitpatentschrift liegt das gemäß dieser Patentschrift unter Schutz gestellte Flächendisplay zur Ausleuchtung von Hintergrundflächen ebenfalls entfernt vom Gegenstand von Patentanspruch 1. Die Erfindung verfolgte das Ziel, die im Stand der Technik verwirklichte Gesamtbauhöhe von Flächendisplays von 2 bis 3 mm weiter zu reduzieren und eine Gesamtbauhöhe von unter 1,5 mm zu erreichen. Dazu wird eine Vorrichtung vorgeschlagen, die aus einem U-förmigen, lichtundurchlässigen, reflektierenden Rahmen besteht, dessen offene Seite von einer aus einem lichtdurchlässigen Material bestehenden Leiterplatte übergriffen wird und auf deren Innenseite drahtgebondete Leuchtdiodenchips aufgebracht sind. Der vom Rahmen und der Leiterplatte umschlossene Raum wird mit einer durchsichtigen Vergussmasse ausgefüllt, in die feinste Glaspartikel als Streuzentren eingelagert sind. Das von den Leuchtdiodenchips punktförmig nach innen abgestrahlte Licht wird durch die Vergussmasse aufgelöst und an den Innenflächen des Rahmens reflektiert und leuchtet bei seinem Austritt die Leiterplatte als Leuchtfläche entsprechend aus.
Abgesehen von der Frage, ob vom Glasbautechniker überhaupt erwartet werden konnte, diese Schrift aufzufinden - sie ist nach dem unwidersprochenen Vortrag des Beklagten im Erteilungsverfahren nur aufgrund des übereinstimmenden Elements der Leuchtdioden als nächstliegender Stand der Technik definiert worden - hätte der Fachmann, um von einem solchen Flächendisplay zum Gegenstand von Patentanspruch 1 zu gelangen, die dort beschriebene, lichtdurchlässige Leiterplatte gedanklich aus dem konstruktiven Zusammenhang mit dem U-förmigen, Reflexionszwecken dienenden Rahmen herauslösen und sich die Leiterplatte des Displays als Fensterscheibe vorstellen müssen. Die mündliche Verhandlung hat keine zureichenden Anhaltspunkte dafür ergeben, dass eine derartige Abstraktion vom durchschnittlich befähigten und erfahrenen Glausbautechniker als zuständigen Fachmann erwartet werden konnte, zumal der Beleuchtungszweck beim patentgemäß beleuchteten Fenster ein ganz anderer ist, als bei dem in der Patentschrift 42 08 922 offenbarten Display. Während dort mithilfe von Diodenchips Licht nach außen reflektiert werden soll, ist Zweck der Beleuchtung von (Schau-)Fenstern gemäß dem Streitpatent die bessere Ausleuchtung der dekorierten Auslagen innen.
c) Die Auffindung der von Patentanspruch 1 unter Schutz gestellten Lehre ergab sich für den Fachmann auch nicht deshalb in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik, weil sie einem besser qualifizierten Fachmann, etwa einem Festkörperphysiker, nahegelegt gewesen wäre und dessen Zuziehung - über eine Kooperation mit universitären Einrichtungen, wie es sie nach der Darstellung des Vertreters der Klägerin zur Anmeldezeit des Streitpatents bei einzelnen Projekten gegeben haben soll - vom Glasbautechniker hätte erwartet werden können. Die Voraussetzungen, unter denen dem Fachmann das Wissen eines Spezialisten zugerechnet werden kann, sind im Streitfall nicht erfüllt.
aa) Die Zuziehung von Experten oder sonst besser qualifizierten Fachleuten bzw. die Einholung von entsprechenden Erkundigungen kann vom zuständigen Fachmann erwartet werden, wenn das zu lösende Problem sich in einem sachlich naheliegenden Fachgebiet in ähnlicher Weise stellt (vgl. Sen.Urt. v. - X ZR 12/81, GRUR 1983, 64, 66 f. - Liegemöbel - wonach von einem mit dem Entwurf von Liegemöbeln vertrauten Fachmann zu erwarten ist, sich bei Sachverständigen für die Fertigung von Beschlägen nach Lösungen zu erkundigen, die im Zusammenhang mit der Konstruktion eines Liegemöbels mit einer Höhenverstellvorrichtung auftreten) bzw. wenn er aufgrund seiner eigenen Sachkunde erkennen kann, dass er eine Lösung auf einem anderen Gebiet finden kann (vgl. Sen.Urt. v. - X ZR 17/83, GRUR 1986, 798 - Abfördereinrichtung für Schüttgut - wonach von einem Fachmann auf dem Gebiet des Maschinenbaus aufgrund vorauszusetzender Grundvorstellungen von der Regelungstechnik für schwierigere regelungstechnische Fragen die Hinzuziehung eines Fachmanns auf diesem Gebiet erwartet werden kann; vgl. auch Schulte/Moufang, PatG, 8. Aufl., § 4 Rdn. 50 m.w.N.). Beides liegt um so näher, je näher die beiden Fachgebiete beieinander liegen und um so weniger nahe, je entfernter das Gebiet, dessen Erkenntnisse verwertet werden sollen, von dem Gebiet liegt, auf das diese Erkenntnisse übertragen werden sollen (vgl. Moufang, aaO, § 1 Rdn. 361). Dabei sind benachbarte Gebiete solche, die sich mit dem Bereich, auf dem die Erfindung liegt, technologisch berühren (Moufang, aaO, § 4 Rdn. 52 ff.).
bb) Im Streitfall hatte der Fachmann keine Veranlassung, auf dem Gebiet des Gegenstands der deutschen Patentschrift 42 08 922 bewanderte Fachleute zurate zu ziehen, weil Flächendisplays, wie sie dort gezeigt sind, fernab vom hier betroffenen Glasbau liegen und einem ganz anderen technischen Bedarf dienen. Deshalb konnte vom Fachmann auch nicht erwartet werden zu erkennen, dass er in diesem Bereich auf sein eigenes Fachgebiet übertragbare Erkenntnisse gewinnen könnte. Vielmehr stellte sich dem Fachmann die Frage, ob gegebenenfalls der Rat von Spezialisten wie Festkörperphysikern hilfreich sein könnte, im Streitfall allenfalls nachdem er selbst bereits erkannt hatte, dass zum Zwecke der Ausleuchtung von Schaufensterauslagen Leuchtdioden als Lichtquellen auf die Schaufensterscheiben gesetzt werden könnten, nachdem durch Beschichtungen leitfähig gemachtes Fensterglas zur Verfügung stand. Damit ist aber bereits eine Lösung erarbeitet, von der nicht angenommen werden kann, dass sie dem zuständigen Fachmann durch den Stand der Technik nahegelegt war. Muss dem Fachmann die Hinzuziehung eines höher qualifizierten Experten erst erforderlich oder sinnvoll erscheinen, nachdem er selbst eine ihm durch den Stand der Technik nicht nahegelegte Lösung zumindest in Grundprinzipien erdacht hat, kann die erfinderische Tätigkeit nicht mit der Begründung verneint werden, die Lösung wäre dem höher qualifizierten Fachmann nahegelegt gewesen.
d) Die deutsche Offenlegungsschrift 42 35 485 betrifft eine Einbaulichtquelle für Möbel und steht damit dem Gegenstand von Patentanspruch 9 näher als dem von Patentanspruch 1. Erfinderische Impulse zur Auffindung des Gegenstands des Letzteren könnten von dieser Schrift dementsprechend allenfalls mittelbar ausgehen, wenn sie Anregungen zur Auffindung der Kombination aus einer Vitrine und einer Beleuchtungsvorrichtung nach einem der Ansprüche 1 ff. hätte geben können. Das ist aber, was auszuführen sein wird (unten B II 2 a), ebenfalls nicht der Fall.
Die Patentansprüche 2 bis 8 haben mit dem Anspruch 1 Bestand.
B.
Die Anschlussberufung bleibt ohne Erfolg.
I.
1. Der Schutzbereich von Anspruch 9 ist entgegen der Ansicht der Klägerin durch Aufnahme des Relativsatzes "... wobei die Glasplatte einen oder mehrere Teile einer Vitrine bildet," nicht erweitert worden (§ 138 Abs. 1 lit. d EPÜ). Der Sinngehalt dieses Zusatzes erschöpft sich in einer redaktionellen Klarstellung, die zur Vermeidung sprachlicher Widersprüchlichkeiten zweckmäßig geworden war. Nachdem der Beklagte den Gegenstand von Patentanspruch 1 auf Glasplatten beschränkt hat, die Fensterscheiben bilden, war es sachgerecht, in Patentanspruch 9 und den folgenden Ansprüchen zum Ausdruck zu bringen, dass die Glasplatte in einer Kombination von Vitrine und Beleuchtungseinrichtung nicht ebenfalls als Fensterscheibe ausgebildet ist. Ein weitergehender Sinngehalt ist dem aufgenommenen Zusatz nicht zu entnehmen. Zu Unrecht sieht die Klägerin eine Schutzbereichserweiterung ferner darin, dass (nunmehr) auch der Unterboden der Vitrine Element der Beleuchtungsvorrichtung sein könne, denn dieser Bereich der Vitrine war bereits vom erteilten Patentanspruch 10 ("... unterhalb des Oberteils ...") gedeckt.
2. Soweit die Klägerin eine Schutzrechtserweiterung außerdem darin sehen will, dass nunmehr nicht nur die Kombination aus einer Vitrine und einer Beleuchtungsvorrichtung geschützt wird, geht dies am Gegenstand der erteilten Patentansprüche vorbei. Die Kombination aus Vitrine und Beleuchtungsvorrichtung ist nicht so zu verstehen, dass damit zwei zunächst verschiedene körperliche Gegenstände zu einem Objekt mit zwei Bestandteilen (Vitrine und Beleuchtungsvorrichtung) zusammengefügt werden, sondern dass die Elemente einer Vitrine und einer speziellen Beleuchtungsvorrichtung gemäß der Lehre des unter Schutz gestellten Anspruchs so miteinander verbunden werden, dass die Vitrine Teil der Beleuchtungsvorrichtung ist und umgekehrt.
II.
Ebenso wenig wie der Schutzbereich von Patentanspruch 9 erweitert worden ist, ist der Anspruch durch Aufnahme des vorstehend erwähnten, - im Übrigen den Anmeldungsunterlagen entlehnten (europäische Patentanmeldung 900 971 Sp. 1 Z. 37 f.) - Relativsatzes auch nicht substantiell beschränkt worden. Sämtliche in Betracht kommenden Teile der Vitrine sind von den erteilten Ansprüchen 9 ff. erfasst; dies kommt nunmehr lediglich schon deklaratorisch ("... einen oder mehrere Teile einer Vitrine ...") in Anspruch 9 vorab zum Ausdruck.
III.
Der Gegenstand von Patentanspruch 9 ist, wie das Bundespatentgericht im Ergebnis zu Recht entschieden hat, patentfähig.
1. Dieser Gegenstand ist neu.
Er ist nicht von der japanischen Offenlegungsschrift 5-119706 vorweggenommen, weil diese jedenfalls keine Kombination aus einer Vitrine und einer Beleuchtungsvorrichtung offenbart. Mit der in der deutschen Offenlegungsschrift 42 35 485 vorgestellten Einbaulichtquelle werden jedenfalls keine Leuchtdioden als Leuchtmittel und keine unsichtbaren bzw. nahezu unsichtbaren auf einer Glasplatte als Trägerplatte aufgebrachten Leiterbahnen gezeigt.
2. Der Senat vermag nicht die Wertung zu treffen, dass der Gegenstand von Patentanspruch 9 dem Fachmann durch den Stand der Technik nahegelegt war.
a) Der Gegenstand der deutschen Offenlegungsschrift 42 35 485 gab dem Fachmann keine Anregung, zu der mit Anspruch 9 unter Schutz gestellten Kombination zu gelangen. Die Schrift offenbart als Lichtquelle ein Bauelement, das eine horizontale oder vertikale Begrenzung eines Möbelstücks bzw. eines abgeteilten Raums bildet. Das Licht wird von vorzugsweise einer zwischen zwei Scheiben angeordneten Folie emittiert und gelangt durch die Transparenz der die außen liegende Seite der Folie abdeckenden Scheibe nach außen. Für die Erzeugung des zur Lichtabstrahlung aufgebauten elektrischen Feldes wird der Lichtquelle über ein Stromzuführungskabel elektrische Energie zugeleitet.
Eine solche, flächige Lichtquelle, die Licht im Übrigen nur auf einer Folienseite abstrahlt, zur Beleuchtung einer aus durchsichtigem Glas bestehenden Glasvitrine vorzusehen, liegt aus fachmännischer Sicht fern, weil sie die erwünschte Transparenz des gesamten Vitrinenkörpers beeinträchtigt, wobei die Lösung der Stromzuführung durch ein Kabel zusätzlich kontraproduktiv ist. Soweit die Schrift einen extrem niedrigen Stromverbrauch dieser Lichtquelle herausstreicht und die Klägerin darin ein "K.o.-Kriterium" für die Auswahl eines solchen Erzeugnisses sieht, setzt das Streitpatent die Priorität beim Erreichen des Beleuchtungszwecks und empfiehlt deshalb die Verwendung einer Vielzahl von Leuchtdioden, deren Leuchtleistung zum Anmeldezeitpunkt bekanntlich noch deutlich geringer war als es aufgrund der zwischenzeitlichen Weiterentwicklung gegenwärtig der Fall ist.
b) Die japanische Offenlegungsschrift 5-119706 führt den Fachmann nicht deshalb zur patentgemäßen Lösung, weil die dort gezeigte LED-Anzeigevorrichtung sich eines Glassubstrats als Trägerfläche für Leiterbahnen und Diodenchips als Lichtquelle bedient. Beleuchtungsmittel dazu einzusetzen, in einer Vitrine ausgestellte Gegenstände zu beleuchten und sich dabei den Effekt zunutze zu machen, dass die Lichtquelle infolge ihrer körperlich kleinen Ausgestaltung die Wahrnehmung des Betrachters möglichst nicht beeinträchtigt, ist eine prinzipiell andere Anforderung als die, Informationen durch aufleuchtende Lichtquellen zu vermitteln, wie dies der bestimmungsgemäße Zweck von LED-Anzeigen ist.
c) Dass der Fachmann durch eine "Zusammenschau" der japanischen und der deutschen Schrift ohne Entfaltung erfinderischer Tätigkeit zur patentgemäßen Lösung hätte gelangen können, kann in Anbetracht der Unterschiedlichkeit der jeweiligen Gegenstände ebenfalls nicht angenommen werden. Der Fachmann hatte keine Veranlassung, die in der deutschen Schrift gezeigte Lichtquelle durch das für eine LED-Anzeigevorrichtung vorgesehene Glassubstrat zu ersetzen.
C.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 2 i.V. mit § 91 Abs. 1 ZPO. Soweit der Beklagte obsiegt, beruht dies auf einer in der Berufungsinstanz erklärten Beschränkung des Streitpatents, mit der dieses schon vor dem Patentgericht erfolgreich hätte verteidigt werden können, wenn sie rechtzeitig erklärt worden wäre. Die dem Beklagten zusätzlich zur Last fallenden Kosten tragen dem Umfang der Beschränkung gegenüber der erteilten Fassung des Streitpatents Rechnung.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
HAAAD-32543
1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: nein