Verletzung der Sachaufklärungspflicht durch Ablehnung eines Beweisantrags auf Einholung eines Sachverständigengutachtens; Ablehnung eines Beweisantrags als Ausforschungsbeweis durch das Finanzgericht
Gesetze: FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3, EStG § 18 Abs. 1 Nr. 1, FGO § 76
Instanzenzug:
Gründe
I. Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) in den Streitjahren 1999 und 2000 mit seinen Dienstleistungen auf dem Gebiet der EDV gewerblich tätig war oder einen —ingenieurähnlichen— freien Beruf ausgeübt hat.
Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) ging von einer gewerblichen Tätigkeit aus und erließ dementsprechend Gewerbesteuermessbescheide.
Die dagegen nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage begründete der Kläger unter Darlegung des beruflichen Werdegangs sowie unter Vorlage einer 17-seitigen Dokumentation seiner Tätigkeiten, die er ergänzend in einem Erörterungstermin vor dem Finanzgericht (FG) erläuterte.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem FG beantragte der Kläger
"die Einholung eines Sachverständigengutachtens über die Frage, ob der Kläger über die Kenntnisse eines Diplom-Informatikers verfügt und in den Streitjahren eine ingenieurvergleichbare Tätigkeit ausgeübt hat”.
Das FG wies die Klage ab, ohne die beantragte Beweisaufnahme durchzuführen, weil die begehrte Beweiserhebung auf einen Ausforschungsbeweis hinausliefe. Dagegen richtet sich die Beschwerde des Klägers, mit der er die Zulassung der Revision begehrt.
II. Die Beschwerde ist begründet; das Unterlassen der Beweisaufnahme durch das FG führt als Verfahrensmangel der angefochtenen Entscheidung nach § 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 116 Abs. 6 FGO).
Verfahrensfehlerhaft hat das FG die Klage abgewiesen, weil es die in der mündlichen Verhandlung beantragte Einholung eines Sachverständigengutachtens unterlassen hat, ob der Kläger über die Kenntnisse eines Ingenieurs verfügt und auf dieser Grundlage eine ingenieurähnliche Tätigkeit i.S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) ausübt. Da die bisherigen tatsächlichen Feststellungen des FG eine abschließende Beurteilung dieser Frage nicht zulassen, muss es die dazu erforderliche weitere Sachaufklärung nachholen.
a) Freiberufliche Einkünfte erzielt, wer die selbständige Berufstätigkeit der in § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG genannten sog. Katalogberufe ausübt. Der Kläger ist nicht im Sinne dieser Norm als Ingenieur —als dem allein in Betracht kommenden Katalogberuf— tätig. Wie der Bundesfinanzhof (BFH) in ständiger Rechtsprechung entschieden hat, ist „Ingenieur” nur derjenige, der wegen der Prägung des Berufsbildes des Ingenieurs durch die Ingenieurgesetze der Bundesländer aufgrund eines Studiums an einer wissenschaftlichen Hochschule, einer Fachhochschule, einer Ingenieurschule oder eines Betriebsführerlehrganges an einer Bergschule befugt ist, die Berufsbezeichnung „Ingenieur” zu führen (vgl. z.B. , BFH/NV 2006, 1270, m.w.N.).
b) Erfüllt der Steuerpflichtige —wie der Kläger mangels Abschluss einer entsprechenden Hochschulausbildung— diese Voraussetzung nicht, so kann er gleichwohl freiberufliche Einkünfte erzielen, wenn er eine diesem Beruf (oder einem der anderen Katalogberufe des § 18 Abs. 1 EStG) ähnliche Tätigkeit ausübt, sofern sie in Ausbildung und beruflicher Tätigkeit in wesentlichen Punkten mit dem Katalogberuf vergleichbar ist (vgl. z.B. , BFHE 184, 456, BStBl II 1998, 139; vom XI R 82/94, BFHE 180, 316, BStBl II 1996, 518).
aa) Die danach in Tiefe und Breite —einem Ingenieur— vergleichbaren Kenntnisse (vgl. z.B. , BFH/NV 2006, 505; in BFH/NV 2006, 1270, jeweils m.w.N.) kann nach ständiger BFH-Rechtsprechung auch ein Diplom-Informatiker geltend machen, weil das Studium der Informatik an einer (Fach-)Hochschule dem der traditionellen Ingenieurwissenschaften gleichwertig ist, auch wenn das Ingenieurstudium im Grundsatz allgemeiner sein kann (, BFH/NV 1994, 613; vom IV R 6/80, BFHE 139, 84, BStBl II 1983, 677, unter 2.b der Gründe; vom IV R 115/87, BFHE 159, 171, BStBl II 1990, 337; vom XI R 9/03, BFHE 206, 233, BStBl II 2004, 989).
bb) Dies gilt auch, wenn der Steuerpflichtige —ohne entsprechende Hochschulausbildung— nachweisen kann, dass er sich das Wissen eines Diplom-Informatikers in vergleichbarer Breite und Tiefe auf andere Weise im Wege der Fortbildung und/oder des Selbststudiums oder ggf. anhand eigener praktischer Arbeiten angeeignet hat, sofern die erworbenen Kenntnisse der Tiefe und der Breite nach dem Wissen des Kernbereichs des jeweiligen Fachstudiums entsprechen (ständige Rechtsprechung; vgl. z.B. , BFHE 132, 16, BStBl II 1981, 118; vom XI R 47/98, BFHE 189, 422, BStBl II 2000, 31; vom IV R 21/02, BFHE 203, 152, BStBl II 2003, 919, jeweils m.w.N.). Dies erfordert Erfahrungen und Kenntnisse in allen Kernbereichen des Katalogberufs (vgl. z.B. , BFHE 155, 109, BStBl II 1989, 198; , BFH/NV 2003, 1413; , BFHE 218, 65, BStBl II 2007, 781). Dementsprechend kann auch ein EDV-Berater geltend machen, einen ingenieurähnlichen Beruf auszuüben (vgl. BFH-Urteil in BFHE 206, 233, BStBl II 2004, 989).
c) Macht der Steuerpflichtige im Prozess geltend, er habe die erforderlichen Kenntnisse, muss er Tatsachen dazu vortragen, wie er die Kenntnisse erworben hat und inwieweit er sie in der Praxis einsetzt. Stehen diese Tatsachen nicht bereits zur Überzeugung des Gerichts fest, muss das FG aufgrund seiner Sachaufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 FGO) den vom Kläger gestellten Anträgen zur Erhebung von Beweisen entsprechen, die geeignet erscheinen, den erforderlichen Nachweis der Kenntnisse zu erbringen.
aa) Dazu kann auch die Vornahme einer Wissensprüfung gehören, wenn sich aus den vorgetragenen Tatsachen zum Erwerb und Einsatz der Kenntnisse bereits erkennen lässt, dass der Kläger über hinreichende Kenntnisse verfügen könnte. Dabei dürfen die Darlegungsanforderungen nach der BFH-Rechtsprechung nicht überspannt werden (, BFHE 199, 367, BStBl II 2002, 768; vom XI R 34/06, BFH/NV 2007, 1495). Dabei ist es unschädlich, wenn die bei einer solchen Prüfung festgestellten Kenntnisse auf einem Gebiet nicht denen entsprechen, wie sie in der vergleichbaren staatlichen Prüfung verlangt werden, sofern auch eine solche Prüfung mit nicht ausreichenden Kenntnissen in (nur) einem Fach bestanden werden kann (vgl. , BFHE 200, 326, BStBl II 2003, 27, m.w.N.).
bb) Entsprechendes gilt, wenn nicht die Vergleichbarkeit der Ausbildung im Streit ist, sondern die Vergleichbarkeit der ausgeübten Tätigkeit mit der (typischen) Tätigkeit des Katalogberufs, zu dem eine Ähnlichkeit nach dem Vortrag des Steuerpflichtigen bestehen soll. Dies folgt schon daraus, dass es auf den Nachweis einer vergleichbaren Ausbildung nach der BFH-Rechtsprechung dann nicht ankommt, wenn die im Streit befindliche Tätigkeit ohne die Grundlage, wie sie die Ausbildung des Katalogberufs vermittelt, gar nicht ausgeübt werden kann; in diesen Fällen ist schon allein aufgrund der Tätigkeit von der Ähnlichkeit zu einem Katalogberuf auszugehen (vgl. , BFH/NV 2000, 705).
cc) Stellt der Steuerpflichtige auf dieser Grundlage einen Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens zum Nachweis einer Ausbildung und/oder Tätigkeit, die der eines Katalogberufs ähnlich ist, muss das FG ihm nachgehen. Ablehnen kann es ihn nur, wenn es auf das Beweismittel für die Entscheidung nicht ankommt, das Gericht die Richtigkeit der durch das Beweismittel zu beweisenden Tatsachen zu Gunsten der betreffenden Partei unterstellt oder das Beweismittel nicht erreichbar ist (, BFHE 174, 301, BStBl II 1994, 660; BFH-Beschlüsse vom I B 18/03, BFH/NV 2004, 207; vom I B 130/06, BFH/NV 2007, 1909).
d) Nach diesen Maßstäben hat das FG seine Sachaufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 FGO) verletzt, indem es das in der mündlichen Verhandlung beantragte Sachverständigengutachten nicht eingeholt hat.
aa) Zu Unrecht hat das FG insbesondere geltend gemacht, der Beweisantrag sei als sogenannter Ausforschungsbeweis ungeeignet, die sinngemäß unter Beweis gestellte Tatsache einer dem Katalogberuf ähnlichen Tätigkeit festzustellen.
Allerdings muss das FG einem Beweisantrag nicht entsprechen, wenn konkrete entscheidungserhebliche Tatsachen, die Gegenstand der Beweisaufnahme sein sollen, weder vorgetragen noch anderweitig erkennbar sind (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom X B 191/95, BFH/NV 1997, 50; vom IV B 194/01, nicht veröffentlicht), so dass im Grunde erst die Beweiserhebung selbst die entscheidungserheblichen Tatsachen und Behauptungen aufdecken kann; mit solchen Beweisanträgen genügen Beteiligte nicht ihrer Mitwirkungspflicht bei der Sachverhaltsaufklärung mit der Folge, dass solche Anträge dem Gericht eine Beweisaufnahme nicht nahelegen müssen (vgl. , BFH/NV 2005, 2166, unter Bezugnahme auf den , Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht - Rechtsprechungs-Report 1991, 118, unter 7.2 der Gründe).
Diese Voraussetzungen für die Annahme eines Ausforschungsbeweises liegen im Streitfall schon deshalb nicht vor, weil der Kläger bereits mit der Klageschrift alle Informationen über die Art seiner beruflichen Tätigkeit dargestellt und sie im Erörterungstermin vor dem FG erläutert hat, so dass der Prüfungsgegenstand für einen zu beauftragenden Sachverständigen ebenso erkennbar war wie die Fragestellung, ob diese Tätigkeiten als ingenieurähnlich angesehen werden können.
bb) Die entsprechenden tatsächlichen Feststellungen hat das FG nachzuholen. Sollte die Beweisaufnahme eine Ähnlichkeit der Tätigkeit ergeben, wird aufzuklären sein, ob schon aufgrund dieser Tätigkeit (zwingend) auf eine vergleichbare ähnliche Ausbildung des Klägers zu schließen ist (vgl. dazu BFH-Beschluss in BFH/NV 2000, 705) oder die weitere Feststellung erforderlich ist, dass auch die Ausbildung des Klägers in ihrer Breite und Tiefe derjenigen eines Ingenieurs vergleichbar ist (vgl. dazu die BFH-Entscheidung in BFHE 199, 367, BStBl II 2002, 768). In diesem Zusammenhang wird auch die offengebliebene Prüfung nachzuholen sein, in welchem Umfang die Einschaltung von Mitarbeitern durch den Kläger dem Gebot eigenverantwortlicher und leitender Berufsausübung nach Maßgabe des § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG entsprochen hat.
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Fundstelle(n):
ZAAAD-31899