Leitsatz
Der vor der Geburt eines Kindes durch die anspruchsberechtigte Person veranlasste, das monatliche Nettoeinkommen erhöhende Lohnsteuerklassenwechsel darf bei der Bestimmung der Bemessungsgrundlage für das Elterngeld nicht unberücksichtigt bleiben; ihm kann der Einwand des Rechtsmissbrauchs nicht entgegen gehalten werden.
Gesetze: BEEG § 1 Abs 1; BEEG § 2 Abs 1; BEEG § 2 Abs 7 S 1; BEEG § 2 Abs 7 S 4; BGB § 242; EStG § 32b; EStG § 39 Abs 5 S 3; SGB III § 133 Abs 3
Instanzenzug: SG Augsburg, S 10 EG 9/08 vom
Gründe
I
Die verheiratete Klägerin beansprucht von dem beklagten Freistaat höheres Elterngeld.
Sie war - als Beamtin - lohnsteuerpflichtig beschäftigt und veranlasste im Jahr 2006 den Wechsel der Lohnsteuerklasse von V auf III. Von Dezember 2006 bis Juli 2007 wurden die monatlichen Steuern nach der Steuerklasse III einbehalten. Am gebar sie das Kind M..
Auf entsprechenden Antrag der Klägerin bewilligte der Beklagte mit Bescheid vom Elterngeld für den 3. Lebensmonat des Kindes in Höhe von 935,25 Euro und ab dem 4. Lebensmonat in Höhe von 1.122,17 Euro monatlich. Der Berechnung legte er durchgängig die Steuerklasse V zugrunde, berücksichtigte also den Lohnsteuerklassenwechsel nicht. Den Widerspruch der Klägerin wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom zurück. Der Steuerklassenwechsel sei ohne nachvollziehbare Gründe, allein um höheres Elterngeld zu erhalten, erfolgt und daher rechtsmissbräuchlich gewesen.
Durch Urteil vom hat das Sozialgericht Augsburg (SG) den angefochtenen Verwaltungsakt aufgehoben und den Beklagten verpflichtet, das Elterngeld unter Berücksichtigung des Lohnsteuerklassenwechsels im Dezember 2006 neu zu berechnen und zu verbescheiden. Zur Begründung hat das SG unter Darlegung der gesetzlichen Voraussetzungen des § 2 Abs 1 und Abs 7 Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG) ausgeführt: Das BEEG enthalte - anders als § 133 Abs 3 SGB III - hinsichtlich des - vorherigen - Lohnsteuerklassenwechsels keinerlei Einschränkungen. Die vom Beklagten insoweit herangezogenen Richtlinien des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFS) seien keine hinreichende Grundlage für die Nichtberücksichtigung des Steuerklassenwechsels. Dieser verstoße auch nicht gegen Treu und Glauben bzw sei nicht rechtsmissbräuchlich. Für diese Wertung maßgebend sei der Umstand, dass die Problematik des vorherigen Lohnsteuerklassenwechsels im Gesetzgebungsverfahren diskutiert und als unbedenklich bezeichnet worden sei. Zudem unterliege das Elterngeld dem sog Progressionsvorbehalt. Es sei zwar selbst nicht steuerpflichtig, erhöhe aber den Steuersatz des zu versteuernden Einkommens. Schließlich sei auch zu berücksichtigen, dass das Elterngeld über (gemeint: aus) einem Zeitraum von zwölf Monaten vor der Geburt berechnet werde, sodass sich der Steuerklassenwechsel niemals für den gesamten Bemessungszeitraum auswirke. Die Entscheidung des - betreffe den nicht vergleichbaren Fall des Mutterschaftsgeldes, das aufgrund des Einkommens der letzten drei Monate vor der Geburt berechnet werde und bei dem sich daher ein Steuerklassenwechsel sofort und voll auswirke.
Mit seiner - vom SG zugelassenen - Revision rügt der Beklagte die Verletzung von Bundesrecht. Der von der Klägerin vorgenommene Lohnsteuerklassenwechsel sei rechtsmissbräuchlich, verstoße gegen den Grundsatz von Treu und Glauben und sei daher bei der Berechnung des Elterngeldes nicht zu berücksichtigten. Nach Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) könne das Recht auf eine Sozialleistung nicht geltend gemacht werden, wenn dies sozial unangemessen erscheine und der rechtsethischen Funktion des Rechts widerspreche. Diese Voraussetzungen lägen hier vor. Der Lohnsteuerklassenwechsel der Klägerin sei ohne sachlichen Grund allein zum Zwecke der Erhöhung des Zahlbetrages vorgenommen worden. Zwar räume § 39 Abs 5 Satz 3 Einkommensteuergesetz (EStG) Ehegatten, die beide in einem Dienstverhältnis stehen, die Möglichkeit ein, einmal im Kalenderjahr die bisher eingetragenen Steuerklassen in andere mögliche Steuerklassen zu ändern. Das Vorhandensein dieser steuerrechtlichen Gestaltungsmöglichkeit stehe indes ihrer Beurteilung als rechtsmissbräuchlich im Hinblick auf den Bezug von Elterngeld nicht entgegen.
Sinn und Zweck der steuerrechtlichen Gestaltungsmöglichkeit sei es, die am Jahresende festzusetzende Steuerschuld bereits im monatlichen Lohnsteuerabzugsverfahren möglichst zutreffend vorweg zu nehmen. Der Lohnsteuerklassenwechsel diene steuerrechtlich demnach allgemein dazu, die aktuelle Steuerbelastung möglichst nahe an der zu erwartenden Jahressteuer zu halten. Der durch die Klägerin vorgenommene Steuerklassenwechsel widerspreche dieser Zielsetzung, denn er führe zu einer deutlichen Erhöhung der gemeinsamen monatlichen Lohnsteuerabzugsbeträge der Eheleute, die jedoch am Jahresende durch eine Steuerrückzahlung ausgeglichen würden. Ein steuerrechtliches Interesse der Eheleute, welches durch diese Vorgehensweise geschützt werden solle, gebe es nicht. Das Interesse bestehe allein in der Erzielung eines höheren Elterngeldes, sodass diese Handhabung trotz steuerrechtlicher Zulässigkeit nur als rechtsmissbräuchlich und unbeachtlich angesehen werden könne.
Der Verstoß gegen den Grundsatz von Treu und Glauben entfalle auch nicht dadurch, dass das Elterngeld dem Progressionsvorbehalt nach § 32b Abs 1 Nr 1j EStG unterliege. Diesem Vorbehalt unterfielen generell Leistungen mit Lohnersatzcharakter. Dadurch solle erreicht werden, dass die progressive Besteuerung nach dem Jahresprinzip nicht unangemessen ermäßigt werde, wenn der Steuerpflichtige anstelle von steuerpflichtigen Einnahmen steuerfreie Ersatzleistungen erhalte. Durch den Progressionsvorbehalt werde erreicht, dass der Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit nicht durch die Steuerfreiheit bestimmter Bezüge beeinträchtigt werde. Die Einbeziehung des Elterngeldes in den Progressionsvorbehalt spreche somit umgekehrt dafür, dass ein entsprechender Steuerklassenwechsel rechtsmissbräuchlich sei.
Der von der Klägerin vorgenommene Steuerklassenwechsel stehe im Widerspruch zur Zielsetzung des Elterngeldes und sei als sozial unangemessen zu bewerten. Nach der Gesetzesbegründung helfe das Elterngeld Eltern, die sich im ersten Lebensjahr des Neugeborenen vorrangig der Betreuung ihres Kindes widmeten, bei der Sicherung ihrer Lebensgrundlage. Ziel des Gesetzes sei es, einen am individuellen Einkommen orientierten Ausgleich für finanzielle Einschränkungen im ersten Lebensjahr des Kindes und eine Unterstützung bei der Sicherung der Lebensgrundlage der Familie zu gewähren. Zu berücksichtigen seien demnach die Verhältnisse, wie sie sich ohne Unterbrechung oder Einschränkung der Erwerbstätigkeit dargestellt hätten. Vor diesem Hintergrund müsse es als sozial verfehlt betrachtet werden, wenn durch gezielte und steuerrechtlich unsinnige Lohnsteuerklassenwechsel im Jahr vor der Geburt das Erwerbseinkommen und damit auch der Elterngeldanspruch der antragstellenden Person manipulativ erhöht werde.
Der Steuerklassenwechsel der Klägerin sei auch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BAG und des Bundesgerichtshofs (BGH) als rechtsmissbräuchlich zu beurteilen. Nach dieser Rechtsprechung sei ein - steuerrechtlich möglicher - Steuerklassenwechsel dann rechtsmissbräuchlich und unbeachtlich, wenn er nicht dem Zweck der Steuerklassenkombination diene, sondern andere Rechtsbeziehungen gestalten wolle. Dies habe der BGH für Fälle entschieden, in denen durch den Wechsel der Steuerklasse der pfändbare Betrag beeinflusst bzw eine Aufhebung der Stundung nach der Insolvenzordnung erreicht werden sollte. Das BAG habe dies für verschiedene auf arbeitsrechtlicher Grundlage zu beurteilende Leistungen entschieden, zB für den Zuschuss zum Mutterschaftsgeld und für die Überbrückungsbeihilfe.
Dem SG sei dahin zuzustimmen, dass sich die Unzulässigkeit oder Unbeachtlichkeit eines Steuerklassenwechsels nicht unmittelbar aus dem BEEG ergebe und insbesondere in das BEEG keine Regelung aufgenommen sei, wie sie beispielsweise in § 133 Abs 3 SGB III enthalten sei. Eine derartige ausdrückliche Regelung innerhalb des BEEG sei jedoch auch nicht erforderlich, denn die Berücksichtigung eines allein zur Erzielung eines höheren Elterngeldes vorgenommenen Lohnsteuerklassenwechsels verbiete sich schon aufgrund des auch im Sozialrecht geltenden Grundsatzes von Treu und Glauben. Soweit das SG weiter ausgeführt habe, dass sich der Gesetzgeber im Bewusstsein der Problematik steuerrechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten gegen eine ausdrückliche gesetzliche Regelung im BEEG entschieden habe, sei dieser Argumentation schon im Hinblick auf die zur Begründung herangezogenen Beratungsprotokolle zu widersprechen. Aus der vom SG zitierten Aussage der Frau Dr. H. könne nicht gefolgert werden, dass der Gesetzgeber sich bewusst gegen die Aufnahme einer den Lohnsteuerklassenwechsel einschränkenden Regelung in das BEEG entschieden habe.
Die Klägerin könne sich auch nicht darauf berufen, dass in manchen Medien zu einem entsprechenden Wechsel der Steuerklassen geraten worden sei. Jedenfalls habe eine falsche Beratung durch den Beklagten nicht vorgelegen. Im Gegenteil hätten die Verwaltungsbehörden und das BMFS darauf hingewiesen, dass ein Wechsel der Lohnsteuerklasse, der allein der Erzielung eines höheren Elterngeldes diene, nicht anerkannt werde. Schließlich sei noch auf eine Reihe weiterer Entscheidungen der SGe zur Frage der Beachtlichkeit eines Lohnsteuerklassenwechsels zu verweisen. Wie das hier entscheidende SG Augsburg habe auch das SG Dortmund geurteilt. Demgegenüber lägen anderslautende Entscheidungen der SGe München, Regensburg, Bayreuth und Berlin vor.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie schließt sich dem angefochtenen Urteil an und vertritt ergänzend die Auffassung, dass die vom Beklagten zitierte Rechtsprechung des BAG und des BGH nicht herangezogen werden könne. Diese Rechtsprechung sei im Zusammenhang mit der Benachteiligung Dritter entstanden bzw im Zusammenhang mit beitragspflichtigen Leistungen. Sie sei daher nicht anwendbar bei der Beurteilung von ausschließlich steuerfinanzierten Leistungen, die sich durch den anzuwendenden Progressionsvorbehalt ggf ausgleichen könnten.
II
Die Revision des Beklagten ist zulässig.
Nach § 161 Abs 1 SGG steht den Beteiligten die Revision unter Übergehung der Berufungsinstanz zu, wenn der Gegner schriftlich zustimmt und wenn sie vom SG im Urteil oder auf Antrag durch Beschluss zugelassen wird. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Das SG hat im Urteil vom die Revision zugelassen. Daran ist das BSG gebunden (§ 161 Abs 2 Satz 2 SGG). Der Beklagte hat die Revision form- und fristgerecht unter Beifügung der schriftlichen Zustimmungserklärung der Klägerin eingelegt (§ 161 Abs 1 Satz 3, § 164 Abs 1 SGG).
Die Revision ist nicht begründet.
Allerdings ist der Urteilsausspruch des SG in der aus dem Urteilstenor des Senats ersichtlichen Weise klarzustellen. Streitgegenstand ist nach der sich aus der Klagebegründung ergebenden Interessenlage der Klägerin nicht die vollständige Aufhebung der Elterngeldbewilligung dem Grunde und der Höhe nach. Vielmehr richtet sich die Klage allein gegen die nach Auffassung der Klägerin zu niedrige Festsetzung des Zahlbetrages des Elterngeldes durch den Beklagten. Diese gemäß § 54 Abs 1 SGG statthafte Anfechtungsklage ist kombiniert mit einer auf die Gewährung eines höheren Elterngeldes gerichteten Leistungsklage (§ 54 Abs 4 SGG). Nur in diesem Umfang hat die Klägerin eine Beschwer (§ 54 Abs 2 SGG) geltend gemacht. Bei sachdienlicher Fassung des Klageantrages, auf den das SG gemäß § 106 Abs 1 SGG hätte hinwirken müssen, hätte das SG in dem nunmehr vom erkennenden Senat formulierten Umfang zusprechen müssen. Die vom SG ausgesprochene Verpflichtung zur Neuberechnung und zur Bescheidung geht ersichtlich davon aus, dass der Beklagte das höher festgestellte Elterngeld der Klägerin auch auszahlt. Die nunmehr klargestellte Verurteilung zur Gewährung des Elterngeldes auf anderer Berechnungsgrundlage geht daher inhaltlich nicht über den Urteilsausspruch des SG hinaus. Da der Beklagte mit dem angefochtenen Bescheid den Anspruch der Klägerin auf Elterngeld dem Grunde nach und bis zu der zuerkannten Höhe bewilligt hatte und er sich mit der Revision nur gegen eine Verpflichtung zur Gewährung höheren Elterngeldes wendet, entspricht es der insoweit übereinstimmenden Interessenlage der Beteiligten, den erstinstanzlichen Ausspruch ohne eine formale teilweise Aufhebung des angefochtenen Urteils klarzustellen.
Mit dieser Maßgabe hat das SG dem Klageanspruch zu Recht stattgegeben. Der Beklagte war nicht berechtigt, den erfolgten Wechsel der Steuerklasse unberücksichtigt zu lassen.
Anspruch auf Elterngeld hat gemäß § 1 Abs 1 BEEG, wer einen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat, mit seinem Kind in einem Haushalt lebt, dieses Kind selbst betreut und erzieht sowie keine oder keine volle Erwerbstätigkeit ausübt. Nach § 2 Abs 1 BEEG wird Elterngeld in Höhe von 67 % des in den zwölf Kalendermonaten vor dem Monat der Geburt des Kindes durchschnittlich erzielten monatlichen Einkommens aus Erwerbstätigkeit bis zu einem Höchstbetrag von 1.800 Euro monatlich für volle Monate gezahlt, in denen die berechtigte Person kein Einkommen aus Erwerbstätigkeit erzielt. Nach § 2 Abs 7 Satz 1 BEEG ist als Einkommen (Abs 1) aus nichtselbstständiger Arbeit der um die auf dieses Einkommen entfallenden Steuern und die Pflichtbeiträge zur Sozialversicherung in Höhe des gesetzlichen Anteils der beschäftigten Person einschließlich der Beiträge zur Arbeitsförderung verminderte Überschuss der Einnahmen in Geld- oder Geldeswert über die mit einem Pauschbetrag anzusetzenden Werbungskosten zu berücksichtigen.
Dass die Klägerin die Grundvoraussetzungen des § 1 Abs 1 BEEG im Anspruchszeitraum erfüllt, haben sowohl der Beklagte als auch das SG angenommen. Zweifel hieran bestehen nicht.
Die Klägerin hat Anspruch auf Elterngeld auf der Grundlage ihres Einkommens iS des § 2 Abs 1 BEEG, das sie in dem Bemessungszeitraum von zwölf Monaten vor dem Monat der Geburt des Kindes, also vom bis erzielt hat. Für die Zeit ab ergab sich dieses Einkommen nach Abzug der auf der Grundlage der Steuerklasse III monatlich anfallenden Steuern. Dementsprechend war der Beklagte nicht befugt, der Berechnung des Bemessungseinkommens auch ab Dezember 2006 weiterhin die Steuerklasse V zugrunde zu legen. Der vor der Geburt eines Kindes durch die anspruchsberechtigte Person veranlasste, das monatliche Nettoeinkommen erhöhende Lohnsteuerklassenwechsel darf bei der Bestimmung der Bemessungsgrundlage für das Elterngeld nicht unberücksichtigt bleiben; ihm kann der Einwand des Rechtsmissbrauchs nicht entgegengehalten werden.
§ 2 Abs 7 Satz 1 BEEG ist vom Wortlaut her eindeutig bestimmt. Er stellt auf die "auf das Einkommen entfallenden Steuern" ab und erfasst damit vom Wortsinn her die tatsächlich entrichteten Steuern. Nach der Änderung der Steuerklasse wurden ab Dezember 2006 die Monatssteuern auf das Gehalt der Klägerin nach der Steuerklasse III einbehalten und abgeführt, sodass diese Steuerklasse maßgebend ist. Dieses Verständnis des § 2 Abs 7 Satz 1 BEEG wird bestätigt durch § 2 Abs 7 Satz 4 BEEG, wonach Grundlage der Einkommensermittlung die entsprechenden "monatlichen Lohn- und Gehaltsbescheinigungen des Arbeitgebers sind". Diese weisen nämlich nur die aufgrund der tatsächlichen Lohnsteuerklasse berechneten Steuerabzüge aus. Die - vom Beklagten vorgenommene - fiktive Berechnung der Steuerabzüge nach einer nicht (mehr) eingetragenen Steuerklasse ist nach § 2 Abs 7 BEEG nicht erlaubt.
Der Vorschrift des § 2 Abs 7 Satz 1 BEEG lässt sich weder durch Auslegung noch durch richterliche Rechtsfortbildung (vgl dazu näher - RdNr 19 und 20 mwN, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen) ein anderer Regelungsgehalt entnehmen. Auch der Beklagte führt dies für seine Auffassung der Rechtmäßigkeit der Nichtberücksichtigung des Steuerklassenwechsels nicht an. Er begründet seine Rechtsauffassung vielmehr damit, dass der Steuerklassenwechsel in Bezug auf die Leistung des Elterngeldes rechtsmissbräuchlich gewesen und daher unbeachtlich sei. Dieser Auffassung ist indes nicht zu folgen. Ein Fall des Rechtsmissbrauchs liegt hier nicht vor.
Die Rechtsfigur des Rechtsmissbrauchs hat, wie zB auch bei der Verwirkung einer Forderung, zur Folge, dass der Berechtigte das ihm formal zustehende Recht nicht ausüben darf. Sie ist eine Ausprägung des die gesamte Rechtsordnung beherrschenden, in § 242 BGB für das Verhalten des Schuldners im Rahmen zivilrechtlicher Schuldverhältnisse geregelten Grundsatzes von Treu und Glauben. Dieser geht auf römisch-rechtliche Wurzeln zurück (vgl Looschelders/Olzen in Staudinger, BGB [2005], § 242 RdNr 7) und hat auch in anderen Normen des BGB seinen Niederschlag gefunden. Er enthält einen allgemeinen Rechtsgedanken mit umfassendem Anwendungsbereich. Rechtsgebiete, in denen er generell ausgeschlossen wäre, gibt es nicht. Allgemeine Anwendungsvoraussetzung ist das Bestehen einer rechtlichen Sonderbeziehung. Eine derartige Beziehung besteht insbesondere bei Existenz eines vertraglichen oder gesetzlichen Schuldverhältnisses, das nicht nur zivilrechtlicher, sondern auch öffentlich-rechtlicher Natur sein kann (s zum Ganzen Mansel in Jauernig, BGB, 12. Aufl 2007, § 242 RdNr 10, 11 mwN).
Rechtsmissbräuchliches Verhalten ist danach in allen Rechtsgebieten unzulässig. Individueller Rechtsmissbrauch wird nach gebräuchlicher Definition angenommen, wenn der Berechtigte kein schutzwürdiges Eigeninteresse verfolgt oder überwiegende schutzwürdige Interessen der Gegenpartei entgegenstehen und die Rechtsausübung im Einzelfall zu einem grob unbilligen und mit der Gerechtigkeit nicht mehr zu vereinbarenden Ergebnis führen würde (Mansel in Jauernig, aaO, RdNr 37).
Nach der Rechtsprechung des BSG ist daher ebenfalls anerkannt, dass ein Recht auf eine Sozialleistung nicht geltend gemacht werden kann, wenn dies sozial unangemessen geschieht und wenn es der rechtsethischen Funktion des Rechts widerspricht. Der Gesichtspunkt des Rechtsmissbrauchs orientiert sich am Schutzbereich der Norm, wobei grundsätzlich davon auszugehen ist, dass der Berechtigte den ihm zustehenden Anspruch im gesetzlichen Rahmen mit legalen Mitteln ausschöpfen kann ( BSGE 46, 187, 189 = SozR 2200 § 315a Nr 7 S 17; vom , BSGE 59, 40, 45 = SozR 3800 § 1 Nr 5 S 16; vom , BSGE 61, 54, 58 = SozR 2200 § 583 Nr 5 S 11; vom , BSGE 76, 67, 69 = SozR 3-4100 § 141k Nr 2 S 10; vom , SozR 3-2400 § 25 Nr 6 S 27).
Der Schutzbereich der Norm, Sinn und Zweck des Rechts und damit auch seine rechtsethische Funktion wird in erster Linie durch den Gesetzgeber selbst bestimmt. Bei gesetzlich begründeten Ansprüchen auf Sozialleistungen (s § 31 SGB I) bleibt es also nicht den rechtsethischen Anschauungen des Rechtsanwenders überlassen festzulegen, wann ein Missbrauch vorliegt. Dabei kann sich der Schutzbereich einer Norm sowie ihr Sinn und Zweck auch aus dem Fehlen einer - bestimmten - Regelung erschließen, sofern der Gesetzgeber diese bewusst unterlässt. Ein Missbrauchseinwand kommt daher in erster Linie dann in Betracht, wenn der Gesetzgeber rechtliche Gestaltungsmöglichkeiten übersehen hat, die sich erst bei der späteren Anwendung des Gesetzes zeigen, und er diese nach seiner sonstigen Zielsetzung mit Sicherheit unterbunden hätte. Hingegen können Gestaltungsmöglichkeiten, die der Gesetzgeber den Bürgern "sehenden Auges" überlassen hat, nicht im Nachhinein von den Rechtsanwendern aus Gründen einer angenommenen "rechtsethischen Funktion des Rechts" begrenzt werden.
Bei wortgetreuer Anwendung des § 2 Abs 7 BEEG steht der Klägerin der Anspruch auf Elterngeld auf der Grundlage des seit Dezember 2006 nach der Steuerklasse III (pauschaliert) errechneten Nettoeinkommens zu. Das Gesetz knüpft an den tatsächlichen Steuerabzug an. Die Klägerin hält sich somit in dem gesetzlich vorgegebenen Rahmen. Sie hat die für sie günstige Rechtsposition zudem mit legalen Mitteln erlangt, denn der Steuerklassenwechsel unter Ehegatten war ihr im Dezember 2006 nach § 39 Abs 5 Satz 3 EStG erlaubt, auch wenn er nicht dem Ziel gedient haben sollte, die von den Ehepartnern monatlich zu entrichtenden Lohnsteuern auf das Kalenderjahr gesehen möglichst nah an die Jahressteuerschuld heranzubringen. Anders als die auf den einzelnen Arbeitnehmer bezogene Bestimmung des § 39 Abs 5 Satz 1 EStG, die eine Änderung der Steuerklasse nur bei Eintritt der Voraussetzungen für eine "günstigere" Steuerklasse erlaubt, ist der Wechsel der Steuerklasse unter Ehegatten nach § 39 Abs 5 Satz 3 EStG nicht an materielle Voraussetzungen geknüpft und daher einmal im Kalenderjahr einschränkungslos erlaubt.
Selbst wenn danach die Klägerin und ihr Ehemann vorübergehend eine höhere monatliche Steuerbelastung, die später wieder ausgeglichen worden ist, in Kauf genommen haben, um der Klägerin ein höheres Elterngeld zu verschaffen, widerspricht dies nicht der rechtsethischen Funktion des Rechts des BEEG und ist auch nicht als sozial unangemessen zu beurteilen.
Den umfangreichen Darlegungen des Beklagten zur Frage des Rechtsmissbrauchs durch die Klägerin ist schon deshalb nicht zu folgen, weil die gesetzgebenden Organe selbst die Problematik eines Steuerklassenwechsels, der vor der - absehbaren - Geburt und damit vor der Entstehung des Anspruchs auf Elterngeld erfolgt, bereits im Gesetzgebungsverfahren des BEEG erkannt haben, eine dessen Berücksichtigung begrenzende Regelung indes unterlassen haben. Das SG hat insoweit zutreffend darauf hingewiesen, dass die Frage des Steuerklassenwechsels in den Beratungen des Deutschen Bundestages ausdrücklich diskutiert worden ist (s Plenarprotokoll 16/55 der 55. Sitzung des Deutschen Bundestages am , S 5356 und 5357). Auch das nach dem Koalitionsvertrag beabsichtigte Unterbinden des vorherigen Steuerklassenwechsels mit Blick auf die Leistung des Mutterschaftsgeldes ist ausdrücklich angesprochen worden (aaO, S 5357). Schließlich ist von einer Rednerin der Opposition in diesem Zusammenhang vorgeschlagen worden, die Berechnung des Elterngeldes besser nach dem "Bruttolohnprinzip" vorzusehen (aaO, S 5357; s auch BT-Drucks 16/2785, S 36). Dass ein derartiger Steuerklassenwechsel als Rechtsmissbrauch angesehen würde, ist in den zugänglichen Gesetzesmaterialien jedenfalls nicht zum Ausdruck gekommen.
Ungeachtet dieser problembezogenen Diskussion im Deutschen Bundestag ist dem Sozialgesetzgeber ohnehin geläufig, dass sich ein Lohnsteuerklassenwechsel bei Leistungen, die nach einem Nettoentgelt berechnet werden, auf das monatliche Bemessungsentgelt und damit auf die Höhe der Sozialleistung auswirkt. So ist etwa im Bereich des Rechts der Arbeitslosenversicherung der Einfluss der Steuerklasse und deren Wechsel auf die Höhe des Anspruchs auf Arbeitslosengeld seit Jahrzehnten mit unterschiedlichem Inhalt gesetzlich eindeutig geregelt. Nach der heute geltenden Vorschrift des § 133 Abs 3 SGB III werden bei einem Lohnsteuerklassenwechsel unter Ehegatten die neu eingetragenen Lohnsteuerklassen ... nur berücksichtigt, wenn sie dem Verhältnis der monatlichen Arbeitsentgelte beider Ehegatten entsprechen oder wenn sich auf Grund der neu eingetragenen Lohnsteuerklassen ein Arbeitslosengeld ergibt, das geringer ist als das Arbeitslosengeld, das sich ohne den Wechsel ergäbe.
Diese Umstände zwingen zu dem Schluss, das der Gesetzgeber des BEEG bewusst auf die Aufnahme einer etwa dem § 133 Abs 3 SGB III gleichen oder ähnlichen Norm in das BEEG verzichtet hat. Auch die Reform des BEEG durch das Erste Gesetz zur Änderung des BEEG vom (BGBl I 61) hat der Gesetzgeber nicht zum Anlass genommen, einen den Anspruch auf Elterngeld erhöhenden Steuerklassenwechsel vor der Geburt des Kindes zu unterbinden oder dessen Berücksichtigung an bestimmte Voraussetzungen zu knüpfen. Hierzu hätte indes besonderer Anlass bestanden, wenn die inzwischen durch zahlreiche sozialgerichtliche Streitigkeiten offenbar gewordene Problematik im Gesetzgebungsverfahren des BEEG nur versehentlich nicht geregelt worden wäre. Im Gegenteil bekräftigt der Inhalt des Änderungsgesetzes die Annahme, dass der Gesetzgeber den vorherigen Steuerklassenwechsel als mit den Zwecken des BEEG vereinbar ansieht.
Eine solche Haltung des Gesetzgebers erscheint wegen des schon vom SG erörterten Bestehens des sog Progressionsvorbehalts nachvollziehbar. Wie der Beklagte zutreffend dargelegt hat, gilt dieser in § 32b EStG geregelte steuerrechtliche Grundsatz nicht nur für das Elterngeld, sondern für alle steuerfreien Entgeltersatzleistungen (§ 32b Abs 1 Nr 1 Buchst a bis j EStG). Die Leistung selbst unterliegt nicht der Steuerpflicht, wird indes als den prozentualen Steuersatz des Ehepartners erhöhend berücksichtigt (besonderer Steuersatz nach § 32b Abs 2 EStG). Der Progressionsvorbehalt führt somit dazu, dass von dem Einkommen des Ehepartners höhere Einkommensteuern erhoben werden. Demnach fließen dem Staat, der das - erhöhte - Elterngeld zahlen muss, auch - erhöhte - Steuereinnahmen zu. Überdies führen die nach dem entsprechenden Lohnsteuerklassenwechsel monatlich insgesamt höheren Steuerabführungen der Ehepartner dazu, dass dem Staat bis zur Feststellung der Jahressteuerschuld im Folgejahr zinslos Geldbeträge zur Verfügung gestellt werden.
Der Beklagte kann sich demgegenüber auch nicht auf die von ihm angeführte und um eine weitere Entscheidung des BAG zu vervollständigende Rechtsprechung des BGH und des BAG berufen.
Die Rechtsprechung des BGH und des BAG hat den steuerrechtlich zulässigen Steuerklassenwechsel als rechtsmissbräuchlich eingestuft, wenn er zur Beeinflussung privater Rechtsverhältnisse vorgenommen worden ist. Sie kann für die Beurteilung des vorliegenden Falles nicht ohne Weiteres übernommen werden, weil sie andere rechtliche Zusammenhänge betrifft. Dementsprechend waren dort andere Schutzzwecke der einschlägigen Normen relevant (vgl dazu -). Die ) sowie vom (IX ZB 65/07) und das ) betreffen Sachverhalte, in denen der Steuerklassenwechsel zur Benachteiligung zivilrechtlicher Gläubiger vorgenommen worden war. Das ) betrifft einen arbeitsvertraglich begründeten Anspruch auf Zuschuss zum Krankengeld.
Die und 9 AZR 605/02) betreffen durch Tarifvertrag begründete Ansprüche auf einen Aufstockungsbetrag und eine Überbrückungsbeihilfe. Schließlich behandeln die vom Beklagten besonders hervorgehobenen ) und (5 AZR 581/90) den auf § 14 Mutterschutzgesetz zurückgehenden Anspruch auf Zuschuss zum Mutterschaftsgeld gegenüber dem Arbeitgeber der Mutter. Diese den Arbeitgebern kraft Gesetzes auferlegte Zahlungspflicht bedarf zu ihrer Begründung stets eines Arbeitsvertrages zwischen dem einzelnen Arbeitgeber und der betroffenen Mutter, sodass es sich ebenfalls um einen privatrechtlich verankerten Zahlungsanspruch handelt.
Die Rechtsprechung des BGH und des BAG betrifft, auch wenn ihr nicht nur einzel- oder gesamtvertragliche Ansprüche zugrunde liegen, sondern - wie bei gerichtlich bereits rechtskräftig ausgeurteilten, titulierten Forderungen - auch die gesetzlichen Bestimmungen über den Gläubigerschutz betroffen sind ( aaO), stets die unmittelbare Benachteiligung privater Rechtssubjekte. Im vorliegenden Fall wird indes unmittelbar der Staat begünstigt (höheres Steueraufkommen) und belastet (höhere Elterngeldzahlungen). Die Rechtsprechung des BGH und des BAG kann daher entgegen der Auffassung von Dau (SGb 2009, 261, 263) nicht als Beleg dafür dienen, dass hier der Grundsatz von Treu und Glauben bzw des Rechtsmissbrauchs durchgreift.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2009 S. 2128 Nr. 12
DStR 2009 S. 2541 Nr. 49
HFR 2009 S. 1247 Nr. 12
NJW 2010 S. 1485 Nr. 20
PAAAD-31752