BSG Urteil v. - B 7/7a AL 36/07 R

Leitsatz

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: SGB III § 142 Abs 3

Instanzenzug: LSG Baden-Württemberg, L 8 AL 3084/06 vom SG Freiburg, S 3 AL 1266/05 vom

Gründe

I

Im Streit ist die Zahlung von Arbeitslosengeld (Alg) für die Zeit ab .

Der im Januar 1943 geborene Kläger war, in der Bundesrepublik Deutschland lebend, vom bis zum bei der C AG in der Schweiz beschäftigt. Er beendete das Arbeitsverhältnis durch Kündigung zum . Seit erhält er von der Vorsorgeeinrichtung seiner Arbeitgeberin eine Altersrente in Höhe von anfänglich 9.218 SFr monatlich sowie eine Überbrückungsrente in Höhe von 2.110 SFr monatlich. Den am bei der Arbeitsagentur L gestellten Antrag des Klägers auf Alg lehnte die Beklagte ab, weil der Anspruch gemäß § 142 Sozialgesetzbuch Drittes Buch - Arbeitsförderung - (SGB III) wegen der an ihn gezahlten Schweizer Rente ruhe (Bescheid vom ; Widerspruchsbescheid vom ).

Klage und Berufung hatten keinen Erfolg (Urteil des Sozialgerichts [SG] Freiburg vom ; Urteil des Landessozialgerichts [LSG] Baden-Württemberg vom ). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, die Beklagte habe zu Recht nicht gezahlt, weil der Alg-Anspruch nach § 142 Abs 1 Satz 1 Nr 4 iVm Abs 3 SGB III ruhe. Der Kläger erhalte ab eine der Altersrente aus der deutschen Rentenversicherung vergleichbare Leistung. Die nach den Vorschriften des schweizerischen Bundesgesetzes über die betriebliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge (BVG) registrierte, in der Rechtsform einer Stiftung schweizerischen Rechts geführte Vorsorgeeinrichtung der C AG sei ein öffentlich-rechtlicher Träger. Zumindest die dem Kläger gewährte Altersrente in Höhe von 9.218 SFr weise die gleichen und typischen Strukturen wie eine Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung nach deutschem Recht auf.

Mit seiner Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 142 Abs 3 SGB III. Die Vorsorgeeinrichtung könne nicht als öffentlich-rechtlicher Träger angesehen werden. Dies ergebe sich bereits aus der gegenüber dem deutschen Recht unterschiedlichen Finanzierung. Seine Vorsorge habe er überwiegend aus eigenen Mitteln begründet. Durch die Gleichstellung dehne das LSG den Anwendungsbereich des § 142 Abs 3 SGB III unzulässig aus. Weder aus dem Wortlaut noch aus der Systematik sei die Gleichstellung zu entnehmen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des LSG und das Urteil des SG sowie den Bescheid der Beklagten vom in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm ab dem Alg zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält die Entscheidung des LSG für zutreffend.

II

Die zulässige Revision des Klägers ist nicht begründet (§ 170 Abs 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz [SGG]). Der Kläger hat keinen Anspruch auf das beantragte Alg.

Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom (§ 95 SGG), mit dem die Beklagte den Antrag des Klägers auf Bewilligung von Alg ab abgelehnt hat. Hiergegen wendet sich der Kläger mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 und Abs 4, § 56 SGG).

Es kann offen bleiben, ob die nationalen Anspruchsvoraussetzungen nach den §§ 117 ff SGB III iVm internationalem Recht vorliegen; als Anspruchsgrundlagen kommen die nationalen Regelungen iVm Anhang II Art 1 Abs 1 des Abkommens zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit vom (BGBl II 2001, 811) und dem Gesetz zur Umsetzung dieses Abkommens vom (BGBl II 810) sowie Art 71 Abs 1 Buchst a ii der Verordnung des Rates Nr 1408/71 (EWGV 1408/71) oder iVm dem Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der schweizerischen Eidgenossenschaft über Arbeitslosenversicherung vom (BGBl II 1983, 579; vgl das Gesetz zur Umsetzung vom - BGBl II 810) in Betracht. Ebenfalls offen bleiben kann, ob der Anspruch des Klägers auf Alg wegen des Eintritts einer Sperrzeit während dieser Sperrzeit geruht hat. Jedenfalls ruht ein etwaiger, dem Grunde nach bestehender Anspruch auf Alg wegen der vom Kläger bezogenen Altersrente gemäß § 142 Abs 1 Satz 1 Nr 4, Abs 2 Satz 1 Nr 3 Buchst b, Abs 3 SGB III.

Nach § 142 Abs 1 Satz 1 Nr 4 SGB III (hier idF, die die Norm durch das Dritte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom - BGBl I 2848 - erhalten hat) ruht ein Anspruch auf Alg während der Zeit, für die dem Arbeitslosen ua ein Anspruch auf Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung zuerkannt ist. Gemäß Abs 2 Satz 1 Nr 3 Buchst b der Vorschrift ruht der Anspruch abweichend von Abs 1 nur bis zur Höhe der zuerkannten Leistung, wenn die Leistung auch während einer Beschäftigung und ohne Rücksicht auf die Höhe des Arbeitsentgelts gewährt wird. Nach Abs 3 gelten die Absätze 1 und 2 auch für einen vergleichbaren Anspruch auf eine andere Sozialleistung, den ein ausländischer Träger zuerkannt hat. Soweit der mögliche Anspruch des Klägers auf Alg - in der Bundesrepublik Deutschland wurden keine anwartschaftsbegründenden Zeiten zurückgelegt - unter Anwendung des auf die EWGV 1408/71 Bezug nehmenden Freizügigkeitsabkommens entstanden wäre, wäre zwar Art 12 Abs 2 EWGV anwendbar (vgl EuGH SozR 6050 Art 12 Nr 12 S 18 f); diese Vorschrift verweist jedoch ohnedies nur auf die nationale Antikumulationsvorschrift, hat also vorliegend keine eigenständige Bedeutung. Soweit sich der Anspruch des Klägers aus dem Abkommen vom ergeben sollte, gilt nichts anderes: Art 6 dieses Abkommens verweist ebenfalls auf die nationale Antikumulationsvorschrift (vorliegend also auf § 142 SGB III).

Das LSG hat im Ergebnis zutreffend entschieden, dass ein möglicher Anspruch des Klägers auf Zahlung von Alg wegen der seit dem bezogenen Altersrente aus der schweizerischen Pensionskasse nach der bezeichneten Vorschrift ruht. Es kann deshalb dahinstehen, ob es sich auch bei der zusätzlich von der Pensionskasse bezogenen Überbrückungsrente in Höhe von 2.110 SFr monatlich um eine der Altersrente aus der deutschen Rentenversicherung vergleichbare Leistung handelt.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ist im Wege der rechtsvergleichenden Qualifizierung zu ermitteln, ob es sich bei der ausländischen Leistung um eine Sozialleistung öffentlich-rechtlicher Art handelt und von Ähnlichkeit bzw Vergleichbarkeit der ausländischen und der inländischen Sozialleistung auszugehen ist (siehe nur zuletzt - RdNr 12). Vergleichbarkeit ist dann anzunehmen, wenn die ausländische Leistung in ihrem Kerngehalt den gemeinsamen und typischen Merkmalen der inländischen Leistung entspricht, dh, nach Motivation und Funktion gleichwertig ist. Da eine völlige Identität kaum denkbar ist, muss sich diese Beurteilung notwendigerweise auf bestimmte Eigenschaften beider Leistungsarten beschränken und andere als unwesentlich für den Vergleich ausscheiden. Maßgeblicher Gesichtspunkt sind die Essentiala der nationalen Norm, also deren Funktion und Struktur nach nationalem Verständnis (BSGE 81, 134, 138 = SozR 3-4100 § 142 Nr 2 S 11; - RdNr 12). Die wesentlichen Gesichtspunkte der deutschen Altersrente sind dabei, dass sie erst bei Erreichen einer bestimmten Altersgrenze gezahlt wird und als Entgeltersatzleistung in der Grundkonzeption der Lebensunterhaltssicherung dient (vgl nur zuletzt aaO, RdNr 12). Bei der gebotenen rechtsvergleichenden Qualifizierung sind die von der Tatsacheninstanz zum ausländischen Recht getroffenen Feststellungen und die darauf beruhende Rechtsauslegung indes grundsätzlich für das Revisionsgericht bindend (§ 202 SGG iVm § 560 Zivilprozessordnung [ZPO] und § 162 SGG; vgl dazu im Einzelnen: BSGE 68, 184, 187 = SozR 3-2400 § 18a Nr 2 S 13; BSGE 80, 295, 299 = SozR 3-4100 § 142 Nr 1 S 4; BSG SozR 4-4200 § 11 Nr 7 RdNr 25).

Nach diesen Maßstäben handelt es sich bei der vom Kläger bezogenen Altersrente aus der Pensionskasse seiner früheren Arbeitgeberin um Bezüge öffentlich-rechtlicher Art. Diese liegen vor, wenn sie aus Mitteln gezahlt werden, die für öffentliche Aufgaben vorgesehen sind (BSGE 73, 10, 15 = SozR 3-4100 § 118 Nr 4 S 21; - RdNr 16). Zwar ist für die Annahme einer Leistung öffentlich-rechtlicher Art iS von § 142 Abs 1 Nr 4 iVm Abs 3 SGB III damit noch nicht - wie hier vom LSG offenbar angenommen - ausreichend, dass die Institution, die die Leistung gewährt, an sich Träger einer öffentlichen Aufgabe ist. Sie muss die öffentliche Aufgabe vielmehr gerade durch die gewährten Leistungen öffentlich-rechtlicher Art erfüllen. Dies ist jedoch hier der Fall. Der Senat ist, soweit das LSG bei seiner Entscheidung schweizerische Rechtsnormen nicht zu Grunde bzw nicht ausgelegt hat, zur eigenständigen Auslegung dieser Rechtsnormen berechtigt. Soweit die Entscheidung auf der Auslegung des Reglements der Pensionskasse beruht, kann dahinstehen, ob bzw inwieweit es sich um Rechtsnormen im Sinne des Revisionsrechts handelt; zumindest sind sie der Revision zugängliche generelle Tatsachen.

Bereits der 11. Senat des BSG hat in einem gleichfalls das Ruhen eines Anspruchs auf Alg wegen des Bezugs von Altersleistungen nach dem schweizerischen BVG betreffenden Parallelverfahren aus Regelungen des BVG gefolgert, dass es sich bei einer nach dem schweizerischen BVG gewährten Altersrente um Leistungen öffentlich-rechtlicher Art iS von § 142 Abs 1 Satz 1 Nr 4 iVm Abs 3 SGB III handelt, und zwar auch, soweit diese Leistungen über die obligatorische Mindestversorgung nach dem BVG hinausgehen ( - RdNr 18). Hierzu hat der 11. Senat ausgeführt, dass das BVG einer Vorsorgeeinrichtung nach § 49 Satz 2 BVG die Möglichkeit einräume, mehr als die Mindestleistungen zu gewähren, und der dortige Kläger zum Kreis der Versicherten gehöre, deren anrechenbares Jahreseinkommen den gemäß BVG obligatorisch zu versichernden Jahreslohn übersteige. Gleichwohl diene die Leistung insgesamt der Altersvorsorge (Art 13 BVG iVm den betreffenden Reglementsbestimmungen), sei auf diese festgelegt und für den Versicherten während der Zugehörigkeit zu dem entsprechenden Arbeitgeber verpflichtend. Dies bedeute, dass die Mittel, aus denen die dem Kläger gewährte Rente gezahlt werde, für eine öffentliche Aufgabe vorgesehen sei. Vorliegend gilt unter Berücksichtigung der hier einschlägigen Bestimmungen des Reglements der Rentenversicherung (Reglement) der Pensionskasse der C (Artikel 7, 1, 3 und 13) nichts anderes. Dem steht nicht entgegen, dass die Rentenleistung zum Teil auf dem freiwilligen Einkauf von Versicherungsjahren durch den Kläger (vgl Art 11 Abs 3 des Reglements) beruht. Der öffentlich-rechtliche Charakter insbesondere der gesetzlichen Altersrente zeigt sich nicht allein in der gemeinsamen Tragung der Beiträge durch Arbeitnehmer und Arbeitgeber und auch nicht allein am Merkmal der Versicherungspflicht. Auch die deutsche gesetzliche Rentenversicherung weist vielmehr mit der freiwilligen Versicherung nach § 7 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch - Gesetzliche Rentenversicherung - (SGB VI) und wies in der Vergangenheit mit der Höherversicherung nach § 234 SGB VI (in der bis zum geltenden Fassung) Finanzierungselemente auf, bei denen die Leistungsansprüche zumindest teilweise an freiwillig gezahlte Beiträge nur der Versicherten anknüpf(t)en.

Die dem Kläger gewährte Altersrente ist auch mit der Altersrente aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung iS von § 142 Abs 1 Satz 1 Nr 4 iVm Abs 3 SGB III vergleichbar; sie weist die gleichen gemeinsamen und typischen Merkmale auf, wie die im Gesetz aufgezählten Ruhegelder und Ausgleichsleistungen (vgl zu dieser Voraussetzung: BSGE 73, 10, 16 = SozR 3-4100 § 118 Nr 4 S 21; - RdNr 20). Die Bezüge werden erst bei Erreichen einer bestimmten Altersgrenze gewährt. Dies ergibt sich aus Art 13 Abs 1 des Reglements, und zwar sowohl für den obligatorischen als auch den überobligatorischen Teil der Leistung. Danach entsteht der Anspruch auf Altersleistung, wenn der Versicherte das Rücktrittsalter (Art 1 des Reglements: 65 Jahre) erreicht oder das Arbeitsverhältnis nach Vollendung des 60. Lebensjahres aufgelöst wird. Dass die Rente nach dem Reglement bereits nach Vollendung des 60. Lebensjahres bezogen werden kann, ändert nichts an ihrem Charakter, weil die reglementarischen Bestimmungen auf der Grundlage des Art 13 Abs 2 BVG zu einer Entstehung des Anspruchs auf Altersleistung mit der Beendigung der Erwerbstätigkeit beruhen ( - RdNr 23).

Das LSG hat unter Berücksichtigung der BVG-Regelungen zudem für den Senat bindend festgestellt, dass die von dem Kläger bezogene Altersrente den Lebensunterhalt sichern soll und Entgeltersatzcharakter besitzt. Zutreffend ist das LSG dabei davon ausgegangen, dass jene Voraussetzung auch dann erfüllt ist, wenn sich die Gesamtleistung aus mehreren Leistungen zusammensetzt. Insofern hat auch der 11. Senat des BSG betont, dass der von dem dortigen Kläger bezogene überobligatorische Rententeil nach dem BVG nicht lediglich die Funktion habe, eine zusätzliche Sicherung für den Versicherten bereitzustellen und die gesetzliche Altersrente aufzustocken, sondern dass die Altersrente insgesamt in ihrer Gesamtkonzeption der Alterssicherung diene. Auch der Umstand, dass die BVG-Rente anders als die deutsche Altersrente nicht umlage-, sondern kapitalfinanziert sei, ändere nichts an ihrem Lohnersatzcharakter, wobei sie im Übrigen nicht allein vom Arbeitnehmer abgeschlossen und finanziert werde ( - RdNr 24).

Ein möglicher Anspruch des Klägers auf Alg ab ruht auch nicht etwa im Hinblick auf § 142 Abs 2 Satz 1 Nr 3 Buchst b SGB III nur teilweise (in Höhe der gezahlten schweizerischen Altersrente). Selbst wenn die zuerkannte Altersrente auch während einer Beschäftigung und ohne Rücksicht auf die Höhe des Arbeitsentgelts gewährt werden sollte, was hier keiner Prüfung bedarf, übersteigt die dem Kläger seit gezahlte BVG-Rente (mit anfänglich 9.218 SFr monatlich) auch unter Berücksichtigung von Währungsschwankungen bei weitem den Alg-Höchstbetrag, der sich aus den monatlichen Beitragsbemessungsgrenzen (5.200 Euro bis 5.300 Euro in den Jahren 2005 bis 2008) errechnet, schon ohne Berücksichtigung der Überbrückungsrente; mit der Vollendung des 65. Lebensjahres besaß der Kläger ohnedies keinen Anspruch auf Alg mehr (§ 117 Abs 2 SGB III).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Fundstelle(n):
JAAAD-31553