BFH Urteil v. - XI R 34/08 BStBl 2010 II S. 857

Der Zwischenhandel mit Eintrittskarten ist eine sonstige Leistung, die am Sitzort des Leistenden zu besteuern ist; Abgrenzung einer Lieferung von einer sonstigen Leistung

Leitsatz

1. Die entgeltliche Überlassung von Eintrittskarten zu einem sportlichen oder kulturellen Ereignis an einen Reiseveranstalter ist keine Lieferung, sondern eine sonstige Leistung.

2. Der Ort dieser Leistung bestimmt sich in Ermangelung einer Spezialregelung gemäß § 3a Abs. 1 UStG nach dem Sitzort des leistenden Unternehmers.

Gesetze: UStG 1993 § 3 Abs. 1UStG 1993 § 3 Abs. 9UStG 1993 § 3a Abs. 1UStG 1993 § 3a Abs. 2 Nr. 3 Buchst. a

Instanzenzug: (EFG 2009, 217) (Verfahrensverlauf),

Gründe

I.

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) stellte im Streitjahr 1996 für Reiseveranstalter Paketreisen zusammen. Diese enthielten auch Umsätze aus der Veräußerung von Eintrittskarten für ausländische Veranstaltungen. Im Wesentlichen handelt es sich dabei um Autorennen in Monza, Imola und Monte Carlo. Der Ein- und Verkauf der Karten erfolgte im eigenen Namen und für eigene Rechnung. Das wirtschaftliche Risiko aus dem Kartenhandel lag ausschließlich bei der Klägerin. Die Einnahmen aus dem Kartenverkauf erfasste die Klägerin nicht in ihrer Umsatzsteuererklärung 1996.

Dem folgte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) im Anschluss an eine Außenprüfung bei der Klägerin nicht. Er ging vielmehr davon aus, dass die streitbefangenen Leistungen nach § 3a Abs. 1 des Umsatzsteuergesetzes 1993 (UStG) im Inland steuerbar seien. Die abweichende Regelung in § 3a Abs. 2 Nr. 3 Buchst. a UStG sei hier nicht einschlägig. Die Klägerin sei nicht als Veranstalter anzusehen, weil sie nicht selbst Ort und Zeit der Darbietung bestimmen könne. Sie übertrage mit dem Kartenverkauf lediglich das Recht auf Teilnahme an der Veranstaltung. Der Einspruch der Klägerin blieb ohne Erfolg.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Sein Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2009, 217 veröffentlicht.

Zur Begründung der Revision trägt die Klägerin vor, sie sei abweichend von der Rechtsauffassung des FG der Meinung, dass es sich bei dem Kartenverkauf nicht um eine sonstige Leistung, sondern um eine Lieferung handle. Dies habe zur Folge, dass sich der Ort der Lieferung nach § 3 Abs. 7 UStG an dem jeweiligen Veranstaltungsort befinde, an dem den Reiseteilnehmern die Eintrittskarten ausgehändigt worden seien. Mithin liege ein nicht steuerbarer Auslandsumsatz vor.

Da das FG noch keine tatsächlichen Feststellungen dahingehend getroffen habe, wo die Eintrittskarten tatsächlich ausgehändigt worden seien —nämlich überwiegend am Veranstaltungsort—, müsse die Sache ggf. zur Bestimmung des Orts der Lieferung nach § 3 Abs. 6 UStG bzw. § 3 Abs. 7 UStG an das FG zurückverwiesen werden.

Die Klägerin beantragt, unter Aufhebung der Entscheidung der Vorinstanz den Umsatzsteuerbescheid 1996 in Gestalt der hierzu ergangenen Einspruchsentscheidung dahingehend zu ändern, dass die Umsatzsteuer auf ./. 6 092,28 DM (./. 3 114,93 €) festgesetzt wird.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

II.

Die Revision ist unbegründet und war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der FinanzgerichtsordnungFGO—).

Das FG hat zu Recht angenommen, dass die Erlöse der Klägerin aus dem Verkauf der Eintrittskarten im Inland steuerbar sind.

1. Der Zwischenhandel mit Eintrittskarten ist umsatzsteuerrechtlich eine sonstige Leistung i.S. von § 3 Abs. 9 UStG.

a) Sonstige Leistungen sind nach § 3 Abs. 9 UStG Leistungen, die keine Lieferungen sind. Eine Lieferung ist nach § 3 Abs. 1 UStG gegeben, wenn der Unternehmer oder in seinem Auftrag ein Dritter einen Abnehmer oder in dessen Auftrag einen Dritten befähigt, im eigenen Namen über einen Gegenstand zu verfügen (Verschaffung der Verfügungsmacht).

b) Entscheidend für die Abgrenzung einer Lieferung von einer sonstigen Leistung ist der Charakter des Umsatzes aus der Sicht des Durchschnittsverbrauchers. Maßgebend ist dabei, welche Elemente überwiegen (vgl. , BFHE 210, 182, BStBl II 2006, 98, m.w.N.). Es kommt darauf an, welche Bestandteile der Leistung unter Berücksichtigung des Willens der Vertragsparteien den wirtschaftlichen Gehalt der Leistung bedingen (vgl. , BFHE 120, 568, BStBl II 1977, 270).

Dient die Übertragung des Gegenstands dazu, die Übertragung eines Rechts oder eine bestimmte Nutzung zu ermöglichen, steht regelmäßig die Dienstleistung im Vordergrund. Die Überlassung von Gegenständen, die zur Übertragung, Auswertung oder Ausnutzung eines Rechts erforderlich sind, ist in aller Regel von untergeordneter Bedeutung (vgl. Martin in Sölch/Ringleb, Umsatzsteuer, § 3 Rz 51; Leonard in Bunjes/Geist, UStG, 9. Aufl., § 3 Rz 41, jeweils m.w.N.).

Mit einer Fahrkarte oder einer Eintrittskarte, die zivil-rechtlich als sog. kleine Inhaberpapiere i.S. von § 807 des Bürgerlichen Gesetzbuchs gelten (vgl. , BGHZ 178, 63, unter III.), erwirbt der Inhaber das Recht, eine bestimmte Leistung des Verpflichteten in Empfang zu nehmen. Der wesentliche Inhalt des Geschäfts ist der mit dem Erwerb der Eintrittskarte verbundene Anspruch auf eine Dienstleistung. Der wirtschaftliche Gehalt der Leistung ist auf den Besuch einer Veranstaltung gerichtet. Der Verkauf einer Eintrittskarte stellt daher keine Lieferung, sondern eine sonstige Leistung dar. Dies entspricht auch der ganz überwiegend in der Literatur und finanzgerichtlichen Rechtsprechung vertretenen Auffassung (vgl. , EFG 2002, 720; , juris; Möhlenkamp, Deutsches Steuerrecht 2006, 981; Grambeck, Umsatzsteuer-Rundschau —UR— 2009, 220; Martin in Sölch/Ringleb, a.a.O., § 3 Rz 58; Kossack in Offerhaus/Söhn/Lange, § 3a UStG Rz 18; Michl in Offerhaus/ Söhn/Lange, § 3 UStG Rz 22).

Auch im Gemeinschaftsrecht wird die Überlassung von Eintrittskarten als sonstige Leistung und nicht als Lieferung beurteilt.

Durch Art. 3 der Richtlinie 2008/8/EG des Rates vom zur Änderung der Richtlinie 2006/112/EG bezüglich des Ortes der Dienstleistung (Amtsblatt der Europäischen Union Nr. L 44/11) sind deren Art. 53 und 54 mit Wirkung vom neu gefasst worden. In dieser Fassung des Art. 53 wird ausdrücklich der „Ort einer Dienstleistung an einen Steuerpflichtigen betreffend die Eintrittsberechtigung” genannt. Daraus ergibt sich unmissverständlich, dass die Eintrittsberechtigung gemeinschaftsrechtlich als Dienstleistung und nicht etwa als Lieferung angesehen wird.

Der Senat vermag sich daher nicht der abweichenden Literaturmeinung anzuschließen, wonach der Zwischenhandel mit Eintrittskarten als Lieferung anzusehen ist (vgl. Hey/Hoffsümmer, UR 2005, 641).

Dem steht auch nicht entgegen, dass die Überlassung eines Lotterieloses nach der Rechtsprechung des BFH als Lieferung gilt (Urteil vom V 317/57 U, BFHE 70, 209, BStBl III 1960, 77). Denn der BFH stellt in dieser Entscheidung maßgeblich darauf ab, dass ein Lotterielos nach seiner verkehrssteuerrechtlich geprägten Auffassung keine Inhaberschuldverschreibung und damit auch kein Wertpapier ist. Der Senat kann offenlassen, ob er sich dieser Meinung anschließen könnte. Jedenfalls für den Fall einer Eintrittskarte folgt der Senat —wie aufgezeigt— der zivilrechtlichen Betrachtungsweise, wonach diese ein Wertpapier darstellt, das den die Leistung prägenden Anspruch auf den Besuch einer Veranstaltung verbrieft. Schon darin liegt ein entscheidungserheblicher Unterschied zu dem genannten Urteil des BFH zur umsatzsteuerrechtlichen Einordnung der Überlassung eines Lotterieloses.

2. Dem FG ist auch darin zu folgen, dass sich der Ort der von der Klägerin erbrachten Dienstleistungen nach § 3a Abs. 1 UStG an ihrem Geschäftssitz befindet.

a) Insbesondere greift nicht die in § 3a Abs. 2 Nr. 3 Buchst. a UStG enthaltene Spezialregelung ein. Nach dieser Vorschrift gilt „für künstlerische, wissenschaftliche, unterrichtende, sportliche, unterhaltende und ähnliche Leistungen einschließlich der Leistungen der jeweiligen Veranstalter” der Tätigkeitsort als Leistungsort. Veranstalter ist derjenige, der die bezeichneten Tätigkeiten im eigenen Namen und für eigene Rechnung einem größeren Publikum zugänglich macht (vgl. Martin in Sölch/Ringleb, a.a.O., § 3a Rz 88, m.w.N.). Der Veranstalter trifft die organisatorischen Maßnahmen dafür, dass die Veranstaltung stattfinden kann und bestimmt dabei die Umstände, den Ort und die Zeit seiner Darbietungen selbst (vgl. , BFHE 177, 548, BStBl II 1995, 519, m.w.N.).

aa) Die Klägerin ist nicht als Veranstalterin in diesem Sinne anzusehen. Denn sie hat nach den den Senat bindenden tatsächlichen Feststellungen des FG gemäß § 118 Abs. 2 FGO lediglich im Rahmen ihres Unternehmens die Eintrittskarten veräußert. Die Organisation der Veranstaltungen selbst oblag anderen Unternehmen.

bb) Aus diesem Grund ist der Verkauf von Eintrittskarten im Streitfall auch keine Nebenleistung zur Hauptleistung des jeweiligen Veranstalters. Denn dies würde voraussetzen, dass es sich um Tätigkeiten desselben Unternehmers handelt. Entgeltliche Leistungen verschiedener Unternehmer sind auch dann jeweils für sich zu beurteilen, wenn sie gegenüber demselben Leistungsempfänger erbracht werden und die weiteren Voraussetzungen für das Vorliegen einer einheitlichen Leistung erfüllt sind (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. , BFHE 223, 498, BStBl II 2009, 256, m.w.N.).

cc) Der Zwischenhandel mit Eintrittskarten stellt auch keine mit der Veranstaltung zusammenhängende unerlässliche Nebenleistung i.S. von § 3a Abs. 2 Nr. 3 Buchst. a UStG dar. Denn dies gilt ausschließlich für Leistungen, die für die jeweilige künstlerische, wissenschaftliche etc. Leistung unerlässlich sind, wie z.B. die tontechnische Unterstützung der Darstellung, Bühnenbeleuchtung, Dekoration etc. (vgl. im Einzelnen Martin in Sölch/Ringleb, a.a.O., § 3a Rz 95, m.w.N.). Dazu gehört der Zwischenhandel mit Eintrittskarten nicht.

Dieser Auslegung steht auch nicht Art. 9 Abs. 2 Buchst. c erster Gedankenstrich der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern entgegen. Nach dieser Bestimmung gilt „als Ort der folgenden Dienstleistungen der Ort, an dem diese Dienstleistungen tatsächlich bewirkt werden:

- Tätigkeiten auf dem Gebiet der Kultur, der Künste, des Sports, der Wissenschaften, des Unterrichts, der Unterhaltung oder ähnliche Tätigkeiten, einschließlich derjenigen der Veranstalter solcher Tätigkeiten sowie gegebenenfalls der damit zusammenhängenden Tätigkeiten, ...”

Der Wortlaut dieser Bestimmung ist zwar weiter gefasst als § 3a Abs. 2 Nr. 3 Buchst. a UStG. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften sind aber nur „alle jene Leistungen als mit einer Tätigkeit insbesondere auf dem Gebiet der Künste oder der Unterhaltung zusammenhängende Dienstleistungen anzusehen, die zwar selbst keine solche Tätigkeit darstellen, aber für ihre Ausübung unerlässlich sind” (vgl. Urteil vom Rs. C-327/94 —Dudda—, Slg. 1996, I-4595, Randnr. 27). Der Zwischenhandel mit Eintrittskarten stellt keine Tätigkeit dar, die für die Ausübung der künstlerischen oder unterhaltenden Tätigkeit unerlässlich ist.

b) Ferner kann offenbleiben, ob der Verkauf der Eintrittskarten im Rahmen der jeweiligen Paketreise an andere Unternehmer als eine einheitliche Leistung anzusehen ist. Denn auch für diesen Fall bleibt es bei dem in § 3a Abs. 1 UStG vorgesehenen Leistungsort am Geschäftssitz der Klägerin.

Läge eine einheitliche Leistung in der Form von Haupt- und Nebenleistungen vor, gäbe im Streitfall aus Sicht der Veranstaltungsteilnehmer der Besuch der konkreten Veranstaltung als sog. „Spitzenereignis” dem Leistungspaket das Gepräge. In diesem Fall wäre der Verkauf der Eintrittskarten jedenfalls keine Nebenleistung zur Unterbringung der Veranstaltungsteilnehmer im Hotel, da es sich insoweit —anders als bei einer Verpflegungsleistung— nicht um eine übliche Nebenleistung handelt. Als Leistungsort käme daher auch nicht der Belegenheitsort der jeweiligen Hotels nach § 3a Abs. 2 Nr. 1 UStG in Betracht (vgl. dazu , BFHE 224, 166). Vielmehr bliebe es für diesen Fall hinsichtlich des Zwischenhandels mit den Eintrittskarten bei der Leistungsortbestimmung des § 3a Abs. 1 UStG.

Handelte es sich aus Sicht des Durchschnittsbetrachters um eine einheitliche Leistung unter dem Gesichtspunkt, dass eine Aufspaltung derselben wirklichkeitsfremd wäre, wäre der Leistungsort ebenfalls nach der Auffangregel des § 3a Abs. 1 UStG zu bestimmen (vgl. Martin in Sölch/Ringleb, a.a.O., § 3a Rz 42, m.w.N.). Denn diese einheitliche Leistung bestünde aus mehreren Dienstleistungselementen, die jeweils für sich betrachtet —wie im Streitfall— unter verschiedene Leistungsortregelungen fielen. In einem solchen Fall wäre gleichermaßen § 3a Abs. 1 UStG für die Bestimmung des Leistungsorts anwendbar.

c) Schließlich handelt es sich bei dem Zwischenhandel mit Eintrittskarten auch nicht um eine Besorgungsleistung i.S. von § 3 Abs. 11 UStG, weil die Klägerin nach den den Senat bindenden tatsächlichen Feststellungen des FG im eigenen Namen und auf eigene Rechnung gehandelt hat (vgl. auch Urteil des FG Rheinland-Pfalz in EFG 2002, 720).

3. Soweit der bezifferte Klageantrag auch den Verkauf von Eintrittskarten für inländische Veranstaltungen umfasst, bestimmt sich der Ort der von der Klägerin ausgeführten Dienstleistungen ebenfalls nach § 3a Abs. 1 UStG und liegt damit gleichermaßen im Inland. Die Leistungen sind daher nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG steuerbar. Eine Steuerfreiheit der Leistungen nach § 4 Nr. 20 UStG scheidet schon deshalb aus, weil die Klägerin nicht selbst Veranstalterin war. Hierzu wird auf die Ausführungen unter II.2.a aa verwiesen.

Fundstelle(n):
BStBl 2010 II Seite 857
BB 2009 S. 2451 Nr. 46
BFH/NV 2009 S. 2062 Nr. 12
BFH/PR 2010 S. 15 Nr. 1
BStBl II 2010 S. 857 Nr. 16
DB 2009 S. 2584 Nr. 48
DStR 2009 S. 2369 Nr. 46
DStRE 2009 S. 1472 Nr. 23
GStB 2010 S. 2 Nr. 1
HFR 2010 S. 151 Nr. 2
KÖSDI 2009 S. 16758 Nr. 12
NWB-Eilnachricht Nr. 46/2009 S. 3556
StB 2009 S. 419 Nr. 12
StuB-Bilanzreport Nr. 1/2010 S. 36
UR 2009 S. 843 Nr. 23
UStB 2010 S. 5 Nr. 1
UVR 2010 S. 4 Nr. 1
RAAAD-31277