Oberfinanzdirektion Karlsruhe - S 225.5/250 - St 131

Steuerliche Behandlungen von Krankentaggeld, Geburtengeld und Mutterschaftsgeld aus der Schweiz

Der BFH hat sich im , BStBl 2009 II S. …, mit der Frage nach der steuerlichen Behandlung von Geburtengeld aus einem Schweizer Kollektiv-Krankentaggeldversicherung auseinandergesetzt.

Kollektiv-Krankentaggeldversicherungsvertrag

Im Urteilsfall ging es um einen nicht obligatorischen Kollektiv-Krankentaggeldversicherungsvertrag, den der Schweizer Arbeitgeber (Versicherungsnehmer) zugunsten seiner Arbeitnehmer (versicherte Personen u. a. auch Schweizer Grenzgänger) abgeschlossen hat. Gegenstand des Vertrags war die Absicherung der Arbeitnehmer gegen Lohnausfall bei Krankheit oder Mutterschaft. Der Vertrag unterlag den Regelungen des Schweizer Bundesgesetzes über den Versicherungsvertrag (VVG). Hiernach steht den versicherten Personen ein eigenständiges Forderungsrecht aus dem Versicherungsvertrag zu.

Auffassung BFH:

Bei diesem Sachverhalt kam der BFH zu folgender steuerlichen Beurteilung:

  • AG-Beitrag = AL

    Die vom Arbeitgeber geleisteten Beiträge für die Kollektiv-Krankentaggeldversicherung sind als steuerpflichtiger Arbeitslohn (§ 19 EStG) anzusetzen.

  • Auszahlung nicht steuerpflichtig

    Das aufgrund eines schweizerischen Kollektiv-Krankentaggeldversicherungvertrags gezahlte Geburtengeld führt nicht zu steuerpflichtigen Einkünften.

  • Kein Progressionsvorbehalt

    Für die Einbeziehung des schweizerischen Geburtengelds in den Progressionsvorbehalt besteht kein Raum.

Ich bitte, die Grundsätze des BFH in allen offenen (einschlägigen) Fällen anzuwenden. Auf Folgendes weise ich in diesem Zusammenhang hin:

1. Betroffene Sachverhalte

Forderungsrecht des AN

Die Grundsätze des BFH zum Geburtengeld gelten nur für den Fall (und das ist Sachverhaltsfrage), dass die Steuerpflichtige (Arbeitnehmerin) aus dem betreffenden Versicherungsvertrag ein eigenständiges Forderungsrecht (unentziehbarer Anspruch) gegenüber dem Versicherer hat. Ein daneben bestehendes Forderungsrecht des Arbeitgebers ist unschädlich.

Geburtengeld bis

Bis zum konnte der Lohnausfall bei Mutterschaft in der Schweiz nur durch eine freiwillige Versicherung (i. d. R. einem Kollektiv-Krankentaggeldversicherungsvertrag) abgesichert werden. Die vorstehenden Grundsätze gelten daher nur für Geburtengeld, das bis zum aus einem entsprechenden Vertrag geleistet wurde.

Krankentaggeld

Die vorstehenden Grundsätze des BFH finden auch Anwendung auf schweizerisches Krankentaggeld, das aufgrund einer Krankheit aus einem Kollektiv-Krankentaggeldversicherungsvertrag ausbezahlt wurde, wenn der Steuerpflichtige (Arbeitnehmer) gegenüber dem Versicherer einen unentziehbaren Anspruch auf Leistung hat.

2. Arbeitgeberbeiträge

AG-Beiträge = AL

Die Beiträge des Arbeitgebers in einen Kollektiv-Krankentaggeldversicherungsvertrag, aus dem der Arbeitnehmer (Steuerpflichtiger) einen unentziehbaren Leistungsanspruch hat, sind als steuerpflichtiger Arbeitslohn (§ 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG) zu erfassen. Hierbei handelt es sich um Zukunftssicherungsleistungen mit Arbeitslohncharakter. Da die Arbeitnehmer gegenüber dem Versicherer einen eigenen unentziehbaren Rechtsanspruch haben, ist dieser Vorgang wirtschaftlich betrachtet vergleichbar mit dem Fall, in dem der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer zunächst die Versicherungsbeiträge überlässt und der Arbeitnehmer sie zum Zweck seiner Zukunftssicherung verwendet.

Kein § 3 Nr. 62 EStG

Eine Befreiung nach § 3 Nr. 62 EStG scheidet aus, weil der Arbeitgeber zur Zahlung der Beiträge nicht gesetzlich oder auf gesetzlicher Ermächtigung beruhender Bestimmung verpflichtet ist.

Anlage N-Gre

Die als Arbeitslohn anzusetzenden Arbeitgeberbeiträge sind vom Steuerpflichtigen in der Anlage N-Gre 2008 (Zeilen 104 bis 108) zu erklären. Die Höhe der Beiträge des Arbeitgebers hat der Steuerpflichtige grundsätzlich nachzuweisen (z. B. durch eine Bescheinigung des Arbeitgebers).

Listen ausfüllen: Termin

Die im Rahmen der laufenden Veranlagung tatsächlich nachgewiesenen und als Arbeitslohn erfassten Arbeitgeberbeiträge bitte ich entsprechend der als Muster beigefügten Liste (Anlage) ab sofort bis zum festzuhalten, um Erfahrungswerte zu sammeln. Die ausgefüllten Listen bitte ich, mir bis zum zu übersenden.

Ggf. Schätzung

Kann der Steuerpflichtige die Beiträge des Arbeitgebers nicht nachweisen oder sind die nachgewiesenen Beiträge nicht glaubhaft oder kommt er seiner erhöhten Mitwirkungspflicht (§ 90 Abs. 3 AO) nicht nach, ist der als Arbeitslohn anzusetzende Arbeitgeberbeitrag zu schätzen. Solange keine besseren Erkenntnisse vorliegen, bestehen keine Bedenken, den Arbeitgeberbeitrag in diesen Fällen allgemein mit 1 % (ggf. bis 2 %) des Bruttoarbeitslohns zu schätzen. Allgemein ist davon auszugehen, dass bei Schweizer Grenzgängern in vielen Fällen ein solches Versicherungsverhältnis besteht.

3. Arbeitnehmerbeiträge

AN-Beiträge = Sonderausgaben

Die Beiträge des Arbeitsnehmers in einen Kollektiv-Krankentaggeldversicherungsvertrag sind – weiterhin – als Sonderausgaben (sonstige Vorsorgeaufwendungen § 10 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a EStG) im Rahmen der Höchstbeträge berücksichtigungsfähig. Gleiches gilt für die Beiträge des Arbeitgebers, die als steuerpflichtiger Arbeitslohn erfasst wurden. Auch insoweit liegen eigene Beiträge des Steuerpflichtigen (Arbeitnehmers) vor.

4. Versicherungsleistungen

Auszahlungen steuerfrei

Sind bereits die vom Arbeitgeber für den Versicherungsschutz erbrachten Aufwendungen Arbeitslohn, führen die darauf erbrachten Versicherungsleistungen zu keinem weiteren Arbeitslohn. Der BFH ließ offen, ob eine Zuordnung zu den Einkünften aus wiederkehrenden Bezügen (§ 22 Nr. 1 EStG) in Betracht kommt. Jedenfalls hält der BFH solche Bezüge als „Leistung aus einer Krankenversicherung” für steuerfrei (§ 3 Nr. 1a EStG).

Kein Progressionsvorbehalt

Schweizer Geburtengeld und Schweizer Krankentaggeld unterliegt in den einschlägigen Fällen (siehe unter a) nicht dem Progressionsvorbehalt. Grund ist, dass § 32b EStG eine abschließende Aufzählung enthält und dort Leistungen aus einem Schweizer Kollektiv-Krankentaggeldversicherungsvertrag nicht aufgeführt sind. Für eine analoge Anwendung des § 32b Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b oder Buchst. c EStG besteht kein Raum. Es liegt keine Gesetzeslücke vor, wenn nur die aufgrund der deutschen Sozialversicherungssysteme erhaltenen Lohnersatzleistungen und nicht auch Leistungen ausländischer privater Versicherungen in den Progressionsvorbehalt einbezogen werden. Der Gesetzgeber hat (bewusst) nur Leistungen gesetzlicher Versicherungsträger dem Progressionsvorbehalt unterworfen.

5. Andere Sachverhalte

5.1 Verträge mit alleinigem Forderungsrecht des Arbeitgebers

Versicherungsleistung steuerpflichtig

Anders sind die Fälle zu beurteilen, in denen allein dem Arbeitgeber ein Forderungsrecht gegenüber dem Versicherer zusteht (sog. Rückdeckungsversicherung). In diesen Fällen ist – weiterhin – die Krankentaggeldzahlung an den Arbeitnehmer als Arbeitslohn (§ 19 EStG, § 2 LStDV sowie BFH/NV 2000 S. 836) zu beurteilen. Unbeachtlich ist dabei, ob die Zahlung des Krankentaggelds an den Arbeitnehmer durch den Arbeitgeber oder im Wege des abgekürzten Zahlungsweges durch die Rückdeckungsversicherung erfolgt. Die Versicherungsbeiträge des Arbeitgebers stellen hier keinen Arbeitslohn dar.

5.2 Mutterschaftsentschädigung nach dem EOG

Analog deutschem Mutterschaftsgeld

Seit ist eine Versicherung über Mutterschaftsleistungen in der Schweiz obligatorisch. Grundlage bildet das Schweizer Bundesgesetz über den Erwerbsersatz für Dienstleistende und bei Mutterschaft (kurz: Erwerbsersatzgesetz – EOG). Da die Schweizer Mutterschaftsentschädigung nach dem EOG als vergleichbar mit dem deutschen Mutterschaftsgeld angesehen werden kann, bitte ich weiterhin folgende Auffassung zu vertreten:

  • Steuerfrei, aber Progressionsvorbehalt

    Die Mutterschaftsentschädigung nach dem EOG bleibt in sinngemäßer Anwendung des § 3 Nr. 1d EStG steuerfrei. Sie ist indessen dem Progressionsvorbehalt (§ 32b Abs. 1 Nr. 1c bzw. d EStG gilt sinngemäß) zu unterwerfen.

  • AN-Beiträge = Sonderausgaben

    Die Beitragsleistungen des Arbeitnehmers nach dem EOG stellen Sonderausgaben (sonstige Vorsorgeaufwendungen, § 10 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a EStG) dar. Die gesetzlichen Beiträge des Arbeitgebers bleiben nach § 3 Nr. 62 Satz 1 EStG steuerfrei.

Anwendungsregelung

Ich bitte, die vorstehenden Grundsätze in allen noch offenen Fällen anzuwenden. Die Bearbeitung zurück gestellter Einspruchsverfahren ist wieder aufzunehmen und im vorstehenden Sinne zu entscheiden. Gegen eine Klaglosstellung der betroffenen Steuerpflichtigen bestehen keine Einwendungen.

GG-Handbuch

Sofern die Ausführungen im Grenzgänger-Handbuch (u. a. Fach B Teil 2 Nr. 8) den vorstehenden Regelungen entgegen stehen, sind sie überholt.

Sachgebietsbesprechung

Ich bitte, diese Verfügung zum Gegenstand von Sachgebietsbesprechungen mit den zuständigen Bearbeitern zu machen, damit eine einheitliche Rechtsanwendung gewährleistet ist.

Oberfinanzdirektion Karlsruhe v. - S 225.5/250 - St 131

Auf diese Anweisung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


Fundstelle(n):
ZAAAD-31030