Leitsatz
[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gesetze: InsO § 80 Abs. 1; InsO § 109 Abs. 1; ZPO § 829; ZPO § 835; GenG § 66; GG Art. 3 Abs. 1
Instanzenzug: AG Strausberg, 10 C 105/07 vom LG Frankfurt an der Oder, 6a S 175/07 vom
Tatbestand
Über das Vermögen des S. (künftig: Schuldner) wurde mit Beschluss vom das Verbraucherinsolvenzverfahren eröffnet. Der Kläger wurde zum Treuhänder bestellt. Der Schuldner ist Genosse der Beklagten und nutzt aufgrund eines Dauernutzungsvertrags eine ihrer Wohnungen. Mit Schreiben vom kündigte der Kläger die Mitgliedschaft des Schuldners in der Genossenschaft. Die Beklagte wies die Kündigung zurück. Der Kläger hat daraufhin Klage erhoben mit dem Antrag festzustellen, dass die Mitgliedschaft des Schuldners in der Beklagten durch die Kündigung beendet ist. Die Klage hat beim Amtsgericht Erfolg gehabt, ist aber vom Berufungsgericht abgewiesen worden. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Feststellungsbegehren weiter.
Gründe
Die Revision hat Erfolg.
I.
Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Der Treuhänder sei entsprechend § 66 GenG befugt gewesen, die Mitgliedschaft des Schuldners bei der Beklagten zu kündigen. Die Kündigung sei jedoch analog § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO unwirksam. Diese Vorschrift, nach der ein Insolvenzverwalter das Mietverhältnis des Schuldners über seine Wohnung nicht kündigen, sondern nur erklären könne, dass Ansprüche, die nach Ablauf der in Satz 1 genannten Frist fällig werden, nicht im Insolvenzverfahren geltend gemacht werden können, sei in entsprechender Anwendung auch für den Fall einschlägig, in dem der Schuldner eine genossenschaftliche Wohnung nutze. Eine Kündigung der Mitgliedschaft des Schuldners in der Genossenschaft müsse dazu führen, dass die Beklagte den Nutzungsvertrag an der Wohnung kündige, weil sie ihren auf einer Warteliste stehenden Mitgliedern zur Bereitstellung einer Genossenschaftswohnung verpflichtet sei. Damit wäre das mit der Einführung des neuen Satzes 2 in Absatz 1 des § 109 InsO durch das Gesetz vom vom Gesetzgeber verfolgte Anliegen der Vermeidung von Obdachlosigkeit des Schuldners und der ihm von Verfassungs wegen gebotenen Eröffnung der Möglichkeit der Entschuldung obsolet.
II.
Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
1. Mit Recht hat das Berufungsgericht den Kläger im Grundsatz für berechtigt gehalten, die Mitgliedschaft des Schuldners bei der Beklagten zu kündigen. Wie der Senat durch Urteil vom (IX ZR 58/08, NJW 2009, 1820 Rn. 5, z.V.b. in BGHZ 180, 185) entschieden hat, steht das Recht, in der Insolvenz des Mitglieds einer Genossenschaft die Mitgliedschaft mit dem Ziel zu kündigen, den zur Insolvenzmasse gehörigen Anspruch des Schuldners auf Auszahlung des Auseinandersetzungsguthabens (§ 73 GenG) zu realisieren, dem Insolvenzverwalter zu. Dies ergibt sich aus § 80 Abs. 1 InsO und in entsprechender Anwendung von § 66 GenG.
2. Richtig ist auch die Ansicht des Berufungsgerichts, dass § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO auf den Fall einer Kündigung der Mitgliedschaft des Schuldners in einer Wohnungsgenossenschaft nicht unmittelbar anwendbar ist. Das Kündigungsverbot dieser Norm gilt unmittelbar allenfalls für das Dauernutzungsverhältnis an der Wohnung, welches regelmäßig mit der Mitgliedschaft verbunden ist.
3. Den Streit, ob § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO auf die Kündigung der Mitgliedschaft in einer Wohnungsgenossenschaft entsprechend angewendet werden kann, hat der Senat im Urteil vom (aaO S. 1821 Rn. 8 ff) dahin entschieden, dass eine Analogie nicht möglich ist. Ob eine planwidrige Regelungslücke vorliegt, kann dahinstehen. Der zu beurteilende Sachverhalt ist jedenfalls mit dem gesetzlich geregelten Sachverhalt nicht hinreichend vergleichbar. Deshalb ist entgegen der Ansicht der Revisionserwiderung eine analoge Anwendung auch nicht unter dem Gesichtspunkt verfassungskonformer Auslegung im Blick auf Art. 3 Abs. 1 GG geboten.
a) Verliert der Insolvenzschuldner seine Wohnung, kann dies das Ziel des Verbraucherinsolvenzverfahrens gefährden, dem Schuldner durch Gewährung der Restschuldbefreiung einen wirtschaftlichen Neuanfang zu ermöglichen. Dieser Gefahr ist der Gesetzgeber für Mietwohnungen mit der Neuregelung in § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO im Jahr 2001 entgegen getreten (vgl. BT-Drucks. 14/5680, S. 27 zu Nr. 11). Anders als eine Wohnungskündigung führt die Kündigung der Mitgliedschaft in einer Wohnungsgenossenschaft jedoch nicht notwendig zu einer Beendigung des Nutzungsverhältnisses. Eine solche Folge liegt zwar nicht fern. Denn der Zweck einer Wohnungsgenossenschaft ist es, ihren Mitgliedern Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Scheidet ein Mitglied aus der Genossenschaft aus und haben andere Genossen einen Bedarf an der Wohnung des ausgeschiedenen Genossen, kann die Genossenschaft aufgrund ihres Statuts gehalten sein, das Nutzungsverhältnis mit dem ausgeschiedenen Genossen aufzulösen und die Wohnung einem Mitglied zu überlassen. Zwingend ist die Annahme eines Rechts der Genossenschaft zur Wohnungskündigung im Falle der Beendigung der Mitgliedschaft durch den Treuhänder aber nicht. Der für das Wohnraummietrecht zuständige VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat bisher offen gelassen, ob die Genossenschaft im Falle der Kündigung der Mitgliedschaft durch den Gläubiger eines Genossen nach § 66 GenG zur Kündigung des Nutzungsverhältnisses berechtigt ist (, NJW-RR 2004, 12, 13 unter 2.). Selbst wenn die Genossenschaft zur Kündigung des Nutzungsverhältnisses berechtigt sein sollte, ist es nicht zwangsläufig, dass sie von diesem Recht Gebrauch macht. Es kann im Einzelfall Gründe geben, von einer Kündigung abzusehen, etwa wenn die Wohnung nicht für andere Genossen benötigt wird oder wenn absehbar ist, dass der betroffene Genosse nach Beendigung des Insolvenzverfahrens wieder die erforderlichen Genossenschaftsanteile erwirbt.
b) Im Übrigen besteht zwischen der Situation, in der sich ein Mitglied einer Wohnungsgenossenschaft in einer Zahlungskrise befindet, und der entsprechenden Situation eines "gewöhnlichen" Wohnungsmieters ein entscheidender Unterschied. Gegenüber beiden können Gläubiger vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Pfändung und Überweisung des künftigen Anspruchs auf Auszahlung des Auseinandersetzungsguthabens bzw. der Mietkaution nach §§ 829, 835 ZPO erwirken. Während dem Gläubiger eines Genossenschaftsmitglieds aber die Möglichkeit offen steht, nach § 66 GenG unter den dort genannten Voraussetzungen das Kündigungsrecht des Mitglieds an dessen Stelle auszuüben und so die Voraussetzung für eine Auszahlung des gepfändeten Anspruchs auf Auszahlung des Auseinandersetzungsguthabens herbeizuführen, hat der Gläubiger eines Mieters diese Möglichkeit nicht. Zugriff auf die Mietkaution hat er erst, wenn das Mietverhältnis ohne sein Zutun endet. Die Vorschrift des § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO gewährleistet diesen Schutz des Mieters auch im Insolvenzverfahren, indem er eine Kündigung des Mietverhältnisses durch den Insolvenzverwalter ausschließt. Würde man dem Mitglied einer Wohnungsgenossenschaft im Insolvenzverfahren einen entsprechenden Schutz gewähren, führte dies zu einer Gleichstellung mit dem Mieter, die vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht bestand ( aaO S. 1821 Rn. 12). Daran ändert auch der Hinweis der Revisionserwiderung nichts, dass ein Schuldner, dessen Gläubiger nach § 66 GenG vorgehen könne, regelmäßig zahlungsunfähig und darauf zu verweisen sei, selbst die Eröffnung des Insolvenzverfahrens herbeiführen.
c) Hinzu kommt, dass Wohnungsgenossenschaften ihren Mitgliedern das Recht einräumen können, mehr Geschäftsanteile zu erwerben, als nötig ist, um eine genossenschaftliche Wohnung nutzen zu dürfen (§ 7a GenG). Wäre eine Kündigung der Mitgliedschaft durch den Insolvenzverwalter auch in einem solchen Fall in entsprechender Anwendung des § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO ausgeschlossen, wären den Gläubigern auch Vermögenswerte des Schuldners entzogen, die für den Erhalt seiner Wohnung nicht erforderlich sind. Dies wäre vom Schutzzweck dieser Norm nicht mehr gedeckt.
4. Grundrechte der Beklagten werden durch diese Entscheidung nicht verletzt. Die Beklagte hat nicht dargelegt, inwiefern die Berechtigung des Treuhänders, die Mitgliedschaft des insolventen Genossen zu kündigen, sie in eigenen Grundrechten konkret gefährden könnte.
III.
Das angefochtene Urteil kann damit keinen Bestand haben. Es ist aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Da die Aufhebung des Urteils nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und nach letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist, hat der Senat in der Sache selbst zu entscheiden (§ 563 Abs. 3 ZPO).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
DAAAD-30985
1Nachschlagewerk: nein; BGHZ: nein; BGHR: nein