BVerwG Urteil v. - 3 C 19.08

Leitsatz

Die Heilpraktikererlaubnis kann auf die Ausübung der Physiotherapie beschränkt werden. Ein ausgebildeter Physiotherapeut muss sich zur Erlangung einer solchen Erlaubnis einer eingeschränkten Überprüfung seiner Kenntnisse und Fähigkeiten unterziehen.

Gesetze: RL 2005/36/EG Art. 2 Abs. 1; RL 2005/36/EG Art. 4 Abs. 1; HeilprG § 1; 1. DVO-HeilprG § 2; MPhG § 1; MPhG § 8

Instanzenzug: VG Ansbach, AN 9 K 03319/07 vom Fachpresse: ja BVerwGE: ja

Gründe

I

Der Kläger begehrt die Erteilung einer auf den Bereich der Physiotherapie beschränkten Heilpraktikererlaubnis. Er ist österreichischer Staatsangehöriger. 1993 erlaubte ihm die Regierung der Oberpfalz das Führen der Berufsbezeichnung Masseur und medizinischer Bademeister sowie 2004 das Führen der Berufsbezeichnung Physiotherapeut. Seinen Antrag auf Erteilung einer auf den Bereich der Physiotherapie beschränkten Erlaubnis zur Ausübung der Heilkunde ohne vorherige Kenntnisüberprüfung lehnte der Beklagte mit Bescheid vom ab. Die Heilpraktikererlaubnis sei unteilbar; eine Ausnahme bestehe nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nur für das Gebiet der Psychotherapie. Einem ausgebildeten Physiotherapeuten fehlten die für eine eigenverantwortliche Krankenbehandlung nötigen diagnostischen Kenntnisse. Er werde nur entsprechend seiner grundständigen Ausbildung tätig und könne eine ärztliche Verordnung nicht ersetzen. Der Kläger habe die Möglichkeit, eine uneingeschränkte Heilpraktikererlaubnis zu beantragen, die Kenntnisüberprüfung werde sich dabei nicht auf Bereiche erstrecken, deren Beherrschung bei Physiotherapeuten zu unterstellen sei.

Den hiergegen eingelegten Widerspruch hat die Regierung von Mittelfranken mit Widerspruchsbescheid vom zurückgewiesen. Die Heilpraktikererlaubnis sei nicht auf das Gebiet der Physiotherapie begrenzbar. Eine Vielzahl von Erkrankungen habe Auswirkungen auf den Bewegungsapparat; umgekehrt könnten Erkrankungen des Bewegungsapparates Auswirkungen auf andere Funktionssysteme nach sich ziehen. Ein ausgebildeter Physiotherapeut könne zwar auf Anweisung eines Arztes tätig werden, sei aber nicht ausreichend befähigt, eine Erstdiagnose zu stellen und mögliche Kontraindikationen zu erkennen.

Mit der Klage hat der Kläger geltend gemacht, schon nach Gemeinschaftsrecht einen Anspruch auf Erteilung der Erlaubnis zu haben; als Österreicher sei er nach dem Recht seines Heimatstaates berechtigt, Physiotherapie eigenverantwortlich auszuüben. Eine Heilpraktikererlaubnis könne im Übrigen beschränkt auf den Bereich der Physiotherapie erteilt werden. Insoweit gelte nichts anderes als für die Psychotherapie. Das Berufsbild sei durch gesetzliche Vorgaben hinreichend ausdifferenziert und abgrenzbar. Es bestehe kein rechtfertigender Grund, eine Beschränkung der Erlaubnis abzulehnen. Fast alle Heilpraktiker würden nur auf bestimmten Teilgebieten tätig werden. Aufgrund der Ausbildung der Physiotherapeuten im Bereich der Krankheiten und der Diagnose sei eine Gesundheitsgefährdung im Falle der eigenverantwortlichen Krankenbehandlung nicht zu erwarten. Das werde durch mehrere Gutachten bestätigt. Differenzialdiagnostische Methoden stünden außerdem auch den Heilpraktikern nicht zur Verfügung. Es sei zwar möglich, dass ein Patient eine innere Erkrankung aufweise, die von einem Physiotherapeuten nicht erkannt werde. Diese Gefahr bestehe aber allgemein. Es sei wahrscheinlicher, dass eine derartige Erkrankung bei der Behandlung durch den Physiotherapeuten auffalle, als wenn der Patient unbehandelt bliebe. Die Kenntnisüberprüfung diene nur der Feststellung, ob gravierende Fehlvorstellungen auf medizinischem Gebiet vorlägen, die die Ausübung der Heilkunde zu einer Gefährdung der Volksgesundheit machten. Das sei bei ausgebildeten Physiotherapeuten auszuschließen.

Das Verwaltungsgericht hat den Beklagten mit Urteil vom unter Aufhebung der entgegenstehenden Bescheide verpflichtet, dem Kläger die Heilpraktikererlaubnis beschränkt auf das Gebiet der Physiotherapie zu erteilen. Das Heilpraktikergesetz enthalte weder dem Sinne noch dem Wortlaut nach das Verbot einer Teilerlaubnis. Seit seinem Erlass im Jahre 1939 hätten sich die Berufsbilder auf dem Gebiet der Heilberufe weiterentwickelt. Das Gesetz müsse daher den heutigen Gegebenheiten angepasst werden. Solange der Gesetzgeber nicht regelnd eingreife, habe diese Anpassung durch Anwendung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zu erfolgen. Der Bereich der Physiotherapie könne im Hinblick auf den Sinn und Zweck des Heilpraktikergesetzes, Gefahren für die Volksgesundheit zu verhindern, hinreichend abgegrenzt werden. Ein erhöhter Verwaltungsaufwand sei mit Blick auf die Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG nicht ausreichend, um eine beschränkte Erlaubnis abzulehnen. Vom Kläger als ausgebildetem Physiotherapeuten gingen keine Gefahren für die Volksgesundheit aus. Er müsse keine Überprüfung absolvieren; denn er verfüge bereits über eine qualifizierte Ausbildung. Diese Einschätzung werde durch gutachterliche Äußerungen bestätigt.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Sprungrevision des Beklagten. Er trägt zur Begründung vor, dass die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zur beschränkten Heilpraktikererlaubnis für Psychotherapeuten auf die Physiotherapie nicht übertragbar sei. Das Berufsbild der Physiotherapeuten sei bereits im Jahr 1958 gesetzlich fixiert worden, während sich der Beruf des Psychotherapeuten erst deutlich später herausgebildet habe. Auch seien die Grenzen des Sachgebiets unscharf und die Überschneidung mit anderen Disziplinen vielfältig, zumal häufig noch weitere Maßnahmen wie etwa Arzneimittel zum Einsatz gelangten. Angesichts dessen fehle es an einer hinreichenden Ausdifferenzierung der Physiotherapie. Gegen eine weitere Aufsplitterung der Heilpraktikererlaubnis sprächen nicht nur Gründe der Praktikabilität, sondern der Schutz der Patienten. Jedenfalls könne auf die übliche Kenntnisüberprüfung nicht verzichtet werden. Da die Physiotherapeuten von ihrer Ausbildung her nicht dazu befähigt seien, die Heilkunde eigenverantwortlich auszuüben, könne man von ihnen verlangen, sich einer Überprüfung zu unterziehen. Die in der Physiotherapie eingesetzten Therapien seien insgesamt nicht als harmlos anzusehen.

Der Kläger verteidigt das angegriffene Urteil. Ergänzend zu seinem bisherigen Vortrag macht er geltend, dass Physiotherapeuten als Heilmittelerbringer aufgrund einer eigenen Zulassung selbständig und ohne ärztliche Aufsicht oder Anweisung tätig würden. Zur vertragsärztlichen Versorgung im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung gehöre nur die Verordnung von Heilmitteln, nicht aber deren Erbringung, die den Physiotherapeuten zur eigenverantwortlichen Ausübung übertragen sei. Die ärztliche Verordnung habe im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung nicht mehr die Funktion, nachgehendes Handeln von nichtärztlichen Heilkundlern zu legalisieren, sondern die Leistungspflicht der Krankenkasse auszulösen. Beim Physiotherapeuten handele es sich um einen Beruf, der zwar nicht zur ärztlichen Tätigkeit gehöre, dessen Angehörige aber selbständig Kranke behandelten. Es spreche deshalb einiges dafür, dass eine Heilpraktikererlaubnis überhaupt nicht erforderlich sei. Eine Kenntnisüberprüfung bringe jedenfalls keinen zusätzlichen Vorteil. Bei einem Physiotherapeuten sei ohnehin eher als bei einem allgemein tätigen Heilpraktiker zu erwarten, dass er Patienten nötigenfalls zu einem Arzt schicke.

Der Vertreter des Bundesinteresses unterstützt die Revision.

II

Die Revision hat nur teilweise Erfolg. Der Kläger kann eine auf den Bereich der Physiotherapie beschränkte Heilpraktikererlaubnis beanspruchen, muss sich dafür allerdings einer eingeschränkten Kenntnisüberprüfung unterziehen. Soweit das Verwaltungsgericht eine solche Überprüfung für entbehrlich gehalten hat, verstößt das Urteil gegen Bundesrecht.

Anspruchsgrundlage für das Begehren des Klägers ist § 1 Abs. 1 des Gesetzes über die berufsmäßige Ausübung der Heilkunde ohne Bestallung - HeilprG - vom (RGBl I 1939 S. 251), zuletzt geändert durch Gesetz vom (BGBl. I S. 2702), in Verbindung mit der Ersten Durchführungsverordnung zum Gesetz über die berufsmäßige Ausübung der Heilkunde ohne Bestallung - 1. DVO-HeilprG - vom (RGBl I 1939 S. 259), zuletzt geändert durch Verordnung vom (BGBl. I S. 4456). Danach bedarf der Erlaubnis, wer, ohne als Arzt bestallt zu sein, die Heilkunde ausüben will. Auf die Erteilung der Erlaubnis besteht ein Rechtsanspruch, wenn kein rechtsstaatlich unbedenklicher Versagungsgrund nach § 2 Abs. 1 der 1. DVO-HeilprG eingreift ( BVerwG 3 C 34.90 - BVerwGE 91, 356 <358> = Buchholz 418.04 Heilpraktiker Nr. 18 S. 8).

1.

Die vom Kläger beabsichtigte Anwendung physiotherapeutischer Behandlungsmethoden ohne ärztliche Verordnung ist eine heilkundliche Tätigkeit, die ohne Erlaubnis nicht ausgeübt werden darf.

a)

Die Ausübung der Heilkunde umfasst nach § 1 Abs. 2 HeilprG jede berufs- oder gewerbsmäßige Tätigkeit zur Feststellung, Heilung oder Linderung von Krankheiten, Leiden oder Körperschäden beim Menschen, auch wenn sie im Dienste von anderen ausgeübt wird. Maßgeblich sind das Erfordernis ärztlicher oder heilkundlicher Fachkenntnisse und die Gefahr gesundheitlicher Schäden (vgl. nur BVerwG 3 C 21.82 - BVerwGE 66, 367 <369> = Buchholz 418.04 Heilpraktiker Nr. 12 S. 2 f.). Die eigenverantwortliche Anwendung physiotherapeutischer Methoden zur Krankenbehandlung ist danach zweifellos Ausübung der Heilkunde. Davon gehen auch die Beteiligten aus.

b)

Die Erlaubnispflicht nach dem Heilpraktikergesetz entfällt nicht deshalb, weil der Kläger ausgebildeter Physiotherapeut ist. Die ihm nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 des Masseur- und Physiotherapeutengesetzes - MPhG - vom (BGBl. I S. 1084, zuletzt geändert durch Gesetz vom , BGBl. I S. 1910) erteilte Erlaubnis zum Führen der Berufsbezeichnung Physiotherapeut berechtigt nicht zu Krankenbehandlungen ohne ärztliche Verordnung und somit nicht zur Ausübung der Heilkunde. Das Berufsrecht unterscheidet zwischen Heilberufen, die eigenverantwortlich körperliche oder seelische Leiden behandeln dürfen (Arzt, Zahnarzt, Psychotherapeut, Heilpraktiker), und den Heilhilfsberufen oder Gesundheitsfachberufen, die zur Krankenbehandlung grundsätzlich nur aufgrund ärztlicher Verordnung befugt sind. Das gesetzlich fixierte Berufsbild des Physiotherapeuten zählt zu der zweiten Gruppe.

Der Gesetzgeber hat die Aufgabenstellung des Berufs der Physiotherapeuten durch die Formulierung bestimmter Ausbildungsziele definiert. Gemäß § 8 MPhG soll die Ausbildung entsprechend der Aufgabenstellung des Berufs den Physiotherapeuten insbesondere dazu befähigen, durch Anwendung geeigneter Verfahren der Physiotherapie in Prävention, kurativer Medizin, Rehabilitation und dem Kurwesen Hilfen zur Entwicklung, zum Erhalt oder zur Wiederherstellung aller Funktionen im somatischen und physischen Bereich zu geben und bei nichtrückbildungsfähigen Körperbehinderungen Ersatzfunktionen zu schulen. In der Gesetzesbegründung wird in diesem Zusammenhang ausdrücklich auf die Bedeutung der ärztlichen Verordnung für das Tätigwerden des Physiotherapeuten an Patienten im Rahmen der Heilmittelabgabe hingewiesen (BTDrucks 12/5887 S. 14 bzw. 15). Demgemäß sind die Ausbildungsinhalte auf dieses Ausbildungsziel beschränkt. Sie vermitteln keine Kenntnisse und Fähigkeiten für eine Erstdiagnose, sondern - neben Einführungen in Anatomie, Physiologie, Krankheitslehre, Hygiene, Erste Hilfe und den auf die Anwendung der Behandlungstechniken bezogenen Fächern - physiotherapeutische Befund- und Untersuchungstechniken (vgl. Ziffer 15 der Anlage 1 der Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für Physiotherapeuten vom , BGBl. I S. 3786, zuletzt geändert durch Gesetz vom , BGBl. I S. 2686). Der Unterrichtsstoff betrifft die der ärztlichen Diagnose nachgelagerte Heilmittelerbringung, nicht aber die eigenverantwortliche Entscheidung darüber, ob ein bestimmtes Leiden überhaupt durch Krankengymnastik, Massage oder eine sonstige Behandlungsmethode der Physiotherapie kuriert werden kann. Die Ausbildung ist darauf ausgerichtet, dass der Physiotherapeut anhand eines vom Arzt angegebenen Leitsymptoms nur die Einzelheiten der physiotherapeutischen Behandlung, namentlich die Art und Weise der Krankengymnastik oder Massage, abklärt und diese durchführt.

Deutlich wird die den Physiotherapeuten durch das Berufsrecht gezogene Grenze zudem durch einen Vergleich mit der gesetzlichen Ausgestaltung des Berufsbildes der Psychotherapeuten. Ihnen ist die Ausübung der Heilkunde im Bereich der Psychotherapie ausdrücklich erlaubt (§ 1 Abs. 1 PsychThG). Durch die Zulassung der Berufsausübung im Wege der Approbation wird die Gleichstellung mit den anderen Heilberufen dokumentiert, die die Versorgung der Patienten eigenverantwortlich wahrnehmen dürfen (BTDrucks 13/8035 S. 14 Nr. 7 und Nr. 8). Wenn der Gesetzgeber die Physiotherapeuten ebenfalls zu einer eigenverantwortlichen Ausübung hätte berechtigen wollen, hätte er ihr Berufsrecht entsprechend ausgestaltet.

Die durch § 63 Abs. 3b SGB V in der Fassung des Gesetzes zur strukturellen Weiterentwicklung der Pflegeversicherung vom (BGBl. I S. 874) ermöglichten Modellvorhaben zur Weiterentwicklung der kassenärztlichen Versorgung bestätigen, dass der Gesetzgeber weiterhin von einem Berufsbild ausgeht, wonach Physiotherapeuten nur aufgrund ärztlicher Anordnung tätig werden dürfen. Die Modellvorhaben beruhen gerade auf diesem Umstand und knüpfen daran an, ohne jedoch die berufsrechtlich gezogenen Grenzen zu verschieben. Vielmehr hat der Gesetzgeber Bedacht darauf gelegt, dass den Physiotherapeuten keine Entscheidungsbefugnisse eingeräumt werden, bei denen es sich um selbständige Ausübung der Heilkunde handelt (§ 63 Abs. 3b Satz 2 SGB V; s. dazu BTDrucks 16/8525 S. 105).

Dass Physiotherapeuten mit eigener Praxis sozialrechtlich ähnlich der Zulassung von Ärzten zur vertragsärztlichen Versorgung als Leistungserbringer von Heilmitteln zugelassen werden können (§ 124 Abs. 1 und 2 SGB V), wie der Kläger geltend macht, ist für die berufsrechtlich gezogenen Grenzen ihrer Tätigkeit ohne Bedeutung. Die Zulassung berechtigt nicht zur selbständigen Ausübung der Heilkunde, sondern betrifft die Rechtsbeziehungen zu den Krankenkassen und deren Leistungspflicht bei der Versorgung mit Heilmitteln.

c)

Die Ausgestaltung des Berufsbildes der Physiotherapeuten als Heilhilfsberuf bedeutet auf der anderen Seite keine Sperre für eine eigenverantwortliche Tätigkeit in diesem Bereich auf der Grundlage einer Heilpraktikererlaubnis. Der Gesetzgeber hat mit dem Masseur- und Physiotherapeutengesetz die Anwendung dieser Behandlungsmethoden nicht auf die nach diesem Gesetz ausgebildeten Physiotherapeuten beschränkt und damit dieses Betätigungsfeld für Heilpraktiker geschlossen, sondern nur die Voraussetzungen und den Rahmen für eine Tätigkeit unter der Berufsbezeichnung "Physiotherapeut" normiert (vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 2 MPhG). Die eigenverantwortliche Behandlung von Störungen des Bewegungsapparates mit den Methoden der Physiotherapie bleibt unter den Voraussetzungen des Heilpraktikergesetzes weiter möglich. Die jeweiligen Berufszugangsregelungen mit ihren unterschiedlichen Anforderungen bestehen nebeneinander. Insoweit gilt für die Physiotherapie nichts anderes als für andere vom Gesetzgeber fixierte Heil- oder Heilhilfsberufe (vgl. für den Bereich der Psychotherapie BVerwG 3 C 11.04 - Buchholz 418.04 Heilpraktiker Nr. 22 und vom - BVerwG 3 C 44.01 - Buchholz 418.04 Heilpraktiker Nr. 21).

2.

Das Verwaltungsgericht hat mit Recht angenommen, dass dem Kläger eine Heilpraktikererlaubnis beschränkt auf den Bereich der Physiotherapie erteilt werden darf. Die Heilpraktikererlaubnis ist anders als die einem Arzt mit der Approbation erteilte Heilbefugnis teilbar. Der Senat hat bereits entschieden, dass das Heilpraktikergesetz weder dem Sinne noch dem Wortlaut nach ein Verbot der Erteilung einer inhaltlich beschränkten Erlaubnis enthält. Bei Inkrafttreten des Gesetzes hat noch kein Bedürfnis für eine solche Beschränkung bestanden. Seitdem haben sich jedoch die Berufsbilder auf dem Sektor der Heilberufe in damals nicht vorhersehbarer Weise ausdifferenziert. Die Vorschriften des vorkonstitutionellen Heilpraktikergesetzes müssen daher im Lichte der Freiheit der Berufswahl aus Art. 12 Abs. 1 GG durch Auslegung an die gegenwärtigen Gegebenheiten angepasst werden. Dies hat der Senat für den Bereich der Psychotherapie bereits ausgesprochen (Urteil vom a.a.O. S. 361 bzw. S. 11); die dortigen Erwägungen sind aber nicht darauf beschränkt, sondern gelten allgemein. Eine uneingeschränkte Heilpraktikererlaubnis mit der Folge einer umfassenden Kenntnisüberprüfung ist zum Schutz der Volksgesundheit nicht erforderlich, wenn ein Antragsteller die Heilkunde nur auf einem abgrenzbaren Gebiet oder nur eine eindeutig umrissene Therapieform ausüben möchte (vgl. -, n.v. Beschlussabdruck S. 7 ff.). In diesem Fall reicht es aus, eine auf dieses Gebiet beschränkte Erlaubnis zuzusprechen, solange sichergestellt ist, dass der Betreffende die Grenzen seines Könnens kennt und beachtet.

Der Bereich der Physiotherapie ist hinreichend ausdifferenziert und abgrenzbar. Der Tätigkeitsumfang wird durch die Beschreibung der Ausbildungsziele in § 8 MPhG sowie durch die Aufzählung der physiotherapeutischen Behandlungsmethoden und Therapieformen in der Ausbildungs- und Prüfungsordnung für Physiotherapeuten definiert. Es handelt sich zudem um ein gesetzlich vorgesehenes und durch Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses vorgegebenes Heilmittel (§ 124 Abs. 1 SGB V, Heilmittelrichtlinien vom , BAnz 2004 Nr. 106a, zuletzt geändert am , BAnz 2005 Nr. 61). Angesichts dieses normativen Rahmens ist nicht zu befürchten, dass in der Praxis Unklarheiten darüber bestehen könnten, ob eine bestimmte Maßnahme zur Physiotherapie zählt oder nicht. Das behauptet selbst der Beklagte nicht. Er wendet gegen eine hinreichende Abgrenzbarkeit vielmehr ein, dass die Krankheiten, bei denen Physiotherapie indiziert ist, ganz unterschiedlichen medizinischen Fachgebieten zugeordnet seien; deshalb könne die Physiotherapie nicht aus dem allgemeinen Feld der Heilkunde ausgegrenzt werden. Diese Erwägung führt nicht weiter. Zwar trifft es zu, dass die Ursachen für Störungen des Bewegungsapparates vielfältig sein können und die Erstdiagnose über ein einzelnes Fachgebiet der Medizin hinausgehende Kenntnisse erfordert. Das besagt aber noch nichts über die Abgrenzbarkeit der Erlaubnis. Ähnlich wie bei der Psychotherapie geht es bei der Physiotherapie nicht um die Herauslösung eines bestimmten Fachgebietes aus dem Bereich der allgemeinen Heilkunde, sondern um eine bestimmte Therapieform für einen bestimmten Kreis von Leiden, die unterschiedliche Ursachen haben können, also um die Behandlung seelischer Leiden mit den Mitteln der Psychotherapie oder - hier - um die Behandlung von Störungen des Bewegungsapparates durch Krankengymnastik, Massage oder eine sonstige Methode der Physiotherapie. Daraus ergeben sich keine Schwierigkeiten, den Umfang der erlaubten Heiltätigkeit zu bestimmen, sondern nur bestimmte Anforderungen an den Umfang der notwendigen Kenntnisse für eine eigenverantwortliche Anwendung der Therapieform.

Der vom Beklagten bei einer weiteren Aufsplitterung der Heilpraktikererlaubnis befürchtete erhöhte Verwaltungsaufwand ist als solcher nicht geeignet, Beschränkungen der Freiheit der Berufswahl zu rechtfertigen. Sektorale Beschränkungen der Heilpraktikererlaubnis spiegeln im Übrigen nur die fortgeschrittene Ausdifferenzierung der Gesundheitsberufe durch den Gesetzgeber wider. Solange einerseits Berufsbilder mit erheblichen Qualifikationsanforderungen geschaffen werden und andererseits über das Heilpraktikergesetz die Möglichkeit einer eigenverantwortlichen Betätigung bei der Patientenbehandlung allein aufgrund einer Kenntnisüberprüfung durch das Gesundheitsamt aufrechterhalten bleibt, besteht eine systematische Unstimmigkeit oder - mit den Worten des und 1166/85 - BVerfGE 78, 179 <195>) - eine Ungereimtheit, die sich dadurch jedenfalls abmildern lässt, dass der Zugang zu abgrenzbaren heilkundlichen Betätigungsfeldern durch entsprechend beschränkte Heilpraktikererlaubnisse eröffnet wird.

3.

Das Verwaltungsgericht hat ferner angenommen, dass der Kläger sich keiner Überprüfung seiner Kenntnisse und Fähigkeiten unterziehen müsse, weil von einem ausgebildeten Physiotherapeuten, der auf seinem Gebiet eigenverantwortlich tätig werde, keine Gefahren für die Volksgesundheit ausgingen. Diese Auffassung verstößt gegen Bundesrecht. Ein Physiotherapeut ist allein kraft seiner Ausbildung nicht zu einer eigenverantwortlichen Tätigkeit befähigt. Zum Schutz der Patienten ist deshalb erforderlich, aber auch ausreichend, dass die in der Ausbildung nicht vermittelten Kenntnisse zur physiotherapeutischen Behandlung ohne ärztliche Verordnung nachgewiesen werden.

Nach § 2 Abs. 1 Buchst. i 1. DVO-HeilprG ist eine Überprüfung der Kenntnisse und Fähigkeiten durch das Gesundheitsamt vorzunehmen, um festzustellen, ob die Ausübung der Heilkunde durch den Betreffenden eine Gefahr für die Volksgesundheit bedeuten würde. Diese Überprüfung fragt keinen bestimmten Ausbildungsstand ab, sondern dient der Abwehr von Gefahren für die Volksgesundheit im konkreten Einzelfall. Sie soll ergeben, ob mit der Ausübung der Heilkunde durch den Betreffenden, das heißt mit der konkret beabsichtigten Heilkundetätigkeit, eine Gefahr für den Patienten verbunden wäre (Urteil vom a.a.O. S. 373 bzw. S. 6). Der Umfang der Überprüfung steht unter dem Vorbehalt der Verhältnismäßigkeit. Von einem Berufsbewerber dürfen nur solche Kenntnisse und Fähigkeiten verlangt werden, die in einem Bezug zu der geplanten Tätigkeit stehen (vgl. Urteile vom a.a.O. S. 360 f. bzw. S. 10 f. und vom a.a.O. S. 372 f. bzw. S. 5 f.; vgl. auch a.a.O. S. 194). Er muss keine Kenntnisse nachweisen, die er für die beabsichtigte Tätigkeit nicht benötigt oder aufgrund seiner Ausbildung ohnehin schon besitzt.

Aufgrund seiner Ausbildung kann davon ausgegangen werden, dass der Kläger die richtige Ausführung einer Krankenbehandlung mit den Mitteln der Physiotherapie hinreichend sicher beherrscht. Kenntnisse und Fähigkeiten insbesondere auf dem Gebiet der Krankengymnastik, der Massage und der weiteren physiotherapeutischen Behandlungsmethoden müssen deshalb nicht überprüft werden. Gleiches gilt für heilkundliche Kenntnisse über Krankheiten, die mit Beschwerden des Bewegungsapparates in keinem Zusammenhang stehen und mit denen ein Physiotherapeut in der Praxis nicht konfrontiert wird.

Seine Ausbildung befähigt den Kläger aber nicht zu einer selbständigen Erstdiagnose. Der Gesetzgeber hat mit dem Ausbildungsprogramm für Physiotherapeuten nach Maßgabe des § 8 MPhG, das in der Ausbildungs- und Prüfungsverordnung konkretisiert ist, gerade keine Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten vorgesehen, die für eine solche Erstdiagnose erforderlich sind. Entsprechend dem vom Gesetzgeber ausgestalteten Berufsbild wird ein Physiotherapeut im Rahmen der Krankenbehandlung nur aufgrund einer ärztlichen Verordnung tätig (s. oben). Seine durch die Ausbildung vermittelte Befähigung ist begrenzt auf die fachgerechte Anwendung der Physiotherapie bei Patienten, bei denen die vorgelagerte Entscheidung darüber, ob überhaupt eine mit dieser Therapieform zu behandelnde Krankheit vorliegt, bereits getroffen worden ist. Diese Ausbildungslücke ist normativ vorgegeben. Sie folgt der Einschätzung des Gesetzgebers, dass ein nach seinen Vorstellungen geschulter Physiotherapeut keine selbständige Heilkunde ausüben kann, aber auch nicht soll. Es geht also nicht nur um eine Bewertung der durch die Ausbildung erreichbaren Befähigung, sondern auch um die im Vorfeld getroffene Festlegung, inwieweit Nichtärzten eine selbständige Heiltätigkeit anvertraut werden kann.

Die Erwägungen des Verwaltungsgerichts und die zur Unterstützung angeführten Gutachten führen deshalb nicht weiter; denn sie gehen von unzutreffenden rechtlichen Voraussetzungen aus. Eine andere Beurteilung wäre erst dann geboten, wenn sich die Einschätzung des Gesetzgebers als eindeutig unzutreffend oder überholt erweisen würde. Dazu müsste etwa dargelegt werden, dass die vorgegebenen Ausbildungsinhalte nicht mit dem Berufsbild eines Heilhilfsberufes korrespondierten, sondern - gleichsam überschießend - deutlich weitergehende Kenntnisse vermittelten als für die Ausübung des Berufs erforderlich. Dafür spricht schon deshalb nichts, weil § 8 MPhG eine Ausbildung entsprechend der Aufgabenstellung des Berufs fordert und sich das verordnungsrechtliche Ausbildungsprogramm ersichtlich in diesem Rahmen hält. Auch die Vorinstanz und die auf seiner Linie liegenden Gutachten behaupten nicht, dass die von einem Physiotherapeuten nicht verlangte und nicht zu verantwortende Erstdiagnose Gegenstand des Ausbildungsplans sei. Sie meinen vielmehr, dass die für ein eigenverantwortliches Handeln nötigen Kenntnisse in ausreichendem Maße durch die Befassung mit der Physiotherapie entstünden, gleichsam als Nebeneffekt der Aneignung von Kenntnissen über die richtige Anwendung der Therapiemethode. Diese These ist aber nicht geeignet, Gefahren für Gesundheit der Patienten auszuschließen. Sie verkennt den grundlegenden Unterschied zwischen der fachgerechten Anwendung einer Behandlungsmethode und ihrer Indikation. Es ist nicht plausibel und wird auch durch das Verwaltungsgericht nicht überzeugend begründet, warum eine wesentlich auf Krankengymnastik und Massage ausgerichtete Ausbildung zugleich dazu befähigen könnte, die vielfältigen Ursachenzusammenhänge für tatsächliche oder nur vermeintliche Störungen des Bewegungsapparates zu erkennen. Auch von einem ausgebildeten Physiotherapeuten muss deshalb zum Schutz der Patienten verlangt werden, dass über die richtige Anwendung der Therapie hinausgehende Kenntnisse aus den verschiedenen medizinischen Fachgebieten darüber vorhanden sind, ob eine solche Behandlung angezeigt ist. Dabei geht es nicht darum, eine ärztliche Differentialdiagnose zu ersetzen, sondern darum, die Möglichkeiten und Grenzen der eigenen Diagnosefähigkeiten zu kennen und zu beachten.

Eine solche Kenntnisüberprüfung ist zum Schutz der Patienten nicht unverhältnismäßig. Vor allem dient sie nicht nur der Abwehr mittelbarer Gefahren, die daraus erwachsen können, dass ein Patient von dem notwendigen Besuch eines Arztes abgehalten wird, etwa weil er der Erstdiagnose eines ausgebildeten Physiotherapeuten besonderes Vertrauen entgegenbringt. Es geht vielmehr auch um Gefahren, die durch die Anwendung physiotherapeutischer Behandlungsmethoden unmittelbar hervorgerufen werden können. Sie bleiben bei falscher Diagnose oder nicht erkannten Kontraindikationen nicht lediglich wirkungslos, sondern können das Leiden des Patienten unter Umständen deutlich verschlimmern. Das ist vom Beklagten überzeugend dargestellt worden, angesichts der zum Einsatz kommenden Behandlungsmethoden, die mit erheblichen Einwirkungen auf den Körper des Patienten einhergehen können, offensichtlich und auch vom Kläger nicht in Abrede gestellt worden. Darin liegt ein wesentlicher Unterschied zu solchen Tätigkeiten, die für sich genommen nicht zu Beeinträchtigungen führen können (dazu BVerfG, Beschlüsse vom - 1 BvR 784/03 - MedR 2005, 35 und vom - 2 BvR 1802/02 - NJW 2004, 2890; ferner Beschluss vom - 1 BvR 254/99 - NJW 2000, 2736).

Aus alledem ergibt sich für den Regelfall ein bestimmter Zuschnitt der Kenntnisüberprüfung bei ausgebildeten Physiotherapeuten, die auf ihrem Gebiet eigenverantwortlich tätig werden wollen. Der jeweilige Antragsteller muss nachweisen, dass er ausreichende Kenntnisse über die Abgrenzung der heilkundlichen Tätigkeit als Physiotherapeut gegenüber der den Ärzten und den allgemein als Heilpraktiker tätigen Personen vorbehaltenen heilkundlichen Behandlungen besitzt und ausreichende diagnostische Fähigkeiten in Bezug auf die einschlägigen Krankheitsbilder hat. Außerdem sind Kenntnisse in Berufs- und Gesetzeskunde einschließlich der rechtlichen Grenzen der nichtärztlichen Ausübung der Heilkunde nachzuweisen.

Da die Kenntnisüberprüfung keine formalisierte Prüfungsleistung darstellt, sondern allein der Sachverhaltsermittlung im Rahmen der Gefahrenabwehr dient, kommt es außerdem auf mögliche Einzelumstände an. Die Behörde muss zunächst die vorgelegten Zeugnisse und sonstigen Nachweise über absolvierte Studiengänge und Zusatzausbildungen prüfen und je nach dem Ergebnis die Art der weiteren Ermittlungen bestimmen (so bereits Urteil vom a.a.O. S. 360 f. bzw. S. 10 f.). Der Kläger hat nach Aktenlage noch ein Studium an der Universität Wien, Fakultät Physiotherapie, mit einem nicht näher bezeichneten Abschluss absolviert. Der Beklagte wird deshalb zu prüfen haben, ob und gegebenenfalls inwieweit die im Regelfall gebotene eingeschränkte Kenntnisüberprüfung für ausgebildete Physiotherapeuten im Hinblick auf dieses Studium entbehrlich ist.

4.

Die Richtlinie 2005/36/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über die Anerkennung von Berufsqualifikationen vom (ABl EG Nr. 1 255 S. 22) vermittelt dem Kläger keine weitergehenden Ansprüche. Die Richtlinie findet gemäß Art. 2 Abs. 1 nur Anwendung auf die Ausübung eines reglementierten Berufs in einem anderen Mitgliedstaat als dem, in dem die Berufsqualifikationen erworben wurden. Der Kläger hat die zur Führung der Berufsbezeichnung Physiotherapeut erforderliche Qualifikation aber in demselben Mitgliedstaat erworben, in dem er aufgrund dieser Ausbildung tätig werden will, nämlich in Deutschland. Die vorgelegte Bestätigung über die Zulassung zur Berufsausübung in Österreich stellt lediglich die Entscheidung über die Anerkennung der deutschen Ausbildung dar.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Verwaltungsanweisungen:


Fundstelle(n):
SAAAD-30954