Wahrung der eigenen Rechte des Steuerpflichtigen durch Einlegung von Einsprüchen; Erlass von bestandskräftig festgesetzten Steuern im Billigkeitsverfahren
Gesetze: FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1, AO § 227
Instanzenzug:
Gründe
I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) erstrebt für sich und die frühere A OHG sowie die frühere B GbR, deren Rechtsnachfolger der Kläger ist, die Feststellung der Nichtigkeit oder die Änderung der bestandskräftigen Umsatzsteuerfestsetzungen für die Streitjahre (1979 bis 1995), die Umsätze aus dem Betrieb von Geldspielautomaten zu erfassen. Hilfsweise begehrt er abweichende Festsetzung der Umsatzsteuer aus Billigkeitsgründen.
Das Finanzgericht (FG) wies die nach erfolglosem Vorverfahren erhobene Klage als unbegründet ab.
Mit der dagegen eingelegten Nichtzulassungsbeschwerde beantragt der Kläger Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung —FGO—), zur Rechtsfortbildung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2, 1. Alternative FGO) und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2, 2. Alternative FGO). Außerdem macht er Verfahrensmängel geltend (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO).
II. Die Nichtzulassungsbeschwerde hat keinen Erfolg.
1. Die vom Kläger aufgeworfenen Rechtsfragen haben keine grundsätzliche Bedeutung, weil sie von der Rechtsprechung bereits mehrfach entschieden worden sind.
a) Der Senat hat auch bereits wiederholt entschieden, dass die Vorgaben in Art. 13 Teil B Buchst. f der Sechsten Richtlinie des Rates vom zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG) —im Gegensatz zur Auffassung des Klägers— vor Ergehen des und C-462/02, Linneweber und Akritidis (BFH/NV Beilage 2, 2005, 94, Umsatzsteuer-Rundschau —UR— 2005, 194) nicht eindeutig waren (vgl. , BFHE 216, 350, BStBl II 2007, 433; vom V R 16/04, BFHE 210, 159, BStBl II 2006, 96, unter II. 3.).
b) Auch der Frage, ob es dem Kläger angesichts mangelnder Erfolgsaussichten unzumutbar war, seinerzeit gegen die Umsatzsteuerfestsetzungen für die Streitjahre Einspruch einzulegen, kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu. Der Senat hat in einem vergleichbaren Fall bereits entschieden, dass es keinen Ausnahmefall darstellt, dass Rechtsauffassungen und Gesetzesinterpretationen der Verwaltung, auch wenn sie durch Rechtsprechung oder Kommentierung abgesichert sind, durch die Gerichte korrigiert werden. Diese Chance, eine Korrektur zu erreichen, kann jeder Steuerpflichtige unter Übernahme des Kostenrisikos wahrnehmen. Dabei geht es nicht darum, ob den Kläger ein Verschulden an der Nichteinlegung von Rechtsbehelfen trifft. Vielmehr ist es nach der Entscheidung des Gesetzgebers grundsätzlich Sache des Steuerpflichtigen, seine Rechte durch Einlegung von Einsprüchen selbst zu wahren (vgl. BFH-Urteile in BFHE 216, 350, BStBl II 2007, 433; vom VII R 121/84, BFHE 150, 502, BStBl II 1988, 512).
2. Es liegt keine Divergenz vor. Das (BFHE 194, 552, BStBl II 2004, 370) betraf die —vorliegend nicht relevante— Frage, ob eine vom EuGH als „eindeutig und offensichtlich” falsch beurteilte Steuerfestsetzung ausnahmsweise zu einem Billigkeitserlass führen kann.
Aus den im Anschluss an die Rechtsprechung des EuGH in der Rechtssache Schmeink & Cofreth und Manfred Strobel (Urteil vom C-454/98, Slg. 2000, I-6973, UR 2000, 470) ergangenen BFH-Urteilen in BFHE 194, 552, BStBl II 2004, 370, und vom V R 61/07 (BFHE 194, 517, BStBl II 2004, 373) ergibt sich nichts anderes. Danach kann die Korrektur einer Steuerfestsetzung wegen unberechtigt ausgewiesener Umsatzsteuer nach § 14 Abs. 3 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) a.F. dann im Billigkeitsverfahren erfolgen, wenn der Steuerpflichtige die durch den unberechtigten Steuerausweis begründete Gefährdungslage für das Steueraufkommen nach Erteilung der Rechnung und Steuerfestsetzung später wieder vollständig beseitigt hat. Diese Rechtsprechung betraf einen Ausnahmefall (vgl. , BFH/NV 2003, 1531, unter II. 2. b bb). Mit diesen Entscheidungen hat der BFH auf die vom EuGH geforderte, nach früherer Rechtslage im UStG 1993 fehlende verfahrensmäßige Korrekturmöglichkeit (jetzt § 14c UStG 1999) wegen nachträglich eingetretener Umstände (Gefährdungsbeseitigung) reagiert. Diese Entscheidungen betreffen nicht die Frage, ob bestandskräftig festgesetzte Steuern nach Rechtsprechungsänderungen an diese anzupassen sind.
Zwar hat der Senat im Urteil in BFHE 194, 552, BStBl II 2004, 370 —auf das sich der Kläger beruft— entschieden, dass es dem dortigen Kläger unzumutbar war, gegen bestimmte Umsatzsteuerbescheide zu klagen. Er hat zur Begründung ausgeführt, die Steuerfestsetzungen hätten —im streitigen Punkt— dem Gesetzeswortlaut entsprochen, ein einschlägiges EuGH-Urteil sei seinerzeit noch nicht ergangen und es sei Aufgabe des Gesetzgebers, die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen für die ordnungsgemäße Umsetzung des EuGH-Urteils zu schaffen. Solange dies nicht geschehen sei, könne ein Steuerpflichtiger nicht darauf verwiesen werden, er müsse seine Rechte im Steuerfestsetzungsverfahren mit ungewissem Ausgang geltend machen (vgl. II. 2. c der Urteilsgründe). Das Urteil betraf aber die vorliegend nicht relevante Frage, ob eine vom EuGH als „eindeutig und offensichtlich” falsch beurteilte Steuerfestsetzung ausnahmsweise zu einem Billigkeitsverfahren führen kann (vgl. BFH-Urteil in BFHE 216, 350, BStBl II 2007, 433).
3. Ein Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör liegt nicht deshalb vor, weil das FG der Beurteilung der Sach- und Rechtslage durch den Kläger nicht gefolgt ist. Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes verpflichtet das Gericht nicht dazu, sich den Ausführungen eines Beteiligten in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht anzuschließen (BFH-Beschlüsse vom II B 11/05, BFH/NV 2006, 254; vom V B 98/06, BFHE 217, 94, BStBl II 2008, 35; vom VIII B 121/07, BFH/NV 2008, 397, und vom II S 11/07, BFH/NV 2008, 529).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2009 S. 1593 Nr. 10
DAAAD-27716