Zur Revisionsbegründung kann auf die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde Bezug genommen werden; hinreichender Anlass für Maßnahmen der Steuerfahndung nach § 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO
Leitsatz
Bei der Überprüfung einer konkreten Tätigkeit der
Steuerfahndung auf ihre Rechtmäßigkeit hin ist zwischen der
Aufgabenzuweisung einerseits und den zur Erfüllung dieser Aufgaben
verliehenen Befugnissen andererseits zu unterscheiden. Eine konkrete
Maßnahme der Steuerfahndung ist rechtmäßig, wenn sich die
Steuerfahndung im Rahmen des ihr zugewiesenen Aufgabenbereichs gehalten hat und
ihr die in Anspruch genommene Befugnis nach dem Gesetz auch
zusteht.
Für Maßnahmen der Steuerfahndung nach
§ 208 Abs. 1 Nr. 3
AO muss auf der Ebene der Aufgabenzuweisung für
Nachforschungen sowohl nach unbekannten Steuerpflichtigen als auch nach bisher
unbekannten steuerlichen Sachverhalten ein hinreichender Anlass bestehen. Ein
solcher liegt vor, wenn auf Grund konkreter Anhaltspunkte oder auf Grund
allgemeiner Erfahrung die Möglichkeit einer Steuerverkürzung in
Betracht kommt und daher eine Anordnung bestimmter Art angezeigt
ist.
Ermittlungen „ins Blaue hinein”,
Rasterfahndungen, Ausforschungsdurchsuchungen oder ähnliche
Ermittlungsmaßnahmen sind unzulässig. Für ein berechtigtes
Auskunftsverlangen ist ausreichend, dass die Steuerfahndung im Rahmen einer
Prognoseentscheidung im Wege vorweggenommener Beweiswürdigung nach
pflichtgemäßem Ermessen zu dem Ergebnis gelangt, dass die Auskunft
zu steuererheblichen Tatsachen zu führen vermag.
Ob
für das Auskunftsersuchen ein hinreichender Anlass besteht, ist auf der
Grundlage der dem Auskunftsersuchen gegebenen Begründung zu beurteilen.
Das Erfordernis eines hinreichenden Anlasses besteht auch für das an eine
AG gerichtete Ersuchen um Vorlage ihrer
Aktionärsverzeichnisse.
Ein hinreichender Anlass für
das Auskunftsbegehren kann sich nicht schon daraus ergeben, dass dem Finanzamt
die Identität der Aktionäre einer AG mangels einer
§ 54
EStDV entsprechenden Bestimmung im
AktG nicht bekannt ist. Die
„allgemeine Erfahrung”, dass Aktionäre ihre
Anteilsverkäufe häufig nicht versteuerten, genügt nicht den
Anforderungen eines hinreichenden
Anlasses.
Gesetze: AO § 121, AO § 208, GG Art. 3, AO § 93, AO § 97, FGO § 120
Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),
Gründe
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), eine AG, betreibt einen Handel mit Wertpapieren. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung —FA—) forderte die Klägerin mit Schreiben vom auf, die Aktionärsverzeichnisse, die den Jahreshauptversammlungen 1997 bis 2002 zu Grunde gelegen haben, vorzulegen. Das FA stützte sein Auskunftsverlangen auf § 208 Abs. 1 Nr. 3, § 93 Abs. 1 Satz 3, § 97 der Abgabenordnung (AO) und führte aus, dass im Rahmen der Steueraufsicht die Veräußerung von Anteilen an der Klägerin überprüft werden sollte. Im Einspruchsverfahren beschränkte das FA das Auskunftsbegehren auf die Aktionärsverzeichnisse der Jahreshauptversammlungen für die Kalenderjahre 1998 bis 2002 und wies den Einspruch zurück.
Die Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) hob mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2007, 1573 veröffentlichten Urteil das Auskunftsersuchen des FA auf, weil für dieses kein hinreichender Anlass bestanden habe. Die Möglichkeit einer Steuerverkürzung durch Anteilseigner der Klägerin komme weder aufgrund konkreter Anhaltspunkte noch nach allgemeiner Erfahrung in Betracht.
Das FA hat zur Begründung seiner nach Erhebung der Nichtzulassungsbeschwerde vom Bundesfinanzhof (BFH) zugelassenen Revision auf die Begründung seiner Nichtzulassungsbeschwerde Bezug genommen. Es macht geltend, die Finanzverwaltung müsse die Möglichkeit haben, die Veräußerung zumindest wesentlicher Beteiligungen an einer AG zu überprüfen. Eine Unterlassung dieser Überprüfung bewirke ein gesetzwidriges Vollzugsdefizit bei der Besteuerung dieser Einkunftsquelle. Aus dem Umstand, dass es für die Übertragung von Aktien an einer dem § 54 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EStDV) entsprechenden Mitteilungspflicht an die Finanzbehörden fehle, ergebe sich kein Anspruch des Aktionärs, gegenüber den Finanzbehörden anonym zu bleiben.
Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Die Revision ist zulässig, aber unbegründet und war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung —FGO—).
1. Die Revision ist zulässig.
a) Der Zulässigkeit der Revision steht nicht entgegen, dass das FA innerhalb der Revisionsbegründungsfrist (§ 120 Abs. 2 FGO) auf die Begründung seiner Nichtzulassungsbeschwerde Bezug genommen hat. Gemäß § 551 Abs. 3 Satz 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) i.V.m. § 155 FGO kann auf die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde Bezug genommen werden, wenn die Revision auf Grund einer Nichtzulassungsbeschwerde zugelassen worden ist. Voraussetzung hierfür ist, dass die Nichtzulassungsbeschwerde den inhaltlichen Anforderungen an eine Revisionsbegründung genügt (, BFH/NV 2008, 1691). Dies ist vorliegend der Fall. Einer Übersendung der Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde bedurfte es zur Wahrung der Revisionsbegründungsfrist nicht. Der eine solche Übersendung fordernde gegenteilige (BFH/NV 1995, 402) ist vor der gesetzlichen Neuregelung in § 551 Abs. 3 Satz 2 ZPO ergangen und daher überholt.
b) Das für die Durchführung des Revisionsverfahrens erforderliche Rechtsschutzbedürfnis des FA ist bezüglich der ihm vorliegenden Aktionärslisten 1999 und 2000 schon deshalb zu bejahen, weil diese Listen nach dem Vorbringen des FA unvollständig waren und das FA an seinem Auskunftsverlangen vollumfänglich festhält.
2. Die Revision ist jedoch unbegründet. Das FG hat zutreffend einen hinreichenden Anlass für das an die Klägerin gerichtete Auskunftsbegehren verneint.
a) Bei der Überprüfung einer konkreten Tätigkeit der Steuerfahndung auf ihre Rechtmäßigkeit hin ist zwischen der Aufgabenzuweisung einerseits (§ 208 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 bis 3 AO) und den zur Erfüllung dieser Aufgaben verliehenen Befugnissen andererseits (§ 208 Abs. 1 Satz 2 AO) zu unterscheiden (z.B. BFH-Entscheidungen vom VII R 82/85, BFHE 148, 108, BStBl II 1988, 359; vom VII B 40/97, BFH/NV 1998, 424; vom VII B 45/97, BFHE 184, 266, BStBl II 1998, 231; vom VII R 63/05, BFHE 215, 40, BStBl II 2007, 155; grundlegend schon Großer Senat vom GrS 5/67, BFHE 91, 351, BStBl II 1968, 365). Eine konkrete Maßnahme der Steuerfahndung ist hiernach rechtmäßig, wenn sich die Steuerfahndung im Rahmen des ihr zugewiesenen Aufgabenbereichs gehalten hat und ihr die in Anspruch genommene Befugnis nach dem Gesetz auch zusteht.
aa) Für Maßnahmen der Steuerfahndung nach § 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO muss auf der Ebene der Aufgabenzuweisung nach ständiger Rechtsprechung (BFH-Urteile in BFHE 148, 108, BStBl II 1988, 359, und in BFHE 215, 40, BStBl II 2007, 155) für Nachforschungen sowohl nach unbekannten Steuerpflichtigen als auch nach bisher unbekannten steuerlichen Sachverhalten ein hinreichender Anlass bestehen. Ein solcher liegt vor, wenn auf Grund konkreter Anhaltspunkte (z.B. wegen der Besonderheit des Objektes oder der Höhe des Wertes) oder auf Grund allgemeiner Erfahrung (auch konkreter Erfahrungen für bestimmte Gebiete) die Möglichkeit einer Steuerverkürzung in Betracht kommt und daher eine Anordnung bestimmter Art angezeigt ist (zuletzt BFH-Urteil in BFHE 215, 40, BStBl II 2007, 155). Ermittlungen „ins Blaue hinein”, Rasterfahndungen, Ausforschungsdurchsuchungen oder ähnliche Ermittlungsmaßnahmen sind hingegen unzulässig. Für ein berechtigtes Auskunftsverlangen ist aber ausreichend, dass die Steuerfahndung im Rahmen einer Prognoseentscheidung im Wege vorweggenommener Beweiswürdigung nach pflichtgemäßem Ermessen zu dem Ergebnis gelangt, dass die Auskunft zu steuererheblichen Tatsachen zu führen vermag (BFH- Urteile in BFHE 148, 108, BStBl II 1988, 359, und vom VII R 30/86, BFHE 149, 404 , BStBl II 1987, 484).
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat diese Auslegung des § 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO ausdrücklich gebilligt (Beschluss vom 1 BvR 33/87, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung —HFR— 1990, 266). Es hat aus Gründen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes insbesondere Ermittlungen „ins Blaue hinein” als unzulässig beurteilt und insoweit steuerverfahrensrechtlich legitimierbare Mitwirkungspflichten der betroffenen Beteiligten oder dritter Personen verneint (vgl. auch BVerfG-Entscheidungen vom 2 BvL 17/02, BVerfGE 110, 94; vom 1 BvR 1550/03, 1 BvR 2357/04, 1 BvR 603/05, BVerfGE 118, 168; vom 2 BvR 294/06, HFR 2008, 387). Eine Informationserhebung auf Vorrat zu unbestimmten oder noch nicht bestimmbaren Zwecken, die mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung unvereinbar wäre, ist ausgeschlossen.
bb) Das Erfordernis eines hinreichenden Anlasses besteht auch für das an eine AG gerichtete Ersuchen um Vorlage ihrer Aktionärsverzeichnisse. Entgegen der Auffassung des FA besteht insoweit kein entscheidungsrelevanter Unterschied zu einem Auskunftsersuchen der Steuerfahndung, das diese Erkenntnisse über die von Kunden eines Auskunftspflichtigen getätigten Geschäfte vermitteln sollen. Allein entscheidend ist, dass gegenüber der Steuerfahndung eine Auskunftsverpflichtung grundsätzlich nur besteht, wenn die erfragten Tatsachen entscheidungserheblich und aufklärungsbedürftig sind.
cc) Ob für das Auskunftsersuchen ein hinreichender Anlass im vorgenannten Sinne besteht, ist auf der Grundlage der dem Auskunftsersuchen gegebenen Begründung (§ 121 AO) zu beurteilen. Die Begründungspflicht dient der Verwirklichung des gemäß Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes (GG) gewährleisteten Rechtsschutzes gegen öffentliche Hoheitsakte. Der Betroffene kann Rechtsschutz nur dann effektiv in Anspruch nehmen, wenn er weiß, wie die Behörde ihren Verwaltungsakt rechtfertigt und auf welche Rechtsgrundlagen sie ihn stützt (, HFR 1989, 317; , BFH/NV 2004, 1062). Die erforderliche Begründung kann bis zum Abschluss der Tatsacheninstanz eines finanzgerichtlichen Verfahrens nachgeholt werden (§ 126 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. Abs. 2 AO).
b) In Anwendung dieser Rechtsgrundsätze zielt das hier angefochtene Auskunftsersuchen auf eine unzulässige Ermittlung „ins Blaue hinein”. Das FA hat zur Begründung dieses Auskunftsersuchens keine Umstände dafür benannt, dass es im Rahmen einer Prognoseentscheidung bei vorweggenommener Beweiswürdigung zu dem Ergebnis gelangt sei, die geforderte Auskunft könne zu steuererheblichen Tatsachen führen.
aa) Ein hinreichender Anlass für das Auskunftsbegehren kann sich —entgegen der Auffassung des FA— nicht schon daraus ergeben, dass dem FA die Identität der Aktionäre einer AG mangels einer § 54 EStDV entsprechenden Bestimmung im Aktiengesetz nicht bekannt ist. Aus diesem Umstand für sich allein ergeben sich weder konkrete Anhaltspunkte noch eine allgemeine Erfahrung dahingehend, dass in dem zu benennenden Aktionärskreis die Möglichkeit einer Steuerverkürzung in Betracht kommt.
bb) Soweit sich das FA auf die „allgemeine Erfahrung” beruft, dass Aktionäre ihre Anteilsverkäufe häufig nicht versteuerten, genügt auch dies nicht den Anforderungen eines hinreichenden Anlasses. Die allgemeine Erfahrung mit Steuerverkürzungen rechtfertigt für sich genommen noch keine konkreten Ermittlungen; für einen hinreichenden Anlass ist vielmehr zusätzlich erforderlich, dass sich diese allgemeine Erfahrung auch im Aktionärskreis der Klägerin realisiert hat. Insoweit enthält jedoch die Begründung des angefochtenen Auskunftsersuchens keinerlei Ausführungen.
cc) Dem FA kann auch nicht darin gefolgt werden, ein hinreichender Anlass für das Auskunftsersuchen sei aus einem andernfalls eintretenden gesetzwidrigen Vollzugsdefizit hinsichtlich der ordnungsgemäßen Besteuerung von Veräußerungsgewinnen i.S. des § 17 des Einkommensteuergesetzes (EStG) abzuleiten.
Ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG kann sich zwar daraus ergeben, dass die Gleichheit im Belastungserfolg durch die rechtliche Ausgestaltung des Erhebungsverfahrens prinzipiell verfehlt wird (z.B. , BVerfGE 84, 239). Dabei ist für die Prüfung, ob normative Defizite einen gleichmäßigen Belastungserfolg verhindern, maßgeblich auf den Regelfall des Besteuerungsverfahrens abzustellen. Jedoch sind bereits für diesen Regelfall Ermittlungen „ins Blaue hinein” unzulässig (BVerfG-Urteil in BVerfGE 110, 94). Einer solchen Begrenzung der Ermittlungsbefugnisse unterliegt —wie oben II. 2. a aa) ausgeführt— auch die Steuerfahndung im Rahmen der ihr durch § 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO zugewiesenen Aufgaben. Demgemäß lässt sich ein strukturelles Vollzugsdefizit keinesfalls aus solchen Begrenzungen der Ermittlungstätigkeit der Steuerfahndung nach § 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO ableiten, die ihrerseits von Verfassung wegen geboten sind.
dd) Schließlich folgt ein anderes Entscheidungsergebnis auch nicht aus dem Hinweis des FA auf die seit dem Jahr 2001 in der Anlage WA („Weitere Angaben – Anträge”) zur Körperschaftsteuerklärung geforderten Angaben über die Namen und Anschriften der Anteilseigner i.S. des § 17 EStG. Ob die Anforderung dieser Angaben durch die Anlage WA rechtmäßig ist und ob die Finanzverwaltung die entsprechenden Angaben ggf. zwangsweise durchsetzen kann, bedarf vorliegend keiner Entscheidung. Aus dem Umstand, dass nach dem Vorbringen des FA die Anlage WA von den meisten Körperschaften nicht abgegeben wird, ergibt sich jedenfalls noch kein hinreichender Anlass für Ermittlungen i.S. des § 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2009 S. 1586 Nr. 10
QAAAD-26958