Leitsatz
[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gesetze: KSchG § 9 Abs. 1 S. 2
Instanzenzug: LAG Frankfurt/Main, 18/10 Sa 1600/05 vom ArbG Frankfurt/Main, 5 Ca 7556/04 vom
Tatbestand
Die Parteien streiten noch über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses aufgrund eines von der Beklagten zum gestellten Auflösungsantrags und einer Kündigung der Beklagten vom .
Der Kläger war seit dem bei der Beklagten - einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts - als Rechtsanwalt und Steuerberater tätig. Die ursprünglichen Beklagten zu 2) und zu 3), die Rechtsanwälte K und S, sind die Gesellschafter der Beklagten.
Die Parteien haben ua. darüber gestritten, ob der Kläger als freier Mitarbeiter oder als Arbeitnehmer bei der beklagten Sozietät beschäftigt war. Das Landesarbeitsgericht hat festgestellt, dass ein Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien bestand. Diese Feststellungen greift die Beklagte nicht mehr an.
Mit Schreiben vom kündigte die Beklagte das Vertragsverhältnis des Klägers zum . Nach der Übergabe des Kündigungsschreibens nahm der Kläger Eingaben in dem EDV-Zeiterfassungssystem vor, die zu einer Erhöhung der für ihn erfassten und gegenüber den Mandanten abzurechnenden Arbeitsstunden führte. Ob die Eintragungen zutreffend sind, ist zwischen den Parteien streitig. Mit Schreiben vom teilte die Beklagte dem Kläger mit, die nachträgliche Änderung der dokumentierten Zeiten erfülle ihrer Auffassung nach den Straftatbestand des Betruges; bevor sie den Sachverhalt den berufsständischen Kammern sowie der zuständigen Strafverfolgungsbehörde mitteilen werde, erhalte der Kläger Gelegenheit zur Stellungnahme. Der Kläger antwortete mit Schreiben vom . Seine Stellungnahme enthält keine Angaben zu der nachträglichen Zeiterfassung. Stattdessen führt er in dem Schreiben mehrere Vorkommnisse an, für die seiner Ansicht nach die Strafverfolgungsbehörden und die Berufskammern "ein offeneres Ohr haben dürften". Weiter heißt es in dem Schreiben:
"Dies sind nur einige Sachverhalte, die mir spontan eingefallen sind. Sicherlich können andere (Ex-)Mitarbeiter Ihrer Sozietät noch weitere Anekdoten erzählen, von denen es ja reichlich gibt.
Herr K und Herr S, wenn Sie mit dem Feuer spielen wollen, dann machen Sie es doch! Sie sind alt genug, die Konsequenzen Ihres Verhaltens zu erkennen. Machen Sie mich oder andere aber nicht dafür verantwortlich, wenn Sie sich am Ende selbst die Finger verbrannt haben.
..."
Mit Schriftsatz vom und mit Schreiben vom kündigte die Beklagte vorsorglich erneut jeweils außerordentlich.
Der Kläger hat mit seiner Klage neben der Feststellung eines Arbeitsverhältnisses die Unwirksamkeit der Kündigung vom sowie der weiteren Kündigungen geltend gemacht. Er hält die Kündigungen wegen fehlender Kündigungsgründe für rechtsunwirksam.
Der Kläger hat - sofern dies für das Revisionsverfahren noch von Interesse ist - beantragt
1. festzustellen, dass zwischen ihm und der Beklagten seit dem zumindest bis zum ein Arbeitsverhältnis bestand,
2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen ihm und der Beklagten weder durch die Kündigung der Beklagten vom noch durch die außerordentlichen Kündigungen der Beklagten vom sowie vom aufgelöst worden ist.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Hilfsweise, für den Fall des Unterliegens mit den Anträgen zu 1) und zu 2),
das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, welche jedoch 7.500,00 Euro nicht überschreiten sollte, zum , hilfsweise zum , bzw. äußerst hilfsweise zum aufzulösen.
Die Beklagte hat zur Begründung ihres klageabweisenden Antrags bzw. ihres Antrags auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses im Wesentlichen ausgeführt: Ein mögliches Arbeitsverhältnis des Klägers sei spätestens durch die fristlose Kündigung vom beendet worden. Der Kläger habe unberechtigterweise die Zeiterfassung manipuliert, falsche Behauptungen im anhängigen Rechtsstreit aufgestellt, gegen die Verschwiegenheitspflicht verstoßen, kanzleiinterne Dokumente verwendet sowie sie mit dem Schreiben vom bedroht. Den erstmals vor dem Landesarbeitsgericht gestellten Auflösungsantrag hat die Beklagte mit den Kündigungsgründen sowie mit einzelnen Aussagen aus den klägerischen Schriftsätzen begründet.
Das Arbeitsgericht hat die Klage insgesamt abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat mit Teilurteil vom festgestellt, dass zwischen dem Kläger und der Beklagten seit dem bis mindestens ein Arbeitsverhältnis bestand und dieses Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung der Beklagten vom aufgelöst worden ist, sondern bis zum bestand; die weitergehenden Feststellungsanträge gegen die früheren Beklagten zu 2) und 3), die Sozien S und K, sowie gegen die Beklagte hat das Landesarbeitsgericht abgewiesen. Über den Auflösungsantrag hat das Landesarbeitsgericht nicht entschieden. Die Entscheidung über die weiter geltend gemachten Vergütungsansprüche hat das Landesarbeitsgericht dem Schlussurteil vorbehalten.
Durch Beschluss vom hat das Bundesarbeitsgericht die Revision gegen das Teilurteil für die Beklagte insoweit zugelassen, als das Landesarbeitsgericht das Arbeitsverhältnis nicht zum oder zu einem späteren Zeitpunkt aufgelöst und über die Wirksamkeit der Kündigung vom entschieden hat.
Gründe
Die Revision der Beklagten hat Erfolg. Das Landesarbeitsgericht hätte eine Entscheidung über den hilfsweise gestellten Auflösungsantrag treffen müssen, und zwar bevor es über die Wirksamkeit der Kündigung vom entschieden hat. Es hätte zunächst klären müssen, ob das Arbeitsverhältnis bereits durch den Auflösungsantrag beendet worden ist. Dementsprechend war das Teilurteil des Landesarbeitsgerichts aufzuheben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 ZPO).
A. Das Landesarbeitsgericht hat - soweit dies für das Revisionsverfahren noch von Bedeutung ist - zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt: Die Kündigung vom sei sozial ungerechtfertigt und somit gemäß § 1 KSchG unwirksam. Die fristlose Kündigung vom sei ebenfalls unwirksam, da sie nicht innerhalb von zwei Wochen nach Kenntnis der Kündigungsgründe ausgesprochen worden sei. Das Arbeitsverhältnis sei indes durch die hilfsweise fristgemäße Kündigung vom zum beendet worden. Diese Kündigung sei gerechtfertigt. Die Äußerungen des Klägers im Schreiben vom führten zur Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses. Eine Entscheidung über den hilfsweise gestellten Auflösungsantrag sei nicht erforderlich. Die Beklagte sei mit dem Kündigungsschutzantrag nicht umfassend unterlegen, weshalb die prozessuale Bedingung für eine Entscheidung über den Auflösungsantrag nicht eingetreten sei.
B. Dem folgt der Senat nicht. Das Landesarbeitsgericht durfte den Feststellungsantrag gegen die Kündigung vom nicht behandeln, ohne vorher zu klären, ob das Arbeitsverhältnis wegen des Auflösungsantrags nicht bereits zu einem früheren Zeitpunkt beendet worden ist.
I. Das Landesarbeitsgericht durfte den Antrag, das Arbeitsverhältnis nur hilfsweise gegen Zahlung einer Abfindung aufzulösen, nicht dahin verstehen, eine Auflösung werde von der Beklagten nur für den Fall begehrt, dass keine Kündigung der Beklagten zum Erfolg führt.
1. Die Auslegung von prozessualen Willenserklärungen ist vom Revisionsgericht selbst vorzunehmen (Senat - 2 AZR 279/07 - Rn. 16, AP KSchG 1969 § 4 Nr. 67 = EzA KSchG § 4 nF Nr. 86; - 2 AZR 525/05 - Rn. 16, AP KSchG 1969 § 4 Nr. 60 = EzA KSchG § 4 nF Nr. 76). Sie unterliegt einer vollumfänglichen revisionsrechtlichen Überprüfung. Die Auslegung von prozessualen Willenserklärungen erfolgt aus der Sicht eines objektiven Erklärungsempfängers. Im Zweifel ist das gewollt, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und der recht verstandenen Interessenlage entspricht ( - BGHR ZPO § 253 Abs. 2 Nr. 2 Auslegung 3; Musielak ZPO 6. Aufl. § 253 Rn. 29).
2. Unter Berücksichtigung dieses Maßstabs muss der hilfsweise gestellte Auflösungsantrag dahin verstanden werden, dass er für den Fall des Unterliegens mit dem jeweiligen Kündigungsschutzantrag und somit nicht nur für den einer Niederlage mit sämtlichen Kündigungsschutzanträgen eine entsprechende Auflösung des Arbeitsverhältnisses begehrt wird. Hierfür spricht schon der Wortlaut des Antrags, in dem mehrere Beendigungszeitpunkte in ein Hilfsverhältnis gestellt worden sind. Dies lässt erkennen, dass die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger zum frühestmöglichen Zeitpunkt beendet wissen wollte. Anhaltspunkte dafür, dass Auflösungsanträge wegen der damit verbundenen Verpflichtung zur Zahlung einer Abfindung nur für den Fall gestellt werden sollten, dass auch eine zeitlich spätere Kündigung unwirksam ist, sind nicht erkennbar. Eine solche Einschränkung kann weder dem Wortlaut des erklärten Antrags noch aus dem sonstigen prozessualen Verhalten der Beklagten entnommen werden. Diese Auslegung entspricht auch der objektiven Interessenlage der Beklagten. Aufgrund der kurzen Dauer des Arbeitsverhältnisses und des zeitlichen Abstands zwischen dem ersten in Betracht kommenden Auflösungszeitpunkt () und der ersten zeitlich nachfolgenden Kündigung () konnte die Beklagte davon ausgehen, eine vorzeitige Beendigung des Arbeitsverhältnisses stelle trotz einer damit verbundenen Verpflichtung zur Zahlung einer Abfindung aus ihrer Sicht die finanziell kostengünstigere Variante dar.
II. Da das Arbeitsverhältnis aufgrund des Auflösungsantrags bereits zu einem früheren Zeitpunkt beendet sein kann, durfte das Landesarbeitsgericht dem Kündigungsschutzantrag wegen der Kündigung vom nicht stattgeben.
1. Es ist regelmäßig ausgeschlossen, über einen Kündigungsschutzantrag, der eine spätere Kündigung betrifft, eher zu entscheiden als über einen zeitlich vorgehenden Auflösungsantrag (Senat - 2 AZR 360/05 - Rn. 21, BAGE 118, 95).
Mit Rechtskraft eines der Kündigungsschutzklage stattgebenden Urteils steht regelmäßig fest, dass das Arbeitsverhältnis durch die angegriffene Kündigung zu dem bestimmten Termin nicht aufgelöst worden ist und im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung zwischen den Parteien ein Arbeitsverhältnis noch bestanden hat (st. Rspr., vgl. Senat - 2 AZR 360/05 - Rn. 17, BAGE 118, 95; - 2 AZR 623/04 - zu B I 1 b aa der Gründe mwN, AP BGB § 626 Nr. 196 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 11; - 2 AZR 399/03 - zu B II 1 der Gründe mwN, AP BMT-G II § 54 Nr. 5 = EzA BGB 2002 § 626 Unkündbarkeit Nr. 4; - zu II 3 a der Gründe, EzA KSchG § 17 Nr. 15; - 5 AZR 271/99 - zu I der Gründe, BAGE 95, 324). Besteht aber zum Kündigungszeitpunkt - gleich aus welchem Grund - kein Arbeitsverhältnis mehr, ist die Klage - ohne dass es auf die Prüfung der Wirksamkeit der Kündigung noch ankäme - als unbegründet abzuweisen ( - aaO.).
2. Dementsprechend hätte das Landesarbeitsgericht zunächst über den Auflösungsantrag zum und erst im Anschluss über die Wirksamkeit der zeitlich nachgelagerten Kündigung vom und den diesbezüglichen Kündigungsschutzantrag entscheiden dürfen. Ohne die vorherige Klärung, ob zum Zeitpunkt des Zugangs zwischen den Parteien überhaupt noch ein Arbeitsverhältnis bestand, ist die dem Kündigungsschutzantrag stattgebende Entscheidung des Landesarbeitsgerichts insoweit rechtsfehlerhaft.
III. Da die Bewertung, ob die vom Arbeitgeber vorgebrachten Auflösungsgründe eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit der Parteien nicht erwarten lassen, in erster Linie dem Tatsachengericht obliegt, war der Rechtsstreit gemäß § 563 Abs. 1 ZPO zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen. Das Revisionsgericht kann die Auflösungsgründe und Bewertungen nicht erstmalig selbst vornehmen (Senat - 2 AZR 1111/06 - Rn. 50 mwN, EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 163; - 2 AZR 21/05 - Rn. 63, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 53 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 67). Dies gilt auch für die Festsetzung der Abfindungshöhe, die in das Ermessen des Gerichts der Tatsacheninstanz gestellt und vom Revisionsgericht nur dahingehend überprüft werden kann, ob die Voraussetzungen und die Grenzen des Ermessens beachtet worden sind (vgl. Senat - 2 AZR 377/75 - zu III 3 der Gründe mwN, AP BGB § 626 Nr. 68 = EzA BGB § 626 nF Nr. 49). Insoweit wird das Landesarbeitsgericht ggf. bei der Gewichtung der Auflösungsgründe und bei der Bestimmung der Höhe der festzusetzenden Abfindung zum einen die voraussichtliche Dauer des Arbeitsverhältnisses und zum anderen den wahrscheinlichen Ausgang des Rechtsstreits über den nachgehenden Beendigungstatbestand im Rahmen einer vorausschauenden Würdigung zu berücksichtigen haben (Senat - 2 AZR 360/05 - Rn. 29, BAGE 118, 95).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BB 2009 S. 2486 Nr. 46
DB 2009 S. 1939 Nr. 36
NJW 2009 S. 2973 Nr. 40
UAAAD-26854
1Für die amtliche Sammlung: nein; Für die Fachpresse: nein