BGH Urteil v. - IV ZR 16/08

Leitsatz

[1] Wird mit der Kündigung eines Versicherungsvertrages zugleich der Originalversicherungsschein vorgelegt, der den Kündigenden als Versicherungsnehmer ausweist, und ist die Kündigung mit dessen Namen unterzeichnet, darf der Versicherer grundsätzlich mit befreiender Wirkung an die bezeichnete Zahlstelle leisten, selbst wenn die Unterschrift unter der Kündigungserklärung - wie sich später herausstellt - gefälscht war.

Gesetze: BGB § 808 Abs. 1; ALB 86 § 9 Abs. 1; ALB 94 § 10 Abs. 1

Instanzenzug: OLG Hamburg, 9 U 224/06 vom LG Hamburg, 306 O 324/04 vom

Tatbestand

Der Kläger nimmt die Beklagte aus zwei im Jahre 1986 abgeschlossenen Lebensversicherungsverträgen in Anspruch. Einer dieser Verträge habe zum das Ende der vereinbarten Laufzeit erreicht; der andere Vertrag sei mit Schreiben vom gekündigt worden. Die Beklagte meint, die Verträge seien aufgrund einer bereits Ende des Jahres 2000 unter Vorlage der Versicherungsscheine eingegangenen Kündigung und anschließender Auszahlung des Rückkaufswerts beendet worden.

In den Versicherungsbedingungen beider Verträge wird in der Sache übereinstimmend geregelt, dass der Versicherer den Inhaber des Versicherungsscheins als berechtigt ansehen kann, über die Rechte aus dem Versicherungsvertrag zu verfügen, insbesondere die Leistung in Empfang zu nehmen; der Versicherer kann aber verlangen, dass der Inhaber des Versicherungsscheins seine Berechtigung nachweist (im Folgenden: Inhaberklausel; vgl. § 11 der Allgemeinen Bedingungen für die kapitalbildende Lebensversicherung - ALB 86 - oder § 12 der Musterbedingungen des Verbands der Lebensversicherungsunternehmen - ALB 94).

Der Kläger hat vorgetragen, er sei seit Mitte 2000 in versicherungsrechtlichen Fragen von einem Versicherungsmakler betreut worden. Dieser habe ihm geraten, die mit der Beklagten abgeschlossenen Versicherungsverträge beitragsfrei zu stellen; dafür würden die Originalversicherungsscheine benötigt. Darauf habe er dem Versicherungsmakler die Policen ausgehändigt. Die in der Folgezeit unter seinem Namen bei der Beklagten eingegangenen Kündigungsschreiben hält der Kläger für gefälscht. Bei der Beklagten ging zunächst ein Handschreiben vom ein, nach dessen Text der Kläger unter Kündigung der Versicherungen um Auszahlung des Rückkaufswerts auf sein "bekanntes Konto" bat. Es folgte ein mit dem Namen des Klägers unterschriebenes Maschinenschreiben vom , in dem beide Lebensversicherungen nochmals gekündigt und um Auszahlung des Rückkaufwertes auf ein neues Konto bei der D. B. gebeten wurde. Diesem Schreiben lagen nach den von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen der Vorinstanzen die beiden Versicherungsscheine im Original bei. Darauf sandte die Beklagte zwei Schreiben vom an den Kläger, in denen auf die Folgen einer zum wirksam werdenden Kündigung der beiden Verträge hingewiesen wurde. Der Kläger bestreitet den Zugang dieser Schreiben. Die Beklagte erhielt ein weiteres, mit dem Namen des Klägers unterzeichnetes Schreiben vom , in dem auf der Kündigung beider Verträge bestanden wurde; die Überweisung sollte nunmehr auf ein Konto der B. V. erfolgen. In einem ebenfalls mit dem Namen des Klägers unterzeichneten Schreiben vom wurde nochmals um Auszahlung auf das Konto bei der B. V. gebeten mit dem Zusatz, es handle sich um ein Konto der Tochter des Klägers. Tatsächlich war eine Unberechtigte die Kontoinhaberin. Auf dieses Konto wurden die Rückkaufswerte am überwiesen. Das erfuhr der Kläger, der die Versicherungsscheine nicht von dem Versicherungsmakler zurückerhielt, als er sich Anfang des Jahres 2003 bei der Beklagten erkundigte. Der Versicherungsmakler ist wegen Betrugs in anderer Sache zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers wurde zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt er seinen Anspruch weiter.

Gründe

Das Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg.

I.

Nach Ansicht des Berufungsgerichts konnte die Beklagte aufgrund der dem Schreiben vom beigefügten Versicherungsscheine den Kündigenden als berechtigt ansehen. Aus Sicht der Beklagten sei der Versicherungsnehmer und Inhaber der Versicherungsscheine der Verfasser dieses Schreibens gewesen. Ob dies tatsächlich zutreffe, sei rechtlich ohne Bedeutung. Auch wenn es sich bei dem Kündigungsschreiben vom um eine Fälschung handle, sei der Beklagten gegenüber allein der Inhaber der Versicherungsscheine als Verfasser des - unter dem Namen des Klägers abgefassten - Kündigungsschreibens aufgetreten. Dieser Sachverhalt werde von der Inhaberklausel der Lebensversicherungsverträge ebenso erfasst wie der Fall, dass der Inhaber des Versicherungsscheins die Verträge im eigenen Namen kündige. Es gebe keinen Grund, bei der Legitimationswirkung des Versicherungsscheins danach zu differenzieren, in welcher Form der Inhaber des Versicherungsscheins die den Vertrag beendende Erklärung dem Versicherer gegenüber abgebe. Der abweichenden Auffassung des Kammergerichts (vgl. NJW-RR 2007, 1175) sei jedenfalls für den hier vorliegenden Sachverhalt nicht zu folgen.

Im Übrigen sei die Legitimationswirkung nicht etwa deshalb entfallen, weil die Beklagte das Fehlen der Verfügungsberechtigung gekannt oder nur grob fahrlässig nicht erkannt oder sonst die Leistung gegen Treu und Glauben bewirkt habe.

II.

Die dagegen gerichteten Angriffe der Revision greifen im Ergebnis nicht durch.

1.

Mit der dem Versicherer vertraglich eingeräumten Berechtigung an den Inhaber des Versicherungsscheins mit befreiender Wirkung zu leisten, ohne aber diesem gegenüber zur Leistung verpflichtet zu sein, wird der Versicherungsschein zu einem qualifizierten Legitimationspapier i.S. des § 808 BGB. Die Legitimationswirkung des § 808 Abs. 1 Satz 1 BGB erstreckt sich auf die vertraglich versprochenen Leistungen. Eine solche ist bei einer Lebensversicherung aber nicht nur die Leistung der Versicherungssumme im Versicherungsfall, sondern auch die Leistung des Rückkaufswerts nach Kündigung des Vertrages; denn das Recht auf Rückkaufswert ist nur eine andere Erscheinungsform des Rechts auf die Versicherungssumme. Demgemäß erstreckt sich die Legitimationswirkung des Versicherungsscheins als Urkunde i.S. des § 808 BGB auch auf das Kündigungsrecht zur Erlangung des Rückkaufswerts. Der Versicherer kann den Inhaber des Versicherungsscheins deshalb schon nach § 808 BGB - und unabhängig davon, dass sich die Inhaberklausel auch auf Verfügungen über die Rechte aus dem Versicherungsvertrag erstreckt - als zur Kündigung berechtigt ansehen, wenn dieser die Auszahlung des Rückkaufswerts erstrebt (Senatsurteil vom - IV ZR 23/99 - VersR 2000, 709 unter 3 m.w.N.). Damit nimmt die Inhaberklausel dem Versicherer das Risiko der Doppelzahlung und der Uneinbringlichkeit seiner Kondiktion gegen den vermeintlichen Gläubiger ab.

2.

a)

Das Kammergericht hat in dem vom Berufungsgericht zitierten Beschluss unterschieden zwischen dem Kündigungsrecht, auf das sich die Legitimationswirkung des Versicherungsscheins erstrecke, und der Kündigungserklärung. Soweit es um diese Erklärung gehe, werde das auf den vorgelegten Versicherungsschein gestützte Vertrauen des Versicherers nur geschützt, wenn der Kündigende die Kündigung zumindest konkludent als Inhaber des Versicherungsscheins erkläre. Eine solche Auslegung der Kündigungserklärung scheide jedoch aus, wenn mit dem Versicherungsschein eine Kündigung des Versicherungsnehmers selbst, also des Gläubigers der Forderung, vorgelegt werde. Deren Echtheit werde von der durch den gleichzeitig vorgelegten Versicherungsschein bewirkten Legitimation nicht umfasst.

b)

Damit wird der Umfang des Schutzes der hier vereinbarten Inhaberklausel verkannt. Die Auffassung des Kammergerichts würde zu dem widersprüchlichen Ergebnis führen, dass der Versicherer zwar an einen Nichtberechtigten, der im eigenen Namen die Versicherungssumme unter Vorlage des Versicherungsscheins kündigt, befreiend leisten könnte (vgl. OLG Koblenz VersR 2002, 873 ; OLG Köln VersR 1990, 1338 ), nicht aber an einen Nichtberechtigten, der die Kündigung unter dem Namen des Berechtigten erklärt.

aa)

Zwar ist der wahre Versicherungsnehmer als materiell Berechtigter nicht auf die Legitimationswirkung des Versicherungsscheins angewiesen; er muss den Versicherungsschein gleichwohl bei Fälligkeit vorlegen, weil der Versicherer Leistungen aus dem Versicherungsvertrag nur gegen Vorlage des Versicherungsscheins erbringt (vgl. §§ 808 Abs. 2 Satz 1, 371 BGB, § 9 (1) ALB 86, § 10 (1) ALB 94). Hier geht es aber nicht um die Voraussetzungen, unter denen ein Anspruch aus dem Versicherungsvertrag geltend gemacht werden kann, sondern um die Frage, ob der Versicherer durch eine Leistung an den Kündigenden frei wird.

bb)

Wird mit der Kündigung des Versicherungsvertrages ein Versicherungsschein vorgelegt, der den Kündigenden als Versicherungsnehmer ausweist, und ist die Kündigung mit dem Namen des Versicherungsnehmers unterzeichnet, hat der Versicherer grundsätzlich keinen Anlass daran zu zweifeln, dass die Kündigungserklärung vom Versicherungsnehmer selbst herrührt. Andernfalls wäre der Versicherer gerade auch in Fällen, in denen der Versicherungsnehmer selbst unter Vorlage des Versicherungsscheins kündigt, stets gezwungen, sich der Echtheit der Unterschrift des Kündigenden zu vergewissern, um die befreiende Wirkung seiner Leistung abzusichern. Damit aber würde die Legitimationswirkung des Versicherungsscheins, die gerade den Schutz des Schuldners bezweckt und bewirken soll, entscheidend eingeschränkt, letztlich sogar ausgehöhlt. Das Risiko, dass die Leistung in die Hände eines nach dem Versicherungsvertrag materiell Nichtberechtigten gelangt, besteht in solchen Fällen nicht anders als bei Kündigung einer Person, die nicht als Versicherungsnehmer auftritt. Deshalb darf der Versicherer den Inhaber des Versicherungsscheins nicht nur als kündigungsberechtigt ansehen, er darf grundsätzlich auch darauf vertrauen, dass die Kündigung auch von diesem selbst erklärt worden ist (vgl. OLG Bremen VersR 2008, 1056). Darin liegt auch keine Überdehnung des Schuldnerschutzes. Denn zur Leistung an den materiell Nichtberechtigten kann es - selbst wenn dieser die Unterschrift unter die Kündigungserklärung unter Verwendung des Namens des Versicherungsnehmers gefälscht hat - nur dann kommen, wenn sich der Versicherungsnehmer selbst der Kontrolle über den Versicherungsschein - ob freiwillig oder unfreiwillig - begeben hat (vgl. dazu Senatsurteil vom aaO unter 2 c) und dieser in die Hand des Dritten gelangt ist.

Auf der anderen Seite ist in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs anerkannt, dass die Legitimationswirkung des Versicherungsscheins ausnahmsweise dann nicht eingreift, wenn der Schuldner die mangelnde Verfügungsberechtigung positiv kennt oder sonst gegen Treu und Glauben die Leistung bewirkt hat; ob die befreiende Wirkung auch dann entfällt, wenn der Aussteller des Legitimationspapiers grob fahrlässig keine Kenntnis von der Nichtberechtigung des Inhabers hatte, ist bisher offen geblieben (BGHZ 28, 368, 371 ; - VersR 1999, 700 unter 2 a und b; vom aaO unter II 2 c).

Diese Einschränkungen schützen den wahren Gläubiger des Anspruchs auf die Versicherungsleistung; das gilt auch in Fällen, in denen es um die Identität des die Kündigung Erklärenden geht.

c)

Das Berufungsgericht hat auch diese Einschränkung der Legitimationswirkung nicht verkannt; es hat indessen keinen Ausnahmefall feststellen können, und zwar auch nicht unter dem Gesichtspunkt grober Fahrlässigkeit des Versicherers. Die tatrichterliche Würdigung lässt keinen Rechtsfehler erkennen. Mithin ist die Klage mit Recht abgewiesen worden.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


Fundstelle(n):
DB 2009 S. 1704 Nr. 32
NJW-RR 2009 S. 1327 Nr. 19
WM 2009 S. 1458 Nr. 31
VAAAD-24781

1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja