BAG Urteil v. - 2 AZR 47/08

Leitsatz

[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: KSchG § 1; KSchG § 2; KSchG § 15

Instanzenzug: LAG Hamburg, 7 Sa 58/06 vom ArbG Hamburg, 3 Ca 12/06 vom

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer von der Beklagten gegenüber der Klägerin ausgesprochenen Änderungskündigung und in diesem Zusammenhang über die Reichweite des Sonderkündigungsschutzes nach § 15 KSchG.

Die Beklagte ist Trägerin von Wohneinrichtungen für erwachsene Menschen mit geistigen und mehrfachen Behinderungen. In H unterhält sie derzeit insgesamt neun Wohneinrichtungen sowie eine Tagesförderstätte; in den Einrichtungen sind ca. 120 Arbeitnehmer, und zwar Diplom-Sozialpädagogen, ausgebildete Erzieher und Mitarbeiter im Betreuungsdienst tätig. Mitarbeiter im Betreuungsdienst (MiB) haben keine oder keine fachspezifische Ausbildung.

Die 1956 geborene Klägerin war seit 1996 bei der Beklagten in der Wohneinrichtung A als MiB mit 82 vH der tariflichen Arbeitszeit tätig. Das Bruttomonatseinkommen betrug bis zum Ablauf der Kündigungsfrist 1.835,52 Euro.

Am wurde die Klägerin durch einen Beschluss des Betriebsrats zum Mitglied des Wahlvorstands bestellt. Ferner war sie auf einer am im Betrieb bekanntgemachten Vorschlagsliste als Wahlbewerberin aufgeführt und wurde bei den nachfolgenden Wahlen in den Betriebsrat gewählt.

Am beschlossen die Gesellschafter der Beklagten, die Wohneinrichtung A auf Dauer zu schließen. Allen von der Schließung der Einrichtung betroffenen Mitarbeitern, die in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis standen, ermöglichte die Beklagte eine Weiterbeschäftigung zu unveränderten Bedingungen in einer anderen Einrichtung. Lediglich zwei Mitarbeitern, nämlich der Klägerin und Herrn S, ebenfalls Wahlbewerber und MiB, bot sie eine Weiterbeschäftigung zu einem reduzierten Stellenanteil in anderen Wohneinrichtungen an. Beide Mitarbeiter waren mit einer einvernehmlichen Reduzierung ihres Stellenanteils nicht einverstanden.

Nach Anhörung des Betriebsrats kündigte die Beklagte der Klägerin mit Schreiben vom zum und bot ihr an, das Arbeitsverhältnis ab mit einem Anteil von 46 vH der vollen Arbeitszeit und einer Vergütung von 1.081,25 Euro brutto monatlich in einer anderen Einrichtung fortzusetzen.

Die Klägerin hat das Änderungsangebot unter Vorbehalt angenommen und die Unwirksamkeit der Kündigung geltend gemacht. Bei der Einrichtung A handele es sich nicht um eine Betriebsabteilung iSd. § 15 Abs. 5 KSchG, sondern um einen Betriebsteil. Selbst wenn man dies anders sehe, verstoße die Änderungskündigung der Beklagten vom gegen § 15 Abs. 3 und 5 KSchG und sei deshalb unwirksam. Die Klägerin behauptet, sie habe in einer anderen Betriebsabteilung mit gleich hohem Stellenanteil weiterbeschäftigt werden können. Unter anderem sei bei Zugang der Kündigung ein MiB Al befristet beschäftigt worden, den die Beklagte - wie unstreitig - ab Mitte 2006 durch die Fachkraft M ersetzt habe. Außerdem seien - ebenfalls unstreitig - drei MiB, Frau An (60 vH-Stelle, Eintritt 2000), Frau Ha (80 vH-Stelle, Eintritt 2002) und Frau N (50 vH-Stelle, Eintritt 2002) in anderen Einrichtungen beschäftigt. Im Übrigen hat die Klägerin die Sozialauswahl gerügt.

Die Klägerin hat beantragt

festzustellen, dass die Änderung der Arbeitsbedingungen durch die Änderungskündigung vom sozial ungerechtfertigt und unwirksam ist.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie hat vorgetragen, bei der Einrichtung A habe es sich um eine Betriebsabteilung gehandelt, nicht um einen Betriebsteil. Sie sei nicht verpflichtet, einen Arbeitsplatz für die Klägerin freizukündigen, da die Pflicht zur Freikündigung nicht für Ersatzmitglieder, Wahlbewerber oder Wahlvorstandsmitglieder gelte. Außerdem habe eine Übernahme der Klägerin in eine andere Betriebsabteilung aus rechtlichen Gründen nicht im Wege des Direktionsrechts vorgenommen werden können. Da die Klägerin sich mit einer Umsetzung nicht einverstanden erklärt habe, sei die Beklagte grundsätzlich zur Beendigungskündigung berechtigt gewesen. Dass in solchen Fällen noch eine Freikündigungspflicht in Betracht komme, habe das Bundesarbeitsgericht bisher nicht entschieden. Abgesehen davon bestünden keine anderen als die angebotenen Übernahmemöglichkeiten. Hinzu komme, dass freiwerdende MiB-Arbeitsplätze grundsätzlich durch Fachkräfte wieder besetzt würden. Die drei von der Klägerin benannten Mitarbeiterinnen verfügten über Sonderwissen.

Das Arbeitsgericht hat nach dem Klageantrag erkannt. Das Landesarbeitsgericht hat über die Frage, ob es sich bei der Einrichtung A um eine Betriebsabteilung handele, Beweis erhoben und alsdann die Klage abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision erstrebt die Klägerin die Wiederherstellung des arbeitsgerichtlichen Urteils.

Gründe

Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Wiederherstellung des arbeitsgerichtlichen Urteils. Die Klage ist begründet.

A. Das Landesarbeitsgericht hat ausgeführt, die Kündigung verstoße nicht gegen den besonderen Kündigungsschutz nach § 15 Abs. 3 und 5 KSchG. Die Schließung der Wohneinrichtung stelle, wie die Beweisaufnahme zur Überzeugung der Kammer ergeben habe, zwar nicht die Stilllegung eines Betriebsteils, sondern einer Betriebsabteilung iSd. § 15 Abs. 5 KSchG dar. Eine Übernahme der Klägerin sei aber nicht möglich gewesen. Ein freier Arbeitsplatz mit dem Stellenanteil der Klägerin (82 vH) habe bei Kündigung nicht bestanden. Zwar müsse der Arbeitgeber unter Umständen auch besetzte Stellen im Rahmen des § 15 Abs. 5 KSchG freikündigen. Das gelte auch für Wahlbewerber. Hier sei der Beklagten eine Freikündigung aber im Rahmen der vorzunehmenden Interessenabwägung nicht zumutbar gewesen. Die Änderungskündigung sei auch nicht sozial ungerechtfertigt iSd. §§ 2, 1 KSchG.

B. Dem stimmt der Senat nur in Teilen der Begründung zu.

I. Die Kündigung ist nach § 15 Abs. 3 Satz 1 KSchG unzulässig. Die Klägerin gehört zu dem geschützten Personenkreis. Eine Ausnahme nach § 15 Abs. 5 Satz 2, § 15 Abs. 4 KSchG bestand nicht. Zwar ist die Betriebsabteilung, in der die Klägerin tätig war, stillgelegt worden. Jedoch war eine Übernahme der Klägerin in eine andere Abteilung zu gleichwertigen Bedingungen möglich.

1. Die Kündigung ist nach § 15 Abs. 3 KSchG unzulässig.

a) § 15 Abs. 3 Satz 1 KSchG gilt auch für betriebsbedingte Änderungskündigungen (vgl. Senat - 2 AZR 83/05 - BAGE 117, 178; - 2 AZR 81/04 - BAGE 112, 148).

b) Die Klägerin unterfiel dem persönlichen Geltungsbereich des § 15 Abs. 3 Satz 1 KSchG. Sie gehörte zur Zeit der Kündigung dem Wahlvorstand an und war außerdem Wahlbewerberin.

2. Die Voraussetzungen der § 15 Abs. 5 Satz 2, § 15 Abs. 4 KSchG, unter denen ausnahmsweise eine Kündigung ausgesprochen werden kann, liegen nicht vor. Die Beklagte durfte zwar eine Änderungskündigung aussprechen, um ihrer Pflicht zur Übernahme der Klägerin nachzukommen. Sie hätte der Klägerin dabei aber eine gleichwertige Beschäftigungsmöglichkeit anbieten können und müssen.

a) Zwar war die Klägerin in einer Betriebsabteilung iSd. § 15 Abs. 5 Satz 2 KSchG beschäftigt. Die vom Landesarbeitsgericht hierzu getroffenen tatsächlichen Feststellungen und rechtlichen Würdigungen sind nicht zu beanstanden.

aa) Als Betriebsabteilung versteht der Senat in Übereinstimmung mit dem Schrifttum einen organisatorisch abgegrenzten Teil des Betriebs, der eine personelle Einheit erfordert, dem eigene technische Betriebsmittel zur Verfügung stehen und der einen eigenen Betriebszweck verfolgt, wobei ein bloßer Hilfszweck ausreicht (Senat - 2 AZR 83/05 - BAGE 117, 178). Von diesem rechtlichen Ansatz ist auch das Landesarbeitsgericht ausgegangen. Die Revision erhebt insoweit keine Rügen.

bb) Auch die von der Revision beanstandete Beweiswürdigung enthält keinen revisiblen Rechtsfehler. Die Revision meint zu Unrecht, das Landesarbeitsgericht habe sich unter Verstoß gegen § 286 ZPO anhand der Aussage der Zeugin V davon überzeugt, dass in der Einrichtung A ein eigener Betriebszweck verfolgt wurde. Die Betriebszwecke der verschiedenen Wohneinrichtungen lagen nach den Zeugenaussagen in den je besonderen Formen der Betreuung für die jeweiligen Behinderungsformen. Aus den unterschiedlichen Bedürfnissen der Behinderten ergaben sich unterschiedliche Betreuungskonzepte, seien diese nun niedergeschrieben gewesen oder nicht. Für die schwerstbehinderten Menschen in der Wohneinrichtung A, die von der Zeugin als teilweise "sprachfrei" und kaum zu Eigeninitiative fähig geschildert wurden, gestalteten die Mitarbeiter den gesamten lebenspraktischen Ablauf und wurden so zum Mittelpunkt des Lebens der Patienten. Dass sich hieraus und ange- sichts dessen, dass es sich um Langzeitbewohner handelte und auch das Pflegepersonal nicht zwischen den Einrichtungen ausgetauscht wurde, eine sehr auf die Einrichtung zugeschnittene Arbeitsroutine zu einem ungeschriebenen Konzept verfestigte und der Einrichtung die für eine Betriebsabteilung nötige Selbständigkeit gab, ist ohne weiteres nachvollziehbar.

b) Die Betriebsabteilung, in der die Klägerin beschäftigt war, ist unstreitig - zum - stillgelegt worden.

c) Die Übernahme der Klägerin war nicht, wie § 15 Abs. 5 Satz 2 KSchG voraussetzt, aus betrieblichen Gründen unmöglich. Die Beklagte hätte die Klägerin in einer anderen Betriebsabteilung zu gleichwertigen Bedingungen weiter beschäftigen können.

aa) Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht - entgegen der von der Beklagten vertretenen Auffassung - § 15 Abs. 3, Abs. 4, Abs. 5 KSchG dahingehend verstanden, dass die Übernahmepflicht ohne Einschränkung auch für Wahlbewerber gilt. Dafür spricht, dass dem Gesetz keinerlei Unterschiede in der Intensität des Kündigungsschutzes für die einzelnen Gruppen zu entnehmen sind. § 15 Abs. 5 Satz 1 KSchG ordnet die Übernahme für alle in den Absätzen 1 bis 3 genannten Personen an. Auch die in § 15 Abs. 3a KSchG aufgeführten Personen sind einbezogen (Senat - 2 AZR 96/04 - AP KSchG 1969 § 15 Nr. 57 = EzA KSchG § 15 nF Nr. 58). Lediglich die Dauer, für die der Schutz besteht, ist je nach dem Grund des Schutzes unterschiedlich lang. Das spricht dafür, dass der Gesetzgeber den Unterschieden der Schutzbedürftigkeit durch Unterschiede in der Dauer des Schutzes Rechnung tragen wollte. Hinzu kommt, wie das Landesarbeitsgericht zu Recht ausgeführt hat, dass gerade Wahlbewerber als Betriebsratsmitglieder in spe des Schutzes bedürfen, weil sie ansonsten entweder - im Fall der Beendigungskündigung - schon vor ihrer Wahl aus dem Betrieb gedrängt werden könnten oder ihnen - im Fall der verschlechternden Änderungskündigung - die Amtsausübung durch ein niedriges Arbeitsentgelt "sauer gemacht" werden könnte. Gegen solche Beeinträchtigungen will das Gesetz Schutz gewähren und zwar unabhängig davon, ob sie vom Arbeitgeber absichtsvoll herbeigeführt werden oder ob das nicht so ist.

bb) Die somit auch für Wahlbewerber geltende Verpflichtung nach § 15 Abs. 5 Satz 1 KSchG verlangt vom Arbeitgeber, dass er mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln für die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers zu möglichst gleichwertigen Bedingungen sorgt (Senat - 2 AZR 83/05 - BAGE 117, 178; - 2 ABR 2/04 - zu B II 4 d aa der Gründe, AP KSchG 1969 § 15 Nr. 58 = EzA KSchG § 15 nF Nr. 59; vgl. auch KR/Etzel 8. Aufl. § 15 KSchG Rn. 126; HaKo/Fiebig 3. Aufl. § 15 Rn. 126; - LAGE KSchG § 15 Nr. 16). Der Arbeitgeber muss dem Mandatsträger grundsätzlich eine möglichst gleichwertige Stellung anbieten. Die angebotene Beschäftigung muss nach der Rechtsprechung des Senats entweder im Rahmen des Direktionsrechts liegen oder einvernehmlich vorgenommen werden ( - 2 AZR 437/98 - AP KSchG 1969 § 15 Nr. 44 = EzA KSchG § 15 nF Nr. 48). Ist - wie hier - die Ausübung des Direktionsrechts zur Übernahme auf einen anderen Arbeitsplatz nicht ausreichend und ist es - wiederum wie im Streitfall - auch nicht zu einer einvernehmlichen Regelung gekommen, so muss der Arbeitgeber die nach den Maßstäben des § 15 Abs. 5 Satz 1 KSchG mögliche Weiterbeschäftigung in einer anderen Betriebsabteilung im Rahmen einer Änderungskündigung anbieten (Senat - 2 AZR 437/98 - aaO.).

(1) Der gleichwertige Arbeitsplatz in einer anderen Abteilung muss - anders als im Fall des § 1 Abs. 2 Satz 2 KSchG - nicht frei sein. Ist ein gleichwertiger Arbeitsplatz in einer anderen Abteilung vorhanden und mit einem nicht durch § 15 KSchG geschützten Arbeitnehmer besetzt, muss der Arbeitgeber versuchen, den Arbeitsplatz durch Umverteilung der Arbeit, Ausübung seines Direktionsrechts oder ggf. auch durch den Ausspruch einer Kündigung für den Mandatsträger freizumachen (Senat - 2 AZR 83/05 - BAGE 117, 178; - 2 ABR 2/04 - zu B II 4 d aa der Gründe, AP KSchG 1969 § 15 Nr. 58 = EzA KSchG § 15 nF Nr. 59; - 2 AZR 494/99 - BAGE 96, 78; - 2 AZR 391/01 - BAGE 101, 328; - BAGE 37, 128; HaKo/Fiebig 3. Aufl. § 15 Rn. 125; v. Hoyningen-Huene/Linck KSchG 14. Aufl. § 15 Rn. 177; APS/Linck 3. Aufl. § 15 KSchG Rn. 185; KR/Etzel 8. Aufl. § 15 KSchG Rn. 126; ErfK/Kiel 9. Aufl. § 15 KSchG Rn. 47; aA BBDK/Dörner Stand Dezember 2008 § 15 KSchG Rn. 99 f.).

(2) Die innerbetriebliche Weiterbeschäftigungspflicht des Arbeitgebers entfällt nach § 15 Abs. 5 Satz 2 KSchG nur ausnahmsweise, wenn dem Arbeitgeber die Übernahme in eine andere Betriebsabteilung "aus betrieblichen Gründen" nicht möglich ist. Aus betrieblichen Gründen ist eine Weiterbeschäftigung dann nicht möglich, wenn der Mandatsträger auf dem anderen innerbetrieblichen Arbeitsplatz nicht in wirtschaftlich vertretbarer Weise eingesetzt werden kann ( - BAGE 37, 128). Sowohl aus dem Wortlaut des § 15 Abs. 5 Satz 2 KSchG als auch dem Sinn und Zweck der Norm des § 15 KSchG folgt, dass dem Mandatsträger gegenüber anderen Arbeitnehmern grundsätzlich ein Vorrang für eine Weiterbeschäftigung eingeräumt werden soll (HK/KSchG/Dorndorf 4. Aufl. § 15 Rn. 156; HaKo/Fiebig 3. Aufl. § 15 Rn. 125: Löwisch/Spinner Kommentar zum KSchG 9. Aufl. § 15 Rn. 71; Kittner/Däubler/Zwanziger/Kittner/Deinert KSchR 7. Aufl. § 15 KSchG Rn. 77a; einschränkend: v. Hoyningen-Huene/Linck KSchG 14. Aufl. § 15 Rn. 183). Das Kollegialorgan Betriebsrat soll nach Möglichkeit vor Auszehrung und auch in seiner personellen Kontinuität geschützt werden. Die Regelung des § 15 KSchG zeigt, dass der Gesetzgeber diesem Bestands- und Funktionsinteresse des Kollegialorgans eine hohe Bedeutung und Priorität eingeräumt hat.

(3) Indes hat der Senat bisher offen gelassen, ob dem Mandatsträger stets der Vorrang gebührt oder ob insoweit eine Abwägung notwendig sein kann (vgl. Senat - 2 AZR 207/05 - AP BAT § 55 Nr. 5 = EzA KSchG § 2 Nr. 60; - 2 AZR 494/99 - BAGE 96, 78). In der Literatur und Rechtsprechung der Instanzgerichte wird eine Abwägung überwiegend befürwortet (eingehend: -; ferner: v. Hoyningen-Huene/Linck KSchG 14. Aufl. § 15 Rn. 183; KR/Etzel 8. Aufl. § 15 KSchG Rn. 126; Stahlhacke/Stahlhacke 9. Aufl. Rn. 1634; APS/Kiel 3. Aufl. § 15 KSchG Rn. 185; aA Kittner/Däubler/Zwanziger/Kittner/Deinert KSchR 7. Aufl. § 15 KSchG Rn. 77a; für eine Abwägung ohne Einbeziehung des Interesses am Schutz des Betriebsrats: Thüsing/Laux/Lembke, Thüsing KSchG § 15 Rn. 124 - zT mit weiteren Nachweisen; jegliche Freikündigungspflicht verneinend Schleusener DB 1998, 2368; dazu ablehnend: Senat - 2 AZR 494/99 - BAGE 96, 78). Die Frage kann auch im vorliegenden Fall offenbleiben.

cc) Aus dem Vorbringen der Parteien ergibt sich, dass der Beklagten eine Übernahme der Klägerin auch nach Abwägung der Interessen der betroffenen Arbeitnehmer und der betrieblichen Interessen möglich gewesen wäre.

(1) Es mag dahinstehen, ob es der Beklagten tatsächlich freistand, die von Herrn Al und später von Herrn M besetzte Stelle nicht zugunsten der Klägerin zu berücksichtigen. Das Landesarbeitsgericht meint, die Beklagte habe in freier unternehmerischer Entscheidung über das Anforderungsprofil für diese Stelle wirksam verfügt, indem sie eine Fachausbildung zur Voraussetzung gemacht habe. Zweifel daran mögen schon deshalb bestehen, weil die Beklagte diese Stelle Ende 2005/Anfang 2006 gerade nicht mit einer Fachkraft, sondern, wenn auch nur befristet, mit einem MiB besetzt hat. Das von der Beklagten dargestellte unternehmerische Konzept scheint also für Ausnahmen durchaus offen gewesen zu sein. Auch ist nicht recht ersichtlich, seit wann die Beklagte das von ihr in Anspruch genommene Konzept mit Nachdruck verfolgt; immerhin hat sie noch drei Jahre vor der Stilllegungsentscheidung MiB neu eingestellt.

(2) Ebenfalls offenbleiben kann die Frage, ob die Beklagte der Klägerin nicht auch hätte Beschäftigungsanteile von Fachkräften anbieten können. Abgesehen von den bereits erwähnten Zweifeln an der stringenten Durchführung des Qualifikationskonzeptes der Beklagten ist zwischen den Parteien nicht streitig, dass jedenfalls bis zu einem gewissen Maße Überschneidungen bei den Anforderungsprofilen zwischen MiB und Fachkräften bestehen und uU eine Umorganisation hätte geprüft werden können.

(3) Jedenfalls aber hätte die Beklagte die bisher von Frau Ha ausgeübte Beschäftigung der Klägerin anbieten müssen. Die Beschäftigung wäre gleichwertig gewesen. Frau Ha ist MiB wie die Klägerin. Sie war zwar mit einem um zwei vH geringeren Stellenanteil (80 vH statt, wie die Klägerin 82 vH) tätig. Dieser Unterschied fällt aber nicht ins Gewicht. Frau Ha ist, was die Sozialdaten betrifft, deutlich weniger schutzbedürftig. Sie hat zwar ein Kind, ist aber erheblich jünger (um 19 Jahre) als die Klägerin und auch deutlich um sechs Jahre kürzer beschäftigt. Die Beklagte trägt vor, Frau Ha habe Sonderwissen in Gestalt einer Berufsfachschulausbildung zur sozialpädagogischen Assistentin. Dass dieses Sonderwissen für die Beklagte von so überragender Bedeutung wäre, dass ein Verzicht darauf aus betrieblichen Gründen unmöglich oder nahezu unmöglich wäre, macht die Beklagte aber nicht geltend. Dass Frau Ha in einer anderen Betriebsabteilung tätig ist, ist unerheblich. Denn § 15 Abs. 5 Satz 1 KSchG ordnet gerade eine Übernahme in andere Betriebsabteilungen an. Dass irgendwelche Hindernisse bestünden, die eine Übernahme in die Betriebsabteilung von Frau Ha betrieblich unmöglich oder nur schwierig gemacht hätten, ist nicht ersichtlich. Zwar wurden nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts in den einzelnen Abteilungen unterschiedliche Konzepte verfolgt. Inwiefern jedoch eine Einarbeitung der Klägerin mit angemessenem zeitlichem Aufwand nicht möglich gewesen wäre, erschließt sich weder aus dem unstreitigen Sachverhalt noch aus dem streitigen Vorbringen der Beklagten.

(4) Schließlich kann die Beklagte auch nicht mit Erfolg einwenden, der Sonderkündigungsschutz eines Mitglieds des Wahlvorstands sei so gering, dass selbst eine nicht besonders geschützte Arbeitnehmerin mit geringerem Sozialschutz gegenüber einem nach § 15 KSchG geschützten Arbeitnehmer den Vorrang verdiente. Selbst wenn Abstufungen zwischen dem Sonderkündigungsschutz verschiedener Mandatsträger denkbar sind (Senat - 2 AZR 83/05 - BAGE 117, 178), ferner auch Fälle, in denen der Sonderkündigungsschutz eines Mandatsträgers hinter den Belangen eines nicht geschützten Arbeitnehmers zurücktreten muss, so müssen doch jedenfalls besondere Konstellationen vorliegen, die hier nicht gegeben sind. So mag etwa ein Mandatsträger, dessen Schutz mit Gewissheit alsbald ausläuft, einen sozial deutlich schutzwürdigeren ordentlich kündbaren Arbeitnehmer nicht verdrängen können. Von der Klägerin war aber bei Kündigung ungewiss, ob und wann ihr Sonderkündigungsschutz, der bis heute besteht, auslaufen würde. Im Übrigen hätte die Beklagte den Eingriff in das Beschäftigungsinteresse der Mitarbeiterin Ha in eben den Grenzen halten können, die sie selbst gegenüber der Klägerin für zumutbar erachtet: Hätte sie nämlich der Klägerin die Beschäftigungsanteile von Frau Ha angeboten, so wäre es umgekehrt möglich geworden, Frau Ha die der Klägerin angebotenen Beschäftigungsanteile zukommen zu lassen.

(5) Einer Zurückverweisung an das Landesarbeitsgericht bedurfte es nicht. Die Voraussetzungen des § 563 Abs. 3 ZPO liegen vor. Nach dem Sachverhältnis ist die Sache zur Endentscheidung reif. Die erheblichen Tatsachen sind zu weiten Teilen unstreitig. Weiterer Tatsachenvortrag ist nicht zu erwarten. Die Beklagte hat - wie ihr Vorbringen in zweiter Instanz zeigt - erkannt, dass ihr eine Beschäftigungsmöglichkeit auf der Stelle der Frau Ha entgegengehalten wurde. Sie hat das ihr erforderlich Scheinende hierzu vorgetragen.

II. War somit die Kündigung nach § 15 Abs. 3 Satz 1 KSchG unzulässig, so kommt es auf die weiteren vom Berufungsgericht erörterten Fragen nicht an.

C. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte (§ 91 Abs. 1 ZPO).

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


Fundstelle(n):
BB 2009 S. 1637 Nr. 31
DB 2009 S. 1712 Nr. 32
NAAAD-24723

1Für die amtliche Sammlung: nein; Für die Fachpresse: nein