Auslegung von Willenserklärungen; Überprüfung der Auslegung des FG durch den BFH
Gesetze: BGB § 133, FGO § 116 Abs. 6, FGO § 118 Abs. 2
Instanzenzug: FG des Landes Sachsen-Anhalt Urteil vom 2 K 358/07
Gründe
I. Mit Bescheid vom ordnete der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) gegenüber der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) unter der ausschließlich dieser erteilten Steuernummer 100/02 eine Außenprüfung für die Umsatz- und Gewerbesteuer im Zeitraum 2002 bis 2004 an. Am gleichen Tag erließ das FA unter der Steuernummer 100/03 eine an die Klägerin und ihren Ehemann adressierte Prüfungsanordnung wegen Einkommen-, Umsatz- und Gewerbesteuer ebenfalls für den Zeitraum 2002 bis 2004. Diese Steuernummer bezieht sich auf die Umsatz- und Gewerbesteuer des Ehemannes der Klägerin sowie auf die Einkommensteuer der Ehegatten.
Am legte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin Einspruch gegen eine Prüfungsanordnung ein. Im Adressfeld ist ausschließlich die der Klägerin erteilte Steuernummer 100/02 genannt. Im Betreff wird die „Prüfungsanordnung für 2002 bis 2004 über Einkommensteuer, Umsatzsteuer, Gewerbesteuer vom ” angeführt. Als Mandant werden „Herr AB und Frau CB” benannt. Das Einspruchsschreiben hat folgenden Inhalt: „... namens und im Auftrag unseres o.g. Mandanten erheben wir form- und fristgerecht gegen die o.g. Prüfungsanordnung zur Einkommensteuer, Umsatzsteuer und Gewerbesteuer für 2002 bis 2004 in allen ihren Bestandteilen Einspruch. Der Einspruch richtet sich gegen die Durchführung der Prüfung für 2002 bis 2004. Unser Mandant ist ein Kleinunternehmer im Sinne der Betriebsprüfungsordnung. Bitte begründen Sie uns ausführlich, warum bereits wiederholt innerhalb eines kurzen Zeitraums eine erneute Betriebsprüfung bei unseren Mandanten angeordnet wurde zumal die vorangegangene Prüfung zu keinen wesentlichen Steuernachzahlungen führte ...”.
Ausweislich eines in der Betriebsprüfungsakte enthaltenen Telefonvermerks vom teilte das FA dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin mit, aus dem Einspruchsschreiben vom gehe nicht eindeutig hervor, ob sich der Einspruch auch gegen die an die Klägerin gerichtete Prüfungsanordnung richte. Diese Anfrage beantwortete der Sachbearbeiter des Prozessbevollmächtigten dahingehend, dass gegen alle Prüfungsanordnungen Einspruch eingelegt worden sei, wobei er jedoch anzweifelte, die an die Klägerin gerichtete Prüfungsanordnung erhalten zu haben. Mit Schreiben vom erweiterte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin seine Einspruchsbegründung dahingehend, es seien keine Anhaltspunkte erkennbar, die eine Prüfung bereits nach dem zweiten Wirtschaftsjahr nach Eröffnung des Unternehmens als notwendig erscheinen ließen.
Das FA wies mit Bescheid vom den Einspruch gegen die an die Klägerin gerichtete Prüfungsanordnung als unbegründet zurück.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage mit Prozessurteil ab. Die Prüfungsanordnung sei mangels fristgerechter Einspruchseinlegung in Bestandskraft erwachsen. Im Schriftsatz vom habe die Klägerin keinen Einspruch gegen die unter der Steuernummer 100/02 erlassene Prüfungsanordnung eingelegt.
Mit der Nichtzulassungsbeschwerde macht die Klägerin geltend, die Abweisung der Klage als unzulässig beruhe auf einem Verfahrensfehler des FG.
II. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung gemäß § 116 Abs. 6 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Das FG hat die Klage verfahrensfehlerhaft als unzulässig abgewiesen.
1. Nach ständiger Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes stellt es einen Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO dar, wenn über eine an sich zulässige Klage nicht zur Sache, sondern durch Prozessurteil entschieden wird (vgl. z.B. , BFHE 201, 425, BStBl II 2003, 609, m.w.N.).
2. Das FG hat verfahrensfehlerhaft den Schriftsatz vom nicht als Einspruch gegen die an die Klägerin gerichtete Prüfungsanordnung gewertet.
a) Prozessuale und auch außerprozessuale Rechtsbehelfe sind nach ständiger Rechtsprechung des BFH in entsprechender Anwendung des § 133 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auszulegen, wenn eine eindeutige und zweifelsfreie Erklärung fehlt (vgl. z.B. , BFH/NV 1999, 596, unter I.3. der Gründe). Dies gilt grundsätzlich auch für Erklärungen rechtskundiger Personen (, BFH/NV 1998, 6). Dabei ist im Zweifel davon auszugehen, dass der Steuerpflichtige denjenigen Rechtsbehelf hat einlegen wollen, der seinem materiell-rechtlichen Begehren am ehesten zum Erfolg verhilft (vgl. z.B. , BFHE 147, 403, BStBl II 1987, 5, unter 1., 2. Abs. der Gründe).
b) Die Auslegung von Willenserklärungen gehört zwar grundsätzlich zu der dem FG obliegenden Feststellung der Tatsachen (Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 118 FGO Rz 136, 125). Der BFH ist als Revisionsinstanz aber nicht daran gehindert, die Auslegung des FG daraufhin zu überprüfen, ob die gesetzlichen Auslegungsregeln, die Denkgesetze und die Erfahrungssätze zutreffend angewendet worden sind (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. vom VI R 13/01, BFHE 200, 363, BStBl II 2003, 156, m.w.N.).
c) Im Streitfall war die Vorentscheidung danach aufzuheben, weil die Auslegung des Schriftsatzes vom , dass sich der entsprechende Einspruch nicht gegen die an die Klägerin unter der Steuernummer 100/02 gerichtete Prüfungsanordnung bezogen hat, nicht haltbar ist. Das Einspruchsschreiben vom gibt als Betreff die Prüfungsanordnung für 2002 bis 2004 vom an. Diese Daten stimmen mit den Angaben in der an die Klägerin gerichteten Prüfungsanordnung überein, die im Einspruchsschreiben auch als Mandantin genannt wird. Nach der an die Klägerin gerichteten Prüfungsanordnung sollte auch die Umsatz- und Gewerbesteuer der Jahre 2002 bis 2004 geprüft werden. Lediglich die im Einspruchsschreiben angeführte Begründung trifft nach den Feststellungen des FG nicht auf den Gewerbebetrieb der Klägerin, sondern auf das Unternehmen des Ehemannes der Klägerin zu. Angesichts der Tatsache, dass im Adressfeld des Einspruchsschreibens jedoch die ausschließlich der Klägerin erteilte Steuernummer genannt wird, kommt diesem Umstand keine entscheidende Bedeutung zu. Das FA konnte und musste als Erklärungsempfänger nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung aller ihm bekannten Umstände davon ausgehen, dass mit Schreiben vom auch die an die Klägerin gerichtete Prüfungsanordnung angefochten werden sollte. Im Übrigen hat das FA das Schreiben vom —wenn auch nach telefonischer Rücksprache mit dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin— als Einspruch gegen die an die Klägerin gerichtete Prüfungsanordnung gewertet.
3. Die Aufhebung des FG-Urteils und die Zurückverweisung des Rechtsstreits an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung beruht auf § 116 Abs. 6 FGO; die Sache ist nicht entscheidungsreif.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
ZAAAD-24463