BFH Urteil v. - IX R 3/07

Vorab entstandene Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung; vorbehaltenes Nießbrauchsrecht schließt die Nutzung einer Wohnung durch den Eigentümer nicht grundsätzlich aus

Leitsatz

Der Eigentümer eines nießbrauchsbelasteten Mehrfamilienhauses kann die von ihm getragenen Renovierungskosten als vorab entstandene Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung geltend machen, wenn er die Aufwendungen im eigenen Interesse als zukünftiger Nutzer des Hauses gemacht hat und der auf dem Haus lastende Nießbrauch zeitnah aufgehoben werden soll.

Gesetze: EStG § 9 Abs. 1 Satz 1, EStG § 10e, EStG § 21

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),

Gründe

I. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Ehegatten, die im Streitjahr (1994) zur Einkommensteuer zusammen veranlagt wurden. Mit notariell beurkundetem Schenkungsvertrag vom erwarb der Kläger von seinen Eltern ein mit einem Mehrfamilienhaus bebautes Grundstück; die Kläger bewohnten dort seit 1978 eine Dachgeschosswohnung, die anderen Wohnungen waren fremdvermietet. In Ziff. 2 des Schenkungsvertrages behielten sich die Eltern des Klägers an dem Grundstück den „Nießbrauch auf Lebenszeit” vor. Für die Ausgestaltung des Nießbrauchs wurde zwischen den Beteiligten die Geltung der gesetzlichen Bestimmungen mit der Maßgabe vereinbart, dass der Nießbraucher im Verhältnis zum Eigentümer verpflichtet sei, alle außerordentlichen Aufwendungen für das Grundstück, insbesondere für Instandhaltung, Instandsetzung, Verbesserung, Umgestaltung oder Erneuerung ersatzlos zu tragen. Die Entscheidung, ob und wann solche Maßnahmen durchgeführt werden sollten, oblag dem Nießbraucher. Nach Ziff. 4 des Schenkungsvertrages sollte die Übergabe des „tatsächlichen Besitzes” am Grundstück an dem Tag erfolgen, an dem der vorbehaltene Nießbrauch vollständig erlischt. Am Tag der Besitzübergabe sollten Nutzen, Lasten, Gefahrtragung und gesetzliche Haftpflicht auf den Kläger übergehen. Im Zuge der weiteren Vereinbarungen des Schenkungsvertrages verpflichtete sich der Kläger gegenüber seinen Eltern, über das Grundstück nicht ohne deren ausdrückliche schriftliche Zustimmung durch Belastung oder Veräußerung zu verfügen.

Im Jahr 1994 bauten die Kläger die von ihnen bewohnte Dachgeschosswohnung aus; die Grundfläche der Wohnung wurde hierbei um 40 qm erweitert. Die Kosten für den Ausbau der Dachgeschosswohnung beliefen sich auf 344 236 DM. Gleichzeitig ließen die Kläger eine umfassende Renovierung des gesamten Gebäudes durchführen; die Kosten hierfür betrugen im Streitjahr insgesamt 104 383 DM. Am ist der nießbrauchsberechtigte Vater des Klägers, am die nießbrauchsberechtigte Mutter des Klägers verstorben.

In ihrer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr machte der Kläger für die Dachgeschosswohnung die Steuerbegünstigung nach § 10e Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in der im Streitjahr geltenden Fassung in Höhe von 19 800 DM geltend. Hinsichtlich der für die Renovierung des Mehrfamilienhauses angefallenen Kosten in Höhe von 104 383 DM beantragte der Kläger eine Verteilung auf fünf Jahre; gleichzeitig beantragte er, 1/5 der Aufwendungen —mithin 20 876 DM— als vorab entstandene Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung zu berücksichtigen. Von den ihm entstandenen Finanzierungskosten in Höhe von 9 443,06 DM setzte der Kläger 80 % (mithin 7 555 DM) als vorab entstandene Werbungskosten an; die restlichen 20 % (1 890 DM) entfielen nach Angaben des Klägers auf die selbstgenutzte Wohnung im Dachgeschoss. Hiervon erklärte der Kläger 11/12 (1 732 DM) als Aufwendungen vor Bezug i.S. des § 10e Abs. 6 EStG.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) berücksichtigte im Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr weder die vom Kläger geltend gemachten Steuerbegünstigungen nach § 10e Abs. 1 und Abs. 6 EStG noch die vom Kläger geltend gemachten vorab entstandenen Werbungskosten aus Vermietung und Verpachtung. Die hiergegen gerichtete Klage hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) vertrat in seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2007, 347 veröffentlichten Urteil die Auffassung, dass die vom Kläger getragenen Renovierungsaufwendungen für das Mehrfamilienhaus keine vorab entstandenen Werbungskosten aus Vermietung und Verpachtung darstellten, weil im Streitjahr noch nicht ausreichend sicher absehbar gewesen sei, wann der Kläger aufgrund des Wegfalls des Nießbrauchsrechts seiner Eltern Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung gemäß § 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG werde erzielen können. Auch die Steuerbegünstigung des § 10e EStG stehe dem Kläger nicht zu, da er im Streitjahr zwar zivilrechtlicher und wirtschaftlicher Eigentümer der von ihm genutzten Wohnung im Dachgeschoss gewesen sei, er jedoch seine Nutzungsbefugnis von den nießbrauchsberechtigten Eltern abgeleitet habe. Daher habe keine auf dem Eigentum beruhende Eigennutzung, sondern lediglich eine Nutzung aufgrund fremden Rechts vorgelegen.

Hiergegen richtet sich die Revision der Kläger, mit der sie eine Verletzung verfahrensrechtlicher Vorschriften (§ 96 Abs. 1 der FinanzgerichtsordnungFGO—) sowie eine Verletzung materiell-rechtlicher Vorschriften des Einkommensteuerrechts (§ 9 Abs. 1, § 10e EStG) rügen.

Die Kläger beantragen,

das angefochtene Urteil des FG aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr vom in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom mit der Maßgabe zu ändern, dass das zu versteuernde Einkommen um Werbungskostenüberschüsse aus Vermietung und Verpachtung in Höhe von 20 876 DM, um Finanzierungskosten in Höhe von 7 555 DM, um die Grundförderung nach § 10e Abs. 1 EStG in Höhe von 19 800 DM sowie um Vorkosten nach § 10e Abs. 6 EStG in Höhe von 1 732 DM vermindert wird.

Das FA beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO).

1. Das FG ist auf der Grundlage seiner Feststellungen zu Unrecht davon ausgegangen, dass der Kläger die Kosten für die Renovierung des nießbrauchsbelasteten Mehrfamilienhauses nicht als vorab entstandene Werbungskosten aus den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung im Streitjahr geltend machen kann.

a) Nach § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG sind Werbungskosten Aufwendungen zur Erwerbung, Sicherung und Erhaltung von Einnahmen. Sie sind nach § 9 Abs. 1 Satz 2 EStG bei der Einkunftsart Vermietung und Verpachtung abzuziehen, wenn sie bei ihr erwachsen, und das heißt, durch sie veranlasst sind (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. , BFHE 220, 264, BStBl II 2008, 572). Fallen solche Aufwendungen schon an, bevor mit dem Aufwand zusammenhängende Einnahmen erzielt werden, können sie als vorab entstandene Werbungskosten berücksichtigt werden, wenn ein ausreichend bestimmter wirtschaftlicher Zusammenhang zwischen den Aufwendungen und der Einkunftsart besteht, in deren Rahmen der Abzug begehrt wird (Beschluss des Großen Senats des , BFHE 160, 466, BStBl II 1990, 830; , zur Veröffentlichung bestimmt, BFH/NV 2009, 68). Allerdings fehlt es nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats an der Absicht, Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung zu erzielen, wenn der Steuerpflichtige Aufwendungen für eine Immobilie tätigt, die eine andere Person zu nutzen berechtigt ist (vgl. , BFH/NV 1992, 591, m.w.N.).

Andererseits können Reparaturaufwendungen des Steuerpflichtigen für eine Immobilie, dessen Nutzungsrecht einer anderen Person zusteht, bei ihm vorab entstandene Werbungskosten sein, wenn sich aus den Gesamtumständen des Falles ergibt, dass der Steuerpflichtige die Aufwendungen im eigenen Interesse als zukünftiger Nutzer des Hauses gemacht hat (vgl. , BFH/NV 2001, 24). In diesem Fall kann die Einkünfteerzielungsabsicht auch dann bejaht werden, wenn die für die zukünftige Nutzung durch den Steuerpflichtigen erforderliche materielle Rechtsänderung —durch Abschluss einer notariellen Vereinbarung— noch nicht eingetreten ist.

b) Im Streitfall tragen die Tatsachenfeststellungen des FG —zu denen auch der Inhalt der Niederschrift über die Erörterung der Streitsache vom gehört (vgl. , BFHE 143, 117, BStBl II 1985, 305)— und ihre Würdigung nicht die Annahme, dass es im Streitfall an einem ausreichend bestimmten wirtschaftlichen Zusammenhang zwischen den vom Kläger getätigten Aufwendungen und der Einkunftsart Vermietung und Verpachtung fehle. Denn nach den Feststellungen des FG in der Niederschrift gingen der Kläger und seine nießbrauchsberechtigten Eltern einvernehmlich davon aus, dass der auf der Immobilie des Klägers lastende Nießbrauch zeitnah aufgehoben werden sollte. Für ein dahin gehendes Einvernehmen spricht, dass hinsichtlich eines weiteren, der Schwester des Klägers schenkweise überlassenen und ebenfalls mit einem Nießbrauch zu Gunsten der Eltern belasteten Grundstücks in gleicher Weise beabsichtigt war, das Nießbrauchsrecht mit Blick auf die bevorstehende Scheidung der Schwester zeitnah aufzuheben. Ferner spricht dafür, dass der Kläger —entgegen der Nießbrauchsvereinbarung in Ziff. 2 des Schenkungsvertrages— im Zuge des sich zeitlich an die behauptete Übereinkunft anschließenden gesamten Ausbau- und Renovierungsvorganges sowohl in Verträgen mit Bauunternehmen als auch gegenüber den Bauordnungsbehörden als Bauherr aufgetreten ist. Gleichwohl hat das FG nicht geprüft, inwieweit der Kläger die von ihm geleisteten Aufwendungen ausschließlich vor dem Hintergrund dieser Übereinkunft mit seinen Eltern getätigt hat. Nach Maßgabe dieser Grundsätze kann die Vorentscheidung keinen Bestand haben; sie ist daher aufzuheben. Das FG wird im zweiten Rechtsgang der Frage nachgehen, ob und gegebenenfalls inwieweit der Kläger die Aufwendungen im eigenen Interesse als zukünftiger Nutzer des Hauses gemacht hat; dabei kann es auch spätere Tatsachen und Ereignisse (wie etwa den Umstand, dass es tatsächlich —wenngleich aus anderen Gründen— zu einem Wegfall des Nießbrauchsrechts gekommen ist) berücksichtigen (vgl. , BFH/NV 2009, 150).

2. Zu Unrecht ist das FG auch davon ausgegangen, dass das zugunsten der Eltern des Klägers bestellte Nießbrauchsrecht die Nutzung der Dachgeschosswohnung durch den Kläger „zu eigenen Wohnzwecken” i.S. des § 10e Abs. 1 Satz 2 EStG ausschließt.

Da in § 10e Abs. 1 Satz 1 EStG das Bewohnen einer „eigenen Wohnung” gefordert wird, beginnt in Fällen, in denen —wie im Streitfall— der Steuerpflichtige vor dem Eigentumsübergang bereits in der Wohnung gewohnt hat, die Nutzung der (eigenen) Wohnung zu eigenen Wohnzwecken jedenfalls ab dem Zeitpunkt, zu dem der Steuerpflichtige die Wohnung „aufgrund seines Eigentumsrechts” bewohnt (vgl. , BFHE 186, 271, BStBl II 1998, 563). Der Kläger war als zivilrechtlicher Eigentümer der Immobilie (§ 39 Abs. 1 der AbgabenordnungAO—) im Streitjahr grundsätzlich zur Inanspruchnahme der Förderung nach § 10e Abs. 1 Satz 1 EStG berechtigt. Das FG ist überdies zutreffend davon ausgegangen, dass der Kläger auch wirtschaftlicher Eigentümer i.S. des § 39 Abs. 2 AO war; insbesondere war die Immobilie nicht schon deshalb den Eltern des Klägers zuzurechnen, weil diese sich den Nießbrauch an dem Grundstück vorbehalten hatten. Weder die Bestellung des Nießbrauchsrechts „auf Lebenszeit” an sich noch schuldrechtliche Veräußerungs- und Belastungsverbote sowie etwaige Rückübertragungsverpflichtungen des Erwerbers führen zum Verbleib des wirtschaftlichen Eigentums beim Übertragenden. Als Vorbehaltsnießbraucher wären die Eltern des Klägers nur dann als wirtschaftliche Eigentümer des Grundstücks anzusehen gewesen, wenn sich ihre rechtliche oder tatsächliche Stellung gegenüber dem zivilrechtlichen Eigentümer des Grundstücks von der normalen —lediglich eine Nutzungsbefugnis vermittelnden— Position eines Nießbrauchers so deutlich unterschieden hätte, dass sie die tatsächliche Herrschaft über das nießbrauchsbelastete Grundstück ausgeübt hätten (, BFH/NV 2007, 1891). Gerade dies war, wie das Verhalten des Klägers im Zuge des Ausbau- und Renovierungsvorganges deutlich zeigt, jedenfalls im Streitjahr nicht der Fall. Nach diesen Maßstäben erfüllt der Kläger die Voraussetzungen des § 10e Abs. 1 Satz 1 EStG; denn er bewohnte die Dachgeschosswohnung zusammen mit seiner Familie als Eigentümer.

Aus den gleichen Gründen kann der Kläger im Streitjahr auch dem Grunde nach Aufwendungen, die bis zum Beginn der erstmaligen Nutzung der Dachgeschosswohnung zu eigenen Wohnzwecken entstanden sind, im Rahmen des Vorkostenabzugs nach § 10e Abs. 6 EStG geltend machen.

Das Urteil der Vorinstanz beruht auf einer abweichenden Auslegung von § 10e EStG. Die Sache ist nicht spruchreif. Das FG hat, da es den Anspruch des Klägers schon dem Grunde nach verneint hat, folgerichtig keine ausreichenden Feststellungen zur Höhe der dem Kläger zustehenden Steuerbegünstigung getroffen.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2009 S. 1251 Nr. 8
EStB 2009 S. 271 Nr. 8
NWB-Eilnachricht Nr. 31/2009 S. 2386
StBW 2009 S. 8 Nr. 15
PAAAD-24086