BGH Beschluss v. - IV ZR 57/08

Leitsatz

[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: GG Art. 103 Abs. 1; ZPO § 411 Abs. 3; ZPO § 544 Abs. 7

Instanzenzug: OLG München, 25 U 5743/06 vom LG München I, 23 O 9768/04 vom

Gründe

I.

Der Kläger verlangt von dem Beklagten wegen der Folgen einer bei einem Sportunfall erlittenen Sprunggelenks- und Fibulatrümmerfraktur eine Invaliditätsentschädigung aus einem Unfallversicherungsvertrag, dem die AUB 88 zugrunde liegen.

Der Beklagte akzeptierte auf der Grundlage eines von ihm in Auftrag gegebenen orthopädischen Gutachtens eine teilweise Funktionsunfähigkeit des linken Beins des Klägers mit 7/20 Beinwert nach der Gliedertaxe des § 7 I (2) a AUB 88, wonach bei Verlust oder Funktionsunfähigkeit eines Beines über der Mitte des Oberschenkels ein Invaliditätsgrad von 70% gilt. Die sich danach aus der vereinbarten Invaliditätssumme von 94.078 EUR ergebende Leistung kürzte der Beklagte um 60% wegen Mitwirkung einer von dem Gutachter festgestellten Arthrose. Den so ermittelten Betrag von 9.219,64 EUR zahlte der Beklagte an den Kläger. Dieser bemisst unter Berufung auf ein von ihm eingeholtes unfallchirurgisches Gutachten die Funktionsbeeinträchtigung seines linken Beines mit 1/2 Beinwert und errechnet unter Berücksichtigung der vertraglich vereinbarten Progression eine Invaliditätsentschädigung von 51.742,90 EUR. Den nach Abzug der von dem Beklagten erbrachten Zahlung verbleibenden Betrag von 42.523,26 EUR hat der Kläger mit der Klage geltend gemacht.

Das Landgericht hat nach Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens und nach Anhörung des Sachverständigen den Grad der Invalidität mit 3/7 Beinwert bemessen. Es hat den Mitwirkungsanteil einer bestehenden Arthrose mit 40% veranschlagt und dem Kläger eine restliche Invaliditätsentschädigung von 7.714,40 EUR zuerkannt.

Auf die Berufung des Klägers hat das Oberlandesgericht der Klage in Höhe von weiteren 5.644,68 EUR stattgegeben. Es hat ebenfalls einen Invaliditätsgrad von 3/7 Beinwert angenommen und - anders als das Landgericht - die dem Vertrag zugrunde liegende progressive Invaliditätsstaffel angewandt; von der so errechneten Invaliditätsentschädigung hat das Oberlandesgericht 40% wegen einer mitwirkenden Arthrose in Abzug gebracht.

Das Oberlandesgericht hat die Revision nicht zugelassen. Hiergegen wendet sich der Kläger mit der Nichtzulassungsbeschwerde.

II.

Die Beschwerde hat Erfolg und führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Die angefochtene Entscheidung verletzt den Anspruch des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG). Die Beschwerde rügt mit Recht, dass das Berufungsgericht die Ausführungen des von dem Kläger beauftragten Privatgutachters nicht berücksichtigt hat.

a)

Legt eine Partei ein medizinisches Gutachten vor, das im Gegensatz zu den Erkenntnissen des gerichtlich bestellten Sachverständigen steht, so ist vom Tatrichter besondere Sorgfalt gefordert. Er darf in diesem Fall - wie auch im Fall sich widersprechender Gutachten zweier gerichtlich bestellter Sachverständiger - den Streit der Sachverständigen nicht dadurch entscheiden, dass er ohne einleuchtende und logisch nachvollziehbare Begründung einem von ihnen den Vorzug gibt ( - VersR 2008, 1676 Tz. 11; vom - IV ZR 200/03 - VersR 2005, 676 unter II 2 b aa; vom - IV ZR 220/92 - VersR 1994, 162 unter 2 a; - VersR 2004, 790 unter II 1 a; vom - VI ZR 403/96 - VersR 1998, 853 unter II 3, jeweils m.w.N.). Einwände, die sich aus einem Privatgutachten gegen das Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen ergeben, muss das Gericht ernst nehmen. Es muss ihnen nachgehen und den Sachverhalt weiter aufklären. Dazu kann es den Sachverständigen zu einer schriftlichen Ergänzung seines Gutachtens veranlassen. Insbesondere bietet sich die mündliche Anhörung des gerichtlichen Sachverständigen gemäß § 411 Abs. 3 ZPO an. Ein Antrag der beweispflichtigen Partei ist dazu nicht erforderlich ( -NJW-RR 1998, 1527 unter 2 a; vom aaO, - VersR 1992, 722 unter II 2, jeweils m.w.N.). Zweckmäßigerweise hat das Gericht den Sachverständigen unter Gegenüberstellung mit dem Privatgutachter anzuhören, um dann entscheiden zu können, wieweit es den Ausführungen des Sachverständigen folgen will ( -VersR 1981, 576 unter II 1 b). Wenn der gerichtlich bestellte Sachverständige weder durch schriftliche Ergänzung seines Gutachtens noch im Rahmen seiner Anhörung die sich aus dem Privatgutachten ergebenden Einwendungen auszuräumen vermag, muss der Tatrichter im Rahmen seiner Verpflichtung zur Sachaufklärung gemäß § 412 ZPO ein weiteres Gutachten einholen ( aaO; vom aaO; jeweils m.w.N.).

b)

Diese Vorgaben hat das Berufungsgericht ebenso wie zuvor das Landgericht nicht beachtet. Es hat nur darauf verwiesen, dass alle vom Kläger in seiner Berufungsbegründung aufgeführten Unterlagen dem gerichtlichen Sachverständigen vorgelegen hätten und in seine Begutachtung eingeflossen seien. Der gerichtlich bestellte Sachverständige hat zwar das vom Kläger eingeholte Gutachten erwähnt und die Ergebnisse dieser Begutachtung wiedergegeben. Damit auseinandergesetzt hat sich der Sachverständige indes nicht; er wurde dazu auch nicht in den Tatsacheninstanzen aufgefordert. Somit hat sich das Berufungsgericht letztlich ohne eigene Begründung dem gerichtlich bestellten Gutachter angeschlossen, indem es dessen Ausführungen für überzeugend erklärt hat. Eigene Sachkunde, die den Gutachterstreit beilegen könnte, hat es dabei nicht erkennen lassen. Stattdessen hat es unkritisch die Wertungen des gerichtlich bestellten Gutachters und die darauf beruhenden Feststellungen des Landgerichts übernommen. Im Hinblick auf die Widersprüche zwischen dem Gutachten des Privatgutachters und dem des gerichtlich bestellten Sachverständigen hätte das Berufungsgericht letzteren dazu anhören müssen, gegebenenfalls unter Gegenüberstellung mit dem Privatgutachter des Klägers. Erforderlichenfalls hätte es ein weiteres Sachverständigengutachten einholen müssen, was der Kläger ausdrücklich beantragt hatte. Da das Berufungsgericht diese sich aufdrängenden Aufklärungsmöglichkeiten nicht ausgeschöpft hat, ist das Recht des Klägers auf rechtliches Gehör verletzt worden.

c)

Die Gehörsverletzung ist entscheidungserheblich. Es ist nicht auszuschließen, dass das Berufungsgericht nach erneuter Anhörung des gerichtlich bestellten Sachverständigen oder nach Einholung eines weiteren Gutachtens zu einem höheren Invaliditätsgrad gelangt wäre. Im angefochtenen Umfang ist das Berufungsurteil nach § 544 Abs. 7 ZPO aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, um ihm Gelegenheit zu geben, sich nach sachverständiger Beratung mit den aus dem Privatgutachten ergebenden Argumenten des Klägers auseinanderzusetzen und auch das von der Beklagten eingeholte Gutachten zu berücksichtigen. Da die Beeinträchtigung des Klägers nach den getroffenen Feststellungen im Wesentlichen in seinem linken oberen Sprunggelenk lokalisiert ist, wird das Berufungsgericht auch zu klären haben, ob der Invaliditätsgrad gemäß der Gliedertaxe des § 7 I (2) a AUB 88 nach dem bislang zugrunde gelegten Beinwert oder nach dem Wert eines Fußes im Fußgelenk zu bemessen ist; im Zweifelsfall ist von der für den Kläger günstigeren Auslegung auszugehen (vgl. - VersR 2006, 1117 Tz. 11 ff.; vom - IV ZR 74/02 - VersR 2003, 1163 unter II 1 und 2 c; vom - IV ZR 32/00 - VersR 2001, 360 unter 2).

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:




Fundstelle(n):
NJW-RR 2009 S. 1192 Nr. 17
HAAAD-24028

1Nachschlagewerk: nein; BGHZ: nein; BGHR: nein