BVerwG Urteil v. - 3 C 23.08

Leitsatz

In dem Beschluss über die Zulassung der Berufung muss auch über den Sitz des Gerichts, bei dem die Berufungsbegründung einzureichen ist, belehrt werden.

Gesetze: VwGO § 58 Abs. 1; VwGO § 124a Abs. 6

Instanzenzug: VGH Hessen, 10 A 1528/08 vom VG Gießen, 10 E 4033/06 vom Fachpresse: ja BVerwGE: ja

Gründe

I

Der Kläger, ein Landwirt, begehrt die Verpflichtung des Beklagten zur Gewährung einer Beihilfe für den Anbau von Kulturpflanzen im Wirtschaftsjahr 2004. Der Beklagte lehnte den Antrag ab.

Mit Urteil vom hat das Verwaltungsgericht den Beklagten verpflichtet, dem Kläger eine flächenbezogene Stützungszahlung für 4,9561 ha Ackerfläche zu gewähren. Die weitergehende Klage hat es abgewiesen.

Auf Antrag des Beklagten hat der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom die Berufung zugelassen, soweit der Klage stattgegeben worden war. Zur Begründung heißt es, es bestünden ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils. Die Begründung fährt fort:

"Aufgrund der Zulassung der Berufung wird das Zulassungsverfahren nach § 124a Abs. 5 S. 5 VwGO als Berufungsverfahren fortgesetzt, ohne dass es der Einlegung der Berufung bedarf. Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Beschlusses zu begründen. Die Begründung ist bei dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof einzureichen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag vom Vorsitzenden des Senats verlängert werden. Die Begründung muss einen bestimmten Antrag enthalten sowie die im Einzelnen aufzuführenden Gründe der Anfechtung (§ 124a Abs. 6 i.V.m. Abs. 3 VwGO)."

Es schließen sich Ausführungen zu den Verfahrenskosten, zum Streitwert und zur Anfechtbarkeit des Beschlusses an. Danach folgen die Unterschriften. Der Beschluss ist dem Beklagten am zugestellt worden.

Mit Schriftsatz vom , beim Verwaltungsgerichtshof eingegangen am , hat der Beklagte die Berufung begründet. Er hält dies für rechtzeitig, weil die vom Verwaltungsgerichtshof gegebene diesbezügliche Belehrung fehlerhaft gewesen sei; es habe der Hinweis darauf gefehlt, wo das zuständige Gericht seinen Sitz habe. Hilfsweise sei ihm Wiedereinsetzung in die versäumte Begründungsfrist zu gewähren, weil die zuständige Sachbearbeiterin im Urlaub und ihre Vertreterin überlastet gewesen sei.

Mit Beschluss vom hat der Verwaltungsgerichtshof die Berufung als unzulässig verworfen. Die Monatsfrist zur Begründung der Berufung habe mit Zustellung des Zulassungsbeschlusses zu laufen begonnen. Daran ändere auch nichts, dass über die Notwendigkeit der Berufungsbegründung nicht durch eine abgesetzte Rechtsmittelbelehrung, sondern innerhalb der Gründe des Zulassungsbeschlusses und ohne Angabe des Sitzes des Berufungsgerichts belehrt worden sei. Dies entspreche der ständigen Praxis des Verwaltungsgerichtshofs und genüge zur Wahrung der prozessualen Rechte der - ohnehin anwaltlich vertretenen - Beteiligten und zur Sicherstellung eines fairen Verfahrens, zumal der Sitz des Gerichts den Beteiligten aus dem Zulassungsverfahren bekannt sei und sich zudem aus der übersandten Ausfertigung des Zulassungsbeschlusses entnehmen lasse. Aus § 58 Abs. 1 VwGO ergebe sich nichts anderes; diese Vorschrift sei ohnehin allenfalls analog anwendbar.

Der Beklagte hat die vom Verwaltungsgerichtshof zugelassene Revision eingelegt.

Der Kläger verteidigt den angefochtenen Beschluss.

II

Die Revision ist begründet. Der angefochtene Beschluss beruht auf einem Verfahrensfehler ( § 137 Abs. 3 VwGO). Er muss deshalb aufgehoben, und die Sache muss an den Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen werden ( § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).

Der Verwaltungsgerichtshof hat die Berufung als unzulässig verworfen, weil der Beklagte die Monatsfrist zur Begründung der Berufung versäumt habe ( § 125 Abs. 2, § 124a Abs. 6 Satz 1 VwGO). Das trifft nicht zu. Die Monatsfrist hat nicht zu laufen begonnen, weil der Beklagte in dem Beschluss über die Zulassung der Berufung nicht auch über den Sitz des Gerichts, bei dem die Begründung einzureichen war, schriftlich oder elektronisch belehrt worden war ( § 58 Abs. 1 VwGO).

1.

Mit dem Beschluss über die Zulassung der Berufung ist der Berufungsführer gemäß § 58 Abs. 1 VwGO über die Notwendigkeit der Berufungsbegründung nach § 124a Abs. 6 VwGO zu belehren. Das ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt ( BVerwG 9 C 6.98 - BVerwGE 107, 117 <122 f.> = Buchholz 310 § 124a VwGO Nr. 4 S. 9 und vom - BVerwG 6 C 31.98 - BVerwGE 109, 336 <340 ff.> = Buchholz 310 § 58 VwGO Nr. 74 S. 4 ff.; Beschlüsse vom - BVerwG 11 B 50.00 - und vom - BVerwG 9 B 372.00 - Buchholz 310 § 124a VwGO Nrn. 17 und 18).

Zu Unrecht meint das Berufungsgericht, § 58 Abs. 1 VwGO könne auf die Berufungsbegründung allenfalls entsprechend angewendet werden. Die Berufung ist ein Rechtsmittel, über sie ist daher nach § 58 Abs. 1 VwGO zu belehren. Unterscheidet das Gesetz zwischen der Einlegung und der Begründung eines Rechtsmittels, so betrifft die Belehrungspflicht beide Stufen. § 58 Abs. 1 VwGO gebietet deshalb, auch über die Pflicht zur Begründung des Rechtsmittels zu belehren (Beschluss des Großen Senats vom - BVerwG Gr. Sen. 1.57 - BVerwGE 5, 178). Das gilt auch und erst recht, wenn das Rechtsmittel der Zulassung bedarf und es nach erfolgter Zulassung der Einlegung des Rechtsmittels nicht mehr bedarf, von dem zweistufig aufgebauten Rechtsmittel also gewissermaßen nur die zweite Stufe übrig geblieben ist (Urteil vom a.a.O.).

2.

Die Belehrung muss in dem Beschluss über die Zulassung der Berufung enthalten und von der Unterschrift der an der Beschlussfassung beteiligten Richter gedeckt sein. Es genügt nicht, dass sich die nötigen Informationen aus anderen Quellen - etwa aus einem beigefügten Übersendungsschreiben der Geschäftsstelle oder aus der Absenderangabe auf dem Briefumschlag - ersehen lassen. Auch dies ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt (Urteil vom a.a.O. S. 341 ff. bzw. S. 5 ff.).

Entgegen der Auffassung des Beklagten ist aber nicht erforderlich, dass die Belehrung von der Begründung des Beschlusses abgesetzt und mit einer gesonderten Überschrift versehen wird. § 117 Abs. 2 VwGO, auf den sich der Beklagte insofern beruft, gilt für Urteile und findet für urteilsvertretende und in ihrer Bedeutung vergleichbare Beschlüsse zwar in seinem Kern, nicht hingegen in allen Einzelheiten Anwendung. So lässt sich der Vorschrift etwa auch für urteilsvertretende Beschlüsse nicht entnehmen, dass Tatbestand und Entscheidungsgründe voneinander abgesetzt werden müssten (Urteil vom a.a.O. S. 343 bzw. S. 7). Nichts anderes gilt für die Rechtsmittelbelehrung. Natürlich muss diese, auch wenn sie Bestandteil der Beschlussgründe ist, ihre Hinweis- und Belehrungsfunktion erfüllen. Sie darf deshalb nicht etwa in einer vielseitigen Begründung irgendwo versteckt werden, sondern sollte nach den sachlichen Erwägungen zur Begründung des Beschlusses an dessen Ende gerückt werden, kann sich aber durchaus vor einer Begründung der Kostenentscheidung und der Streitwertfestsetzung finden.

3.

Nach § 58 Abs. 1 VwGO muss nicht nur über das Gericht, bei dem die Berufungsbegründung einzureichen ist, sondern auch über dessen Sitz belehrt werden. Das besagt der Wortlaut der Vorschrift zweifelsfrei (vgl. Beschlüsse vom - BVerwG 8 C 14.93 - Buchholz 310 § 58 VwGO Nr. 62 und vom a.a.O.). Der Sitz des Gerichts ist nur mit der Angabe des Ortes ausreichend bezeichnet. Die Angabe des Namens des Gerichts genügt nur dann, wenn der Name den Ort des Sitzes enthält und wenn dies zweifelsfrei ist (vgl. BVerwG 8 C 30.88 - BVerwGE 85, 298 = Buchholz 310 § 58 VwGO Nr. 58).

4.

Im vorliegenden Fall hat das Berufungsgericht in seinem Beschluss über die Zulassung der Berufung zwar über die Pflicht zur Berufungsbegründung belehrt und hierbei auch angegeben, bei welchem Gericht die Belehrung einzureichen sei; jedoch fehlte die Angabe, wo das Gericht seinen Sitz hat. Das war auch aus dem Namen des Gerichts ("Hessischer Verwaltungsgerichtshof") nicht ersichtlich. Der Beschluss lässt auch in seinem restlichen Inhalt - etwa im Rubrum - nicht erkennen, wo das Gericht seinen Sitz hat. Es bedarf deshalb keiner Entscheidung, ob derartige Hinweise ein Defizit der Belehrung kompensieren könnten (vgl. einerseits BVerwG 4 B 7.78 - Buchholz 310 § 58 VwGO Nr. 36 S. 15, andererseits Urteil vom S. 300 bzw. S. 9). Nicht ausreichend ist jedenfalls, dass der Sitz des Gerichts für die Beteiligten aus dem Ausfertigungsstempel sowie aus dem Übersendungsschreiben ersichtlich war; denn diese Hinweise gehen jeweils auf die Geschäftsstelle und nicht auf den beschließenden Senat zurück (Urteil vom a.a.O. 341 ff. bzw. S. 5 ff.).

Der Kläger wendet ein, dass dem Beklagten der Sitz des Berufungsgerichts ohnehin bekannt war oder doch hätte bekannt sein müssen. Er meint zum einen, dem Beklagten - einer Behörde - müsse der Sitz des Berufungsgerichts bekannt sein, weshalb er nicht zum Kreis derjenigen gehöre, deren Schutz § 58 VwGO bezwecke. Zum anderen weist er darauf hin, dass der Beklagte schon durch die Rechtsmittelbelehrung im erstinstanzlichen Urteil über den Sitz des Berufungsgerichts belehrt worden sei und im Zulassungsverfahren auch Schriftsätze an das Berufungsgericht gerichtet habe; angesichts dessen sei es arglistig, wenn er sich nunmehr auf die unterbliebene Belehrung über den Sitz des Berufungsgerichts berufe. Damit dringt der Kläger nicht durch. Es ist zwar richtig, dass § 58 VwGO dem Schutz der durch eine behördliche oder gerichtliche Entscheidung Betroffenen dient. Niemand soll durch Rechtsunkenntnis eines Rechtsbehelfs verlustig gehen. Deshalb knüpft die Vorschrift den Lauf von Rechtsbehelfsfristen an eine bestimmt geartete Belehrung (stRspr.; etwa BVerwG 5 C 196.55 - BVerwGE 25, 261 <262> = Buchholz 310 § 58 VwGO Nr. 7 S. 8 f.). Das Ob und das Wie dieser Belehrung sind jedoch streng formalisiert. § 58 VwGO macht den Lauf der Fristen in allen Fällen von der Erteilung einer ordnungsgemäßen Belehrung abhängig, ohne Rücksicht darauf, ob den Betroffenen die Möglichkeit und die Voraussetzungen der in Betracht kommenden Rechtsbehelfe tatsächlich unbekannt waren und ob das Fehlen oder die Unrichtigkeit der Rechtsbehelfsbelehrung kausal für das Unterbleiben oder die Verspätung des Rechtsbehelfs war. Das dient der Rechtsmittelklarheit; indem § 58 VwGO seine Rechtsfolgen allein an die objektiv feststellbare Tatsache des Fehlens oder der Unrichtigkeit der Belehrung knüpft, gibt die Vorschrift sämtlichen Verfahrensbeteiligten gleiche und zudem sichere Kriterien für das Bestimmen der formellen Rechtskraft an die Hand (vgl. BVerwG 6 C 77.78 - BVerwGE 57, 188 = Buchholz 310 § 58 VwGO Nr. 39 und vom - BVerwG 5 C 9.85 - BVerwGE 81, 81 <84> = Buchholz 436.36 § 12 BAföG Nr. 16 S. 7; Kopp/ Schenke, VwGO-Kommentar, 15. Aufl. 2007, § 58 Rn. 1; Meissner, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO-Kommentar, Stand April 2006, § 58 Rn. 6).

Hiernach ist auch unerheblich, ob dem Rechtsmittelführer der Sitz des Gerichts aus anderen Rechtsmittelbelehrungen, die er in einem früheren Verfahrensstadium erhalten hatte, bereits bekannt sein konnte. Jede Rechtsmittelbelehrung muss aus sich heraus verständlich, vollständig und richtig sein; der Betroffene soll nicht darauf verwiesen werden, auf ältere Informationen zurückzugreifen, zumal auf solche, die nicht von demselben, sondern von einem anderen Gericht oder einer Behörde stammen. Damit soll der Betroffene auch allein anhand der vorliegenden Rechtsmittelbelehrung deren Vollständigkeit und Richtigkeit überprüfen und danach die Frage beantworten können, ob ihre Erteilung die Monatsfrist des § 58 Abs. 1 VwGO in Lauf gesetzt hat oder nicht.

5.

Der angefochtene Beschluss beruht auf dem Verfahrensfehler. Da die Belehrung über die Pflicht zur Berufungsbegründung ohne Angabe des Sitzes des Berufungsgerichts nicht ordnungsgemäß war, hätte die Berufungsbegründung nicht als verspätet angesehen und die Berufung deshalb nicht als unzulässig verworfen werden dürfen. Der angefochtene Beschluss kann deshalb keinen Bestand haben. Eine Entscheidung zur Sache ist dem Revisionsgericht verwehrt. Der Rechtsstreit muss vielmehr an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden.

Die Kostenentscheidung ist der Schlussentscheidung vorzubehalten.

Beschluss:

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 2 084,89 EUR festgesetzt ( § 52 Abs. 3 GKG).

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


Fundstelle(n):
NJW 2009 S. 2322 Nr. 31
VAAAD-22305