Abtretung von Vorsteuerüberschüssen aus Umsatzsteuervoranmeldungen: Rückforderung nach Erlass eines Umsatzsteuerjahresbescheids vom Zessionar
Leitsatz
Sind im Umsatzsteuerjahresbescheid abzugsfähige Vorsteuern mit 0 DM/€ zugrunde gelegt, verliert die Festsetzung eines Vergütungsanspruchs aufgrund einer Umsatzsteuervoranmeldung (Vorbehaltsfestsetzung), soweit sie auf berücksichtigten Vorsteuern beruht, ihre Wirksamkeit als formeller Rechtsgrund für die infolge einer wirksamen Abtretung des Anspruchs bewirkte Auszahlung. Im Falle der Uneinbringlichkeit beim Zedenten ist das FA zur Rückforderung des Betrages vom Zessionar berechtigt (Fortentwicklung der Rechtsprechung).
Gesetze: AO § 37 Abs. 2 Satz 2AO § 124 Abs. 2AO § 164AO § 168AO § 218FGO § 118UStG § 15aUStG § 17
Instanzenzug: FG des Landes Sachsen-Anhalt vom 4 K 23/02 (EFG 2008, 833) (Verfahrensverlauf),
Gründe
I.
Die T-GmbH hatte für die Monate Februar und März 1995 Umsatzsteuervoranmeldungen beim Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt —FA—) eingereicht und die daraus resultierenden Erstattungsbeträge an die Rechtsvorgängerin der Klägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin), ein Kreditinstitut, abgetreten. Die Beträge beliefen sich für Februar 1995 auf 344 248,30 DM und für März 1995 auf 1 876 040,10 DM und ergaben sich aus den angemeldeten Vorsteuerbeträgen abzüglich der jeweils auf die jährliche Honorarabrechnung der T-GmbH entfallenden Umsatzsteuer von 150 DM. Die abgetretenen Beträge wurden mit Umsatzsteuerschulden der Abtretungsempfängerin beim FA verrechnet.
Nachdem das FA zunächst die Jahresumsatzsteuer 1995 in Anlehnung an die Voranmeldungen unter Berücksichtigung erheblicher Vorsteuern geschätzt hatte, stellte die Steuerfahndungsstelle im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens gegen die T-GmbH im Laufe des Jahres 2000 fest, dass die T-GmbH hinsichtlich der für Februar und März 1995 angemeldeten Vorsteuern nicht abzugsberechtigt war.
Mit Bescheid vom änderte das FA die Jahressteuerfestsetzung 1995 und setzte die Umsatzsteuer der T-GmbH ohne Berücksichtigung abziehbarer Vorsteuern fest. Noch während des Einspruchsverfahrens forderte es die an die Klägerin abgetretenen Beträge von dieser zurück, nachdem es zunächst vergeblich versucht hatte, den im Jahressteuerbescheid festgesetzten Rückforderungsbetrag bei der T-GmbH beizutreiben.
In der Einspruchsentscheidung schließlich änderte es die Umsatzsteuer nochmals unter Berücksichtigung von —die streitige Rückabwicklung nicht betreffenden— Vorsteuern in Höhe von 89,96 DM.
Nach im Übrigen erfolgslosem Einspruchsverfahren gab das Finanzgericht (FG) der Klage statt. Es urteilte, ein Rückforderungsanspruch des FA gegenüber der Klägerin sei nicht gegeben. Der Rechtsgrund für die abgetretenen Erstattungsansprüche aus den Umsatzsteuervoranmeldungen Februar und März 1995 sei nicht entfallen. Die Festsetzungen seien weder aufgehoben noch geändert worden. Auch aus der nachfolgenden Jahressteuerfestsetzung könne der Wegfall des Rechtsgrundes nicht abgeleitet werden. Allein die Beschränkung des Vorsteuerabzugs in dem Jahressteuerbescheid auf 0 DM berechtige das FA nicht, die aufgrund von Voranmeldungen für einzelne Voranmeldungszeiträume ausgezahlten Vorsteuerüberschüsse vom Zessionar als Leistungsempfänger zurückzufordern. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 2008, 833 veröffentlicht.
Mit der Revision rügt das FA die fehlerhafte Anwendung des § 37 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO). Es ist der Auffassung, dass die aufgrund einer vorhergehenden Vorbehaltsfestsetzung an den Zessionar ausgezahlten Vorsteuerüberschüsse von diesem zurückgefordert werden können, wenn sich —wie bei der Versagung des Vorsteuerabzugs für das gesamte Kalenderjahr— die Fehlerhaftigkeit der Vorbehaltsfestsetzung aus der Jahressteuerfestsetzung ergibt. Werde im Jahressteuerbescheid die abziehbare Vorsteuer mit 0 DM ausgewiesen, so ergebe sich daraus automatisch, dass es für das gesamte Kalenderjahr und damit auch für die betreffenden Voranmeldungszeiträume keine abziehbaren Vorsteuerbeträge gegeben habe. Vorsteuerkorrekturen nach § 15a oder § 17 des Umsatzsteuergesetzes wirkten sich auf den Vorsteuerausweis nicht aus, da diese Beträge in den Umsatzsteuerbescheiden separat aufgeführt würden. Im Übrigen ergebe sich der Grund für die Vorsteuerberichtigung eindeutig aus der Einspruchsentscheidung, die bei der Beurteilung, ob der Rechtsgrund für die Auszahlung des Erstattungsbetrages entfallen sei, nicht unberücksichtigt bleiben dürfe.
Die Klägerin hält die Entscheidung des FG für zutreffend.
II.
Die Revision ist begründet und führt zur Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils und zur Abweisung der Klage. Die Entscheidung des FG beruht auf einer Verletzung von Bundesrecht, § 118 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Das FA hat die an die Klägerin ausgezahlten Erstattungsbeträge zu Recht zurückgefordert.
Ist eine Steuervergütung ohne rechtlichen Grund gezahlt worden, so hat derjenige, auf dessen Rechnung die Zahlung bewirkt worden ist, einen Anspruch auf Erstattung des gezahlten oder zurückgezahlten Betrages. Dies gilt auch, wenn der rechtliche Grund für die Zahlung später wegfällt (§ 37 Abs. 2 Satz 2 AO).
1. Das FA hat den Rückforderungsbescheid zu Recht an die Klägerin gerichtet. Zu den Steuervergütungen i.S. des § 37 Abs. 2 AO gehören auch an einen Zessionar wirksam abgetretene Ansprüche aus Umsatzsteuervoranmeldungen. Nach den Feststellungen des FG hat die T-GmbH ihre Umsatzsteuervergütungsansprüche der Monate Februar und März 1995 wirksam an die Klägerin abgetreten. Das FA hat die Leistung an die Klägerin durch die Verrechnung mit deren Steuerschulden bewirkt. In einem solchen Fall richtet sich der Rückforderungsanspruch gegen den Abtretungsempfänger (ständige Rechtsprechung, zuletzt Urteil vom VII R 36/07, BFHE 222, 205, BStBl II 2009, 90).
2. Der rechtliche Grund für die Verrechnung der abgetretenen Vergütungen zugunsten der Klägerin ist nachträglich entfallen, wie es § 37 Abs. 2 Satz 2 AO voraussetzt.
a) Grundlage für die Auszahlung bzw. Verrechnung von Steuererstattungen und -vergütungen sind regelmäßig die der Leistung zugrunde liegenden Steuerbescheide (§ 218 Abs. 1 AO).
aa) Der Rechtsgrund für die Auszahlung oder Verrechnung von Umsatzsteuererstattungen an einen Zessionar sind die sich aus den Umsatzsteuervoranmeldungen ergebenden, abgetretenen Vergütungsansprüche. Die Voranmeldung steht nach der —in der Auszahlung oder Verrechnung liegenden— Zustimmung durch das FA einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gleich (§§ 168 i.V.m. 164 Abs. 1 AO —Vorbehaltsfestsetzung—).
bb) Fallen diese formellen Rechtsgrundlagen für die Leistung des FA nicht durch ausdrückliche Aufhebung bzw. Änderung rückwirkend weg, so tritt diese Rechtswirkung nach der ständigen Rechtsprechung des Senats auch nicht allein mit dem Erlass des Umsatzsteuerjahresbescheids ein. Die einen Vorsteuerüberschuss ausweisende Vorbehaltsfestsetzung bleibt vielmehr als formeller Rechtsgrund für die Auszahlung des durch ihn festgesetzten Vorsteuerüberschusses grundsätzlich auch dann erhalten, wenn der Jahressteuerbescheid ergangen ist. Der Jahressteuerbescheid wird aber für die Zukunft die formelle Rechtgrundlage der bislang aufgrund der Vorbehaltsfestsetzungen geleisteten Zahlungen. Die Ansprüche aus den Festsetzungen für die Voranmeldungszeiträume des Kalenderjahres gehen in die für das Kalenderjahr zu entrichtende Steuer oder in den Überschuss ein. Sie sind Teil der für das Kalenderjahr entstandenen Umsatzsteuer (vgl. Senatsentscheidung vom VII R 98/98, BFHE 190, 25, BStBl II 2000, 486, m.w.N.). Insoweit sind die Vorbehaltsfestsetzungen „auf andere Weise” i.S. des § 124 Abs. 2 AO erledigt (vgl. , BFHE 143, 101, BStBl II 1985, 370; Senatsurteil vom VII R 42/94, BFH/NV 1995, 853).
cc) Durch den nachfolgenden Jahressteuerbescheid verliert die Vorbehaltsfestsetzung allerdings dann ihre Wirksamkeit als formeller Rechtsgrund —auch hinsichtlich des abgetretenen, aus einem Vorsteuerüberschuss herrührenden Vergütungsanspruchs—, wenn der Jahressteuerbescheid die Feststellung enthält, dass die Steuerfestsetzung für den betreffenden Voranmeldungszeitraum materiell fehlerhaft war. Durch solche nachfolgenden Feststellungen (Regelungen) verliert der Vorbehaltsbescheid seine Wirksamkeit, er ist auch insoweit „auf andere Weise” erledigt i.S. des § 124 Abs. 2 AO.
Den Wegfall des Rechtsgrundes durch eine nachfolgende Jahressteuerfestsetzung hat der Senat ausdrücklich auf die Fälle beschränkt, in denen die Festsetzung aufgrund der Voranmeldung und der Umsatzsteuerjahresbescheid dieselben Besteuerungsgrundlagen regeln, weil z.B. jeweils nur ein Vorbezug betroffen ist, oder wenn durch den Jahressteuerbescheid (Steuerfestsetzung auf 0 DM) festgestellt wird, dass mangels Unternehmereigenschaft bzw. Vorsteuerabzugsberechtigung ein abtretbarer Vorsteuerüberschuss von vornherein nicht bestand. Dem Umstand, dass in der Umsatzsteuerjahreserklärung bzw. -festsetzung niedrigere Vorsteuerbeträge ausgewiesen sind als in den Umsatzsteuervoranmeldungen geltend gemacht worden waren, hat er insoweit keine Bedeutung beigemessen (vgl. , BFHE 177, 8, BStBl II 1995, 862; vom VII R 167/82, BFHE 147, 398, BStBl II 1987, 8; vgl. auch , BFH/NV 1991, 633).
b) Aus dem der T-GmbH erteilten Jahressteuerbescheid ergibt sich eindeutig, dass Steuervergütungsansprüche in den Monaten Februar und März 1995 nicht bestanden. Die Vorbehaltsbescheide sind dadurch auf andere Weise i.S. des § 124 Abs. 2 AO erledigt.
aa) In dem dem Rückforderungsbescheid zugrunde liegenden Jahressteuerbescheid waren als abzugsfähige Vorsteuern zunächst 0 DM angesetzt. Mit einem solchen Ansatz regelt ein Jahressteuerbescheid, dass die Besteuerungsgrundlage „abziehbare Vorsteuern” in keinem Voranmeldungszeitraum des Jahres zu berücksichtigen war. Zweifelsfrei ist in einem solchen Fall, dass sich in keinem Zeitraum aus Vorsteuern ein Vergütungsbetrag ergeben konnte.
Zwar kann sich auch in einem solchen Fall eine Steuervergütung aus einer Berichtigung eines früheren Vorsteuerausweises ergeben, wenn seinerzeit die Bemessungsgrundlage zu niedrig angesetzt worden war. Allerdings wäre dieser Fall eindeutig als Sonderfall zu erkennen, da die Berichtigung sowohl in der Vorbehaltsfestsetzung als auch im Jahressteuerbescheid als Besteuerungsgrundlage ausgewiesen wird.
Im Streitfall beruhten die Steuervergütungen allein auf Vorsteuerüberschüssen. Wäre es bei der vollständigen Nichtberücksichtigung von Vorsteuern im Jahressteuerbescheid geblieben, so wäre die Fehlerhaftigkeit der Vorbehaltsfestsetzungen eindeutig klargestellt mit der Folge, dass die Vorbehaltsfestsetzungen mit Vorsteuerausweis durch den Jahressteuerbescheid gemäß § 124 Abs. 2 AO auf andere Weise erledigt wären.
bb) Allerdings weist der Jahressteuerbescheid in der Fassung der Einspruchsentscheidung einen berücksichtigten Vorsteuerbetrag in Höhe von 89,96 DM aus.
Anders als aus der vollständigen Versagung folgt allein aus der Reduzierung des Vorsteuerbetrages im Jahressteuerbescheid gegenüber der Summe der in den Vorbehaltsfestsetzungen berücksichtigten Beträge nicht, dass der rechtliche Grund für die der Rückforderung zugrunde liegenden Steuervergütungen entfallen ist. Denn unbeschadet der —im Streitfall geringen— Höhe der anerkannten Vorsteuern ist bei einer bloß betragsmäßigen Änderung des Vorsteuerabzugs nicht erkennbar, auf welche Vorbehaltsfestsetzung sich die Korrektur bezieht. Wäre diese Vorsteuer (hier 89,96 DM) in einer der Vorbehaltsfestsetzungen zu berücksichtigen gewesen, aus denen sich die abgetretenen Vergütungsansprüche ergeben hatten, so könnte in Höhe dieses Betrages auch nach Berichtigung der seinerzeit zu Unrecht ausgewiesenen Vorsteuern ein Vergütungsanspruch verbleiben. In Höhe dieses Betrages wäre dann der Rechtsgrund für die Auszahlung an den Zessionar nicht entfallen.
Anhaltspunkte dafür, dass ein solcher Sachverhalt im Streitfall hinsichtlich der nachträglich berücksichtigten 89,96 DM vorliegt, sind aber nicht ersichtlich. Der im FG-Urteil in Bezug genommenen Einspruchsentscheidung, die dem Jahressteuerbescheid seine endgültige Fassung gegeben hat, ist vielmehr die —von der Klägerin unbeanstandete und damit für den Senat bindende— Feststellung zu entnehmen, dass die nunmehr berücksichtigten (geringen) Vorsteuern mit den streitigen Voranmeldungen der T-GmbH, aus denen sich die abgetretenen Vergütungsansprüche ergeben hatten, in keinem Zusammenhang stehen.
cc) Mit der Erledigung der Vorbehaltsfestsetzungen auf andere Weise i.S. des § 124 Abs. 2 AO ist der Rechtsgrund für das Behaltendürfen der der Klägerin gutgebrachten Umsatzsteuervergütungen entfallen.
Die Rechtswirkungen, die von einer solchen Erledigung des die Vorsteuervergütung festsetzenden Bescheides gegenüber dem Steuerpflichtigen ausgehen, muss der Zessionar nach ständiger Rechtsprechung des Senats in gleicher Weise wie der Steuerpflichtige gegen sich gelten lassen. Der Zessionar kann rechtlich nicht besser gestellt werden als der Steuerpflichtige selbst. Wer sich eine steuerrechtliche Forderung abtreten lässt, übernimmt eine mit dem Risiko ihres Bestehens behaftete Forderung (Senatsurteil in BFHE 222, 205, BStBl II 2009, 90, m.w.N.). Der Rückforderungsbescheid des FA ist rechtmäßig.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BStBl 2009 II Seite 953
AO-StB 2009 S. 223 Nr. 8
BB 2009 S. 1211 Nr. 23
BB 2009 S. 1400 Nr. 26
BFH/NV 2009 S. 1164 Nr. 7
BFH/PR 2009 S. 304 Nr. 8
BStBl II 2009 S. 953 Nr. 23
DB 2009 S. 1216 Nr. 23
DStRE 2009 S. 701 Nr. 11
HFR 2009 S. 755 Nr. 8
NWB-EN Nr. 486/2009 (Rückforderung eines Vergütungsanspruchs vom Zessionär )
SJ 2009 S. 10 Nr. 14
StB 2009 S. 221 Nr. 7
StBW 2009 S. 5 Nr. 12
StuB-Bilanzreport Nr. 15/2009 S. 592
UR 2009 S. 457 Nr. 13
UStB 2009 S. 187 Nr. 7
YAAAD-22116