BFH Urteil v. - III R 81/07

Widerstreitende Steuerfestsetzung; Erkennbarkeit der Nichtberücksichtigung eines Sachverhalts

Leitsatz

Hat das Finanzamt einen in 1993 erzielten Gewinn aus der Veräußerung eines Grundstücks in einem 1999 ergangenen Einkommensteueränderungsbescheid für 1994 erfasst, kann es den Einkommensteuerbescheid für 1993 nach Ablauf der regulären Festsetzungsverjährung Ende 1998 und Aufhebung des Einkommensteueränderungsbescheids für 1994 nur dann gemäß § 174 AO ändern, wenn der Steuerpflichtige bei verständiger Würdigung hat erkennen können, dass das Finanzamt bis zum Jahresende 1998 von einem Einkommensteueränderungsbescheid für 1993 unter Einbeziehung der Veräußerung des Grundstücks absah, weil es diesen Vorgang in einem Änderungsbescheid für 1994 berücksichtigen wollte.

Gesetze: AO § 174 Abs. 3, AO § 174 Abs. 4

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),

Gründe

I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Betriebswirt und wurde für das Streitjahr 1993 im April 1994 mit seiner Ehefrau zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Er bezog als Gesellschafter-Geschäftsführer der B-GmbH Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. An der Gesellschaft waren der Kläger und der Architekt E (Architekt) zu jeweils 50 % beteiligt. Der Kläger war weiter an der aus dem Architekten und ihm bestehenden Grundstücksgemeinschaft beteiligt, deren Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung gesondert und einheitlich festgestellt wurden.

In den Jahren ab 1991 tätigte der Kläger —zum Teil als Beteiligter der Grundstücksgemeinschaft— mehrere Grundstücksgeschäfte. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) ordnete im August 1998 für die Jahre 1994 bis 1996 bei dem Kläger zur Überprüfung der steuerlichen Behandlung der Grundstücksgeschäfte gemäß § 193 der Abgabenordnung (AO) eine Außenprüfung an. Im September 1998 erteilte das FA dem Prüfer gemäß § 88 AO den Ermittlungsauftrag, auch „für die Jahre 1993 und 1997 die erforderlichen Feststellungen” zu treffen.

Der Prüfer gelangte zu der Auffassung, dass einige der vom Kläger getätigten Grundstücksverkäufe die Voraussetzungen eines gewerblichen Grundstückshandels erfüllten und das von der Grundstücksgemeinschaft durch Vertrag vom verkaufte Baugrundstück als erstes Objekt des Klägers im Sinne der Drei-Objekt-Grenze zu erfassen sei. Den aus der Veräußerung dieses Grundstücks an die B-GmbH erzielten Gewinn ermittelte er mit 351 800 DM und ordnete ihn im Prüfungsbericht dem Veranlagungszeitraum 1994 zu, da im Kaufvertrag vereinbart war, dass Besitz, Nutzungen und Lasten mit Kaufpreiszahlung übergehen sollten und diese am fällig war. Der Bericht wurde dem FA am und dem Kläger und der Steuerberatungsgesellschaft am 6. bzw. übersandt.

Der Prüfer hatte seine Auffassung, dass das Baugrundstück in den gewerblichen Grundstückshandel einzubeziehen sei, bereits in einem Schreiben vom der für den Kläger tätigen Steuerberatungsgesellschaft mitgeteilt. Diese hatte für den Kläger auch an den Schlussbesprechungen am und am teilgenommen. Zum Baugrundstück wird in dem Schreiben auf Seite 3 ausgeführt, es sei am veräußert worden. Auf Seite 4 wird erläutert, „der enge zeitliche Zusammenhang zwischen Erwerb des Grundstücks in 11/91 und der Veräußerung in 12/93” spreche für einen Erwerb in Veräußerungsabsicht. Auf Seite 5 wird festgestellt, in den Jahren 1993 bis 1997 seien insgesamt vier für die „Drei-Objekt-Grenze” bedeutsame Objekte (unter anderem das Baugrundstück, „Dat. Verkauf ”) veräußert worden. Auf Seite 6 heißt es zum Baugrundstück: „Veräußerung mit Übergang Nutzen und Lasten Kaufpreisfälligkeit: .”

Den Feststellungen des Prüfers folgend erließ das FA am einen auf § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO gestützten Einkommensteueränderungsbescheid für 1994, in dem es den Veräußerungsgewinn in Höhe von 351 800 DM erfasste. Mit seinem dagegen eingelegten Einspruch wehrte sich der Kläger gegen die Einbeziehung des Baugrundstücks in den Grundstückshandel; dieser sei frühestens 1996 aufgenommen worden. Ergänzend teilte er mit, dass der Kaufpreis, von dessen Zahlung der Übergang von Nutzungen und Lasten des Baugrundstücks abhängig gewesen sei, schon im Jahr 1993 gezahlt worden sei; die —ebenfalls vom Prüfer geprüfte— B-GmbH habe das Grundstück bereits 1993 aktiviert. Für den Veranlagungszeitraum 1993 sei aber am Festsetzungsverjährung eingetreten.

Am hob das FA den Einkommensteueränderungsbescheid für 1994 auf und erließ einen auf § 174 AO gestützten Einkommensteueränderungsbescheid für 1993, in dem es den streitigen Veräußerungsgewinn berücksichtigte. Auch hiergegen legte der Kläger Einspruch ein.

Durch Einspruchsentscheidung vom änderte das FA den —am erneut geänderten— Einkommensteuerbescheid für 1993 nochmals und wies den Einspruch hinsichtlich der Erfassung des Veräußerungsgewinns als unbegründet zurück.

Die Klage blieb ohne Erfolg. Das Finanzgericht (FG) entschied durch Urteil vom 3 K 1014/07 (Entscheidungen der Finanzgerichte 2007, 1571), der Einkommensteuerbescheid für 1993 habe im Jahr 1999 nach § 174 Abs. 4 Satz 4 AO i.V.m. § 174 Abs. 3 AO geändert werden können.

Mit seiner Revision trägt der Kläger vor, bis zum Ablauf der regulären Festsetzungsfrist für 1993 am habe er nicht erkennen können, dass die Änderung des Einkommensteuerbescheids für 1993 unterblieben sei, weil die Veräußerung des Baugrundstücks im Einkommensteuerbescheid für 1994 berücksichtigt werden solle. Bis zum sei weder entschieden worden, ob der Verkauf des Miteigentumsanteils am Baugrundstück überhaupt steuerlich erfasst noch welchem Veranlagungszeitraum der Sachverhalt zugeordnet werden solle.

Der Kläger beantragt, das FG-Urteil sowie die Einspruchsentscheidung vom aufzuheben und unter Änderung des Einkommensteuerbescheids für 1993 vom die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung sowie aus Gewerbebetrieb wie im ursprünglichen Einkommensteuerbescheid für 1993 vom anzusetzen.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des FG-Urteils sowie der Einspruchsentscheidung und zur Änderung des Einkommensteuerbescheids für 1993 wie vom Kläger beantragt (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der FinanzgerichtsordnungFGO—).

Entgegen der Auffassung des FG war das FA nicht befugt, den Einkommensteuerbescheid für 1993 nach § 174 Abs. 4 AO zu ändern.

Ist aufgrund irriger Beurteilung eines bestimmten Sachverhalts ein Steuerbescheid ergangen, der aufgrund eines Rechtsbehelfs oder sonst auf Antrag des Steuerpflichtigen durch die Finanzbehörde zu seinen Gunsten aufgehoben oder geändert worden ist, können nach § 174 Abs. 4 Satz 1 AO aus dem Sachverhalt nachträglich durch Erlass oder Änderung eines Steuerbescheids die richtigen steuerlichen Folgerungen gezogen werden. Der Ablauf der Festsetzungsfrist ist dabei nach § 174 Abs. 4 Satz 3 AO unbeachtlich, wenn die steuerlichen Folgerungen innerhalb eines Jahres nach Aufhebung oder Änderung des fehlerhaften Steuerbescheids gezogen werden. War die Festsetzungsfrist bereits abgelaufen, als der später aufgehobene oder geänderte Steuerbescheid erlassen wurde, gilt dies nur, wenn der Sachverhalt in diesem Steuerbescheid erkennbar in der Annahme nicht berücksichtigt wurde, dass er in dem anderen Steuerbescheid zu berücksichtigen sei und sich diese Annahme als unrichtig herausstellte (§ 174 Abs. 4 Satz 4 i.V.m. § 174 Abs. 3 Satz 1 AO).

a) Von § 174 Abs. 4 Satz 1 AO werden auch die Fälle erfasst, in denen die Finanzbehörde —wie im Streitfall— darüber irrt, in welchem Jahr die steuerrechtlichen Folgerungen aus einem bestimmten Sachverhalt zu ziehen sind. Irrig ist die Beurteilung eines Sachverhalts, wenn sie sich nachträglich aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen als unrichtig erweist (, BFH/NV 2005, 1751; Loose in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 174 AO Rz 39).

Das FA hatte den Veräußerungsgewinn im Einkommensteuerbescheid für 1994 erfasst, weil es angenommen hatte, der Kaufpreis sei am bezahlt worden, so dass entsprechend der vertraglichen Regelung Nutzen und Lasten zu diesem Zeitpunkt übergegangen seien. Tatsächlich war der Kaufpreis aber schon im Dezember 1993 geleistet worden. Der Veräußerungsgewinn wäre daher im Einkommensteuerbescheid für 1993 zu erfassen gewesen.

b) Da für 1993 lediglich Ermittlungshandlungen stattgefunden hatten, aber keine Außenprüfung durchgeführt worden war (vgl. § 171 Abs. 4 AO), endete die Festsetzungsfrist für die Einkommensteuer 1993 am . Bei Erlass des Änderungsbescheids für 1994 am war somit die Festsetzungsfrist bereits abgelaufen, so dass der Einkommensteuerbescheid für 1993 gemäß § 174 Abs. 4 Satz 4 AO nur unter den weiteren Voraussetzungen des § 174 Abs. 3 Satz 1 AO hätte geändert werden dürfen.

§ 174 Abs. 3 AO soll verhindern, dass ein steuererhöhender oder steuermindernder Vorgang bei der Besteuerung überhaupt nicht berücksichtigt wird (negativer Widerstreit). Er erlaubt eine Änderung der Steuerfestsetzung, wenn ein bestimmter Sachverhalt in einem Steuerbescheid erkennbar in der Annahme nicht berücksichtigt wurde, dass er in einem anderen Steuerbescheid zu erfassen sei. Der Kläger hätte demnach bei verständiger Würdigung erkennen müssen, dass das FA bis zum Jahresende 1998 von einem Einkommensteueränderungsbescheid für 1993 unter Einbeziehung der Veräußerung des Baugrundstücks absah, weil es diesen Vorgang in einem Änderungsbescheid für 1994 berücksichtigen wollte (vgl. , BFHE 167, 316, BStBl II 1992, 832; Loose in Tipke/Kruse, a.a.O., § 174 AO Rz 32). Dabei muss die Besteuerung im Jahre 1994 nicht von vornherein ausdrücklich zur Sprache gekommen sein; es genügt, dass sie objektiv erkennbar zu erwarten war (, BFHE 143, 110, BStBl II 1985, 283, betr. unterbliebene Zusammenveranlagung zur Vermögensteuer; vom V R 67/82, BFHE 141, 490, BStBl II 1984, 788, betr. Zuordnung vom Umsätzen).

Diese Voraussetzungen sind im Streitfall nicht erfüllt, denn für den Kläger blieb bis Jahresende 1998 offen, ob das FA sich entschieden hatte, die Grundstücksveräußerung in die gewerblichen Einkünfte eines Einkommensteuerbescheids für 1994 einzubeziehen. Weder stand fest, ob die Veräußerung besteuert werden sollte, noch in welchem Jahr.

Der Prüfer hatte mit Schreiben vom seine Auffassung mitgeteilt, dass das Baugrundstück im Rahmen eines gewerblichen Grundstückshandels veräußert worden sei. Dem Schreiben ist aber nicht zu entnehmen, dass er sich insoweit vor Abschluss der Prüfung und der letzten Schlussbesprechung bereits eine endgültige Meinung gebildet hatte. Ob seine Entscheidung ausgereicht hätte, oder ob die von § 174 Abs. 3 Satz 1 AO vorausgesetzte Kausalität die (tatsächlich oder rechtlich irrige) unmissverständliche Festlegung des hinsichtlich der Besteuerung entscheidungsbefugten Veranlagungssachbearbeiters erfordern würde, braucht der Senat daher nicht zu entscheiden (vgl. die , BFHE 152, 166, BStBl II 1988, 307, und vom VIII R 19/00, BFHE 195, 23, BStBl II 2001, 743, sowie den , BFH/NV 2005, 1222, die sämtlich auf die Vorstellungen des für die Steuerfestsetzung „zuständigen Amtsträgers” abstellen; v. Groll in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 174 AO Rz 185).

Bis zum Ende des Jahres 1998 konnte der Kläger auch nicht erkennen, welchem Veranlagungszeitraum der Prüfer den Veräußerungsvorgang zuordnen wollte. Dessen Schreiben vom ist insoweit zweideutig; erst durch den im April 1999 und damit nach Ablauf der Festsetzungsverjährung für 1993 übersandten Prüfungsbericht wurde Klarheit geschaffen.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2009 S. 1073 Nr. 7
BFH/PR 2009 S. 313 Nr. 8
OAAAD-21801