Entsprechende Anwendung des § 126 Abs. 4 FGO bei Abweisung einer unzulässigen Klage als unbegründet; berechtigtes Interesse gemäß § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO; Auflösung einer Rückstellung wegen Eintritts eines rückwirkenden Ereignisses
Leitsatz
1. Für den Revisionszulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung ist erforderlich, dass die aufgeworfene Rechtsfrage bei einer Zulassung im Revisionsverfahren entscheidungserheblich und klärungsfähig ist. Hieran mangelt es in entsprechender Anwendung des § 126 Abs. 4 FGO, wenn das Finanzgericht das Fehlen einer Sachentscheidungsvoraussetzung übersieht und deshalb die Klage als unbegründet statt als unzulässig ansieht. Die Sachentscheidungsvoraussetzungen sind in jeder Lage des Verfahrens zu prüfen.
2. Ein berechtigtes Interesse gemäß § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO, die Rechtswidrigkeit einer erledigten Steuerfestsetzung festzustellen, kommt in Fällen des § 233a AO grundsätzlich in Betracht, wenn für die Rechtswidrigkeitsprüfung Umstände zu prüfen sind, die auch für den Zinslauf Bedeutung entfalten.
Gesetze: FGO § 126 Abs. 4, FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1, FGO § 100 Abs. 1 Satz 4, AO § 233a Abs. 2a, AO § 237, EStG § 5
Instanzenzug:
Gründe
I. Das Beschwerdeverfahren ist Gegenstand des zweiten Rechtszugs.
Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) betrieb bis zum Streitjahr 1981 eine Kies- und Sandbaggerei. Auf Grundlage der erteilten wasserrechtlichen Genehmigungen war er zur Rekultivierung der Kiesgruben verpflichtet. Er veräußerte seinen Betrieb mit Vertrag vom . Für zwei Grundstücke in A und B bildete der Kläger in seiner Aufgabebilanz ausgehend von einer Böschungslänge von insgesamt 2 895 m (Kiesgruben in A 991 m und in B 1 904 m) eine Rückstellung für Rekultivierungsverpflichtungen in Höhe von insgesamt 8 220 400 DM. Er wurde entsprechend zur Einkommensteuer 1981 veranlagt.
Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) gelangte im Jahr 1995 durch Anfragen bei den Naturschutzbehörden zu der Erkenntnis, dass vom Kläger gestellte Anträge auf Wiederverfüllung der Kiesgruben in A und B abgelehnt worden seien. Das FA vertrat die Auffassung, es stehe wegen entgegenstehender öffentlich-rechtlicher Gründe endgültig fest, dass mit Rekultivierungsmaßnahmen des Klägers für beide Kiesgruben nicht mehr zu rechnen und die Rückstellung in voller Höhe aufzulösen sei. Es erließ unter dem einen entsprechenden Änderungsbescheid für das Streitjahr, gestützt auf § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO).
Die Steuernachforderung wurde vom FA ab Fälligkeit bis einen Monat nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung vom von der Vollziehung ausgesetzt.
Die Kläger erhoben im ersten Rechtszug Einspruch und anschließend Klage gegen den Änderungsbescheid für das Streitjahr vom .
Aufgrund eines Vergleichsvertrags des Klägers mit der Rechtsnachfolgerin der Betriebserwerberin vom wurde der Kläger zivilrechtlich im Innenverhältnis von jeglichen Rekultivierungsverpflichtungen aus den Kiesgruben in A und B freigestellt.
Während des Klageverfahrens erging ein weiterer Änderungsbescheid für das Streitjahr unter dem . In diesem ging das FA für die Kiesgrube A weiterhin vom Erlöschen der Rekultivierungspflichten ab 1995 aus, für die Kiesgrube B bejahte es eine fortbestehende Verpflichtung zur Rekultivierung über das Jahr 1995 hinaus, berechnete allerdings die Rückstellung für diese Kiesgrube neu und ließ ausgehend von Rekultivierungsaufwand für eine Böschungslänge von 1 705 m (statt 1 904 m) einen um 565 064 DM niedrigeren Betriebsausgabenabzug bei der Rückstellungsbildung zu. Der Bescheid enthält die Mitteilung, dass die Aussetzung der Vollziehung (AdV) zum ende.
Die Kläger wandten sich gegen diesen Änderungsbescheid mit dem Vortrag, es sei von einem Wegfall der Rekultivierungsverpflichtung für beide Kiesgruben ab dem Abschluss des Vergleichsvertrags im Jahr 2003 auszugehen. Der ursprünglichen Rückstellungsbildung zum Aufgabestichtag seien zu niedrige Preise zugrunde gelegt worden, so dass selbst bei Ansatz einer kürzeren Böschungslänge bis zum Erlöschen der Rekultivierungsverpflichtung ein Ansatz der Rückstellung in der ursprünglichen Höhe geboten sei.
Es erging im Klageverfahren unter dem ein weiterer Änderungsbescheid für das Streitjahr, in dem das FA wiederum gestützt auf § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO wegen des Vergleichsvertrags nunmehr die verbliebene Rückstellung im Streitjahr insgesamt auflöste. Eine Zinsfestsetzung war mit dem Bescheid nicht verbunden.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage im ersten Rechtszug ab (Urteil vom 14 K 4979/02 E, nicht veröffentlicht —n.v.—). Das Urteil wurde durch (BFH/NV 2007, 1154) aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung an das FG zurückverwiesen.
Im zweiten Rechtszug gingen die Kläger nunmehr im Wege der Fortsetzungsfeststellungsklage gemäß § 100 Abs. 1 Satz 4 der Finanzgerichtsordnung (FGO) vor.
Das FA habe zu Unrecht ab dem Jahr 1995 das Fortbestehen der Rekultivierungsverpflichtung für die Kiesgrube A verneint und die Rückstellung für die Kiesgrube B gekürzt. Die Rückstellung sei erst mit Abschluss des Vergleichsvertrags vom entfallen und bis zum Erlass des Änderungsbescheids vom in voller Höhe gewinnmindernd zu berücksichtigen. Das Feststellungsinteresse stützten die Kläger darauf, dass sich ohne die begehrte Feststellung gemäß § 233a Abs. 1, 2a und 3 AO ein Zinslauf ab der Bescheidänderung im Juli 1995 ergebe und ab diesem Zeitpunkt auch Aussetzungszinsen berechnet würden. Werde die Rechtswidrigkeit des Änderungsbescheids festgestellt, stehe für den Zinslauf fest, dass die Rückstellung erst mit Abschluss des Vergleichsvertrags rückwirkend entfalle.
Die Kläger beantragten in der mündlichen Verhandlung festzustellen, dass der Änderungsbescheid für das Streitjahr vom rechtswidrig sei. Das FG wies die Klage mit Urteil vom 14 K 987/07 E (n.v.) erneut ab. Es ließ in seiner Entscheidung offen, ob die Fortsetzungsfeststellungsklage statthaft sei und hielt die Klage für unbegründet.
Hiergegen richtet sich die vorliegende Beschwerde. Die Revision sei zuzulassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung habe. Der Feststellungsantrag sei statthaft gewesen. Die vollständige Rückstellungsauflösung im Änderungsbescheid vom sei durch den Änderungsbescheid vom nur teilweise zurückgenommen worden. Werde festgestellt, dass die Änderungsbescheide vom und rechtswidrig seien, soweit das FA von einem Wegfall der Rekultivierungsverpflichtung vor dem Abschluss des Vergleichsvertrags ausgehe, beginne der Zinslauf für die Kläger erst ab diesem Zeitpunkt. Die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung. Im Hinblick auf die tragenden Grundsätze der BFH-Entscheidungen vom I R 137/74 (BFHE 125, 42, BStBl II 1978, 430), vom IV R 85/99 (BFHE 193, 75, BStBl II 2001, 122) und vom GrS 2/92 (BFHE 172, 66, BStBl II 1993, 897) sei die Rechtsfrage zu klären, ob bei Auflösung einer Rückstellung für Rekultivierungsverpflichtungen in einer Aufgabebilanz aufgrund eines rückwirkenden Ereignisses im Umfang des Auflösungsbetrags eine andere Rückstellung für Rekultivierungspflichten erhöht werden dürfe, wenn sich zeige, dass der ursprünglich zum Aufgabestichtag angesetzte Rekultivierungsaufwand zu niedrig bemessen sei. Der BFH habe bislang nur Fälle entschieden, in denen eine nach Betriebsaufgabe neu gebildete Rückstellung habe erhöht werden sollen.
Die Kläger beantragen, die Revision zuzulassen.
Das FA beantragt, die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen.
II. Die Beschwerde ist unbegründet. Die von den Klägern aufgeworfene Rechtsfrage hat bereits mangels Entscheidungserheblichkeit keine grundsätzliche Bedeutung.
1. Neben weiteren Voraussetzungen ist für den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung erforderlich, dass die aufgeworfene Rechtsfrage bei einer Zulassung im Revisionsverfahren entscheidungserheblich und klärungsfähig ist. Hieran mangelt es in entsprechender Anwendung des § 126 Abs. 4 FGO, wenn das FG das Fehlen einer Sachentscheidungsvoraussetzung übersieht und deshalb die Klage als unbegründet statt als unzulässig ansieht. Die Sachentscheidungsvoraussetzungen sind in jeder Lage des Verfahrens zu prüfen. Die Grundsatzfrage ist nicht klärungsfähig, wenn die Sachentscheidungsvoraussetzungen nicht erfüllt sind (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 115 Rz 32; zum Streitstand bei Verfahrensfehlern Senatsbeschlüsse vom X B 134/02, BFH/NV 2004, 906; vom X B 197/00, n.v.). Eine Fortsetzungsfeststellungsklage ist unzulässig, wenn das berechtigte Interesse des Klägers an der begehrten Feststellung fehlt (Gräber/von Groll, a.a.O., § 100 Rz 60).
2. Im Streitfall fehlt es an dem berechtigten Interesse der Kläger an der begehrten Feststellung, so dass die Klage unzulässig und die Beschwerde unbegründet ist.
a) § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO macht die Feststellung der Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsakts davon abhängig, dass der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat. „Berechtigtes Interesse” i.S. des § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO ist jedes konkrete, vernünftigerweise anzuerkennende Interesse rechtlicher, tatsächlicher oder wirtschaftlicher Art (, BFH/NV 1995, 621).
b) Im Streitfall liegt ein solches berechtigtes Interesse des Klägers im Hinblick auf die Festsetzung von Aussetzungszinsen (§ 237 Abs. 1 AO) nicht vor. Es ist nicht erkennbar, dass die Kläger durch die begehrte Feststellung ihre Rechtsposition in einem Verfahren gegen eine Zinsfestsetzung verbessern könnten, weil eine Bindungswirkung der von den Klägern beantragten Feststellung für den Zinsbescheid nicht erkennbar ist.
Das FA hat im Änderungsbescheid vom den Wegfall der Rekultivierungsverpflichtungen als rückwirkendes Ereignis betrachtet, die Rückstellung für beide Kiesgruben ab 1995 als nicht mehr ansatzfähig angesehen und in voller Höhe rückwirkend aufgelöst. Im Änderungsbescheid vom hat es die Rückstellung für die Kiesgrube A weiterhin seit 1995 nicht mehr als ansatzfähig betrachtet und die Rückstellung für die Kiesgrube B in geringerem Umfang weiterhin anerkannt. Im Änderungsbescheid vom schließlich hat es auch die niedrigere Rückstellung für die Kiesgrube B wegen des Vergleichsvertrags aus dem Jahr 2003 in voller Höhe nicht mehr anerkannt, was von den Beteiligten nicht mehr in Zweifel gezogen wird.
Die Kläger haben im FG-Verfahren die Feststellung beantragt, dass der Änderungsbescheid unter dem rechtswidrig gewesen sei. Die begehrte Feststellung führt inzidenter zu der Prüfung, ob die Rückstellung für beide Kiesgruben im Jahr 1995 bereits erloschen war und der Änderungsbescheid mangels eines rückwirkenden Ereignisses nicht hätte ergehen dürfen.
Wäre die beantragte Feststellung zu treffen, hätte sie weder Einfluss auf die Höhe der Aussetzungszinsen noch auf den Zinslauf. Die Höhe der Aussetzungszinsen richtet sich nach dem endgültig geschuldeten und ausgesetzten Betrag, der sich im Streitfall aus einem Vergleich der Nachforderungsbeträge aus dem unter dem ergangenen Änderungsbescheid und aus dem unter dem ergangenen Änderungsbescheid ergibt. Der Zinslauf bemisst sich im Streitfall nach Aktenlage vom Tag der Fälligkeit des Nachforderungsbetrags aus dem unter dem ergangenen Änderungsbescheid bis zum Ablauf des , zu dem die AdV aufgehoben wurde. Die Kläger verkennen, dass für die Festsetzung von Aussetzungszinsen unmittelbar nur die Aussetzungsverfügung und die Bescheidlage zum Ende des Rechtsbehelfsverfahrens relevant sind, nicht aber die Rechtmäßigkeit des Steuerbescheids, der zu dem ausgesetzten Nachforderungsbetrag führt (vgl. zur „Tatbestandswirkung der Aussetzungsverfügung” eingehend , BFHE 219, 13, BStBl II 2008, 134).
c) Ein berechtigtes Interesse der Kläger an der Feststellung der Rechtswidrigkeit des unter dem ergangenen Änderungsbescheids besteht ebenfalls nicht im Hinblick auf die mögliche Festsetzung von Zinsen für Steuernachforderungsbeträge gemäß § 233a AO.
aa) Ein berechtigtes Interesse gemäß § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO, die Rechtswidrigkeit einer erledigten Steuerfestsetzung festzustellen, kommt nach Auffassung des Senats in Fällen des § 233a AO grundsätzlich in Betracht, wenn für die Rechtswidrigkeitsprüfung Umstände zu prüfen sind, die auch für den Zinslauf Bedeutung entfalten. Bei Berücksichtigung eines rückwirkenden Ereignisses (§ 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO) beginnt der Zinslauf nach § 233a Abs. 2a AO 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahrs, in dem das rückwirkende Ereignis eingetreten ist. § 233a Abs. 2a AO gilt gemäß Art. 97 § 15 Abs. 8 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung in allen Fällen, in denen das rückwirkende Ereignis nach dem eingetreten ist.
bb) Im Streitfall ist das berechtigte Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit des Änderungsbescheids vom jedoch zu verneinen.
Aufgrund der nachträglichen Änderungsbescheide vom und ist der Änderungsbescheid vom nicht der Bescheid, der sich i.S. des § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO „anders erledigt” hat. Das FA hat im Änderungsbescheid vom wie im Änderungsbescheid vom die Rekultivierungsverpflichtung für die Kiesgrube A seit 1995 als entfallen angesehen und für die Kiesgrube B eine geminderte Rückstellung berücksichtigt. Der Änderungsbescheid vom seinerseits hat sich durch den weiteren Änderungsbescheid vom erledigt. Das Begehren, (positiv) feststellen zu lassen, dass erstmals im Jahr 2003 mit Abschluss des zivilrechtlichen Vergleichsvertrags für beide Kiesgruben die Rekultivierungsverpflichtungen entfallen sind, können die Kläger daher nicht über die Feststellung erreichen, dass bis zum die Rekultivierungsverpflichtungen noch bestanden haben und das rückwirkende Ereignis noch nicht eingetreten war. Sie hätten die Feststellung, dass erstmals mit Abschluss des Vergleichsvertrags aus dem Jahr 2003 die Rekultivierungsverpflichtungen entfallen sind, nur erreichen können, wenn sie beantragt hätten, die Rechtswidrigkeit des Änderungsbescheids vom feststellen zu lassen. Da die Kläger ausweislich der Sitzungsniederschrift zur mündlichen Verhandlung vor dem FG aber die Feststellung der Rechtswidrigkeit des Änderungsbescheids vom und nicht des Änderungsbescheids vom beantragt haben, ist das berechtigte Interesse i.S. des § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO an der begehrten Feststellung zu verneinen.
3. Der Senat ist des Weiteren der Auffassung, dass die von den Klägern bezeichnete materiell-rechtliche Frage, nämlich ob bei —wegen des Eintritts eines rückwirkenden Ereignisses— Auflösung einer Rückstellung in der Aufgabebilanz eine andere Rückstellung in der Aufgabebilanz erhöht werden darf, keine grundsätzliche Bedeutung hat. Streitgegenstand ist die festgesetzte Steuer; die Saldierung einzelner (unselbständiger) Besteuerungsgrundlagen ist zulässig (vgl. Gräber/von Groll, a.a.O., § 65 Rz 41). Der Senat sieht gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO von einer weiteren Begründung ab.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2009 S. 1083 Nr. 7
LAAAD-21773