Weisung des Insolvenzschuldners aus dem Verfahren über die Nichtzulassungsbeschwerde
Gesetze: InsO § 85 Abs. 1, InsO § 85 Abs. 2, InsO § 80, ZPO § 240
Instanzenzug:
Gründe
I. Gegenüber dem Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) wurden in den Einkommensteuerbescheiden für den Veranlagungszeitraum 1994 und das Streitjahr 1995 die Besteuerungsgrundlagen geschätzt. Das Einspruchsverfahren blieb erfolglos, die Klage beim Finanzgericht (FG) München wurde verspätet erhoben und eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gewährt.
Am leistete der Kläger eine Zahlung in Höhe von 2 000 DM auf offene Steuerschulden beim Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt —FA—), ohne eine Tilgungsbestimmung zu treffen. Die Zahlung wurde vom FA mit offener Einkommensteuer 1994 verrechnet.
Das FG entschied im Urteil vom , dass der Einkommensteuerbescheid 1994 nichtig sei. Den Einkommensteuerbescheid 1995 sah es nicht als nichtig an und ließ die Revision nicht zu. Das Urteil des FG ist nicht veröffentlicht.
Die Zahlung von 2 000 DM wurde nach Feststellung der Nichtigkeit des Einkommensteuerbescheids 1994 auf offene Umsatzsteuer 2000 umgebucht.
Gegen das Urteil des FG richtet sich die vorliegende Beschwerde.
Während des Beschwerdeverfahrens wurde über das Vermögen des Klägers am das Insolvenzverfahren eröffnet. In diesem Insolvenzverfahren meldete das FA unter anderem die offene Forderung für das Streitjahr zur Insolvenztabelle an. Die Forderung wurde vom Insolvenzverwalter anerkannt. Er hat gegenüber dem Bundesfinanzhof (BFH) nach Anfrage die Aufnahme des Verfahrens nicht erklärt.
Am hat der Kläger mit Tilgungsbestimmung einen Betrag in Höhe von 100 € auf die Einkommensteuerschuld für das Streitjahr geleistet.
Der Kläger begehrt die Aufnahme des Verfahrens. Es liege ein insolvenzrechtlicher Aktivprozess vor. Er könne bei Feststellung der Nichtigkeit des Einkommensteuerbescheids für das Streitjahr die Erstattung der in den Jahren 2000 und 2009 geleisteten Beträge verlangen.
Das FA tritt dem entgegen. Die geleisteten Teilzahlungen des Streitjahres seien selbst bei Nichtigerklärung des angefochtenen Einkommensteuerbescheids nicht zu erstatten. Das Verfahren sei ausschließlich ein Passivprozess im Sinne des Insolvenzrechts. Der Kläger sei nicht zur Aufnahme des Beschwerdeverfahrens berechtigt. Das Beschwerdeverfahren sei in der Hauptsache erledigt, weil der Insolvenzverwalter die streitige Steuerforderung zur Tabelle anerkannt habe.
II. Der Kläger ist nicht zur Aufnahme des Beschwerdeverfahrens befugt. Er ist während der Dauer des Insolvenzverfahrens nicht prozessführungsbefugt und deshalb aus dem Rechtsstreit zu weisen.
1. Die Voraussetzungen des § 85 Abs. 2 der Insolvenzordnung (InsO), unter denen der Kläger den unterbrochenen Rechtsstreit hätte aufnehmen können, liegen im Streitfall nicht vor.
a) Da über das Vermögen des Klägers während des Beschwerdeverfahrens am das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist, trat gemäß § 155 der Finanzgerichtsordnung i.V.m. § 240 Satz 1 der Zivilprozessordnung eine Unterbrechung des Verfahrens bis zu dessen Aufnahme oder bis zur Beendigung des Insolvenzverfahrens ein.
b) Durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens geht das Verwaltungs- und Verfügungsrecht des Schuldners nach § 80 InsO auf den Insolvenzverwalter über, der bis zum Abschluss des Insolvenzverfahrens oder der wirksamen Aufnahme eines Verfahrens durch den Schuldner diesen aus seiner Rechtsstellung und damit aus seiner Prozessführungsbefugnis verdrängt. Der Fortgang des Verfahrens und die Möglichkeit einer weiteren Beteiligung des Klägers richten sich nach den für das Insolvenzverfahren geltenden Vorschriften.
c) Nach § 85 Abs. 1 InsO können zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens für den Schuldner anhängige Rechtsstreitigkeiten über das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen vom Insolvenzverwalter aufgenommen werden. Lehnt dieser die Aufnahme des Rechtsstreits ab, so können sowohl der Schuldner als auch der Gegner den Rechtsstreit aufnehmen (§ 85 Abs. 2 InsO).
aa) Voraussetzung für die Aufnahmebefugnis des Schuldners ist das Vorliegen eines sog. insolvenzrechtlichen Aktivprozesses gemäß § 85 InsO. Ein solcher ist dadurch gekennzeichnet, dass der Schuldner einen Anspruch verfolgt, der zur Insolvenzmasse gehört und im Falle seines Obsiegens die zur Verteilung anstehende Masse vergrößern würde. Nicht entscheidend ist dabei die formelle Parteirolle, sondern allein, ob in dem anhängigen Rechtsstreit über eine Pflicht zu einer Leistung gestritten wird, die in die Masse zu gelangen hat (, Zeitschrift für Wirtschaftsrecht 2005, 952, m.w.N.). Wird dagegen vom Gläubiger ein Recht zu Lasten der Insolvenzmasse beansprucht, so dass ein Unterliegen des Schuldners zu einer Verringerung der Masse führen würde, liegt ein insolvenzrechtlicher Passivprozess vor, der nur unter den Voraussetzungen des § 86 InsO oder innerhalb der Regelungen des Verteilungsverfahrens gemäß §§ 174 ff. InsO aufgenommen werden kann (vgl. , BFHE 212, 11, BStBl II 2006, 573).
Im Streitfall hat das FA seine Forderung wegen Einkommensteuer für das Streitjahr als Insolvenzforderung zur Tabelle angemeldet. Dabei handelt es sich um eine titulierte Forderung nach § 179 Abs. 2 InsO (vgl. BFH-Urteil in BFHE 212, 11, BStBl II 2006, 573). Der Insolvenzverwalter hat in seinem Schreiben unter dem an das FA die Forderung anerkannt und in die Tabelle eingetragen. Er hat den Rechtsstreit nicht aufgenommen und dem Kläger diesen Entschluss in einem Schreiben unter dem mitgeteilt.
bb) Auch unter Berücksichtigung der vom Kläger geleisteten Zahlungen an das FA vom und vom ist der Kläger nicht zur Aufnahme des Beschwerdeverfahrens berechtigt.
Hinsichtlich der Teilzahlung des Klägers aus dem Jahr 2000 ist mangels einer Tilgungsbestimmung die gesetzliche Verbuchung der Zahlung auf die damalige Einkommensteuerschuld 1994 gemäß § 225 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) maßgeblich. Diese Verbuchung kann rückwirkend nicht mehr durch eine Tilgungsbestimmung geändert werden (Klein/Rüsken, AO, 9. Aufl., § 225 Rz 6). Ob nach Feststellung der Nichtigkeit des Einkommensteuerbescheids 1994 die Verrechnung des im Jahr 2000 gezahlten Betrags mit offener Umsatzsteuer 2000 statt mit der Einkommensteuerschuld für das Streitjahr zutreffend war, vermag der Senat nicht abschließend zu beurteilen. Diese Frage kann aber wegen der fehlenden Freigabeerklärung des Insolvenzverwalters offenbleiben.
Hinsichtlich der Teilzahlung vom ist zwar vom Kläger mit Tilgungsbestimmung (§ 225 Abs. 1 AO) auf die Steuerschuld des Streitjahres geleistet und daraus resultierend ein Erstattungsanspruch gemäß § 37 AO behauptet worden. Auch ist insolvenzrechtlich grundsätzlich denkbar, dass sich ein Verfahren, das vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens ein insolvenzrechtlicher Passivprozess ist, während der Unterbrechung in einen Aktivprozess umwandeln kann (vgl. zu den möglichen zivilrechtlichen Konstellationen MünchKommInsO-Schumacher, § 85 Rz 7-9). Es bedarf vorliegend aber keiner Entscheidung, ob und unter welchen Voraussetzungen im finanzgerichtlichen Verfahren bei freiwilligen Teilzahlungen des Schuldners nach Insolvenzeröffnung auf eine höhere zur Tabelle angemeldete Steuerschuld aus einem Passivprozess ein Aktivprozess werden könnte.
Denn der Kläger hat nicht die gemäß § 85 Abs. 2 InsO notwendige Erklärung des Insolvenzverwalters vorgelegt, den Rechtsstreit nicht aufnehmen zu wollen. Die bislang vorliegende Erklärung des Insolvenzverwalters im Schreiben an das FA unter dem , den Rechtsstreit nicht aufnehmen zu wollen, geschah in dem Bewusstsein, es liege ein Passivprozess zu Lasten der Masse vor, und es sei bislang nicht auf die Forderung des FA geleistet worden. Er hat seine Erklärung an das FA in diesem Schreiben mit der Auskunft verbunden, er habe die Forderung wegen Einkommensteuer des Streitjahres in voller Höhe zur Tabelle anerkannt. Bei Anerkennung der Forderung besteht für eine Aufnahme des Rechtsstreits kein Bedürfnis für den Insolvenzverwalter an einer gerichtlichen Entscheidung darüber.
Der Kläger hat erstmals in Schriftsätzen vom und vom vorgetragen, er könne aufgrund von Teilzahlungen eine Erstattung von Einkommensteuer für das Streitjahr beanspruchen. Der Insolvenzverwalter hat daher im Schreiben unter dem an den Kläger nicht die gemäß § 85 Abs. 2 InsO erforderliche Erklärung mit dem Inhalt abgeben können und wollen, auf die Geltendmachung des nunmehr behaupteten Erstattungsanspruchs für die Masse zu verzichten und dessen Verfolgung dem Kläger zu eröffnen.
2. Mangels Aufnahmebefugnis ist der Kläger aus dem Rechtsstreit zu weisen. Seine Aufnahmeerklärung im Schriftsatz vom ist unwirksam.
Wird der Schuldner —etwa in der irrigen Annahme einer eigenen Prozessführungsbefugnis— in einem vom Insolvenzverwalter aufgenommenen Prozess tätig, so ist er durch Beschluss aus dem Prozess zu weisen (BFH-Urteil in BFHE 212, 11, BStBl II 2006, 573). Dies gilt auch, wenn der Schuldner —wie im Streitfall— ohne Vorliegen einer Aufnahmeerklärung des Insolvenzverwalters Prozesshandlungen vornimmt, die auf eine Fortsetzung des unterbrochenen Rechtsstreits über eine Insolvenzforderung abzielen. Eine vom Schuldner in Verkennung der wahren Rechtslage abgegebene Erklärung, dass er den Rechtsstreit aufnehme, ist unzulässig und kann infolgedessen keine Rechtswirkungen entfalten (, Neue Juristische Wochenschrift 1973, 2065; BFH-Urteil in BFHE 212, 11, BStBl II 2006, 573).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2009 S. 1149 Nr. 7
XAAAD-21072