BFH Beschluss v. - VIII B 171/07

Verletzung des rechtlichen Gehörs wegen Ablehnung eines Antrags auf Terminverlegung bei Naturkatastrophe

Gesetze: FGO § 96 Abs. 2, FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3, FGO § 155, ZPO § 45, ZPO § 227

Instanzenzug:

Gründe

Die Beschwerde ist begründet. Die Aufhebung des angefochtenen Urteils und die Zurückverweisung erfolgen nach § 116 Abs. 6 der Finanzgerichtsordnung (FGO) wegen eines Verfahrensfehlers i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO im erstinstanzlichen Verfahren.

Dahingestellt bleiben kann, ob das Finanzgericht (FG) über das Ablehnungsgesuch des Klägers und Beschwerdeführers (Kläger) in der geschäftsplanmäßigen Besetzung entscheiden durfte, also unter Mitwirkung der abgelehnten Senatsmitglieder. Die Abweichung vom Grundsatz der §§ 155 FGO i.V.m. 45 der Zivilprozessordnung (ZPO), wonach ein abgelehnter Richter von der Entscheidung über das ihn betreffende Ablehnungsgesuch ausgeschlossen ist, setzt nach der Rechtsprechung voraus, dass das Ablehnungsgesuch offensichtlich unzulässig oder missbräuchlich ist (vgl. etwa , Neue Juristische Wochenschrift 2007, 3771). Ob im Streitfall eine solche Ausnahmevoraussetzung hinsichtlich eines jeden der abgelehnten Senatsmitglieder erfüllt war und welche prozessualen Folgen eine Fehlbesetzung bei der Entscheidung über das Ablehnungsgesuch für die Entscheidung in der Hauptsache hätte (vgl. dazu etwa den , BFH/NV 2008, 611, m.w.N., und , BFHE 214, 518), muss hier nicht entschieden werden.

Denn jedenfalls liegt in der Ablehnung einer Verlegung der für den , 9:00 Uhr, anberaumten mündlichen Verhandlung und deren Durchführung in Abwesenheit des Klägers eine Versagung des rechtlichen Gehörs. Eine Naturkatastrophe kann ein erheblicher Grund i.S. von § 227 ZPO für die Terminsverlegung sein, wenn sie das Erscheinen eines Beteiligten verhindert oder unzumutbar erschwert. Letzteres ist hier der Fall. Angesichts des am Tag vor der Verhandlung durch Deutschland ziehenden Orkantiefs „Kyrill”, der dadurch gerichtsbekannt eingetretenen Verwüstungen (insbesondere Windbruch) und der Verkehrsbeeinträchtigungen auch noch am Folgetag —dem Sitzungstag— sowie des im konkreten Fall hinzutretenden Umstands, dass der Termin früh anberaumt war und der Kläger in erheblicher Entfernung vom Sitz des FG wohnt, hätte das FG den Antrag auf Terminsverlegung nicht ablehnen dürfen.

Im zweiten Rechtsgang wird das FG zu klären haben, ob das Ablehnungsgesuch vom Kläger aufrechterhalten wird und ob der vom Kläger geltend gemachte Grund für seinen Antrag auf das Ruhen des Verfahrens tatsächlich fortgilt. Gegebenenfalls wird das FG außerdem prüfen müssen, ob bereits in dem dem FG durch den Kläger übermittelten und auch vom Vorsteher des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt —FA—) unterzeichneten Schreiben vom , wonach übereinstimmend die Verfahrensruhe beantragt werden sollte, die Prozesshandlung eines auch vom FA gestellten Ruhensantrags liegt und ob in diesem Falle die Frage der Verfahrensruhe unter dem Gesichtspunkt der Zweckmäßigkeit anders als im angefochtenen Urteil zu entscheiden ist.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2009 S. 955 Nr. 6
ZAAAD-19276