Verpflichtung zur Anpassung des Folgebescheids an den Grundlagenbescheid
Gesetze: AO § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1
Instanzenzug:
Gründe
Die Beschwerde des Klägers und Beschwerdeführers (Kläger) hat keinen Erfolg. Die in der Beschwerdebegründung geltend gemachten Gründe für die Zulassung der Revision (§ 115 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung —FGO—) liegen jedenfalls nicht vor.
1. Wird geltend gemacht, die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO), dann ist ausführlich darzulegen, aus welchen Gründen eine im Streitfall entscheidungserhebliche Rechtsfrage im allgemeinen Interesse der Klärung bedarf. Hierbei ist darauf einzugehen, in welchem Umfang, von welcher Seite und aus welchen Gründen die Beantwortung der Rechtsfrage zweifelhaft und strittig ist. Hat der Bundesfinanzhof (BFH) bereits früher —wie im vorliegenden Fall— über die Rechtsfrage entschieden, muss der Beschwerdeführer begründen, weshalb er gleichwohl eine erneute Entscheidung des BFH zu dieser Frage im Interesse der Allgemeinheit für erforderlich hält. Insbesondere muss er dartun, welche neuen und gewichtigen, vom BFH noch nicht geprüften Argumente in der Rechtsprechung der Finanzgerichte (FG) und/oder der Literatur gegen die Rechtsauffassung des BFH vorgebracht worden sind (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 116 Rz 31 ff., m.w.N. aus der Rechtsprechung).
Es kann dahingestellt bleiben, ob die Beschwerdebegründung diesen Anforderungen genügt, da in ihr lediglich ausgeführt wird, das FG habe die Reichweite der Änderungsmöglichkeit des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) verkannt, indem es diese Änderungsvorschrift angewandt habe, obwohl der Gewinnfeststellungsbescheid für das Einzelunternehmen des Klägers seit seinem Erlass im Juli 2003 nicht mehr geändert und dieser Grundlagenbescheid —zunächst— zutreffend in dem Einkommensteuerbescheid 2002 des Klägers umgesetzt worden sei. Aus dieser Begründung ergibt sich nicht, warum eine erneute Entscheidung des BFH zu § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO notwendig sein soll. Eine solche Notwendigkeit ist auch nicht gegeben, da sich der BFH in seiner bisherigen Rechtsprechung eingehend mit der Änderungsmöglichkeit gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO beschäftigt und die folgenden Grundsätze herausgearbeitet hat, die auch dem finanzgerichtlichen Urteil zugrunde liegen:
a) Die Bindungswirkung des Grundlagenbescheids für den Folgebescheid beinhaltet, dass das für den Erlass eines Folgebescheids zuständige Finanzamt verpflichtet ist, die Folgerungen aus dem Grundlagenbescheid zu ziehen (vgl. z.B. Senatsurteil vom X R 23/97, BFH/NV 2002, 614). § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO begründet eine „absolute Anpassungsverpflichtung” (Senatsurteil vom X R 31/04, BFH/NV 2005, 1749). Die Vorschrift stellt die Anpassung des Folgebescheids mithin nicht in das Ermessen der Finanzbehörden. Sie bezweckt die Ermittlung und Festsetzung der zutreffenden Steuer, wobei sie der materiellen Richtigkeit des Folgebescheids den Vorrang vor der Bestandskraft eines bereits ergangenen Folgebescheids einräumt (Senatsurteil vom X R 37/99, BFHE 203, 14, BStBl II 2003, 867).
Insofern unterscheidet sich § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO von anderen Änderungsvorschriften wie z.B. § 173 AO, aufgrund deren die Bestandskraft von Bescheiden nur in genau bezeichneten Ausnahmefällen durchbrochen werden kann. Jene Vorschriften bewerten die Bestandskraft eines Bescheids im Hinblick auf den Vertrauensschutz höher als die Richtigkeit des Bescheids. Dass demgegenüber § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO dem Vertrauensschutz eine geringere Bedeutung beimisst, ergibt sich aus dem Verhältnis zwischen Grundlagen- und Folgebescheid. Eines Vertrauensschutzes bedarf es nicht, wenn bereits ein Grundlagenbescheid ergangen ist und der Steuerpflichtige mit einer Auswertung dieses Grundlagenbescheids in einem Folgebescheid rechnen muss. Nach der Aufgabe, die das Gesetz dem Grundlagenbescheid zugedacht hat, soll dieser dem Folgebescheid in verbindlicher Weise bestimmte Besteuerungsgrundlagen zuführen. Solange diese Besteuerungsgrundlagen im Folgebescheid nicht (oder nicht vollständig) berücksichtigt sind, ist die dem Grundlagenbescheid zugedachte Aufgabe nicht erfüllt (vgl. , BFHE 153, 285, BStBl II 1988, 711; vom II R 15/91, BFH/NV 1994, 1; in BFH/NV 2005, 1749; von Groll in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 175 AO Rz 181 ff.; v.Wedelstädt in Beermann/Gosch, AO § 175 Rz 18).
b) Diese Grundsätze zeigen auch die Lösung in dem vorliegenden Fall auf, in dem der Einkommensteuerbescheid 2002 vom den Grundlagenbescheid zunächst zutreffend umsetzte, die korrekte Umsetzung aber durch eine fehlerhafte Änderung des Einkommensteuerbescheids vom „rückgängig” gemacht wurde. Erst durch den weiteren Änderungsbescheid vom erfüllte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt) seine weiterhin bestehende Verpflichtung zur Anpassung des Einkommensteuerbescheids 2002 an die gesonderte Gewinnfeststellung für das Einzelunternehmen des Klägers, wie das FG zu Recht entschied.
2. Der Kläger hat nicht substantiiert dargelegt, dass eine Entscheidung des BFH zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO erforderlich ist. Die Zulassung der Revision wegen dieses Erfordernisses ist insbesondere dann geboten, wenn das angefochtene FG-Urteil in seinen tragenden Gründen von einer Entscheidung des BFH oder eines anderen Gerichts abweicht (vgl. z.B. Gräber/Ruban, a.a.O., § 116 Rz 41). Zur schlüssigen Darlegung einer solchen Abweichung muss der Beschwerdeführer tragende und abstrakte Rechtssätze aus dem angefochtenen FG-Urteil einerseits und aus den mutmaßlichen Divergenzentscheidungen andererseits herausarbeiten und einander gegenüberstellen, um so eine Abweichung zu verdeutlichen.
Daran fehlt es im Streitfall, da der Kläger weder einen abstrakten und entscheidungserheblichen Rechtssatz aus dem angegriffenen FG-Urteil noch aus den mutmaßlichen Divergenzentscheidungen, den BFH-Urteilen vom IV R 25/98 (BFHE 188, 548, BStBl II 1999, 545) und vom IV R 9/00 (BFH/NV 2001, 1007) herausgearbeitet hat.
3. Im Kern richtet sich die Beschwerdebegründung —nach Art einer Revisionsbegründung— gegen die materiell-rechtliche Richtigkeit der angefochtenen FG-Entscheidung, insbesondere dagegen, dass das FG eine Änderbarkeit des geänderten Einkommensteuerbescheids vom gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO bejaht hat, obwohl der Grundlagenbescheid bereits einmal zutreffend umgesetzt worden war. (Vermeintliche) Fehler bei der Auslegung und Anwendung des materiellen Rechts im konkreten Einzelfall rechtfertigen indessen für sich genommen grundsätzlich nicht die Zulassung der Revision (vgl. z.B. Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz 24 und 45 sowie § 116 Rz 34, 38 und 42, m.w.N. aus der Rechtsprechung des BFH).
Fundstelle(n):
CAAAD-19249