BGH Beschluss v. - 2 StR 42/09

Leitsatz

[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: StGB § 63

Instanzenzug: LG Marburg, vom

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Seine Revision führt mit der Sachrüge zur Aufhebung des Maßregelausspruches (§ 349 Abs. 4 StPO). Im Übrigen ist sie unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

I.

Nach den Feststellungen leidet der nicht vorbestrafte, am als Kind türkischer Eltern in Deutschland geborene Angeklagte an einer paranoiden Schizophrenie. Er wurde erstmals mit 17 Jahren und bis zur Hauptverhandlung fünfzehn weitere Male stationär psychiatrisch behandelt. Ein Behandlungserfolg stellte sich nicht ein, da er Neuroleptika "immer wieder eigenmächtig absetzte und statt dessen Drogen konsumierte."

Der Angeklagte lernte im September 2006 über einen sogenannten Chat-Room die 17-jährige Nebenklägerin kennen, die aus einer strenggläubigen türkischen Familie stammt. Von Oktober bis Dezember 2006 besuchte er sie regelmäßig in ihrem Heimatort und übernachtete dann häufig in seinem Auto. Anders als die Nebenklägerin hatte der Angeklagte "mit dem Islam nicht viel im Sinn", was mehrfach zum Streit zwischen den beiden führte. Es kam auch zum Austausch von Zärtlichkeiten sexueller Art, allerdings nur "oberhalb der Gürtellinie", da vaginaler Geschlechtsverkehr für die Nebenklägerin auf Grund ihres Glaubens vor der Hochzeit nicht in Betracht kam. Der Angeklagte hielt bei den Eltern der Nebenklägerin um ihre Hand an; ihr Vater war grundsätzlich mit einer Heirat einverstanden, wollte seine Entscheidung aber erst nach einer für Mitte Dezember 2006 geplanten Pilgerreise nach Mekka mitteilen. In der Woche vor Beginn der Mekkareise besuchte der Angeklagte die Nebenklägerin erneut und mietete sich für vier bis fünf Tage in einem Hotel ein. Die beiden sahen sich in dieser Zeit täglich, unternahmen Fahrten mit dem PKW und hielten sich in dem Hotelzimmer des Angeklagten auf. Auch am Nachmittag des waren sie nachmittags im Hotel und tauschten Zärtlichkeiten aus. Als die Nebenklägerin am späten Nachmittag nach Hause musste, reagierte der Angeklagte verstimmt, weil er "gern mehr Zärtlichkeiten von ihr gehabt hätte." Gegen 20.00 Uhr ging die Nebenklägerin in die Moschee. Einige Zeit später erschien der Angeklagte und bewegte sie durch lautes Rufen dazu, herauszukommen und zu ihm ins Auto einzusteigen. Der Angeklagte fuhr mit der Nebenklägerin erneut ins Hotel, schloss das Zimmer von innen ab und steckte den Schlüssel in seine Tasche. Da der Angeklagte nach Alkohol roch, machte ihm die Nebenklägerin Vorhaltungen und schickte ihn zum Duschen. Der Angeklagte tat wie ihm geheißen, sagte aber, die Nebenklägerin solle sich schon einmal ausziehen, was sie nicht ernst nahm, weil sie von ihm solche Bemerkungen bereits kannte. Als der Angeklagte aus der Dusche zurückkam, fragte er die Nebenklägerin verärgert, warum sie noch immer nicht ausgezogen sei. Der Nebenklägerin wurde die Situation nunmehr unheimlich und sie wollte gehen. Der Angeklagte packte sie an den Schultern, warf sie auf das Bett und fesselte ihre Hände mit Handschellen an das Bettgestell. Er sagte zu ihr, sie habe ihn soweit gebracht und sei an allem schuld, sie solle jetzt für immer ihm gehören. Dann vollzog er gegen ihren Widerstand den Geschlechtsverkehr bis zum Samenerguss, ohne ein Kondom zu benutzen. Dabei sagte er ihr, dass er ihr nicht wehtun wolle. Nach dem erzwungenen Geschlechtsverkehr fragte der Angeklagte die Nebenklägerin, ob sie ihn noch immer liebe, was diese bejahte, damit er sie von den Handschellen befreite.

Nach seiner Festnahme am befand sich der Angeklagte zunächst aufgrund Haftbefehls des Amtsgerichts Marburg in Untersuchungshaft. Der Haftbefehl wurde vom Amtsgericht Marburg vom in eine einstweilige Unterbringung nach § 126a StPO und durch wieder in einen Haftbefehl umgewandelt. Nachdem das Oberlandesgericht Frankfurt den Haftbefehl durch Beschluss vom mangels dringenden Tatverdachts aufgehoben hatte, erließ die Kammer am Ende des ersten Sitzungstages erneut Beschluss nach § 126a StPO.

II.

1.

Die rechtsfehlerfreien Feststellungen zum Tatgeschehen tragen eine Verurteilung des Angeklagten wegen des Qualifikationstatbestandes des § 177 Abs. 3 Nr. 2 StGB, da der Angeklagte die Nebenklägerin mit Handschellen an das Bettgestell gefesselt und damit im Sinne des § 177 Abs. 3 Nr. 2 StGB ein Mittel bei sich geführt - und eingesetzt - hat, um ihren Widerstand mit Gewalt zu überwinden. Entsprechend war der Schuldspruch dahin klarzustellen, dass der Angeklagte der schweren Vergewaltigung schuldig ist (vgl. ; BGHR StPO § 260 IV 1 Urteilsformel 4).

2.

Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus hält rechtlicher Überprüfung nicht stand, weil die Voraussetzungen des § 63 StGB im angefochtenen Urteil nicht hinlänglich dargelegt sind.

a)

Das Landgericht hat bereits nicht tragfähig begründet, dass der Angeklagte die Tat im Zustand der erheblich verminderten Schuldfähigkeit begangen hat. Die Voraussetzungen des § 21 StGB müssen zum Tatzeitpunkt bestehen, und die Tatbegehung muss auf der sicher erheblich verminderten Schuldfähigkeit beruhen (vgl. BGH NStZ-RR 2003, 232 ). Zutreffend weist der Generalbundesanwalt darauf hin, dass sich dem Urteil nicht entnehmen lässt, dass und gegebenenfalls wie sich die festgestellte Grunderkrankung des Angeklagten auf die Ausführung der Tat ausgewirkt hat. Das Landgericht teilt hierzu lediglich mit, dass der Angeklagte vor seinem letzten Treffen mit der Nebenklägerin bereits seit längerer Zeit seine Medikamente nicht oder nicht regelmäßig eingenommen habe. Aufgrund seiner "bereits chronifizierten schizophrenen Erkrankung" habe er an Denkstörungen sowie Antriebs- und Affektstörungen und an deutlichen kognitiven Einbußen gelitten. Insgesamt sei sein "allgemeines psychosoziales Funktionsniveau zur Zeit der Tat schwerwiegend korrumpiert und vergleichbar beeinträchtigt wie bei einer klassischen Geisteskrankheit oder Psychose" gewesen.

Diese Ausführungen des Landgerichts begegnen durchgreifenden Bedenken. Sie sind lückenhaft, weil sie sich in der Behauptung eines sich auf die Tat auswirkenden Zustandes im Sinne des § 21 StGB erschöpfen, ohne konkret zu belegen, durch oder in welchen Verhaltensweisen sich die Grunderkrankung des Angeklagten bei der Tatbegehung manifestierte. Konkrete Angaben hierzu waren auch nicht deshalb entbehrlich, weil sich das Beruhen der Tat auf dem Zustand von selbst verstanden hätte. Aus dem festgestellten Sachverhalt ergaben sich die behaupteten Defizite nicht. Vielmehr hat der Angeklagte durchaus planvoll gehandelt und situationsadäquat auf das Verhalten der Nebenklägerin und sich daraus neu ergebende Situationen reagiert. Unter diesen Umständen ist nicht ohne Weiteres davon auszugehen, dass der dem Angeklagten attestierte Defektzustand sich auf die Tatbegehung ausgewirkt hat. Das hätte vielmehr eingehender Prüfung und Darlegung des Landgerichts bedurft.

Darüber hinaus sind die Ausführungen des Landgerichts in sich widersprüchlich. Das Landgericht meint einerseits, die Tat sei von der schizophrenen Erkrankung des Angeklagten geprägt. Es stellt jedoch andererseits fest, dass das Tatgeschehen "auch von einem psychisch gesunden Täter verwirklicht worden" sein konnte und "als solches auch in keiner Weise von psychotischen Inhalten geprägt oder geleitet" worden sei. Dieser Widerspruch lässt sich nicht mit der Erwägung des Landgerichts ausräumen, dem "moralisch korrumpierten und empathielos gewordenen Angeklagten" sei "die Verantwortung für das Geschehen entglitten". Denn damit wird lediglich eine moralisierende Bewertung des Verhaltens des Angeklagten vorgenommen, nicht aber die notwendige Beziehung zwischen der Grunderkrankung und der Tatbegehung belegt. Soweit die Kammer insoweit zur Begründung auf die "Empathielosigkeit" des Angeklagten verweist, steht dies im Übrigen im Widerspruch zu ihrer Feststellung, dass der Angeklagte auch "erhebliche dissoziale Züge" aufweise, "die sich insbesondere in einer schweren Empathielosigkeit zeigen", welche allerdings "keinen Einfluss auf die Steuerungsfähigkeit" gehabt habe.

b)

Das Landgericht hat auch die für eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus weiter vorausgesetzte negative Gefährlichkeitsprognose nicht rechtsfehlerfrei begründet. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ist eine außerordentlich beschwerende Maßnahme. Sie darf deshalb nur angeordnet werden, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades besteht, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen (BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 11 und 26). Eine lediglich latente Gefahr und die bloße Möglichkeit zukünftiger Straftaten reicht nicht aus (Senat , Beschluss vom - 2 StR 291/08).

Das Landgericht berücksichtigt nicht erkennbar, dass der Angeklagte mit Ausnahme der Anlasstat bisher strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten ist, obwohl er seit dem Jahr 1998 vielfach stationär in psychiatrischen Einrichtungen aufgenommen und behandelt werden musste. Dass ein Täter trotz bestehenden Defekts über Jahre hinweg keine Straftaten begangen hat, ist ein gewichtiges Indiz gegen die Wahrscheinlichkeit künftiger gefährlicher Straftaten (vgl. BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 27). Darüber hinaus weist der Generalbundesanwalt zu Recht darauf hin, dass der Angeklagte trotz seiner schizophrenen Erkrankung bei zahlreichen früheren sexuellen Kontakten die Grenzen respektiert hat, die ihm die Nebenklägerin gesetzt hatte. Auch diesen Umstand hätte das Landgericht erkennbar in seine Überlegungen einbeziehen müssen.

Vor diesem Hintergrund genügt der Hinweis auf die "fortwährend insuffiziente Behandlung mangels Mitwirkung des Angeklagten" und seinen "bereits erheblich fortgeschrittenen Persönlichkeitsverfall, der letztlich die Grundlage für die vorliegende Tat darstellt" nicht, zumal das Landgericht - wie dargelegt -auch das Beruhen der Tat auf dem Defektzustand nicht rechtsfehlerfrei begründet hat.

3.

Über die Maßregelanordnung ist daher neu zu entscheiden. Die Feststellungen zum äußeren Tathergang lassen keinen Rechtsfehler erkennen, sodass sie bestehen bleiben können. Dies gilt - nach Maßgabe der Klarstellung der Urteilsformel - auch für den Schuldspruch. Bei der gegebenen Sachlage ist auszuschließen, dass beim Angeklagten zum Zeitpunkt der Tat die Voraussetzungen des § 20 StGB vorlagen. Auch der Strafausspruch kann bestehen bleiben, da der Angeklagte durch die Annahme der Voraussetzungen des § 21 StGB bei der Strafzumessung nicht beschwert ist (vgl. Senat , Beschluss vom - 2 StR 532/06).

Fundstelle(n):
WAAAD-19183

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